Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.09.2012, Az. IX ZB 191/11

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 3235

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB 191/11

vom

13. September
2012

in dem Insolvenzeröffnungsverfahren

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 4c Nr. 4, § 295 Abs. 1 Nr. 1, § 296 Abs. 1 Satz 1
a)
Der [X.] des §
4c Nr.
4 [X.] reicht so
weit wie der Versagungsgrund des §
295 Abs.
1 Nr.
1 [X.]. Entsprechend §
296 Abs.
1 S.
1 [X.] kann die Stun-dung nach §
4c Nr.
4 [X.] nur aufgehoben werden, wenn der Schuldner es schuldhaft unterlassen hat, sich um eine angemessene Erwerbstätigkeit zu [X.].
b)

[X.] auszulegen.

[X.], Beschluss vom 13. September 2012 -
IX ZB 191/11 -

[X.]

LG Gera

-

2

-
Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat durch [X.] [X.], die
Richter
Raebel, Dr.
Pape, Grupp
und die Richterin
Möhring

am 13. September 2012
beschlossen:

Auf die Rechtsmittel
des Schuldners werden die Beschlüsse
der 5.
Zivilkammer des [X.] vom 31. Mai 2011 und des [X.] vom 9.
März 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens an das Insolvenzgericht zu-rückverwiesen.

Der Gegenstand für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 1.500

Gründe:

I.

Der arbeitslose Schuldner beantragte im Juli 2010, das Insolvenzverfah-ren über sein Vermögen zu eröffnen, ihm Restschuldbefreiung zu gewähren und ihm die Verfahrenskosten zu stunden. Das Insolvenzgericht gab dem Stun-dungsantrag statt.
Es
beauftragte einen Sachverständigen mit der Prüfung, ob 1
-

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der Schuldner zahlungsunfähig sei, die Verfahrenskosten gedeckt seien
und der Schuldner seiner Erwerbsobliegenheit nachkomme. Im September 2010 schloss der Schuldner mit der [X.] eine Eingliederungsvereinbarung, in der er sich verpflichtete, alle Möglichkeiten zu nutzen, um seinen Lebensunter-halt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten,
und der [X.] im Monat je-weils vier Bewerbungen nachzuweisen. Entsprechend dieser Vereinbarung [X.] sich der Schuldner in der [X.] vom 17.
September 2010 bis zum 26.
Ja-nuar 2011 insgesamt 20mal ohne Erfolg. Der Sachverständige kam in seinem schriftlichen Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Schuldner zahlungsunfähig ist und die Kosten des [X.] voraussichtlich nicht gedeckt
sind.
Weiter führte
er aus, der Schuldner komme seiner Erwerbsoblie-genheit nicht nach.

Das Insolvenzgericht hat die Stundung der Verfahrenskosten aufgeho-ben und den Insolvenzantrag mangels Masse abgewiesen. Die hiergegen ge-richtete sofortige Beschwerde des Schuldners hat das [X.]. Mit seiner Rechtsbeschwerde will der Schuldner die Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse und die Eröffnung des Insolvenzverfahrens errei-chen.

II.

Die gemäß §
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1 ZPO, §§
7, 6, 34 Abs.
1, §
4d Abs.
1 [X.], Art.
103
f EG[X.] statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbe-schwerde (§
574 Abs.
2 Nr.
2 ZPO) führt zur
Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und der Entscheidung des Insolvenzgerichts.

2
3
-

4

-

1. Das Beschwerdegericht, dessen Beschluss in Z[X.] 2011, 1254
ab-gedruckt ist,
hat ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Aufhebung der Stun-dung der Verfahrenskosten
nach §
4c Nr.
4 [X.] lägen vor. Der Schuldner sei seiner Erwerbsobliegenheit nicht nachgekommen. Bei ihm handele es sich um einen 52
Jahre alten, voll arbeitsfähigen und örtlich ungebundenen Handwerker mit auch kaufmännischer Erfahrung, der niemandem zu Unterhalt oder [X.] verpflichtet sei. Deswegen sei es ihm zuzumuten, sich überregional um eine
Vollzeitarbeitsstelle zu bemühen. Die nachgewiesenen 20 Bewerbungen in gut vier Monaten genügten diesen Anforderungen nicht. Das Insolvenzgericht habe im [X.] hunderte für den Schuldner geeignete Stellen gefunden, die ihm ein Einkommen oberhalb der Pfändungsfreigrenzen ermöglicht hätten. Der Schuld-ner hätte von diesen Angeboten wenigstens 20 monatlich zum Gegenstand ernsthafter schriftlicher Bewerbungen machen müssen. Auch wenn er die Be-dingungen der Integrationsvereinbarung eingehalten habe, reiche dies nicht im Sinne von §
4c Nr.
4 [X.] aus. Das Maß der geschuldeten Erwerbsbemühun-gen richte sich nach §
1574 Abs.
2 BGB und der dazu ergangenen
Rechtspre-chung. Ein erwerbsloser Schuldner habe alle nur denkbaren
Anstrengungen zur Erlangung einer angemessenen Erwerbstätigkeit zu unternehmen und dabei die [X.] aufzuwenden, die ein Erwerbstätiger aufwende. Deswegen müsse sich ein Schuldner wöchentlich mindestens 35
Stunden lang mit der ernsthaften und rückhaltlosen Suche nach einem Arbeitsplatz beschäftigen.
Daher
sei auch die Beschwerde gegen die Zurückweisung seines Antrags auf Eröffnung des [X.] unbegründet.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Insolvenz-
und Beschwerdegericht hätten
die
dem
Schuldner gewährte
Verfah-renskostenstundung nicht aufheben dürfen.
Infolgedessen war auch die Abwei-4
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sung seines Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse nach §
26 Abs.
1 [X.] unberechtigt.

a) Die Voraussetzungen des allein
in Betracht kommenden [X.] gemäß §
4c Nr.
4 Fall
2 [X.] sind nicht erfüllt. Danach kann das Insolvenzgericht die zuvor gemäß §
4a [X.] gewährte Stundung der Kosten des Insolvenzverfahrens aufheben, wenn der Schuldner, der ohne Beschäfti-gung ist, sich nicht um eine angemessene Erwerbstätigkeit bemüht,
es sei denn, es trifft ihn
hieran kein Verschulden. Dieser [X.] ist der [X.] des §
295 Abs. 1 Nr.
1 [X.] nachgebildet. Er reicht soweit wie dieser Versagungsgrund (vgl. [X.], Beschluss vom 22.
Oktober 2009 -
IX
ZB 160/09, Z[X.] 2009, 2210 Rn.
13; vom 22.
April 2010 -
IX
ZB 253/07, Z[X.] 2010, 1153 Rn.
8; vom 2.
Dezember 2010 -
IX
ZB 160/10, Z[X.] 2011, 147 Rn.
7).

aa) Das Beschwerdegericht hat die
objektiven
Anforderungen an die Bemühungen um eine Erwerbstätigkeit gemäß §
4c Nr.
4, §
295 Abs.
1 Nr.
1 [X.] überspannt. Der [X.] hat bereits entschieden, dass von einem Schuldner nicht gefordert
werden kann, er müsse sich, um seinen Obliegenheiten aus §
295 Abs.
1 Nr.
1 [X.] gerecht zu werden, 20 bis 30mal im Monat bewerben, wie es teilweise die Familiengerichte von den Unterhaltspflichtigen minderjähri-ger
unverheirateter und ihnen gleichgestellter volljähriger
Kinder
verlangen ([X.] vom 19.
Mai 2011 -
IX
ZB 224/09, Z[X.]
2011, 1301
Rn.
17). Allerdings hat das Beschwerdegericht richtig gesehen, dass die unbestimmten Rechtsbe-griffe der "angemessenen Erwerbstätigkeit"
oder
der "zumutbaren Tätigkeit" nicht vom Sozialrecht her bestimmt werden. Anders als bei der Auslegung des Begriffs der zumutbaren Beschäftigung im Sozialrecht geht es bei der Prüfung des
Versagungsgrundes nach §
295 Abs. 1 Nr.
1 [X.] -
und damit auch bei der Prüfung des [X.]es nach § 4c Nr.
4 [X.]
-
nicht um die Abwägung 6
7
-

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-
der Interessen des Erwerbslosen mit denen der Gesamtheit der Beitrags-
oder Steuerzahler, sondern um die Abwägung der Schuldnerinteressen mit denen einer vergleichsweisen geringen Zahl privater Gläubiger, die in ungleich höhe-rem Maße auf die aus der Erwerbstätigkeit fließenden Einkünfte gerade des Schuldners angewiesen sein können (vgl. [X.]/[X.],
[X.], §
4c Rn.
49
ff).

Deswegen hat das Beschwerdegericht
zutreffend die Eingliederungsver-einbarung des Schuldners mit der [X.] vom 1.
September 2010 und die dort vereinbarten vier
Bewerbungsbemühungen je
Monat nicht als ausreichend angesehen. Der [X.] hat in der bereits zitierten Entscheidung vom 19.
Mai 2011
(aaO Rn.
17) im Rahmen des §
295 Abs.
1 Nr.
1 [X.] vom Schuldner [X.], dass er im Regelfall bei der [X.] arbeitssuchend gemeldet ist
und laufend Kontakt zu den dort für ihn zuständigen Mitarbeitern hält. Weiter muss er sich selbst aktiv und ernsthaft um eine Arbeitsstelle [X.], etwa durch stetige Lektüre einschlägiger Stellenanzeigen und durch ent-sprechende Bewerbungen. Als ungefähre Richtgröße hat der [X.] zwei bis drei Bewerbungen in der Woche angegeben, sofern entsprechende Stellen an-geboten werden. Auch diesen Anforderungen kam
der Schuldner mit seinen monatlich nur vier
Bewerbungen nicht nach. Dass in dem von den [X.] zugrunde gelegten [X.]raum ausreichend Stellen ausgeschrieben waren, hat das Beschwerdegericht ausdrücklich festgestellt.

bb) Das Beschwerdegericht hat jedoch übersehen,
dass
innerhalb von
§
4c Nr.
4 [X.] für die Aufhebung einer Stundungsbewilligung wegen [X.] gegen die Erwerbsobliegenheit §
296 Abs.
1 Satz
1 [X.] entsprechend anzuwenden ist ([X.], Beschluss vom 22.
Oktober 2009 -
IX
ZB 160/09, Z[X.] 2009, 2210 Rn. 12). Hierzu
hat das Beschwerdegericht festgestellt, dass der Schuldner in der Lage gewesen wäre, eine Stelle zu finden, die es ihm ermög-8
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7

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licht hätte, Einkünfte oberhalb der Pfändungsfreigrenze zu erzielen, so dass die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt ist (vgl. [X.], Beschluss vom 22.
Oktober 2009,
aaO Rn.
14; vom 22.
April 2010 -
IX
ZB 253/07, Z[X.] 2010, 1153 Rn.
8; vom 2.
Dezember 2010 -
IX
ZB 160/10, Z[X.] 2011, 147 Rn.
7). Jedoch hat es nicht geprüft, ob der Schuldner die ihm obliegenden Bemühun-gen um die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit schuldhaft unterlassen hat. Dazu bestand jedoch Anlass, nachdem der Schuldner die Eingliederungsvereinba-rung mit der [X.] vom 1.
September 2010 vorgelegt hatte, wonach er gegenüber der [X.] nur vier Bewerbungsbemühungen pro Monat nachweisen musste. Im Hinblick auf den engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Stundungsentscheidung durch das Insolvenzgericht
und
der Eingliederungsver-einbarung des Schuldners mit der [X.] musste es sich dem Schuldner nicht aufdrängen, dass die Bewerbungsbemühungen, zu denen er sich gegen-über der [X.] zum Erhalt der Sozialleistungen verpflichtet hatte, im Rah-men des Restschuldbefreiungsverfahrens und damit auch im Rahmen des [X.] nicht ausreichten. Deshalb hätte die Stundung nicht [X.] werden dürfen, ohne dem Schuldner Gelegenheit zu geben, seine Bemühungen um eine angemessene Erwerbstätigkeit entsprechend zu
verstär-ken.

b) Ebenso hat die Rechtsbeschwerde Erfolg, soweit
der Insolvenzantrag des Schuldners mangels Masse abgewiesen worden ist (§
26 Abs.
1 Satz
1 [X.]). Bleibt es bei der Stundung der Verfahrenskosten, hat dies zur Folge, dass die Kosten des Verfahrens gedeckt sind und das Insolvenzverfahren
durchzuführen ist, wenn ein Eröffnungsgrund vorliegt.

3. Die
Beschlüsse der Vorinstanzen können daher keinen Bestand ha-ben. Sie sind aufzuheben. Der [X.] hat über die Kostenstundung in der Sache 10
11
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8

-
selbst zu entscheiden, weil die Aufhebung der Entscheidungen
nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte [X.] erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist (§
577 Abs.
5 Satz 1 ZPO). Im Hinblick auf die Eingliederungsvereinbarung mit der [X.] kann dem Schuldner ein schuldhaftes Handeln nicht nachgewiesen werden. Der Eröffnungsantrag ist trotz ausreichender Kostenstundung noch nicht spruchreif. Das Insolvenzgericht wird nunmehr zu prüfen haben, ob das Insolvenzverfahren auf Antrag des Schuldners zu eröffnen ist, weil ein Insol-venzgrund vorliegt.

[X.] Pape

Grupp Möhring
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 09.03.2011 -
8 [X.] 564/10 -

LG Gera, Entscheidung vom 31.05.2011 -
5 [X.] -

Meta

IX ZB 191/11

13.09.2012

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.09.2012, Az. IX ZB 191/11 (REWIS RS 2012, 3235)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3235

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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