Bundesgerichtshof, Urteil vom 24.03.2011, Az. 4 StR 670/10

4. Strafsenat | REWIS RS 2011, 8262

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Gegenstand

Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs: Verurteilung eines Rädelsführers; tateinheitliche Verurteilung wegen Körperverletzung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten [X.]wird das Urteil des [X.] 16. März 2010, soweit es ihn betrifft,

a)im Schuldspruch dahin abgeändert, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen Landfriedensbruchs entfällt,

b)im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten [X.]  sowie die Revision des Angeklagten [X.]werden verworfen.

3. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil

a) in den [X.] dahin abgeändert, dass die Angeklagten [X.] und [X.]  jeweils der gefährlichen Körperverletzung schuldig sind, der Angeklagte [X.]  in Tateinheit mit Landfriedensbruch,

b) in den [X.] mit den Feststellungen aufgehoben.

4. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft sowie des Angeklagten [X.]  , an eine allgemeine Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

5. Der Angeklagte [X.] trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die den [X.] im Revisionsverfahren hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten jeweils wegen [X.] in Tateinheit mit Körperverletzung schuldig gesprochen und den Angeklagten [X.]zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten, den Angeklagten [X.]zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Ferner hat es die Vollstreckung der Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt. Gegen ihre Verurteilung wenden sich die Angeklagten mit der Sachrüge; auch die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihren Rechtsmitteln, die vom [X.] vertreten werden, die Verletzung materiellen Rechts. Während der Revision des Angeklagten [X.]der Erfolg versagt bleibt, haben die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten [X.]  jeweils den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg.

A.

2

Das [X.] hat Folgendes festgestellt:

3

Am Vormittag des 30. Juni 2007 waren etwa 150 Sympathisanten der politisch rechten Szene von [X.]aus in einem [X.] unterwegs nach [X.]    , um dort an einer Demonstration der [X.] teilzunehmen. In dem ersten Doppelstock-Wagen der [X.] befanden sich lediglich sieben Personen dieser Gruppe im Obergeschoß; der größte Teil der Demonstranten fuhr im zweiten und dritten Wagen mit. Während eines Zwischenhaltes im [X.]stiegen etwa 50 bis 60 dem linken politischen Spektrum zuzuordnende Personen in den ersten Wagen des Zuges. Sie beabsichtigten, in [X.]     an einer für denselben Zeitpunkt organisierten Gegendemonstration teilzunehmen. In dieser Gruppe der Gegendemonstranten befanden sich auch die späteren Geschädigten, die Zeugen [X.]    , [X.], [X.]     . Während der Weiterfahrt entdeckten einige unbekannt gebliebene Gegendemonstranten die an ihrem Äußeren erkennbaren sieben Personen der rechten Szene. Nachdem sie die Zwischentür zum zweiten Wagen versperrt hatten, begannen die Gegendemonstranten ohne ersichtlichen Grund eine verbale und dann auch eine körperliche Auseinandersetzung. Um den zahlenmäßig deutlich überlegenen Gegendemonstranten auszuweichen, stiegen die Angegriffenen am nächstfolgenden [X.]    sämtlich in den zweiten [X.]-Wagen um. Noch im [X.] verhinderte ein Unbekannter die Weiterfahrt des Zuges durch Betätigung der Notbremse. Zahlreiche Sympathisanten der rechten Szene, darunter die Angeklagten, verschafften sich daraufhin in Gruppen von bis zu 20 Personen Zugang zum ersten Wagen des [X.]es. Dort versetzten sie Gegendemonstranten und unbeteiligten Fahrgästen eine Vielzahl von Schlägen und Tritten, stießen Drohungen aus und forderten die in dem Wagen befindlichen Personen auf, den Zug zu verlassen. Der Angeklagte [X.], Fraktionsmitarbeiter der [X.] im [X.] und nach eigenen Angaben Leiter des Ordnungsdienstes der [X.] am Tattag, schlug zunächst einer unbeteiligten Frau, deren Identität nicht näher festgestellt werden konnte, in den Bauch. Ferner trat er der Zeugin [X.]        gegen das Bein, versetzte dem Zeugen [X.]    einen Faustschlag gegen das linke Ohr und schlug den [X.]      nieder; sodann trat er auf diesen ein. Währenddessen erteilte er im Befehlston lautstark Anweisungen. Der Angeklagte [X.]schlug während des insgesamt mehrere Minuten dauernden Geschehens auf den [X.]     sowie auf weitere, namentlich nicht bekannte Personen ein. Die Personen, die auf Grund der Gewalttätigkeiten den Zug verließen, mussten ein Spalier von etwa 100 [X.]-Sympathisanten passieren und erlitten dabei weitere Misshandlungen. Auch auf dem Bahnsteig kam es zwischen Anhängern der beiden politischen Gruppierungen zu Schlägereien; der Geschädigte [X.]     wurde nach dem Faustschlag des Angeklagten [X.] weiter misshandelt und vom [X.] eine Böschung hinunter geworfen.

4

Durch die Gewalttätigkeiten der Angeklagten erlitten die Geschädigten multiple Kontusionen, Schürfwunden und Schwellungen.

B.

I.

5

Zu den Revisionen der Angeklagten:

6

1. a) Soweit der Angeklagte [X.]     vom [X.] wegen Körperverletzung verurteilt worden ist, hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Sachrüge keinen Rechtsfehler zu dessen Nachteil ergeben. Der Schuldspruch wird insoweit von den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen getragen. Die [X.] hat insbesondere zu Recht eine Notwehrsituation verneint, da die Aggressionen der Gegendemonstranten im ersten Wagen des Zuges zum Tatzeitpunkt bereits beendet waren.

7

b) Jedoch muss die tateinheitliche Verurteilung wegen [X.] im Hinblick auf die [X.] des § 125 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB entfallen.

8

Danach kann eine Verurteilung wegen [X.] nur erfolgen, wenn die Tat nicht in einer anderen Vorschrift mit schwererer Strafe bedroht ist. So verhält es sich hier jedoch, da die Körperverletzung gemäß § 223 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, Landfriedensbruch gemäß § 125 StGB aber nur mit einer solchen bis zu drei Jahren bedroht ist. Dies hat das [X.] im Ansatz zwar nicht verkannt, die tateinheitliche Verurteilung jedoch ausnahmsweise "zur Klarstellung des spezifischen Tatunrechts für unbedingt erforderlich“ gehalten. Ungeachtet der Frage der Zweckmäßigkeit einer solchen [X.] überschreitet deren vom [X.] vorgenommene Auslegung den Wortsinn, der keine einschränkende Auslegung gestattet ([X.], Beschluss vom 9. September 1997 – 1 [X.], [X.]St 43, 237, 238).

9

c) Zwar wird der auf [X.] Erwägungen beruhende Strafausspruch von dieser Änderung des Schuldspruchs für sich genommen nicht berührt. Er kann gleichwohl keinen Bestand haben, da die [X.], wie der [X.] im Einzelnen zutreffend dargelegt hat, mit den grundsätzlich gesamtstrafenfähigen Verurteilungen durch das [X.].     vom 8. Oktober 2007 und durch das [X.]         vom 29. November 2007 keine Gesamtstrafe gebildet und entgegen § 55 StGB mit nicht tragfähiger Begründung von der Einbeziehung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts W.   vom 29. Januar 2008 abgesehen hat (zum zwingenden Charakter von § 55 StGB vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 55 Rn. 34 m. Nachw. z. Rspr. des [X.]).

2. Die Revision des Angeklagten G.    ist unbegründet; die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hat keinen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler ergeben.

a) Die Annahme eines – unbenannten – besonders schweren Falles des [X.] im Sinne des § 125a StGB hält rechtlicher Nachprüfung stand. Außerhalb der in § 125a StGB genannten Regelbeispiele kommt eine Verurteilung wegen eines besonders schweren Falles des [X.] namentlich dann in Betracht, wenn der Täter – wie nach den von der [X.] getroffenen Feststellungen der Angeklagte – Rädelsführer der Menschenmenge ist (Senatsbeschluss vom 7. Mai 1998 – 4 StR 88/98). Die für die Anwendung der Strafverschärfung gebotene Prüfung, ob der [X.] unter Berücksichtigung des gesamten [X.], der Täterpersönlichkeit und der besonderen Umstände des Falles geboten erscheint (Senat aaO), hat das [X.] in den Urteilsgründen vorgenommen. Sie ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

b) Die [X.] des § 125 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB steht der tateinheitlichen Verurteilung auch wegen Körperverletzung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB nicht entgegen.

Zwar greift diese Klausel nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] auch dann ein, wenn ein besonders schwerer Fall des [X.] nach § 125a StGB vorliegt. Maßstab für den nach § 125 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB vorzunehmenden Vergleich ist dann aber der Strafrahmen der als Strafzumessungsregel ausgestalteten Bestimmung des § 125 a Satz 1 StGB, die Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren androht ([X.], Beschluss vom 9. September 1997 – 1 [X.], [X.]St 43, 237, 240; Urteil vom 31. Mai 1994 – 5 [X.]; Beschluss vom 11. März 1998– 3 StR 591/97; Beschluss vom 14. Oktober 1999 – 4 [X.], [X.], 194, 195; Urteil vom 29. April 2004 – 4 StR 43/04, [X.]R StGB § 125 Abs. 1 Menschenmenge 2; Beschluss vom 6. April 2009 – 5 [X.]; vgl. aber auch [X.], Beschluss vom 7. April 2005 – 2 StR 537/04 unter unklarer Bezugnahme auf [X.], Beschluss vom 2. September 1998 – 2 StR 369/98, [X.]R StGB § 125a Konkurrenzen 1; zum Schrifttum [X.]/[X.], § 125a Rn. 7).

II.

Zu den Revisionen der Staatsanwaltschaft:

1. Die Staatsanwaltschaft beanstandet zu Recht, dass das [X.] die Angeklagten lediglich wegen Körperverletzung (§ 223 StGB), nicht aber wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) verurteilt hat. Nach den Feststellungen haben die Angeklagten die Tat mit anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen.

Der Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB, der neben einem weiteren (Mit-)Täter auch den Teilnehmer ausdrücklich einschließt ([X.], Urteil vom 3. September 2002 – 5 [X.], [X.]St 47, 384, 386), setzt nach ständiger Rechtsprechung des [X.] voraus, dass mindestens zwei Beteiligte am Tatort bewusst zusammenwirken, wobei die eigenhändige Ausführung von Verletzungshandlungen durch jeden der Anwesenden nicht erforderlich ist (vgl. nur Senatsurteil vom 25. März 2010 – 4 [X.], [X.], 236 m.w.N.). Gemessen daran wird die rechtliche Bewertung des Verhaltens der Angeklagten als gefährliche Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB von den dazu getroffenen Urteilsfeststellungen in jeder Hinsicht getragen, da diese die Körperverletzungshandlungen gemeinsam mit ihren gruppenweise in den [X.]-Wagen eingedrungenen Gesinnungsgenossen verübten. Der Senat hat die Schuldsprüche entsprechend geändert. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich die Angeklagten gegenüber dem geänderten Schuldvorwurf ersichtlich nicht anders hätten verteidigen können. Soweit der Angeklagte [X.]betroffen ist, steht die [X.] des § 125 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB einer tateinheitlichen Verurteilung wegen der übereinstimmenden Strafrahmen der § 125a Satz 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht entgegen.

2. Im Hinblick auf die höhere Strafdrohung des § 224 Abs. 1 StGB ist jedoch nicht auszuschließen, dass die verhängten Strafen bei zutreffender rechtlicher Bewertung höher ausgefallen wären. Die Sache bedarf daher zu den Strafaussprüchen neuer Verhandlung und Entscheidung.

C.

Da sich das Verfahren nunmehr ausschließlich gegen Erwachsene richtet, verweist der Senat die Sache daher an eine allgemeine [X.] des [X.]s zurück (Senatsurteil vom 28. April 1988 – 4 StR 33/88, [X.]St 35, 267).

Ernemann                                   Solin-Stojanović                                Roggenbuck

                         [X.]                                                [X.]

Meta

4 StR 670/10

24.03.2011

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Rostock, 16. März 2010, Az: 12 KLs 8/09 - 413 Js 17.746/07, Urteil

§ 52 StGB, § 53 StGB, § 125 Abs 1 StGB, § 125a S 1 StGB, § 223 Abs 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 24.03.2011, Az. 4 StR 670/10 (REWIS RS 2011, 8262)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8262

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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