Bundessozialgericht, Urteil vom 10.09.2020, Az. B 3 P 2/19 R

3. Senat | REWIS RS 2020, 2261

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Private Pflegeversicherung - Wohngruppenzuschlag - Erfordernis der "gemeinschaftlichen Beauftragung" einer für die Wohngruppe tätigen Person - Abgrenzung - ambulante Versorgungsform - vollstationäre Pflege


Leitsatz

Das Erfordernis der "gemeinschaftlichen Beauftragung" einer für die Wohngruppe tätigen Person im Sinne der Regelungen über den Wohngruppenzuschlag für Pflegebedürftige ist erfüllt, wenn an der formlos möglichen Beauftragung einschließlich der die Leistung begehrenden Person mindestens zwei weitere Pflegebedürftige mitwirken.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 6. Juni 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Gewährung von [X.] zugunsten seiner Ehefrau als Leistung der privaten Pflegeversicherung ([X.]) für den nicht von der Beihilfe abgedeckten Teil (30 vH).

2

Der beihilfeberechtigte Kläger ist Ehemann und Betreuer seiner - ergänzend - über ihn in der [X.] versicherten Ehefrau. Die beklagte Postbeamtenkrankenkasse (PBeaKK) führt [X.] (mit der "[X.] nach dem [X.] vom [X.] für die Mitglieder der PBeaKK und der Krankenversorgung der [X.]" ) die [X.] (Pflichtversicherung) zugunsten der Ehefrau durch; danach wickelt die Beklagte alle im Zusammenhang mit der [X.] stehenden Aufgaben ab.

3

Die 1956 geborene Ehefrau leidet seit Mai 2014 an einer schweren Tetraparese und einem Locked-In-Syndrom nach [X.]. Seit Juni 2014 erhält sie Pflegegeld nach [X.] bzw seit 1.1.2017 nach Pflegegrad 4, ferner häusliche Pflegehilfen und Betreuungsleistungen. Sie lebt seit September 2014 in einer ausschließlich von [X.] genutzten Wohngemeinschaft. Die Räumlichkeiten - hergerichtet und zur Verfügung gestellt von der [X.] (im Folgenden: [X.]) - bestehen aus sieben [X.], ferner aus mehreren [X.]sräumen mit Sanitäranlagen und Kochmöglichkeit.

4

Der Kläger schloss im August 2014 für seine Ehefrau mit der [X.] einen Betreuungsvertrag, einen Krankenbeobachtungsvertrag und einen Pflegevertrag sowie - mit den Gesellschafterinnen der GmbH - einen Mietvertrag für die Unterkunft. In verschiedenen Mitgliederversammlungen der Wohngemeinschaft beschlossen die Bewohner (vertreten durch ihre Betreuer) in wechselnder Zusammensetzung und bei teilweise nicht vollständiger Anwesenheit aller Bewohner bzw Betreuer eine [X.]sordnung. Zudem beauftragten die Bewohner externe Personen mit Einzelaufgaben bzw individuellen Versorgungsaufträgen (zB Führen der [X.]) und wählten in diesem Zusammenhang [X.] eine Sozialarbeiterin (Frau H.) zur Sprecherin der [X.]. Um die individuell anfallende Wäsche und den Bedarf an Hygieneartikeln kümmern sich überwiegend die Angehörigen der Bewohner. Gemeinsame Feste werden von der [X.] unter Mithilfe der Angehörigen organisiert.

5

Im September 2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten für seine Ehefrau hinsichtlich des privatversicherungsrechtlich abgesicherten Teils die Gewährung von [X.] nach den einschlägigen versicherungsvertraglichen Vertragsklauseln (Allgemeine Versicherungsbedingungen, Musterbedingungen für die [X.], [X.] MB/[X.]), die insoweit weitgehend den Regelungen für die [X.] Pflegeversicherung in § 38a Abs 1 [X.]B XI entsprechen. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil die [X.] - entgegen den in § 4 Abs 7a [X.]/MB [X.] geregelten Anspruchsvoraussetzungen - nicht ambulante, sondern vollstationäre Pflegeleistungen anbiete (Schreiben vom 30.11.2015 und 22.3.2017).

6

[X.] verpflichtete sich jeder Bewohner der Wohngemeinschaft, einen Versorgungsvertrag mit der [X.] über Leistungen für einen [X.] abzuschließen sowie entsprechende Leistungen bei der jeweiligen Pflegekasse zu beantragen. Zudem schlossen die [X.] und die beauftragte Sozialarbeiterin einen Versorgungsvertrag, der die organisatorischen, verwaltenden und unterstützenden Tätigkeiten des Pflegedienstes für die [X.] regelt. Bei der Mitgliederversammlung im November 2018 wurde [X.] beschlossen, dass die [X.] weiterhin verbindlich für alle Mitglieder der Wohngemeinschaft, die zu diesem [X.]punkt aus sieben Personen bestand, bis auf Widerruf mit dem Versorgungsvertrag beauftragt werde. Das Protokoll wurde von keinem der vier anwesenden Betreuer unterzeichnet.

7

Das [X.] hat die Klage auf den [X.] abgewiesen, [X.] weil nicht erkennbar sei, dass die [X.] als solche eine konkrete (natürliche) Person mit Hilfeleistungen beauftragt habe (Urteil vom 15.8.2018). Das L[X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen: Zwar liege eine ambulante Wohngruppe iS der versicherungsvertraglichen Bestimmungen vor, allerdings habe diese nicht gemeinschaftlich eine Person beauftragt, die - wie erforderlich - unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das [X.]sleben fördernde Tätigkeiten verrichten oder hauswirtschaftliche Unterstützung leisten solle. Obwohl auch die Beauftragung der [X.] unter bestimmten Voraussetzungen für die begehrte Leistung ausreichen könne, fehle es hier an der "gemeinschaftlichen Beauftragung" durch die Mitglieder der Wohngruppe; denn aus den unterschiedlichen Verträgen und Protokollen der Mitgliederversammlungen sei kein entsprechender einheitlicher Willensbildungsprozess ersichtlich (Urteil vom [X.]).

8

Mit seiner Revision rügt der Kläger einen Verstoß gegen § 38a Abs 1 [X.] [X.]B XI bzw § 4 Abs 7a Satz 1 [X.] [X.] MB/[X.]. Entgegen der Auffassung des L[X.] liege die "gemeinschaftliche Beauftragung" einer sog Präsenzkraft durch die Wohngruppe vor. Das Berufungsgericht lege die leistungsrechtlichen Tatbestandsmerkmale zu eng aus und schränke so die Wahl- und Handlungsfreiheit der Wohngruppe bzw ihrer Bewohner rechtswidrig ein.

9

Der Kläger beantragt,
die Urteile des [X.] vom 6. Juni 2019 und des [X.] vom 15. August 2018 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm [X.] für die [X.] ab 1. September 2015 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Eine gemeinschaftliche Beauftragung iS des § 4 Abs 7a Satz 1 [X.] [X.] MB/[X.] liege nicht vor. Darüber hinaus würden entgegen der Auffassung des L[X.] in der Wohngemeinschaft Leistungen angeboten, die dem im Rahmenvertrag nach § 75 [X.]B XI für vollstationäre Pflege vereinbarten Leistungsumfang weitgehend entsprächen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist iS der Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 170 Abs 2 Satz 2 [X.]) begründet.

Die zulässige, der Sache nach auf Zahlung von [X.] gerichtete Leistungsklage (dazu unter 1.) führt ausgehend von den einschlägigen Rechtsgrundlagen der [X.] (dazu 2.) und unter Zugrundelegung der vom [X.] getroffenen, für den Senat bindenden Feststellungen (vgl § 163 [X.]) zur Aufhebung des Urteils des [X.]. Entgegen dessen Ansicht fehlt es nicht bereits an der "gemeinschaftlichen Beauftragung" einer mit bestimmten Aufgaben betrauten Person durch die Mitglieder der Wohngruppe (iS von § 4 Abs 7a [X.] MB/[X.], entspricht [X.] [X.]; dazu 3.). Die Sache ist aber an das [X.] zurückzuverweisen (dazu 4.). Auch wenn die weiteren Voraussetzungen für die Gewährung eines [X.] zumindest für einen Teil des streitigen [X.] erfüllt sein dürften, fehlen für eine Verurteilung der Beklagten weitere nötige Feststellungen zu den Anspruchsvoraussetzungen des [X.] zugunsten der Ehefrau des [X.].

1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen für die erhobene Klage liegen vor.

a) Sie ist als reine Leistungsklage (§ 54 Abs 5 [X.]) zulässig. Soweit die beklagte PBeaKK bei der Abwicklung der [X.] kraft einer entsprechenden Vereinbarung an die Stelle der privaten Versicherungsunternehmen getreten ist, wird sie nicht als mit öffentlich-rechtlichen Befugnissen ausgestatteter Träger im Rahmen der Beihilfe tätig; sie erlässt daher - anders als vom [X.] zugrunde gelegt und auch von [X.]eite zunächst noch im Revisionsverfahren angenommen - in Bezug auf die privatversicherungsrechtlichen Ansprüche der leistungsberechtigten Versicherungsnehmer keine Verwaltungsakte. Nach der Leistungsablehnung durch die Beklagte (Schreiben vom 30.11.2015 und vom 22.3.2017) ist Rechtsschutz gleichwohl durch Beschreiten des Rechtswegs zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit unter Anwendung des in diesem [X.] einschlägigen Klagesystems und Prozessrechts zu gewähren (vgl § 51 Abs 1 [X.], Abs 2 Satz 2 [X.]; dazu näher zB [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 13. Aufl 2020, § 51 Rd[X.]5 ff; allgemein bereits [X.] vom [X.] - B 3 P 8/99 R - [X.] 3-3300 § 39 [X.] S 4; [X.] vom 13.5.2004 - B 3 P 7/03 R - [X.] 4-3300 § 23 [X.] Rd[X.] ff).

b) Der Kläger ist für die geltend gemachte Forderung aktivlegitimiert. [X.] für Leistungen der [X.] ist gemäß § 6 Abs 1 [X.] MB/[X.] der Versicherungsnehmer. Grundsätzlich kann nur dieser und nicht die (mit-)versicherte Person - hier die Ehefrau - die Leistung verlangen (§ 6 Abs 5 [X.] MB/[X.]).

c) Die Klage richtet sich zu Recht gegen die Beklagte, obgleich diese selbst nicht materiell-rechtlich Verpflichtete für die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche ist, sondern lediglich aufgrund von Vereinbarungen mit Versicherungsunternehmen für deren Versicherungsnehmer die [X.] durchführt. Die beklagte PBeaKK ist zwar eine bundesunmittelbare rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie wurde aber geschlossen und wird nun mit dem Ziel der Abwicklung für die [X.] und für die [X.] weitergeführt. Die Beklagte schuldet nicht selbst als Versicherer iS von § 192 Abs 6 Satz 3 [X.] (idF des [X.] vom 23.11.2007, [X.] 2631, in [X.] ab 1.1.2008) iVm § 23 Abs 3 Satz 2 [X.] (idF des Gesetzes zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung vom 23.10.2012, [X.] 2246, in [X.] ab 1.11.2012) die für den Fall der Pflegebedürftigkeit vereinbarten Leistungen. Soweit die [X.] der Beklagten insoweit im Rahmen der übertragenen Durchführung der [X.] auch das Recht zur Prozessführung eingeräumt hat, handelt es sich um einen Fall der gewillkürten Prozessstandschaft. Diese ist zulässig, weil neben der Ermächtigung des Rechtsträgers ein eigenes schutzwürdiges Interesse des Prozessstandschafters, das fremde Recht im eigenen Namen geltend zu machen, vorliegt und entgegenstehende schutzwürdige Belange des Prozessgegners fehlen (vgl bereits [X.] P 21/99 R - [X.], 94, 96 f = [X.] 3-3300 § 77 [X.] f mwN).

2. Ausgangspunkt für die ab September 2015 begehrten Leistungen ist § 192 Abs 6 Satz 3 [X.] iVm § 23 Abs 3 Satz 2 [X.] und iVm dem zwischen dem Kläger und der [X.] geschlossenen Vertrag über eine [X.] sowie den diesem zugrunde liegenden allgemeinen Versicherungsbedingungen ([X.] MB/[X.]), ferner iVm dem Tarif PVB (Versicherte Personen mit Anspruch auf Beihilfe oder Heilfürsorge bei Pflegebedürftigkeit) für die [X.]. Speziell für den begehrten [X.] kommt es entscheidend auf die zum Inhalt des [X.] gewordene Regelung des § 4 Abs 7a [X.] MB/[X.] an, die § 38a [X.] inhaltlich entspricht. Für den Zeitraum vom 1.9.2015 bis 8.9.2016 ist § 4 Abs 7a [X.] MB/[X.] idF vom 1.4.2015 maßgebend, für den Zeitraum danach idF der [X.] MB/[X.] 2017 und ab [X.] idF der Änderungen der [X.] MB/[X.] 2019. Im vorliegenden Rechtsstreit liegt der einzige wesentliche Unterschied in den jeweiligen Fassungen in der Erhöhung des monatlichen [X.] von monatlich 205 Euro auf 214 Euro mit Wirkung ab [X.] gemäß [X.] der Tarifbedingungen für den Tarif PVB. Die - nachfolgend dargestellte - Fassung der [X.] MB/[X.] 2019 hat im Hinblick auf die hier streitigen Voraussetzungen zu keiner entscheidungserheblichen Rechtsänderung geführt.

Nach § 4 Abs 7a Satz 1 [X.] MB/[X.] 2019 haben versicherte pflegebedürftige Personen einen Anspruch auf einen pauschalen Zuschlag gemäß [X.] des [X.], wenn

-       

sie mit mindestens zwei und höchstens elf weiteren Personen in einer ambulant betreuten Wohngruppe in einer gemeinsamen Wohnung zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung leben und davon mindestens zwei weitere pflegebedürftig sind ([X.]),

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sie Leistungen nach den Absätzen 1, 2, 5, 16 oder 17 beziehen; pflegebedürftige Personen in Pflegegrad 1 müssen diese Voraussetzung nicht erfüllen ([X.]),

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in der ambulant betreuten Wohngruppe eine Person durch die Mitglieder der Wohngruppe gemeinschaftlich beauftragt ist, unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das [X.]sleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten oder die [X.] bei der Haushaltsführung zu unterstützen ([X.]), und

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keine Versorgungsform einschließlich teilstationärer Pflege vorliegt, in der ein Anbieter der Wohngruppe oder ein Dritter den Pflegebedürftigen Leistungen anbietet oder gewährleistet, die dem im jeweiligen Rahmenvertrag nach § 75 Abs 1 [X.] für vollstationäre Pflege vereinbarten Leistungsumfang weitgehend entsprechen ([X.]).

3. Anders als vom [X.] angenommen scheitert der Anspruch des [X.] für seine Ehefrau nach § 4 Abs 7a [X.] MB/[X.] (in der jeweils maßgebenden Fassung) jedenfalls nicht am Fehlen der "gemeinschaftlichen Beauftragung" einer oder mehrerer (ggf juristischer) Personen für die geforderte Aufgabenerfüllung iS von [X.] der Regelung. Wie das Merkmal der "gemeinschaftlichen Beauftragung" in § 4 Abs 7a Satz 1 [X.] [X.] MB/[X.] (entspricht [X.] [X.]) auszulegen ist und ob dessen Voraussetzungen vorliegen, ist nach den allgemein geltenden Auslegungsmethoden zu ermitteln.

a) Zunächst ist bei der Auslegung des § 4 Abs 7a [X.] MB/[X.] zu beachten, dass diese im Gleichklang mit der entsprechenden Regelung des § 38a [X.] zu erfolgen hat, weil der in der [X.] gewährte Leistungsumfang nach § 23 Abs 1 Satz 2 [X.] demjenigen des [X.] des [X.] entsprechen muss. Folglich muss insbesondere der Sinn und Zweck des § 38a [X.] in den Blick genommen werden, dessen Wertungen auf § 4 Abs 7a [X.] MB/[X.] zu übertragen sind. Danach ist es Ziel des [X.], die Wünsche der Pflegebedürftigen berücksichtigend die Rahmenbedingungen für neue Wohn- und Betreuungsformen im ambulanten Bereich - auch in finanzieller Hinsicht - deutlich zu verbessern (Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung , BT-Drucks 17/9369, zu Art 1 [X.] § 38a [X.], [X.] zu [X.]; vgl zu dieser Zielsetzung auch die Anschubfinanzierung nach § 45e [X.]). Mit seinem experimentellen Charakter soll der [X.] gemessen an dem Grundsatz der Selbstbestimmung in § 2 [X.] individuelle Versorgungsformen unter Förderung der ambulanten Form ermöglichen und Wohnmöglichkeiten außerhalb der (typischerweise kostenintensiveren) stationären pflegerischen Versorgung begünstigen (vgl dazu Beschlussempfehlung und Bericht des [X.] zum 5. [X.]-ÄndG, 2015 umbenannt in [X.] <[X.]>, vgl BT-Drucks 18/2909 [X.] zu [X.]. Der Senat hat bereits mit Urteil vom [X.] P 5/14 R ([X.], 271 = [X.] 4-3300 § 38a [X.], Rd[X.]1 ff) entschieden, dass die gemeinschaftliche Beauftragung der Personen eine zentrale Voraussetzung für die Gewährung von [X.] ist. Der [X.] soll nämlich keine pauschale Aufstockung der den Mitgliedern gewährten Leistungen bewirken, sondern in Bezug auf die Aufwendungen für eine gemeinsame Organisation und pflegerische Versorgung innerhalb der einzelnen Wohngruppe finanziell unterstützen (vgl bereits Senat ebenda Rd[X.]3). [X.] betreute Wohngruppen können dabei sowohl in der Grundform der selbstorganisierten Wohngruppe existieren, aber auch als fremd organisierte Wohngruppe, hinter der ein Initiator oder ein Vermieter steht (vgl bereits Senat ebenda Rd[X.]8).

b) Vor diesem Hintergrund scheitert der Anspruch nicht daran, dass nach den Feststellungen des [X.] bei den Mitgliederversammlungen der Wohngruppe, in denen Personen mit unter § 4 Abs 7a Satz 1 [X.] [X.] MB/[X.] fallenden Tätigkeiten beauftragt worden sein könnten, nicht alle [X.] selbst anwesend oder rechtswirksam über ihre Betreuer vertreten waren und die gemeinschaftliche Beauftragung nicht durch einen "formalen Mehrheitsbeschluss" zustande kam. Die gemeinschaftliche Beauftragung ist nicht erkennbar an besondere Formvorschriften geknüpft. Für den Anspruch auf [X.] reicht es vielmehr aus, wenn - entsprechend dem Mindesterfordernis von § 4 Abs 7a Satz 1 [X.] [X.] MB/[X.] und [X.] [X.] [X.] - einschließlich der die Leistung begehrenden pflegebedürftigen Person mindestens zwei weitere pflegebedürftige Mitglieder der Wohngemeinschaft an der gemeinschaftlichen Beauftragung auch in der Form der (nachträglichen) Genehmigung rechtswirksam mitwirken und - zB im Falle eines Wechsels von Mitgliedern - diese Beauftragung formlos oder durch ihr schlüssiges Verhalten aufrechterhalten.

Das mit dem [X.] eingeführte Erfordernis einer "gemeinschaftlichen Beauftragung" zur Erfüllung zumindest einer der alternativ im Gesetz genannten Aufgaben stellt die nach außen sichtbare freie Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen dar und sollte rein anbieterorientierte Wohngruppen und die bloße missbräuchliche Umdeklarierung stationärer Versorgungsformen verhindern (vgl Stellungnahme des [X.] zum 5. [X.]-ÄndG, BT-Drucks 18/2379, zu Art 1 [X.] 8 § 38a [X.], [X.] zu [X.] und Gesetzentwurf der Bundesregierung zum [X.]I, BT-Drucks 18/5926, zu Art 2 § 38a [X.], [X.] zu [X.]0). Besondere Anforderungen an die Form oder das Zustandekommen dieses gemeinschaftlichen Willensbildungsprozesses werden weder in den Gesetzesmaterialien angesprochen noch kommen sie im späteren Gesetzestext zum Ausdruck. Das ist auch konsequent, denn die gewollte zu fördernde individuelle Vielfalt der möglichen Wohngruppen bedingt den Verzicht auf zwingende Vorgaben für das Zustandekommen der Beauftragung. Aufgrund der typischerweise wechselnden Zusammensetzung der [X.]en mit Bewohnern, deren Gesundheitszustand sich kurzfristig verändern und schnelles Reagieren iS einer bedarfsgerechten Änderung der [X.] nötig machen kann, entspricht es praktischen Bedürfnissen, dass eine gemeinschaftliche Beauftragung sowohl in separat abgeschlossenen Vereinbarungen erfolgen kann als auch durch nachträgliche Billigung durch schlüssiges Verhalten. Es ist nach den Gesetzesmaterialien erkennbar nicht gewollt, für jede Änderung der personellen Zusammensetzung der Wohngruppe einen vollständig neuen formell zu dokumentierenden Willensbildungsprozess der Betroffenen zu fordern.

c) Zudem setzt § 4 Abs 7a Satz 1 [X.] [X.] MB/[X.] - ebenso wie [X.] [X.] - nicht voraus, dass sämtliche Mitglieder der Wohngemeinschaft an der gemeinschaftlichen Beauftragung mitwirken. Nach der Gesetzessystematik ist die "ambulant betreute Wohngruppe" nicht identisch mit der (gesamten) Wohngemeinschaft in der gemeinsamen Wohnung. Die Begrenzung der Mitgliederzahl von mindestens zwei bis höchstens elf weiteren Personen bezieht sich sowohl auf die ambulant betreute Wohngruppe als auch auf die Wohngemeinschaft. Wohngruppe und Wohngemeinschaft können zwar denselben Personenkreis umfassen, müssen dies aber nicht; denn eine Wohngemeinschaft kann auch aus mehreren ambulant betreuten Wohngruppen bestehen. Die ambulant betreute Wohngruppe, an die das Gesetz entscheidend anknüpft, umfasst hingegen nur die leistungsberechtigte Person sowie mindestens zwei und höchstens elf weitere pflegebedürftige Personen. Nur deren Mitglieder müssen auch jeweils an der gemeinschaftlichen Beauftragung mitwirken. Für den Anspruch auf [X.] reicht es daher gleichermaßen aus, wenn neben der die Leistung begehrenden pflegebedürftigen Person mindestens zwei weitere pflegebedürftige Mitglieder der Wohngemeinschaft als Wohngruppe an der gemeinschaftlichen Beauftragung mitwirken bzw diese Beauftragung - zB im Falle eines Wechsels von Mitgliedern - aufrechterhalten. [X.] kann in Bezug auf die Anforderungen an die Konstituierung als Wohngruppe und die Zuschlagsberechtigung allgemein nichts anderes gelten als für die Beauftragung.

Diese Auslegung ist einerseits deshalb geboten, weil andere [X.], insbesondere wenn sie selbst nicht pflegebedürftig sind, nicht notwendigerweise ein eigenes Interesse an der Mitwirkung bei einer Beauftragung haben. Andererseits würde das Erfordernis der Mitwirkung "aller" Mitglieder dazu führen, dass eine gemeinschaftliche Beauftragung mit zunehmender Größe der Wohngemeinschaft und hiermit oftmals einhergehender höherer Fluktuation zunehmend erschwert und bisweilen sogar ausgeschlossen wäre. Diese Betrachtungsweise hat zur Folge, dass es durchaus zu mehreren Beauftragungen seitens verschiedener Wohngruppen parallel nebeneinander innerhalb der größeren Einheit "Wohngemeinschaft" kommen kann. Dies ist, ebenso wie die verschiedenen Tätigkeiten, die der Gesetzgeber iS der geförderten Individualität zulässt, wiederum nur der Erfüllung des gesetzlichen Ziels geschuldet. Dass nach den Gesetzesmaterialien mit der Einführung des Kriteriums der "gemeinschaftlichen Beauftragung" die Erwartung verbunden wird, bei [X.] werde regelmäßig eine nachvollziehbare Information zur bisherigen Verwendung der Mittel erfolgen und dass die Möglichkeit einer veränderten Beauftragung geschaffen werden solle (vgl Stellungnahme des [X.], BT-Drucks 18/2379 aaO [X.]), steht dem nicht entgegen. Bei einem [X.] wird die einziehende Person sich typischerweise entweder einer bereits bestehenden Beauftragung anschließen, um [X.] zu erhalten, oder sie wird auf eine neue Beauftragung hinwirken müssen. Bereits in der Wohngemeinschaft bestehende Auftragsverhältnisse stehen hingegen nur dann zur Disposition, wenn durch den [X.] die Anzahl der mitwirkenden [X.] auf unter drei fällt.

d) [X.]) dargestellte Ziel des [X.] [X.] ermöglicht im Übrigen die (gemeinschaftliche) Beauftragung natürlicher, auch mehrerer, wie auch juristischer Personen in Kombination oder in einem gestuften Verhältnis. Weder der Wortlaut des Gesetzes noch seine Historie (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum PNG aaO BT-Drucks 17/9369, zu Art 1 [X.] § 38a [X.], [X.]) sprechen gegen eine solche Auslegung, vielmehr erfordern Sinn und Zweck des Gesetzes weitgehende Beauftragungsmöglichkeiten (in diesem Sinne bereits der erkennende Senat mit der Bemerkung, dass in der Wohngruppe "mindestens eine Pflegekraft" tätig sein muss, [X.] vom [X.] P 5/14 R - aaO Rd[X.]3). Letztlich wurde mit dem zum 1.1.2015 eingeführten [X.] (vgl Ausschussempfehlung und -bericht, BT-Drucks 18/2909, aaO, [X.] zu [X.]) die Beschränkung auf eine natürliche Person (vgl noch die Begründung des [X.] zur Ursprungsfassung des § 38a [X.], BT-Drucks 17/9369 aaO [X.] zu [X.]) aufgegeben zugunsten des Erfordernisses einer "gemeinschaftlichen Beauftragung" zur Erfüllung zumindest einer der alternativ im Gesetz genannten Aufgaben (vgl hierzu näher das Senatsurteil - ebenfalls aus der Sitzung vom 10.9.2020 - B 3 P 3/19 R - zur Veröffentlichung vorgesehen). [X.] ist danach nur für den Fall ausgeschlossen, dass die freie Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen im Rahmen der gemeinschaftlichen Beauftragung rechtlich oder tatsächlich eingeschränkt wäre. Der Anspruch scheitert folglich nicht daran, dass es sich bei einer der in Betracht kommenden Beauftragten iS des § 4 Abs 7a Satz 1 [X.] [X.] MB/[X.] um die [X.], also um eine juristische Person, handelt.

e) Die Voraussetzungen einer "gemeinschaftlichen Beauftragung" waren ausgehend von den Feststellungen des [X.] zumindest bei [X.] als Sprecherin der [X.] erfüllt. Danach hatte [X.] auch verwaltende organisatorische Tätigkeiten iS des § 4 Abs 7a Satz 1 [X.] [X.] MB/[X.] übernommen, so dass ein Anspruch des [X.] für seine Ehefrau auf Gewährung von [X.] dem Grunde nach entstand. [X.] ist in diesem Zusammenhang, dass möglicherweise noch weitere Personen mit Tätigkeiten iS des § 4 Abs 7a Satz 1 [X.] [X.] MB/[X.] beauftragt wurden (vgl hierzu auch das Urteil vom 10.9.2020 - B 3 P 3/19 R). Es kommt auch nicht darauf an, welchen zeitlichen Umfang die Tätigkeiten von [X.] einnehmen und ob diese (teilweise) außerhalb der Räumlichkeiten der Wohngemeinschaft ausgeübt werden. Ob dies bei der wechselseitigen Verpflichtung der [X.] zum Abschluss eines Versorgungsvertrags mit der [X.] gilt, kann anhand der Feststellungen des [X.] allerdings nicht beurteilt werden, da unklar ist, ob sowohl die Ehefrau als auch durchgehend mindestens zwei weitere pflegebedürftige [X.] bei der Beauftragung mitwirkten.

f) Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass (mit der Auffassung des [X.]) die der Ehefrau des [X.] zuteil gewordene Versorgungsform nicht zu einem Anspruchsausschluss führt, weil es sich (anders als von der Beklagten angenommen) nicht um eine mit einem stationären Leistungsumfang vergleichbare Versorgungsform iS von § 4 Abs 7a Satz 1 [X.] [X.] MB/[X.] handelt.

Ausgehend von den Feststellungen des [X.] liegt bei der Wohngruppe der Ehefrau des [X.] keine Versorgungsform vor, in der ein Anbieter der Wohngruppe oder ein Dritter den Pflegebedürftigen Leistungen anbietet oder gewährleistet, die dem im jeweiligen Rahmenvertrag nach § 75 Abs 1 [X.] für vollstationäre Pflege vereinbarten Leistungsumfang weitgehend entsprechen. Als zentrales Abgrenzungsmerkmal zur ambulanten Versorgung kommt es dabei nicht (mehr) auf heimrechtliche, sondern auf leistungsrechtliche Kriterien an. Das [X.] ist entsprechend den Materialien zum 5. [X.]-ÄndG insoweit zutreffend davon ausgegangen, dass es für die Abgrenzung von einem der vollstationären Pflege weitgehend entsprechenden Leistungsumfang darauf ankommt, ob nach der Konstruktion der Wohngemeinschaft die Möglichkeit besteht, dass die Bewohner oder ihr soziales Umfeld sich mit eigenen Beiträgen in die Versorgung einbringen können (vgl die Beschlussempfehlung des [X.] zum später in [X.] umbenannten Gesetz, BT-Drucks 18/2909 [X.] zu [X.]. Eine ambulante Versorgungsform liegt folglich vor, wenn keine vollständige Übertragung der Verantwortung ohne freie Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen erfolgt, sondern wenn die Versorgung auf die Übernahme von Aufgaben durch Dritte angelegt ist, unabhängig davon, ob auch tatsächlich davon in bestimmter Weise Gebrauch gemacht wird. Die vom [X.] festgestellten zahlreichen Aufgaben, die durch Bewohner und deren Angehörige in der Wohngruppe wahrgenommen werden, widerlegen eine einer vollstationären Pflege weitgehend entsprechende Situation.

4. Nach alledem kann der Senat gleichwohl nicht abschließend über den Anspruch des [X.] für seine Ehefrau entscheiden, weil es an Feststellungen dazu fehlt, für welchen Zeitraum die Voraussetzungen des § 4 Abs 7a Satz 1 [X.] [X.] MB/[X.] erfüllt waren und ob dies auch noch bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung beim [X.] der Fall war. Ein zwischenzeitlicher Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen kommt insbesondere dann in Betracht, wenn das gemeinschaftliche Auftragsverhältnis durch die Wohngruppe beendet oder wenn die Anzahl der pflegebedürftigen Personen, die gemeinschaftliche Auftraggeber von [X.] geworden sind, zu einem bestimmten Zeitpunkt unter drei gefallen sein sollte. In einem solchen Fall wäre allerdings vom [X.] zu prüfen, ob ein anderes gemeinschaftliches Auftragsverhältnis unter Mitwirkung der Ehefrau des [X.] und unter Wahrung der weiteren Voraussetzungen des § 4 Abs 7a Satz 1 [X.] [X.] MB/[X.] über diesen Zeitpunkt hinaus fortbestand. Denn ausgehend von den weiteren für den Senat bindenden Feststellungen durch das [X.] (vgl § 163 [X.]) erfüllt die Ehefrau des [X.] die übrigen Voraussetzungen des § 4 Abs 7a Satz 1 [X.] [X.] MB/[X.]. Sie ist pflegebedürftig und bezieht seit 1.6.2014 auch Leistungen nach § 4 Abs 7a Satz 1 [X.] [X.] MB/[X.] in der jeweils maßgebenden Fassung, wohnte seit ihrem Einzug in ihre Wohngemeinschaft - jedenfalls zunächst - mit mindestens vier weiteren pflegebedürftigen Mitbewohnern in einer gemeinsamen Wohnung und bildete mit mindestens zwei dieser Personen jedenfalls zeitweise eine ambulant betreute Wohngruppe zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung.

5. [X.] bleibt der Entscheidung des [X.] im wiedereröffneten Berufungsverfahren vorbehalten.

Meta

B 3 P 2/19 R

10.09.2020

Bundessozialgericht 3. Senat

Urteil

Sachgebiet: P

vorgehend SG Köln, 15. August 2018, Az: S 9 P 126/17, Urteil

§ 192 Abs 6 S 3 VVG 2008, § 4 Abs 7a S 1 Nr 3 MB/PPV, § 2 SGB 11, § 23 Abs 1 S 2 SGB 11, § 23 Abs 3 S 2 SGB 11 vom 23.10.2012, § 38a Abs 1 Nr 3 SGB 11 vom 17.12.2014, § 38a Abs 1 S 1 Nr 3 SGB 11 vom 21.12.2015, § 75 Abs 1 SGB 11

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 10.09.2020, Az. B 3 P 2/19 R (REWIS RS 2020, 2261)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2261

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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