Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.09.2018, Az. IV ZB 1/18

4. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 3901

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Gegenstand

Zuständigkeit des Sozialgerichts bei Rechtsstreit über Anfechtung eines Pflegeversicherungsvertrages


Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 4. Zivilsenats des [X.] vom 6. Dezember 2017 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Gegenstandswert: bis 500 € (vgl. [X.], Beschluss vom 18. September 2008 - [X.], [X.], 3572 Rn. 21)

Gründe

1

I. Der Kläger hielt bei der Beklagten eine private Kranken- und eine Pflegeversicherung. Die Beklagte erklärte die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung sowie hilfsweise die Kündigung und den Rücktritt. Mit seiner beim [X.] erhobenen Klage begehrt der Kläger unter anderem die Feststellung des [X.] der Krankenversicherung und der Pflegeversicherung. Das [X.] hat den Rechtsstreit hinsichtlich der beantragten Feststellung, dass die private Pflegeversicherung fortbesteht, abgetrennt. Insoweit hat es den Rechtsweg zu dem Zivilgericht für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das [X.] verwiesen. Die dagegen vom Kläger eingelegte sofortige Beschwerde hat das [X.] zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Kläger sein Ziel, eine Sachentscheidung im Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten herbeizuführen, weiter.

2

II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO, § 17a Abs. 4 Satz 4 [X.] statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

3

1. Nach Auffassung des [X.], dessen Entscheidung unter anderem in NJW-RR 2018, 221 veröffentlicht ist, geht es hinsichtlich der Pflegeversicherung um Streitfragen nach dem [X.], die dem Sozialgericht zugewiesen sind. Die Beendigung des [X.] sei in § 110 Abs. 4 [X.] geregelt. Damit seien zumindest die hilfsweise ausgesprochenen Kündigungs- und Rücktrittserklärungen Gegenstand des [X.]. Auch hinsichtlich der Anfechtung spielten Erwägungen des [X.] eine wesentliche Rolle. Es erscheine darüber hinaus nicht sachdienlich, Rechtsstreitigkeiten in Bezug auf eine private Pflegeversicherung danach aufzuspalten, ob eine Anfechtung, ein Rücktritt oder eine Kündigung erklärt wurde.

4

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

5

a) Nach § 51 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auch über privatrechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der privaten Pflegeversicherung nach dem [X.] ([X.]). Dazu zählen die Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer über privatrechtliche Pflegeversicherungsverhältnisse (vgl. BT-Drucks 14/5943, [X.]; [X.] NVwZ 2008, 772 [juris Rn. 49]; [X.], 80 = [X.], 486 [juris Rn. 10 ff.]; [X.], 1074 Rn. 9; [X.], Beschluss vom 3. Juli 2018 - 8 W 24/18, juris; OLG Stuttgart r+s 2017, 111; [X.], 138; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]. § 51 Rn. 27; [X.]/[X.], § 51 Rn. 151 ff. [Stand: 17. August 2018]; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], SGG § 51 Rn. 433 [Stand: November 2017]; [X.] in [X.] Kommentar zum Sozialversicherungsrecht § 110 [X.] Rn. 27 [Stand: Mai 2018]; [X.] in LPK-[X.], 4. Aufl. Verfahren und Rechtsschutz: [X.] und [X.]I Rn. 72; [X.]/[X.], 3. Aufl. § 192 Rn. 43; Langheid/Rixecker/Muschner, [X.]. § 192 Rn. 42a; [X.]/[X.], 2. Aufl. Vorbemerkung zu §§ 192 bis 208 Rn. 491; [X.] in Looschelders/Pohlmann, [X.]. § 192 Rn. 54; [X.] in [X.]/[X.], [X.]. Teil [X.] Rn. 58; [X.] in [X.]/[X.], [X.]. § 192 Rn. 219; [X.] in [X.]/Matusche-[X.], Versicherungsrechts-[X.]andbuch 3. Aufl. § 44 Rn. 239a; [X.], r+s 2017, 602 [Anm. zu [X.] r+s 2017, 601]). Nach der neueren Rechtsprechung des [X.] kommt es für die Rechtswegzuweisung entscheidend darauf an, ob die Vorschriften, die zur Klärung der streitigen Rechtsfragen heranzuziehen und auszulegen sind, zumindest im Grundsatz im [X.] geregelt sind ([X.] 2007, 34 Rn. 4).

6

b) Danach haben die Vorinstanzen zu Recht den Rechtsweg zu den Sozialgerichten als eröffnet angesehen. Anders als die Rechtsbeschwerde meint, sind die ordentlichen Gerichte nicht deshalb zuständig, weil eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung im Streit steht.

7

Die private Pflegeversicherung ist wie die [X.] Pflegeversicherung im [X.] durch öffentlich-rechtliche Vorschriften des Sozialrechts geregelt. Zwischen beiden Zweigen besteht ein enger Zusammenhang (vgl. § 23 Abs. 1 [X.]). Der Inhalt der mit privaten Versicherern abzuschließenden, unter Kontrahierungszwang stehenden Pflegeversicherungsverträge ist im [X.] im Wesentlichen zwingend gesetzlich vorgeschrieben und damit der autonomen Gestaltung der Vertragsparteien entzogen ([X.], 80 = [X.], 486 [juris Rn. 11 ff.]). Rücktritts- und Kündigungsrechte des Versicherers sind nach § 110 Abs. 4 [X.] ausgeschlossen, solange der Kontrahierungszwang besteht.

8

Bei der Entscheidung eines Rechtsstreits zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer über ein privates Pflegeversicherungsverhältnis sind stets die den Versicherungsvertrag beherrschenden Vorschriften des [X.] heranzuziehen und auszulegen. Das gilt auch dann, wenn unmittelbar Allgemeine Versicherungsbedingungen oder Vorschriften des Zivilrechts (etwa des Bürgerlichen Gesetzbuches oder des Versicherungsvertragsgesetzes) im Streit stehen. Die einheitliche Zuweisung aller Streitigkeiten nach dem [X.] an die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit kann dazu führen, dass diese in Angelegenheiten der privaten Pflegeversicherung auch über die richtige Anwendung privatrechtlicher Vorschriften zu entscheiden haben ([X.], 80 = [X.], 486 [juris Rn. 25]; vgl. auch [X.], 1074 Rn. 9 f.; OLG Stuttgart r+s 2017, 111 Rn. 15; [X.], 138 f. [juris Rn. 4]; [X.], Beschluss vom 3. Juli 2018 - 8 W 24/18, juris Rn. 6).

9

So liegt es hier. Ob eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung wirksam war, richtet sich zwar zunächst nach zivilrechtlichen Vorschriften (u.a. § 22 [X.], §§ 123 f. BGB). Wenn es um einen Pflegeversicherungsvertrag geht, sind aber stets auch die öffentlich-rechtlichen Vorschriften des [X.] zu prüfen, insbesondere der Kontrahierungszwang nach § 23 Abs. 1 [X.] und die Beschränkungen des Kündigungs- und Rücktrittsrechts nach § 110 Abs. 4 [X.], die zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung führen können. Rechtsstreitigkeiten zwischen den Vertragsparteien eines [X.] über den Fortbestand des Vertrages sind deshalb gemäß § 51 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 SGG einheitlich den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen, unabhängig davon, ob im Einzelfall eine Kündigung, ein Rücktritt oder eine Anfechtung in Rede steht und in welchem Stufenverhältnis gegebenenfalls mehrere dieser Gestaltungsrechte ausgeübt wurden ([X.] in [X.] Kommentar zum Sozialversicherungsrecht § 110 [X.] Rn. 27 [Stand: Mai 2018]; [X.] in [X.]/ Schütze, [X.] 5. Aufl. § 110 Rn. 26; [X.]/[X.], § 51 Rn. 157, 157.1 [Stand: 17. August 2018]; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], SGG § 51 Rn. 433 [Stand: November 2017]).

Soweit der Senat bereits zum Ausschluss der Kündigung einer Pflegeversicherung nach § 110 [X.] Stellung genommen hat (Senatsurteil vom 7. Dezember 2011 - [X.], BG[X.]Z 192, 67 Rn. 28 ff.), beruhte dies auf § 17a Abs. 5 [X.] und lässt keine abweichende Auffassung zur Rechtswegzuweisung erkennen.

[X.]     

        

[X.]     

        

[X.]arsdorf-Gebhardt

        

Lehmann     

        

Dr. Götz     

        

Meta

IV ZB 1/18

12.09.2018

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Dresden, 6. Dezember 2017, Az: 4 W 1038/17, Beschluss

§ 17a Abs 4 S 4 GVG, § 22 VVG, § 123 BGB, § 23 Abs 1 SGB 11, § 110 SGB 11

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.09.2018, Az. IV ZB 1/18 (REWIS RS 2018, 3901)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 3901

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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