Bundesfinanzhof, Beschluss vom 18.03.2021, Az. VIII B 76/20

8. Senat | REWIS RS 2021, 7729

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Gegenstand

Verfahrensfehler bei Nichtberücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens


Leitsatz

NV: Das FG verstößt gegen seine Pflicht aus § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO zur Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens, wenn es einem Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft eine vGA mit der Begründung zurechnet, dass der Zuwendungsempfänger eine dem Gesellschafter nahestehende Person ist, obwohl sich aus dem Akteninhalt ergibt, dass dieses Näheverhältnis in gleicher Weise zu einem Mitgesellschafter besteht.

Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des [X.] vom 17.03.2020 - 3 K 1886/19 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Streitig ist die [X.]urechnung einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA).

2

Der Kläger und [X.]eschwerdeführer (Kläger) gründete im Streitjahr (2013) zusammen mit seinem [X.]ruder ([X.]) eine GmbH, deren Geschäftsgegenstand der An- und Verkauf von PKW ist. Der Kläger und [X.] halten jeweils 50 % der Geschäftsanteile und sind beide als Geschäftsführer für die GmbH tätig.

3

Im Rahmen einer im Jahr 2018 bei der GmbH durchgeführten Außenprüfung wurde festgestellt, dass Forderungen aus Lieferungen und Leistungen zum Teil bar bezahlt, die [X.]ahlungseingänge jedoch nicht in den Kassenaufzeichnungen der GmbH erfasst worden waren. Der [X.]eklagte und [X.]eschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) behandelte diese [X.]eträge einschließlich eines Sicherheitszuschlags als vGA, die es auf [X.] der Gesellschafter in voller Höhe dem Kläger zurechnete. Dementsprechend erließ das [X.] am 14.02.2019 diesem gegenüber einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, in dem es Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 38.300 € zugrunde legte.

4

Einspruch und Klage des [X.] blieben erfolglos. Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger Verfahrensmängel des angefochtenen Urteils.

5

Er trägt u.a. vor, das Finanzgericht ([X.]) habe zu Unrecht den aus der Veräußerung eines PKW erzielten Erlös in Höhe von 19.400 € allein ihm, dem Kläger, als vGA zugerechnet. Das [X.] habe keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, dass ihm der Kaufpreis zugeflossen sei. Soweit es das Vorliegen einer vGA damit begründet habe, dass der Kaufpreis an seine Stiefmutter ([X.]) als ihm nahestehende Person übergeben worden sei, habe es unberücksichtigt gelassen, dass zwischen [X.] und seinem [X.]ruder und Mitgesellschafter [X.] dasselbe verwandtschaftliche Näheverhältnis bestanden habe.

6

Das [X.] hält die Nichtzulassungsbeschwerde für unbegründet.

Entscheidungsgründe

II.

7

Die [X.]eschwerde ist begründet. Sie führt gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur [X.]urückverweisung der Sache an das [X.].

8

1. Es liegt ein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O vor, auf dem das Urteil beruhen kann.

9

a) Einwendungen gegen die [X.]eweiswürdigung des [X.] sind zwar revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb grundsätzlich einer Nachprüfung im Rahmen der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde entzogen (vgl. [X.]eschluss des [X.] --[X.]FH-- vom 19.05.2000 - X [X.] 75/99, [X.], 1458, m.w.N.). Jedoch ist die Nichtberücksichtigung von Umständen, die richtigerweise in die [X.]eweiswürdigung hätten einfließen müssen, verfahrensfehlerhaft, wenn das [X.] seiner Sachaufklärungspflicht aus § 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O nicht nachkommt oder Teile des Gesamtergebnisses des Verfahrens unberücksichtigt lässt (vgl. [X.]FH-Urteil vom 07.07.2011 - V R 53/10, [X.], 548, [X.], 218, m.w.N.), insbesondere wenn es bei seiner Überzeugungsbildung eine nach Aktenlage feststehende Tatsache unberücksichtigt lässt oder bei seiner Entscheidung vom Nichtvorliegen einer solchen Tatsache ausgeht. Denn nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 [X.]O entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung, und zum Gesamtergebnis des Verfahrens gehört auch die Auswertung des Inhalts der dem Gericht vorliegenden Akten ([X.] vom 27.06.2012 - X [X.] 62/11, [X.], 1625).

b) Nach diesen Grundsätzen hat das [X.], soweit es die vGA dem Kläger aufgrund des [X.] zu seiner Stiefmutter zugerechnet hat, nicht berücksichtigt, dass die Stiefmutter in gleicher Weise dem [X.]ruder des [X.] und Mitgesellschafter [X.] nahesteht.

aa) Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch [X.]ezüge aus einer vGA. Eine vGA im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung einen Vorteil zuwendet und diese [X.]uwendung ihren Anlass im Gesellschaftsverhältnis hat (vgl. z.[X.]. [X.] vom 12.06.2018 - VIII R 38/14, [X.], 1141, und [X.]FH-Urteil vom 24.06.2014 - VIII R 54/10, [X.] 2014, 1501, m.w.N.). Im Rahmen des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG ist die vGA beim Gesellschafter zu erfassen, wenn ihm der Vermögensvorteil zufließt (vgl. [X.] vom 14.07.1998 - VIII [X.] 38/98, [X.], 379; [X.]FH-Urteil vom 19.03.1991 - VIII R 2/85, [X.] 1992, 19). Eine vGA kann aber auch ohne tatsächlichen [X.]ufluss beim Gesellschafter anzunehmen sein, wenn der Vorteil dem Gesellschafter mittelbar in der Weise zugewendet wird, dass eine ihm nahestehende Person aus der Vermögensverlagerung Nutzen zieht (vgl. z.[X.]. [X.]FH-Urteile vom 19.06.2007 - VIII R 34/06, [X.] 2007, 2291, und vom 30.11.2010 - VIII R 19/07, [X.] 2011, 449). Das "[X.]" in diesem Sinne kann familienrechtlicher, gesellschaftsrechtlicher, schuldrechtlicher oder auch rein tatsächlicher Art sein ([X.]FH-Urteile vom 18.12.1996 - I R 139/94, [X.], 184, [X.] 1997, 301, und vom 25.05.2004 - VIII R 4/01, [X.], 103).

bb) Das [X.] hat ausgeführt, aufgrund der unvollständigen und unrichtigen [X.]uchhaltung bei der GmbH sei von einer Vereinnahmung des Kaufpreises durch den Kläger --ggf. im Wege des abgekürzten [X.] durch die Übergabe durch die Käuferin an [X.] und die sich anschließende private Verwendung des [X.] auszugehen. [X.]war sei auch [X.] Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH gewesen. Auch habe der Kläger von [X.] für die GmbH unterzeichnete [X.]elege vorgelegt. Diese stünden jedoch nicht in [X.]usammenhang mit dem geschlossenen Kaufvertrag. Es ergäben sich hieraus keine Hinweise darauf, dass [X.] von dem entrichteten Kaufpreis ein Teilbetrag zugeflossen sei. [X.]udem habe der Kläger vorgetragen, dass es sich bei [X.] um seine Stiefmutter handele. Inwiefern vor diesem Hintergrund von einem [X.]ufluss an [X.] --und nicht an den in persönlicher [X.]eziehung zu [X.] stehenden [X.] auszugehen sein solle, bleibe unklar.

cc) Danach hat das [X.] nicht ausdrücklich festgestellt, dass der Kaufpreis dem Kläger unmittelbar --durch Übergabe von der Käuferin oder von [X.]-- zugeflossen ist. Vielmehr hat es unter Hinweis darauf, dass der Kaufpreis ggf. im Wege des abgekürzten [X.] von der Käuferin unmittelbar an [X.] gezahlt worden sei, eine mit dem [X.]ufluss und der privaten Verwendung des Kaufpreises durch [X.] bewirkte mittelbare vGA gegenüber dem Kläger als möglich erachtet, weil [X.] als Stiefmutter des [X.] eine diesem nahestehende Person sei (vgl. zur vGA bei abgekürztem [X.]ahlungsweg: [X.]FH-Urteil in [X.] 2011, 449, Rz 34). Hierbei hat es indes unberücksichtigt gelassen, dass [X.] zu dem [X.]ruder und Mitgesellschafter [X.] in demselben verwandtschaftlichen [X.] wie zu dem Kläger steht. Diesen Umstand, der sich unmittelbar aus dem Akteninhalt ergibt, hätte das [X.] in seine [X.]eweiswürdigung einbeziehen müssen, weil der nach der Rechtsprechung gegebene Anscheinsbeweis für das Vorliegen einer mittelbaren vGA bei einem Gesellschafter regelmäßig als erschüttert anzusehen ist, wenn der [X.]uwendungsempfänger auch einem anderen Gesellschafter nahesteht ([X.]FH-Urteil vom 22.02.2005 - VIII R 24/03, [X.] 2005, 1266, unter [X.]). Dies gilt im Streitfall umso mehr, als anderweitige Feststellungen für eine (nur) zwischen dem Kläger und seiner Stiefmutter bestehende persönliche [X.]eziehung, die nicht allein in dem rein verwandtschaftlichen Verhältnis begründet ist oder über dieses hinausgeht, nicht vorliegen.

dd) Das angefochtene Urteil kann auch auf dem Verfahrensfehler beruhen i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O. Es ist nicht auszuschließen, dass das [X.] zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre, wenn es das [X.] der [X.] zu [X.] berücksichtigt hätte. [X.]war hat das [X.] ausgeführt, es lägen keine Hinweise darauf vor, dass dem [X.] von dem entrichteten Kaufpreis ein Teilbetrag zugeflossen sei. Es fehlen aber auch konkrete Feststellungen zu einem [X.]ufluss des Kaufpreises beim Kläger (s. unter cc), der die Vereinnahmung des Kaufpreises für eigene [X.]wecke ausdrücklich bestritten hat. Gleichfalls fehlen Feststellungen dazu, dass eine etwaige Vereinnahmung und private Verwendung des Kaufpreises durch [X.] auf Veranlassung des [X.] --und nicht des [X.]-- erfolgt ist. Vielmehr hat das [X.] insofern ausschließlich an das zwischen dem Kläger und der [X.] bestehende [X.] angeknüpft. Ohne weitere Feststellungen dazu, welcher der beiden Gesellschafter die [X.]uwendung an [X.] veranlasst hat, könnte dies allenfalls den Schluss auf eine [X.]urechnung der vGA an die Gesellschafter im Verhältnis ihrer [X.]eteiligungen an der GmbH rechtfertigen (vgl. hierzu: [X.]FH-Urteil in [X.] 2005, 1266).

2. Der Senat hält es für zweckmäßig, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 [X.]O), damit das [X.] die erforderlichen Feststellungen nachholen kann.

3. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VIII B 76/20

18.03.2021

Bundesfinanzhof 8. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 17. März 2020, Az: 3 K 1886/19, Urteil

§ 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 96 Abs 1 S 1 Halbs 1 FGO, § 8 Abs 3 S 2 KStG 2002, KStG VZ 2013, § 20 Abs 1 Nr 1 S 2 EStG 2009, EStG VZ 2013

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 18.03.2021, Az. VIII B 76/20 (REWIS RS 2021, 7729)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 7729

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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