Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.07.2021, Az. 2 AZR 6/21

2. Senat | REWIS RS 2021, 3859

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Gegenstand

Betriebsübergang - Widerspruch - tarifliches Rückkehrrecht


Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 18. November 2020 - 4 [X.]/20 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die [X.]arteien streiten im Wesentlichen über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses, nachdem der Kläger dessen Übergang auf einen anderen Arbeitgeber widersprochen hat.

2

Der beklagte Verband ist eine regionale Selbstverwaltungskörperschaft von [X.]. Er unterhielt ein [X.] als Eigenbetrieb, in dem [X.]. der Kläger beschäftigt wurde.

3

Der Beklagte übertrug zum 1. Juni 2011 die Aktiva des [X.] durch einen Teilbetriebsveräußerungsvertrag auf die [X.] (im Folgenden [X.]). Mit Schreiben vom 9. Mai 2011 informierte er die betroffenen Arbeitnehmer darüber, dass das [X.] und damit auch ihre Arbeitsverhältnisse mit Wirkung zum 1. Juni 2011 im Wege des Betriebsteilübergangs auf die [X.] übergehen und ihnen in diesem Zusammenhang ein Widerspruchsrecht zustehe. Die Kommanditisten der [X.] waren die Mitgliedskassen des Beklagten bzw. deren Zusammenschlüsse, alleiniger Gesellschafter der Komplementär-GmbH war bis zum [X.] der Beklagte. Bereits zum Jahresbeginn 2011 hatten die [X.] ihre bislang dem Beklagten erteilten Abrechnungsaufträge auf die [X.] übertragen.

4

Die [X.] ([X.]) und die [X.] ([X.]) schlossen mit dem Beklagten und der [X.] einen Überleitungstarifvertrag (im Folgenden ÜTV). § 6 ÜTV gewährt den vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmern ein Rückkehrrecht zum Beklagten, falls es bis zum 31. Dezember 2015 bei der [X.] zu einer „Kündigung i.S.d. § 1 KSchG ... aus betrieblichen Erfordernissen“ kommt.

5

Die Gesellschafter der [X.] kündigten im [X.] 2018 sämtliche Abrechnungsaufträge zum 31. Dezember 2018. Später verlängerten sie die Frist bis zum 30. Juni 2019. Im Febr[X.]r 2019 stellte die [X.] Insolvenzantrag. Das Insolvenzverfahren wurde am 1. Mai 2019 eröffnet und der operative Betrieb eingestellt.

6

In der ersten [X.] widersprachen der Kläger sowie weitere Arbeitnehmer schriftlich dem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse auf die [X.]. Diese kündigte im Juli 2019 die Arbeitsverhältnisse zum 31. Dezember 2019. Nachfolgende Kündigungsschutzverfahren mit der [X.] endeten durch Auflösungsvergleiche.

7

Der Kläger ist der Ansicht, sein Arbeitsverhältnis bestehe weiterhin mit dem Beklagten. Er habe dessen Übergang auf die [X.] wirksam widersprochen. Das Unterrichtungsschreiben vom 9. Mai 2011 habe die einmonatige Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB nicht in Lauf gesetzt. In diesem sei nicht in korrekter Weise über die rechtlichen Folgen des Übergangs belehrt worden. Das Widerspruchsrecht sei nicht verwirkt. Der Beklagte habe schon aufgrund der Regelung in § 6 ÜTV bis zum 31. Dezember 2015 mit einer Rückkehr rechnen müssen. Er könne sich zudem auf eine Verwirkung des Widerspruchsrechts nicht berufen, da dies treuwidrig wäre. Die Ausgründung sei im Jahr 2011 mit dem Zweck erfolgt, die [X.] mit ihren zum größten Teil tarifvertraglich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmern in eine Insolvenz zu führen.

8

Der Kläger hat sinngemäß beantragt

        

1.    

festzustellen, dass zwischen den [X.]arteien ein Arbeitsverhältnis besteht,

        

2.    

den Beklagten zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits als Angestellten zu beschäftigen.

9

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, der Kläger habe sein Widerspruchsrecht verwirkt, da es erst mehr als sieben Jahre nach dem Betriebsübergang ausgeübt worden sei.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist unbegründet. Das [X.] hat die Berufung des [X.] gegen das den nach § 256 Abs. 1 Z[X.]O zulässigen Feststellungsantrag abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Der Weiterbeschäftigungsantrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an.

I. Das [X.] hat zutreffend angenommen, dass zwischen den [X.]arteien kein Arbeitsverhältnis besteht. Das ursprünglich mit dem Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis des [X.] ist aufgrund eines Betriebs(teil)übergangs (§ 613a Abs. 1 Satz 1 [X.]) zum 1. Juni 2011 auf die [X.] übergegangen. Das von ihm geltend gemachte Widerspruchsrecht ist verwirkt.

1. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zu einem Übergang des Arbeitsverhältnisses des [X.] gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 [X.] auf die [X.] lassen keinen revisiblen Rechtsfehler erkennen. Ein solcher wird auch vom Kläger nicht gerügt.

a) § 613a [X.] setzt voraus, dass ein „Betrieb“ oder ein „Betriebsteil“ auf einen neuen Inhaber übergeht. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ist darunter der Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit zu verstehen ([X.] 27. Februar 2020 - [X.]/18 - [[X.] und [X.]ohle] Rn. 22; 13. Juni 2019 - [X.]/17 - [[X.]] Rn. 36).

b) Das [X.] hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass das von dem Beklagten als Eigenbetrieb geführte Apothekenabrechnungszentrum eine übergangsfähige Einheit im vorstehend beschriebenen Sinn war, die durch den [X.] vom 16. Juni 2011 mit Wirkung zum 1. Juni 2011 auf die [X.] übergegangen ist. Dies hat nach § 613a Abs. 1 Satz 1 [X.] den Übergang der Arbeitsverhältnisse der in dieser Einheit beschäftigten Arbeitnehmer zur Folge. Da sich die Annahme des [X.]s insoweit als rechtsfehlerfrei erweist, kann offenbleiben, ob das Revisionsgericht an die „Feststellung“ eines Betriebsübergangs durch das Berufungsgericht nach § 559 Abs. 2 Z[X.]O gebunden ist (so [X.] 14. November 2007 - 4 [X.] - Rn. 27, 29; 6. November 2007 - 1 [X.] - Rn. 13, [X.]E 124, 323) oder ob dies nicht der Fall ist (so tendenziell [X.] 28. Februar 2019 - 8 [X.] - Rn. 37, [X.]E 166, 54).

2. Dem Kläger stand gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die [X.] ein Widerspruchsrecht gemäß § 613a Abs. 6 Satz 1 [X.] zu.

a) Das Widerspruchsrecht ist verfassungsrechtlich (vgl. [X.] 25. Januar 2011 - 1 BvR 1741/09 - zu [X.] 2 a der Gründe, [X.]E 128, 157; [X.] 11. Dezember 2014 - 8 [X.] - Rn. 32), nicht aber unionsrechtlich geboten (vgl. [X.] 7. März 1996 - [X.]/94 - [[X.]] Rn. 33 ff.), so dass auch dessen nähere Ausgestaltung allein nationalem Recht unterliegt (vgl. [X.] 16. Dezember 1992 - [X.] - [[X.]] Rn. 35; [X.] 24. August 2017 - 8 [X.] - Rn. 17, [X.]E 160, 70).

b) Das Widerspruchsrecht ist ein auf Verhinderung oder Beseitigung der Rechtsfolge des § 613a Abs. 1 Satz 1 [X.] gerichtetes Gestaltungsrecht (vgl. [X.] 28. Februar 2019 - 8 [X.] - Rn. 42, [X.]E 166, 54; 15. Dezember 2016 - 8 [X.] - Rn. 32, [X.]E 157, 317).

c) Es muss innerhalb der in § 613a Abs. 6 Satz 1 [X.] bestimmten Monatsfrist ausgeübt werden. Die Frist beginnt unabhängig vom Zeitpunkt des Betriebsübergangs ([X.]/[X.]reis 21. Aufl. [X.] § 613a Rn. 100) mit dem Zugang der ordnungsgemäßen Unterrichtung durch den Arbeitgeber gemäß § 613a Abs. 5 [X.] (vgl. [X.] 28. Februar 2019 - 8 [X.] - Rn. 44, [X.]E 166, 54).

3. Der Senat kann zugunsten des [X.] unterstellen, dass die Frist für die Ausübung des Widerspruchsrechts mangels einer ordnungsgemäßen Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 [X.] noch nicht angelaufen ist.

a) Der Beklagte hat den Kläger zwar mit Schreiben vom 9. Mai 2011 über den [X.] und den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die [X.] unterrichtet. Diese Unterrichtung genügte aber nicht den in § 613a Abs. 5 [X.] bestimmten Anforderungen. Sie enthielt keine Informationen über das Haftungssystem von § 613a Abs. 1 und Abs. 2 [X.], das Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 [X.] sowie die Sperrfrist des § 613a Abs. 1 Satz 2 ff. [X.]. Dies hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt. Auch die [X.]arteien erheben insoweit keine Einwendungen.

b) Der erkennende Senat muss nicht darüber befinden, ob an den durch die bisherige Rechtsprechung aufgestellten inhaltlichen Anforderungen an das Unterrichtungsschreiben und den Voraussetzungen für das Anlaufen der Widerspruchsfrist (vgl. [X.] 13. Juli 2006 - 8 [X.] - Rn. 22 ff., [X.]E 119, 81; 13. Juli 2006 - 8 [X.] - Rn. 17 ff., [X.]E 119, 91; sh. auch [X.] 26. Mai 2011 - 8 [X.] - Rn. 20 ff.; 23. Juli 2009 - 8 [X.] - Rn. 31, [X.]E 131, 258; 22. Januar 2009 - 8 [X.] - Rn. 26) uneingeschränkt festzuhalten ist, oder ob jedenfalls bei Fehlern, die regelmäßig für den Willensbildungsprozess der Arbeitnehmer ohne Belang sind, eine differenzierte Betrachtungsweise erforderlich ist. Dies kann schon deshalb offenbleiben, da sich die Klage auch unter Anwendung der bisherigen Rechtssätze als unbegründet erweist (vgl. Rn. 23 ff.).

4. Der Kläger hat dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die [X.] jedenfalls deshalb nicht wirksam widersprochen, weil das Widerspruchsrecht bei seiner Ausübung im Juni 2019 bereits verwirkt war.

a) Eine normierte zeitliche Höchstgrenze für die Ausübung des Widerspruchrechts besteht allerdings nicht (vgl. [X.] 28. Juni 2018 - 8 [X.] - Rn. 31). Der Gesetzgeber hat entsprechende Vorschläge im Gesetzgebungsverfahren nicht aufgegriffen (vgl. [X.]. 14/8128 S. 4; [X.]. 831/1/01 S. 2). Ebenso stünde der Wirksamkeit des Widerspruchs nicht entgegen, dass das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich beendet ist ([X.] 21. Januar 2010 - 8 [X.] - Rn. 17; 20. März 2008 - 8 [X.] - Rn. 37).

b) Das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers nach § 613a Abs. 6 [X.] kann aber, wie jedes Recht, nur unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 [X.]) ausgeübt und deshalb verwirkt werden (st. Rspr., zuletzt [X.] 28. Februar 2019 - 8 [X.] - Rn. 66 ff., [X.]E 166, 54).

aa) Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 [X.]). Mit ihr wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Sie beruht auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes und trägt dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit Rechnung. Die Verwirkung verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner bereits dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn dessen Gläubiger seine Rechte längere Zeit nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment). Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist (vgl. [X.] 28. Juni 2018 - 8 [X.] - Rn. 16).

bb) Zeit- und Umstandsmoment beeinflussen sich wechselseitig. Je stärker das gesetzte Vertrauen oder die Umstände sind, die eine Geltendmachung eines Anspruchs oder eines Rechts für den Gegner unzumutbar machen, desto schneller können diese verwirken ([X.] 24. Juli 2008 - 8 [X.]/07 - Rn. 27). Bezogen auf die Ausübung des Rechts aus § 613a Abs. 6 [X.] gilt umgekehrt, je mehr Zeit seit dem Betriebsübergang verstrichen ist und je länger der Arbeitnehmer bereits für den neuen Inhaber gearbeitet hat, desto geringer sind die Anforderungen an das Umstandsmoment ([X.] 22. Juni 2011 - 8 [X.] - Rn. 30). Es müssen letztlich besondere Verhaltensweisen sowohl des Berechtigten als auch des Verpflichteten vorliegen, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen (vgl. [X.] 28. Juni 2018 - 8 [X.] - Rn. 17; 17. Oktober 2013 - 8 [X.] - Rn. 27). Die Frage nach einer Verwirkung ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu beantworten (vgl. [X.] 17. Oktober 2013 - 8 [X.] - Rn. 29; 22. Juni 2011 - 8 [X.] - Rn. 33).

cc) Die Beurteilung der Frage, ob ein Anspruch oder ein Recht verwirkt ist, obliegt grundsätzlich den [X.]. Das Revisionsgericht prüft lediglich, ob die Vorinstanz die von der Rechtsprechung entwickelten rechtlichen Voraussetzungen der Verwirkung beachtet sowie alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat und ob die Bewertung dieser Gesichtspunkte von den getroffenen tatsächlichen Feststellungen getragen wird (vgl. [X.] 28. Februar 2019 - 8 [X.] - Rn. 69, [X.]E 166, 54).

c) Nach diesem Maßstab ist die Annahme des Berufungsgerichts, das Widerspruchsrecht des [X.] sei bei seiner Ausübung im Juni 2019 bereits verwirkt gewesen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Das [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger zum Zeitpunkt seines Widerspruchs noch nicht über sein Arbeitsverhältnis disponiert hatte (vgl. hierzu [X.] 28. Februar 2019 - 8 [X.] - Rn. 84 f., [X.]E 166, 54; 17. Oktober 2013 - 8 [X.] - Rn. 31 ff.). Der Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses erfolgte in der ersten [X.] 2019. [X.] mit der [X.] wurde erst danach abgeschlossen.

bb) Die weitere Annahme des Berufungsgerichts, in der vorliegenden Situation seien Zeit- und Umstandsmoment für eine Verwirkung des Widerspruchsrechts gegeben, lässt keinen revisiblen Rechtsfehler erkennen. Es hat - im Einklang mit den vom [X.] des [X.] aufgestellten Rechtssätzen - zunächst berücksichtigt, dass - wie vorliegend - bei einer Unterrichtung über die „grundlegenden Informationen“ zum Betriebsübergang und einer widerspruchslosen Weiterarbeit des Arbeitnehmers beim Erwerber über einen Zeitraum von sieben Jahren der Widerspruch sich allein aufgrund des Zeitablaufs als mit Treu und Glauben unvereinbar erweisen kann (vgl. [X.] 28. Februar 2019 - 8 [X.] - Rn. 81 f., [X.]E 166, 54; 28. Juni 2018 - 8 [X.] - Rn. 19 ff.; grundlegend [X.] 24. August 2017 - 8 [X.] - Rn. 24 ff., [X.]E 160, 70). Das [X.] hat aber darüber hinausgehend eine eigenständige Verwirkungsprüfung durchgeführt und im Rahmen des ihm zustehenden [X.] rechtsfehlerfrei die Ausübung des Widerspruchsrechts als verwirkt angesehen.

(1) Dabei ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass es keine Höchst- oder Mindestfrist für die Verwirkung gibt, sondern es hat den von ihm festgestellten Sachverhalt den Merkmalen „Zeitmoment“ und „Umstandsmoment“ zugeordnet und nach einer abschließenden Bewertung angenommen, das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Beklagten überwiege im vorliegenden Fall das Interesse des [X.] an einer Ausübung des Widerspruchsrechts. Es hat die verstrichene Zeitdauer von rund acht Jahren in den Blick genommen und als besonders starkes Zeitmoment angesehen. Hinsichtlich des [X.] - der widerspruchslosen Weiterarbeit nach den „grundlegenden Informationen“ über den Betriebsübergang - hat das [X.] ausgeführt, dass ihm zwar nur ein geringes Gewicht zukomme, was aber durch das besonders starke Zeitmoment ausgeglichen werde. Dies lässt im Ergebnis keinen revisiblen Rechtsfehler erkennen.

(2) Das Berufungsgericht hat sich auch ausführlich mit der - vom Kläger in den Vordergrund gestellten - Frage des [X.] nach § 6 [X.] befasst, unbeschadet dessen, dass ein Geltungsgrund des [X.] für das Arbeitsverhältnis der [X.]arteien weder festgestellt noch ersichtlich ist (vgl. zu dem Erfordernis einer Feststellung des [X.] für den Tarifvertrag [X.] 24. Oktober 2019 - 2 [X.] - Rn. 10 ff., [X.]E 168, 238). Es ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die tarifliche Regelung weder etwas an der Bewertung des Zeitmoments ändere, noch, dass sie zum Entfallen des [X.] führe. Dabei hat es die von der Rechtsprechung entwickelten rechtlichen Voraussetzungen der Verwirkung beachtet sowie alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt. Deren Bewertung wird von den getroffenen tatsächlichen Feststellungen getragen. Auch der Kläger zeigt mit seiner Revision keine diesbezüglichen Rechtsfehler auf.

(a) Zwischen dem bei einer betriebsbedingten Kündigung durch die [X.] bestehenden Rückkehrrecht - die Geltung des [X.] zugunsten des [X.] unterstellt - und dem Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 [X.] besteht kein Zusammenhang. Die Tarifnorm des § 6 [X.] hat weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht Einfluss auf das durch die widerspruchslose Weiterarbeit in Kenntnis der „grundlegenden Informationen“ über den Betriebsübergang begründete Umstandsmoment. Beide Regelungen unterscheiden sich in den tatbestandlichen Voraussetzungen und den Rechtsfolgen. Das tarifliche Rückkehrrecht besteht nur aus besonderen Gründen, während die Ausübung des Widerspruchsrechts an keine normierten Bedingungen geknüpft ist. Rechtsfolge des [X.] wäre nach § 6 Abs. 2 Unterabs. 2 [X.] eine Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Beklagten, während ein wirksamer Widerspruch nach § 613a Abs. 6 [X.] das „alte“ Arbeitsverhältnis ex tunc weiterbestehen ließe (vgl. [X.] 11. Dezember 2014 - 8 [X.] - Rn. 34; 16. April 2013 - 9 [X.] 731/11 - Rn. 26, [X.]E 145, 8). Die tarifliche und die gesetzliche Regelung betreffen jeweils unterschiedliche Interessenlagen. Mit dem Widerspruchsrecht soll der Arbeitnehmer davor geschützt werden, dass er einen Arbeitgeber bekommt, den er nicht will. Das Rückkehrrecht ist hingegen eine Sicherheit insbesondere für den Fall, dass der neue Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus betrieblichen Erfordernissen beendet. Die darauf gestützte Würdigung des [X.]s, der Beklagte habe bereits seit dem 9. Juni 2011 aufgrund der widerspruchslosen Weiterarbeit des [X.] bei der [X.] auf eine künftige Nichtausübung des Widerspruchsrechts vertrauen können, ist daher rechtlich nicht zu beanstanden.

(b) Gegen ein „Hinausschieben“ des Zeitmoments aufgrund der Tarifregelung in § 6 [X.] spricht zudem, dass der Kläger dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses schon während der Dauer des [X.] begründungslos hätte widersprechen können. Insofern trifft seine mit der Revision vertiefte Ansicht nicht zu, dass die Frage des Bestehens eines Widerspruchsrechts eine schwierig zu klärende Frage sei, so dass vorrangig das Rückkehrrecht ausgeübt werden würde und deshalb abgelaufen sein müsse, bevor das Zeitmoment für eine Verwirkung des Widerspruchsrechts zu laufen beginne. Während das Widerspruchsrecht an keine weiteren Bedingungen geknüpft ist, war für die betroffenen Arbeitnehmer ungewiss, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für das Rückkehrrecht eintreten werden. Im Übrigen ist das Bestehen eines Widerspruchsrechts nicht schwieriger zu beurteilen als die Frage, ob eine Kündigung - in Wahrheit - auf „betrieblichen Erfordernissen“ beruht und ob mit der tariflichen Regelung - die sich ausdrücklich auf § 1 KSchG bezieht - auch außerordentliche Kündigungen tariflich „unkündbarer“ Arbeitnehmer nach § 626 [X.] mit Auslauffrist erfasst werden.

cc) Die weitere Annahme des [X.]s, die Berufung des Beklagten auf die Verwirkung des Widerspruchsrechts sei nicht treuwidrig, hält ebenso einer revisionsrechtlichen [X.]rüfung stand. Dabei bedarf es vorliegend keiner vertieften Betrachtung, ob diese Frage eine - erneute - eigenständige [X.]rüfung von § 242 [X.] veranlasst oder vom Berufungsgericht im Rahmen der von ihm durchgeführten Zumutbarkeitsprüfung bei der Verwirkung zu behandeln gewesen wäre.

(1) Die Würdigung der Tatsachengerichte, ob bei einer bestimmten Sachlage ein Verstoß gegen § 242 [X.] und damit eine unzulässige Rechtsausübung vorliegt, ist in der Revisionsinstanz als Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs nur eingeschränkt überprüfbar (vgl. [X.] 10. September 2020 - 6 [X.] 94/19 (A) - Rn. 20; 19. März 2019 - 9 [X.] 881/16 - Rn. 20).

(2) Das [X.] hat sich umfassend mit dem Einwand des [X.] auseinandergesetzt, der Beklagte habe von Anfang an geplant, die [X.] nach Ablauf von acht Jahren in die Insolvenz zu treiben, um sich so teurer und tariflich unkündbarer Arbeitnehmer zu entledigen. Seine Annahme, das Verhalten des Beklagten sei nicht treuwidrig, lässt erneut keinen revisiblen Rechtsfehler erkennen. Ein solcher wird auch vom Kläger nicht aufgezeigt.

(a) Der in der Revisionsinstanz gehaltene Vortrag, das Unterrichtungsschreiben enthalte bewusste und gezielte Fehlinformationen in Bezug auf eine Insolvenzgefährdung der [X.], um die Arbeitnehmer von der Ausübung ihres Widerspruchsrechts abzuhalten, wird nicht von den für den Senat nach § 559 Abs. 2 Z[X.]O bindenden Feststellungen im Berufungsurteil gestützt. Im Übrigen hat sich das [X.] ausführlich mit dem Einwand des [X.] auseinandergesetzt, der Beklagte habe von Anfang an eine Insolvenz der [X.] geplant, ohne allerdings hierfür Anzeichen zu sehen. Damit hat es jedenfalls inzident eine bewusste Fehlinformation der Arbeitnehmer in Bezug auf eine beabsichtigte Insolvenz verneint.

(b) Die weiteren Ausführungen des [X.], das vermeintlich verschwörerische Zusammenwirken der Gesellschafter der [X.] ab dem [X.] habe diese in die Insolvenz getrieben, sind für die Beurteilung der Treuwidrigkeit des Verhaltens des Beklagten ohne Bedeutung. Dieser war jedenfalls seit Jahresbeginn 2015 nicht mehr Gesellschafter von [X.], so dass ihn ein solcher Vorwurf nicht trifft. Dies hat das [X.] auch zutreffend erkannt.

II. Das Urteil des [X.]s ist allerdings insoweit rechtsfehlerhaft und wegen eines von Amts wegen zu beachtenden Verstoßes gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 Z[X.]O zu korrigieren, als es über einen Anspruch des [X.] auf (vorläufige) Beschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits entschieden hat.

1. Eine Verletzung des Antragsgrundsatzes nach § 308 Abs. 1 Satz 1 Z[X.]O liegt nicht nur dann vor, wenn einer [X.]artei ohne ihren Antrag etwas zugesprochen wird, sondern auch, wenn ihr ein Anspruch aberkannt wird, den sie nicht zur Entscheidung gestellt hat. Ein Verstoß der Vorinstanzen gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 Z[X.]O ist vom Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten ([X.] 25. März 2021 - 6 [X.] 41/20 - Rn. 15; 18. September 2019 - 5 [X.] 240/18 - Rn. 11, [X.]E 168, 25).

2. Danach hat das [X.] gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 Z[X.]O verstoßen. Der Antrag des [X.] auf Beschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits ist nicht zur Entscheidung angefallen. Es handelt sich um einen uneigentlichen Hilfsantrag, der nur für den Fall des Obsiegens mit dem Hauptantrag gestellt wurde.

a) Der Kläger hat sich zur Begründung seines Anspruchs sowohl in den [X.] als auch in der Revisionsbegründung auf die Rechtsprechung des Großen Senats des [X.] zum Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung bei einem obsiegenden Urteil in einem Kündigungsschutzverfahren bezogen ([X.] 27. Februar 1985 - [X.] - [X.]E 48, 122), die er auf den vorliegenden Fall für entsprechend anwendbar hält.

b) Der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung während eines Kündigungsschutzverfahrens ist regelmäßig ein unechter Hilfsantrag für den Fall des Obsiegens mit dem [X.]. Das gilt auch dann, wenn die Formulierung des Antrags seinen Hilfscharakter nicht unmittelbar zu erkennen gibt (vgl. [X.] 7. Mai 2020 - 2 [X.] 692/19 - Rn. 62). Die erforderliche Auslegung des Antrags hat unter Berücksichtigung seiner objektiven Sinnhaftigkeit zu erfolgen. Die Ausführungen des [X.] im vorliegenden Fall geben keinen Anlass zu einem anderen Verständnis.

c) Da der Kläger mit seinem Feststellungsantrag nicht erfolgreich war, ist sein Antrag auf vorläufige Beschäftigung nicht zur Entscheidung angefallen.

d) Das Berufungsurteil ist daher - ohne dass es eines förmlichen Entscheidungsausspruchs bedurfte - zu berichtigen (vgl. [X.] 25. März 2021 - 6 [X.] 41/20 - Rn. 20; 14. November 2017 - 3 [X.] 515/16 - Rn. 19, [X.]E 161, 47). Die Entscheidung des [X.]s ist damit insoweit gegenstandslos, als die Klage wegen des [X.] abgewiesen wurde (vgl. [X.] 18. September 2019 - 5 [X.] 240/18 - Rn. 12, [X.]E 168, 25; 24. Mai 2018 - 6 [X.] 215/17 - Rn. 26). Der Tenor der Entscheidung erweist sich dabei im Ergebnis als zutreffend und bedarf keiner Berichtigung.

III. [X.] beruht auf § 97 Abs. 1 Z[X.]O.

        

    Koch    

        

    Niemann    

        

    Schlünder    

        

        

        

    Krüger    

        

    B. Schipp    

                 

Meta

2 AZR 6/21

22.07.2021

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Essen, 8. Juni 2020, Az: 6 Ca 173/20, Urteil

§ 613a Abs 1 S 1 BGB, § 613a Abs 5 BGB, § 613a Abs 6 BGB, § 242 BGB, § 308 Abs 1 S 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.07.2021, Az. 2 AZR 6/21 (REWIS RS 2021, 3859)

Papier­fundstellen: NJW 2021, 3345 REWIS RS 2021, 3859

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

12 Sa 350/21

12 Sa 351/21

12 Sa 352/21

12 Sa 705/21

8 Sa 68/20

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