Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.12.2008, Az. 4 StR 318/08

4. Strafsenat | REWIS RS 2008, 280

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.] vom 11. Dezember 2008 in der Strafsache gegen Nachschlagewerk: ja [X.]St: ja Veröffentlichung: ja StPO §§ 4, 266; [X.]. 6 Abs. 1 Satz 1 (faires Verfahren)
Wird eine weitere Anklage gegen denselben Angeklagten außerhalb der Hauptverhandlung zu einem bereits anhängigen Verfahren in einer lau-fenden Hauptverhandlung zur gemeinsamen Verhandlung und Entschei-dung hinzuverbunden, so muss, wenn die Voraussetzungen des § 266 StPO nicht vorliegen, mit der Hauptverhandlung neu begonnen werden (im [X.] an [X.] NStZ-RR 1999, 303). - 2 - [X.], Beschluss vom 11. Dezember 2008 [X.] 4 StR 318/08 [X.] LG Bielefeld 1. [X.]wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a. - 3 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und der Beschwerdeführer am 11. Dezember 2008 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen: [X.] Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 7. Februar 2008 1. a) mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte [X.]in den Fäl[X.] 1 und 6 bis 11 und der Angeklagte [X.]in den [X.] [X.] 15 bis 22 der Urteilsgründe verurteilt wor-
den ist. Insoweit wird die Sache an die II[X.] große
Strafkammer - [X.] als Jugend-
schutzkammer - des [X.] zu-
rückgegeben; b) in den [X.] dahin abgeändert, dass aa) der Angeklagte [X.]des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in fünf Fällen ([X.]le 2 bis 5 und 23 der Urteilsgründe), bb) der Angeklagte [X.]des schweren sexu-ellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen (Fälle 12 bis 14 und 23 der Urteilsgründe) schuldig ist; - 4 - 2. mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben a) in den beiden [X.] und b) im Ausspruch über die Dauer des Vorwegvoll-zugs eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe vor der Maßregel beim Angeklagten [X.]. Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der [X.], an eine andere [X.] als [X.] des [X.] zurückverwiesen. I[X.] Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen. Gründe: Das [X.] hat die Angeklagten jeweils des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in neun Fällen und des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in weiteren drei Fällen schuldig gesprochen. Gegen den Angeklagten [X.] hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verhängt. Den [X.] [X.] hat es zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet, wobei es bestimmt hat, dass ein Jahr, sieben Monate und zwei Wochen der Gesamtfreiheitsstrafe vor dem Vollzug der Maßregel zu vollstre-cken sind. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Rechtsmittel haben den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. 1 - 5 - 1. Die Verurteilung der Angeklagten in den in der [X.] unter Ziffer [X.] 1 a) bezeichneten Fällen hat keinen Bestand, weil insoweit eine von den Angeklagten erhobene Verfahrensrüge (Verstoß gegen § 266 Abs. 1 StPO i.V.m. dem Grundsatz des fairen Verfahrens) durchgreift. 2 a) Mit Anklage vom 27. April 2007 (1. Anklage) wurde den - die ihnen vorgeworfenen Taten bestreitenden - Angeklagten zur Last gelegt, mehrfach vaginalen Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin, der am 14. April 1994 geborenen [X.], durchgeführt zu haben, und zwar der Angeklagte [X.] in fünf Fällen, der Angeklagte [X.]

in vier Fällen. Die in der [X.] unter Ziff. [X.] 1 a) bezeichneten Fälle sind von dieser Anklage nicht umfasst. Die 1. Anklage wurde mit Eröffnungsbeschluss der II[X.] [X.] vom 14. Juni 2007 zur Hauptverhandlung zugelassen. Sie begann am 16. August 2007. Bereits in diesem Termin wurden Beweise erhoben und u.a. meh-rere Beweis- und [X.] gestellt. Die Nebenklägerin wurde am 2. und 3. Hauptverhandlungstag (20. und 23. August 2007) als Zeugin ver-nommen. Weil sie in ihren Vernehmungen weitere Missbrauchshandlungen ge-schildert hatte, leitete die Staatsanwaltschaft ein neues Ermittlungsverfahren gegen die Angeklagten ein (verbundene Akte Az. 66 Js 393/07 Bl. 1, 5). Am 6. September 2007 reichte sie beim [X.] eine weitere Anklageschrift (2. Anklage) wegen der neuen Tatvorwürfe mit dem Antrag ein, das Hauptver-fahren zu eröffnen und das Verfahren mit dem bereits anhängigen Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden. Die in der [X.] unter Ziff. [X.] 1 a) bezeichneten Taten sind Gegenstand dieser neuen Anklage. 3 Im (5.) Hauptverhandlungstermin am selben Tage wurden den Angeklag-ten und ihren Verteidigern Abschriften der neuen Anklageschrift zum Zwecke 4 - 6 - der Zustellung mit der Gelegenheit zur Stellungnahme ausgehändigt. Der [X.] des Angeklagten [X.]

erklärte hierauf u.a., dass es sich um eine verdeckte Nachtragsanklage handele und die Zustimmung zu ihrer Einbe-ziehung bereits jetzt verweigert werde. Im Falle einer Einbeziehung seien alle Beweise neu zu erheben. Die Zeugen seien zu der neuen Anklage nicht befragt worden und es sei auch nicht darauf hingewiesen worden, dass Gelegenheit bestehe, sie zu diesen Vorwürfen zu fragen. Wegen der neuen Anklage bean-trage er die Aussetzung des Verfahrens (Prot. [X.]). Dieser Antrag wurde ebenso wie der Antrag, alle Beweise neu zu erheben, zurückgewiesen (Prot. S. 174 f., 283). Die Hauptverhandlung wurde am 20.9. und 8.10.2007 mit weite-ren Beweiserhebungen fortgesetzt. Durch Beschluss vom 26. Oktober 2007 ließ die II[X.] Strafkammer in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung die neue Anklage - mit [X.] - zur Hauptverhandlung zu und verband das Verfahren mit dem bereits an-hängigen Verfahren "zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung in der bereits laufenden Hauptverhandlung ...". In dem den Angeklagten und den [X.]n bekannt gemachten Beschluss ist u.a. ausgeführt, es handele sich nicht um eine "verdeckte Nachtragsanklage", sondern um eine "normale" [X.], die lediglich zu einem Verfahren verbunden werde, in welchem bereits verhandelt werde. 5 Am 12. November 2007 reichte die Staatsanwaltschaft eine gemäß § 207 Abs. 3 StPO geänderte Anklageschrift beim [X.] ein. Den Angeklagten und ihren Verteidigern wurden im (10.) Hauptverhandlungstermin vom 16. No-vember 2007 Abschriften der geänderten Anklageschrift übergeben. Im (11.) Hauptverhandlungstermin (3. Dezember 2007) wurde die Anklageschrift vom 12. November 2007 verlesen. Die Angeklagten wurden darauf hingewiesen, 6 - 7 - "dass seitens der Kammer beabsichtigt sei, die in der bisherigen Hauptverhand-lung gewonnenen Beweisergebnisse auch der Entscheidungsfindung über die nunmehr zusätzlich verlesene Anklage als gerichtsbekannt zugrunde zu legen; einer Wiederholung von Teilen der Beweisaufnahme (bedürfe) es nicht, da sämtliche Verfahrensbeteiligte jeweils anwesend gewesen (seien) bzw. - soweit es sich um anwaltliche Beteiligte (handele) - zumindest die Möglichkeit (gehabt hätten), der Beweiserhebung beizuwohnen" (Prot. S. 198). So wurde verfahren. Das Urteil erging nach weiteren Beweiserhebungen am 7. Februar 2008, dem 19. Hauptverhandlungstag. b) Die vom [X.] gewählte Verfahrensweise entspricht nicht dem Gesetz. 7 aa) Die neue Anklage ist nicht gemäß § 266 Abs. 1 StPO in das laufende Verfahren einbezogen worden. Das [X.] hat es in dem Eröffnungs- und Verbindungsbeschluss vom 26. Oktober 2007 ausdrücklich abgelehnt, die neue Anklage als Nachtragsanklage zu behandeln. Es hat eine "Einbeziehung" au-ßerhalb der gesetzlichen Regelung in § 266 StPO angestrebt, um die Einbezie-hung nicht von der Zustimmung der Angeklagten abhängig zu machen. Im [X.] auf den Beschluss vom 26. Oktober 2007 scheidet auch eine etwa "kon-kludente" Einbeziehung gemäß § 266 Abs. 1 StPO aus. 8 bb) Die Einbeziehung der zweiten Anklage in die fortdauernde [X.] war auf dem vom [X.] gewählten Weg nicht zulässig (vgl. [X.], [X.] Aufl. § 266 Rdn. 4, § 4 Rdn. 9; Gubitz/Bock StraFo 2007, 225 ff.); denn innerhalb einer laufenden Hauptverhandlung darf dem [X.] jenseits der Tatidentität des § 264 Abs. 1 StPO eine Anklageerweite-rung nicht aufgezwungen werden (vgl. [X.] NStZ 1997, 145, 146; [X.], 303). Der Gesetzgeber hat aus Gründen des fipraktischen Bedürfnissesfi allein mit § 266 StPO eine Möglichkeit eröffnet, ausnahmsweise und unter en-gen Voraussetzungen (die Erhebung einer [weiteren] Anklage in der [X.], ihre Einbeziehung in das Verfahren durch Beschluss des erkennen-den Gerichts (vgl. [X.] StV 1995, 342) und die [ausdrückliche] Zustimmung des Angeklagten), den den Angeklagten betreffenden [X.] in einer bereits begonnenen Hauptverhandlung zu erweitern [X.], Die gesamten Materialien zu den [X.]. [X.] 1 S. 921 [an sich [X.]], Abt. 2 S. 1377 f. [die Bestimmung stehe zwar nicht fiauf dem Boden des [X.], das [X.] dränge aber zu einer derartigen Vorschrift]). Er hatte dabei gerade die Fälle im Blick, in denen sich - wie hier - während der Hauptverhandlung neue Tatvorwürfe ergeben [X.] aaO). Liegen die Voraussetzungen des § 266 StPO nicht vor, so hat der [X.] abzuwägen, ob er zunächst die begonnene Hauptverhandlung im ur-sprünglichen, eingeschränkt angeklagten Umfang zum Abschluss bringen und über die weitere Anklage in einem gesonderten Verfahren entscheiden will oder ob er beide Verfahren verbindet und sie insgesamt zum Gegenstand einer neu zu beginnenden, einheitlichen Hauptverhandlung macht ([X.] NStZ-RR 1999, 303). [X.]) Allerdings hat der 1. Strafsenat in einem gleich gelagerten Fall ent-schieden, dass eine Verfahrensweise, wie sie das [X.] als rechtlich möglich erachtet hat, kein Verfahrenshindernis begründet (Beschluss vom 19. Februar 2008 - 1 StR 503/07 = [X.], 226, 227). Ob dem zu folgen ist, kann dahinstehen; denn der 1. Strafsenat hat ausdrücklich offen gelassen, ob der Tatrichter in einem solchen Fall gehalten ist, mit der Hauptverhandlung neu zu beginnen. Mit dem 5. Strafsenat (Beschluss vom 3. August 1998 - 5 [X.] = NStZ-RR 1999, 303 [nicht tragend]) bejaht der Senat diese Frage. 10 - 9 - [X.]) Da die Angeklagten die Verfahrensweise des [X.] mit Ver-fahrensrügen beanstandet haben, muss das Urteil mit den Feststellungen auf-gehoben werden, soweit die Angeklagten wegen der in der zweiten Anklage genannten Taten verurteilt worden sind. Das Verfahren ist insoweit noch bei der II[X.] Strafkammer des [X.] anhängig; es ist daher an diese Strafkammer zurückzugeben. 11 2. [X.] und die vom [X.] verhängten Einzelstrafen in den (mit der ersten Anklage angeklagten) Fällen 2 bis 5 und 23 ([X.] ) sowie 12 bis 14 und 23 ([X.] ) der Urteilsgründe weisen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf. Der Senat ändert daher die Schuldsprüche des angefochtenen Urteils entsprechend ab und lässt die Einzelstrafen in den genannten Fällen bestehen. Die [X.] zieht jedoch die Auf-hebung der Gesamtstrafenaussprüche nach sich. Die Anordnung der Unter-bringung des Angeklagten [X.] in einer Entziehungsanstalt kann [X.] bestehen bleiben, weil die Maßregel schon aufgrund der verbleibenden Verurteilung anzuordnen war (vgl. [X.] f., 19, 84 f., 95 ff., 108 f.). Jedoch wird unter Berücksichtigung der nunmehr zu bildenden Gesamtfreiheitsstrafe über die Vollstreckungsreihenfolge neu zu entscheiden sein. Mit der [X.] ist die Kostenbeschwerde des Angeklagten [X.]gegenstandslos (vgl. [X.] aaO § 464 Rdn. 20). 12 - 10 - 3. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass die Strafkammern, an die die Verfahren zurückverwiesen sind, jeweils das Verschlechterungsverbot zu beachten haben. 13 Tepperwien Maatz Kuckein Athing Mutzbauer

Meta

4 StR 318/08

11.12.2008

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.12.2008, Az. 4 StR 318/08 (REWIS RS 2008, 280)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2008, 280

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.