Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.10.2011, Az. VII ZB 7/11

VII. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 2376

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VII
ZB 7/11

vom

13.
Oktober 2011

in dem Zwangsvollstreckungsverfahren

-
2
-
Der VII.
Zivilsenat des [X.] hat am
13.
Oktober 2011
durch [X.] Prof.
Dr.
[X.], [X.]
Kuffer, den Richter
Bauner, die Richterin [X.] und [X.]
Eick
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin gegen den Beschluss der 2.
Zivilkammer des [X.] vom 27.
Dezember 2010 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Gegenstandswert: bis 600

Gründe:
I.
Die Gläubigerin, ein Inkassobüro, betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung. Die titulierte Forderung beruht auf einer vorsätzlich [X.] unerlaubten Handlung der Schuldnerin.
Die Schuldnerin bezieht Arbeitslosengeld
II in Höhe von monatlich 323

sowie monatliche Leistungen für Unterkunft, Heizung und sonstige Nebenkos-ten in Höhe von 223,68

Auf Antrag der Gläubigerin hat das Amtsgericht -
Vollstreckungsgericht
-
am 26.
Juli 2010 einen Pfändungs-
und Überweisungsbeschluss erlassen, mit dem die angeblichen Forderungen der Schuldnerin gegen die Drittschuldnerin, 1
2
3
-
3
-
ein Job-Center, auf Zahlung bereits fälliger und künftig fällig werdender einmali-ger und laufender Geldleistungen aus Arbeitslosengeld
II gepfändet und der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen wurden. Der Drittschuldnerin wurde aufgegeben, von den Leistungen monatlich 40

Auf Erinnerung der Drittschuldnerin vom 31.
August 2010 hat
das Amtsgericht -
Vollstreckungsgericht
-
den Pfändungs-
und Überweisungsbeschluss dahin abgeändert, dass der monatliche Betrag von 40

r-bleiben hat. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde ist erfolglos geblie-ben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Antrag, die Drittschuldnerin zu verpflichten, von den Leis-tungen 40

II.
1. Die gemäß §
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
2 ZPO statthafte und auch im Üb-rigen zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
Das Beschwerdegericht ist der Auffassung,
eine Herabsetzung des [X.] nach §
850f Abs.
2 ZPO unter den
der Schuldnerin nach dem [X.] zustehenden Betrag komme nicht in [X.]. Denn auch die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus vor-sätzlich begangener unerlaubter Handlung dürfe nicht dazu führen, dass der Schuldner seinen notwendigen Unterhalt nicht mehr bestreiten könne. Soweit der Gesetzgeber bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des [X.] im engeren Sinne nicht lebensnotwendige Bedürfnisse berück-sichtigt habe, sei es nicht Aufgabe der Gerichte, den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers durch eigene Werturteile zu ersetzen. Darüber hinaus gehöre zu einer existenzsichernden Ausstattung nicht lediglich die Alimentierung des für 4
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4
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die Aufrechterhaltung der lebensnotwendigen Funktionen eines Menschen Notwendigen. Daran ändere auch die st[X.]tlicherseits gegebene Möglichkeit nichts, dass zur Erzwingung von Mitwirkungspflichten und bei der Verhängung von Geldstrafen auf Sozialleistungen zurückgegriffen werden könne. Denn das individuelle Interesse des Privatgläubigers an der Durchsetzung seiner Forde-rung sei dem dem st[X.]tlichen Sanktionsanspruch zugrunde liegenden überge-ordneten Interesse nicht gleichzusetzen und rechtfertige daher keinen so [X.] Eingriff wie die Kürzung der lebensnotwendigen Bezüge.
2. Die Entscheidung des [X.] ist nicht zu beanstanden.
a) [X.] ist die Auffassung der Beschwerdeführerin, die Erinne-rung sei verspätet eingelegt worden. Die für den nicht angehörten [X.] zulässige Erinnerung ist nicht fristgebunden (Seiler in [X.]/[X.], ZPO, 32.
Aufl., §
766 Rn.
20; [X.], ZPO, 8.
Aufl., §
766 Rn.
15 a.E.; [X.]/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 766 Rn. 12; PG/Scheuch, ZPO, 3. Aufl., § 766 Rn.
18, 28). Für eine von der Rechtsbeschwerde für möglich gehaltene Analo-gie zu § 569 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO ist kein Raum, weil insoweit keine plan-widrige Gesetzeslücke vorliegt.
b) Das Beschwerdegericht hat auch in der Sache richtig entschieden. Die Entscheidung entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Die Schuldne-rin bezieht von der Drittschuldnerin keine über den Regelsätzen
des
3. Kapitels des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch liegende
Leistungen. Der Senat hat mit Beschluss
vom 25.
November 2010 (VII
ZB
111/09, NJW-RR 2011, 706 =
JurBüro
2011, 213 = Rpfleger 2011, 164) entschieden, dass dem Schuldner bei der Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich [X.] unerlaubten Handlung für seinen notwendigen
Unterhalt jedenfalls diese Regelsätze zu belassen sind. Eine Pfändung kleiner Teilbeträge hieraus 6
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kommt dementsprechend nicht in Betracht. Daran wird festgehalten. Auf die dortige Begründung wird verwiesen.
c) Die dagegen erhobenen Einwände der Gläubigerin greifen nicht durch.
[X.]) Im Zwangsvollstreckungsrecht hat der Gesetzgeber stets eine Inte-ressenabwägung vorzunehmen, bei der er einerseits das berechtigte Interesse des Gläubigers an der Durchsetzung seiner Forderung und andererseits das Interesse
des Schuldners an der Führung eines menschenwürdigen Lebens zu berücksichtigen hat. An diese in den jeweiligen Vorschriften zum Ausdruck kommende Wertentscheidung des Gesetzgebers sind
die Gerichte gebunden. Etwas anderes hat nur zu gelten, wenn das zur Entscheidung berufene Gericht das jeweils anzuwendende Gesetz für verfassungswidrig hält, Art.
100 [X.]. [X.] Bedenken hat der Senat hinsichtlich der Regelung des §
850f Abs.
2 ZPO nicht, wie auch bereits der Entscheidung vom 25.
November 2010 zu entnehmen ist.

(1) Der Gesetzgeber hat jedem nach dem Sozialst[X.]tsgebot ein men-schenwürdiges Existenzminimum zu sichern ([X.],
NJW 2010, 505 Rn.
133). Dementsprechend hat er in §
850f
Abs.
2 ZPO bestimmt, dass dem Schuldner so viel zu belassen ist, wie er für seinen notwendigen Unterhalt bedarf. Die Re-gelleistungen nach dem [X.] stellen nach der [X.] des Gesetzgebers das "soziokulturelle" Existenzminimum dar
(BT-Drucks.
15/1516, S.
56) und sind damit dem
notwendigen
Lebensunterhalt gleichzusetzen. Demgegenüber muss das durch Art.
14 [X.] geschützte Interes-se des Gläubigers einer aus einer vorsätzlich begangenen
unerlaubten Hand-lung erwachsenen Forderung zurücktreten. Dass, worauf die [X.] als rein theoretische Möglichkeit hinweist,
ein Schuldner, der dauerhaft nur diesen Regelsätzen entsprechende Einkünfte bezieht, vorsätzlich unerlaubte 9
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6
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Handlungen zu Lasten des Gläubigers begehen könnte, ohne deshalb eine Zwangsvollstreckung fürchten zu müssen, muss insoweit in Kauf genommen werden. Ein Freibrief ist damit für den Schuldner nicht verbunden, weil er re-gelmäßig strafrechtlichen Sanktionen ausgesetzt sein wird.
(2) Der behauptete Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art.
3 Abs.
1 [X.]) liegt nicht vor. Auch wenn in Arbeitseinkommen vollstreckt wird, muss dem Schuldner so viel belassen werden, wie er für seinen notwendigen Unterhalt bedarf.
[X.] Verfehlt ist der Vorwurf der Rechtsbeschwerde, die Entscheidung des [X.] verstoße gegen das Willkürverbot. Der Gesetzgeber hat in §
850f
Abs.
2 2.
Halbsatz ZPO bestimmt, dass dem Schuldner so viel zu belassen ist, wie er für seinen notwendigen Unterhalt benötigt. Daran ist -
wie bereits ausgeführt
-
das Gericht gebunden. Es kommt daher nicht darauf an, ob und inwieweit der Gesetzgeber im
Allgemeininteresse bei Pflichtverletzungen eines Empfängers von Leistungen nach dem Zweiten
und Zwölften
Buch Sozi-algesetzbuch Kürzungen vorsieht; ebenso wenig ist es von Bedeutung, dass auch gegen Empfänger derartiger Leistungen Geldstrafen verhängt werden [X.].
[X.]) Auch ein Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs ist dem Be-schwerdegericht nicht anzulasten. Die Rechtsbeschwerde wirft dem Beschwer-degericht vor, den Sachverhalt nicht umfassend aufgeklärt zu haben. Dies stellt keinen Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs, Art.
103 Abs.
1 [X.], dar.
Ein solcher liegt nur vor, wenn das Gericht Vorbringen eines Beteiligten nicht oder nicht hinreichend zur Kenntnis nimmt. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Rechtsbeschwerde zeigt nicht auf, dass das Beschwerdegericht den Vortrag der Gläubigerin zu einem Unterhaltsanspruch der Schuldnerin gegen-12
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-
7
-
über ihrem Ehemann, einem Nebenverdienst der
Schuldnerin oder Zuwendun-gen an sie übergangen hätte.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
97 Abs.
1 ZPO.

[X.] Kuffer Bauner

[X.] Eick

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 04.11.2010 -
95 M 951564/10 -

LG [X.], Entscheidung vom 27.12.2010 -
2 T 657/10 -

15

Meta

VII ZB 7/11

13.10.2011

Bundesgerichtshof VII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.10.2011, Az. VII ZB 7/11 (REWIS RS 2011, 2376)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2376

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