Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.09.2011, Az. 3 StR 280/11

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 2786

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Gegenstand

Strafverfahrenshindernis: Fehlender Eröffnungsbeschluss bei unterbliebener Unterzeichnung durch Beisitzer


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 5. Mai 2011 mit den Feststellungen aufgehoben und das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte wegen besonders schweren Raubes verurteilt worden ist (II. 1. der Urteilsgründe).

Im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last.

2. Das angefochtene Urteil wird dahin geändert, dass der Angeklagte wegen versuchten [X.] zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 5 Euro verurteilt ist.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Insoweit hat der Beschwerdeführer die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes und versuchten [X.] zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg.

2

1. Soweit das [X.] den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes verurteilt hat, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und das Verfahren entsprechend § 206a Abs. 1 [X.] einzustellen, da insofern kein wirksamer Eröffnungsbeschluss vorliegt und somit ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis besteht.

3

a) Das Formular des [X.] vom 15. Februar 2011, mit dem die den Tatvorwurf des (besonders) schweren Raubes betreffende Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen wurde, ist allein vom Vorsitzenden unterschrieben. Es kann dahinstehen, ob es wegen der fehlenden Unterschriften der beiden Beisitzer bereits an einer notwendigen Förmlichkeit für einen wirksamen Eröffnungsbeschluss fehlt (so [X.], Urteil vom 1. März 1977 - 1 StR 776/76; Beschluss vom 9. Juni 1981 - 4 [X.], [X.] 1981, 448; [X.], Beschluss vom 28. Mai 1991 - 1 Ss 43/91, NJW 1991, 2849, 2850; [X.]/[X.], 4. Aufl., § 203 Rn. 8; [X.], 4. Aufl., § 207 Rn. 18; offen gelassen von [X.], Urteil vom 15. Dezember 1986 - [X.] [R] 5/86, [X.]St 34, 248, 249) oder ob, wie die wohl herrschende Ansicht annimmt, eine fehlende oder nicht von allen mitwirkenden [X.]n vorgenommene Unterzeichnung des [X.] jedenfalls dann an dessen Wirksamkeit nichts ändert, wenn anderweitig nachgewiesen ist, dass der Beschluss tatsächlich von allen hierzu berufenen [X.]n gefasst worden ist (s. etwa RG, Urteil vom 3. Februar 1910 - III 1038/09, [X.], 217, 218; [X.], Beschlüsse vom 15. Januar 1954 - 5 StR 703/53, NJW 1954, 360; vom 5. Februar 1997 - 5 StR 249/96, NJW 1997, 1380, 1381; vom 8. Juni 1999 - 1 StR 87/99, [X.]-RR 2000, 34; [X.], [X.], 54. Aufl., Vor § 33 Rn. 6; [X.], [X.], 6. Aufl., § 207 Rn. 29); denn eine ordnungsgemäße Beschlussfassung vermag der Senat hier nach den konkreten Umständen nicht festzustellen.

4

Die eingeholten dienstlichen Äußerungen sind unergiebig. Die Beisitzer haben mitgeteilt, sich "an die Fassung des [X.] konkret nicht erinnern" zu können. Eine tatsächliche Beschlussfassung ergibt sich nicht daraus, dass sie - wie sie ausführen - über den Fall und die für eine Eröffnung ausreichende Beweislage gesprochen haben. Denn allein die Erörterung der Beweislage beinhaltet noch nicht die Willensäußerung, die Eröffnung zu beschließen (vgl. auch [X.], Beschluss vom 25. Februar 1983 - 3 StR 512/82, [X.] 1983, 318). Dies gilt vor allem angesichts der Tatsache, dass die Beisitzer die Gespräche zeitlich nicht näher eingrenzen konnten und damit offen bleibt, ob die Gespräche überhaupt vor oder an dem Datum der vermeintlichen Beschlussfassung stattgefunden hatten.

5

Auch die vom Vorsitzenden in der Hauptverhandlung getroffene Feststellung, die Anklage sei mit Beschluss vom 15. Februar 2011 in unveränderter Form zur Hauptverhandlung zugelassen worden, belegt eine ordnungsgemäße Beschlussfassung nicht. Im Hinblick auf den üblichen Geschäftsanfall und -gang bei den [X.]en sowie die zwischen der etwaigen Beschlussfassung und der Hauptverhandlung liegende [X.] von nahezu drei Monaten ist nicht auszuschließen, dass der Vorsitzende die Feststellung nicht aufgrund einer eigenen konkreten Erinnerung an eine mündliche Beschlussfassung, sondern aufgrund des in den Akten befindlichen und auf dem Aktendeckel vermerkten Vordrucks traf.

6

Weil bei vielen Gerichten der Eröffnungsbeschluss häufig im Umlaufverfahren beschlossen wird, ist es schließlich nicht fernliegend, dass es sich bei dem lediglich vom Vorsitzenden unterschriebenen Formular bloß um einen noch nicht durch alle [X.] bestätigten Beschlussentwurf handelte (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Januar 1954 - 5 StR 703/53, NJW 1954, 360, 361).

7

b) Die Unwirksamkeit des vermeintlichen Beschlusses vom 15. Februar 2011 ist nicht durch eine spätere ordnungsgemäße Beschlussfassung geheilt worden. Eine solche ist insbesondere nicht in dem von der gesamten Kammer unterschriebenen Beschluss vom 18. April 2011 zu sehen, mit dem sie die den versuchten Computerbetrug betreffende Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen, beide Verfahren verbunden und die Gerichtsbesetzung in der Hauptverhandlung bestimmt hat. Denn hieraus ergibt sich mangels entsprechender inhaltlicher Anknüpfungspunkte nicht mit der notwendigen Sicherheit, dass die zuständigen [X.] die Eröffnung des Hauptverfahrens in Bezug auf die erste Anklage tatsächlich beschlossen haben (s. [X.], Beschluss vom 11. Januar 2011 - 3 StR 484/10, [X.]-RR 2011, 150, 151; ähnlich auch [X.], Beschlüsse vom 30. Mai 1988 - 1 [X.]; vom 9. Januar 1987 - 3 [X.], [X.] 1987, 239; [X.], Beschluss vom 20. September 2010 [X.] RVs 117/10, [X.]-RR 2011, 105; [X.], Beschluss vom 26. September 2003 - [X.], [X.]-RR 2004, 48, 49). Im Übrigen belegen auch die dienstlichen Äußerungen nicht, dass die Beisitzer im Rahmen der Verbindung eine Eröffnungsentscheidung über die erste Anklage treffen wollten. Vielmehr bestand für eine solche Entscheidung aus ihrer Sicht schon deshalb kein Anlass, weil sie davon ausgingen, dass auch der Vorwurf des besonders schweren Raubes habe verhandelt werden sollen.

8

Eine Nachholung des [X.] in der Hauptverhandlung scheitert jedenfalls daran, dass die Kammer lediglich mit zwei Berufsrichtern verhandelte, die Eröffnungsentscheidung aber durch die Kammer in ihrer Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung - also mit drei Berufsrichtern ohne Schöffen - zu treffen ist ([X.], Urteil vom 25. Februar 2010 - 4 StR 596/09).

9

c) Das Fehlen eines [X.] stellt ein in der Revisionsinstanz nicht mehr behebbares Verfahrenshindernis dar, das die Einstellung des gerichtlichen Verfahrens hinsichtlich der Raubtat auf Kosten der Staatskasse (§ 467 Abs. 1 [X.]) zur Folge hat (vgl. [X.], Beschlüsse vom 11. Januar 2011 - 3 StR 484/10, [X.]-RR 2011, 150, 151; vom 9. Januar 1987 - 3 [X.], [X.] 1987, 239; [X.], aaO § 207 Rn. 12; [X.], [X.], 26. Aufl., § 207 Rn. 84).

2. Von der Aufhebung und Einstellung ist die Verurteilung wegen versuchten [X.] nicht betroffen. Insoweit liegt der wirksame Eröffnungsbeschluss vom 18. April 2011 vor. Die Nachprüfung des Urteils hat diesbezüglich weder zum Schuld- noch zum Strafausspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 [X.]). Der Schuldspruch und die Einzelstrafe waren daher insoweit aufrechtzuerhalten.

3. Die Einstellung des gerichtlichen Verfahrens zieht nicht die Aufhebung des allein auf den Raubvorwurf gründenden Haftbefehls durch den Senat gemäß § 126 Abs. 3, § 120 Abs. 1 Satz 1, [X.]. 3 [X.] nach sich, weil die Verfahrenseinstellung ihrer sachlichen Bedeutung nach nur vorläufigen Charakter hat ([X.], Beschlüsse vom 5. Mai 1999 - 3 [X.], [X.] 1999, 520, 521; vom 29. November 1994 - 4 [X.], [X.]R [X.] § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 13).

Da keine das gesamte Verfahren endgültig abschließende Entscheidung im Sinne des § 2 Abs. 1 [X.] vorliegt, bedarf es derzeit auch keiner Entscheidung über eine etwaige Entschädigung für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen (s. [X.], Beschluss vom 22. Juni 1994 - 3 [X.], NJW 1994, 2966; [X.], Beschluss vom 3. März 2006 - 3 Ws 61/06, [X.]-RR 2006, 159 f.; [X.], [X.], 4. Aufl., § 2 Rn. 22; [X.], [X.], 7. Aufl., § 2 Rn. 21; [X.], aaO § 8 [X.] Rn. 2).

Becker                                      Pfister                                von Lienen

                     Schäfer                                    [X.]

Meta

3 StR 280/11

29.09.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Duisburg, 5. Mai 2011, Az: 31 KLs 2/11 - 165 Js 50/11, Urteil

§ 203 StPO, § 206a Abs 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.09.2011, Az. 3 StR 280/11 (REWIS RS 2011, 2786)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2786

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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