Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.12.2016, Az. XII ZB 136/16

12. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 1230

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Gegenstand

Betreuungssache: Zulässigkeit der Anhörung des Betroffenen durch ein beauftragtes Mitglied der Beschwerdekammer; Voraussetzungen der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts


Leitsatz

1. Zu den Voraussetzungen, unter denen die Beschwerdekammer im Betreuungsverfahren eines ihrer Mitglieder mit der Anhörung des Betroffenen beauftragen kann (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 15. Juni 2016, XII ZB 581/15, FamRZ 2016, 1446).

2. Zu den Voraussetzungen der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 27. April 2016, XII ZB 7/16, FamRZ 2016, 1070).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des [X.] vom 15. Februar 2016 unter Zurückweisung der Rechtsbeschwerde im Übrigen insoweit aufgehoben, als die Beschwerde der Betroffenen gegen die Anordnung des [X.] zurückgewiesen wurde.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Wert: 5.000 €

Gründe

I.

1

Die Betroffene steht seit Oktober 2014 unter rechtlicher Betreuung. Nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens und Anhörung der Betroffenen hat das Amtsgericht die bestehende Betreuung unter Erweiterung der [X.] verlängert und einen Einwilligungsvorbehalt hinsichtlich der Vermögenssorge angeordnet. Gegen diese Entscheidung hat die Betroffene Beschwerde eingelegt. Im Beschwerdeverfahren hat das [X.] einen Verfahrenspfleger bestellt, eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen zur Erforderlichkeit des [X.] und zur Fähigkeit der Betroffenen zur freien Willensbildung eingeholt und die Betroffene durch die Berichterstatterin der [X.] persönlich angehört. Anschließend hat es die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen.

II.

2

Die Rechtsbeschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Insoweit ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

3

1. Allerdings greift die von der Rechtsbeschwerde erhobene Verfahrensrüge, wonach das Beschwerdegericht die Anhörung der Betroffenen nicht durch die Berichterstatterin der [X.] als beauftragte [X.]in habe vornehmen lassen dürfen, nicht durch.

4

a) Gemäß § 278 Abs. 1 Satz 1, 2 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines [X.] persönlich anzuhören. Es hat sich einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen. Die persönliche Anhörung des Betroffenen ist auch für die Verlängerung der Bestellung eines Betreuers (§ 295 Abs. 1 Satz 1 FamFG) und für die Erweiterung des [X.]s des Betreuers (§ 293 Abs. 1 Satz 1 FamFG) zwingend vorgeschrieben. Da sich gemäß § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG das Beschwerdeverfahren nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug bestimmt, gelten die in § 278 Abs. 1 FamFG enthaltenen Verpflichtungen grundsätzlich auch für das Beschwerdegericht. Allerdings kann das Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der persönlichen Anhörung absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 26. Februar 2014 - [X.] 503/13 - FamRZ 2014, 828 Rn. 5 [X.]).

5

b) Gemessen daran durfte das Beschwerdegericht im vorliegenden Fall - wie es zutreffend erkannt hat - nicht von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG absehen. Mit der Einholung der ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen hat es für seine Entscheidung eine neue Tatsachengrundlage geschaffen, zu der die Betroffene im amtsgerichtlichen Verfahren noch nicht angehört werden konnte. Dies macht eine erneute Anhörung der Betroffenen im Beschwerdeverfahren erforderlich (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2015 - [X.] 227/12 - FamRZ 2016, 300 Rn. 9 [X.]).

6

c) Wie der Senat bereits entschieden hat, muss die Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren jedoch nicht zwangsläufig durch alle Mitglieder der [X.] erfolgen (Senatsbeschlüsse vom 9. November 2011 - [X.] 286/11 - FamRZ 2012, 104 Rn. 28 ff. [X.] und vom 15. Juni 2016 - [X.] 581/15 - FamRZ 2016, 1446 Rn. 16 f.). Dies folgt bereits aus § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG, wonach das Beschwerdegericht im Regelfall von einer Anhörung absehen kann, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurde und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind. Die [X.] hat anderenfalls im Rahmen der ihr obliegenden Amtsermittlung nach § 26 FamFG darüber zu befinden, ob es für ihre Entscheidung wegen der Besonderheiten des Falles darauf ankommt, dass sich die gesamte Kammer einen eigenen Eindruck von dem Betroffenen verschafft oder ob der Kammer durch eine vom beauftragten [X.] durchgeführte Anhörung eine ausreichende Grundlage für die zu treffende Entscheidung vermittelt wird (vgl. Senatsbeschluss vom 9. November 2011 - [X.] 286/11 - FamRZ 2012, 104 Rn. 31). Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Anhörung durch den beauftragten [X.] nur in ihrem objektiven Ertrag und als dessen persönlicher Eindruck verwertet werden darf (Senatsbeschlüsse vom 9. November 2011 - [X.] 286/11 - FamRZ 2012, 104 Rn. 31 [X.] und vom 15. Juni 2016 - [X.] 581/15 - FamRZ 2016, 1446 Rn. 17 [X.]).

7

d) Auf dieser rechtlichen Grundlage begegnet die durch die beauftragte [X.]in erfolgte Anhörung im vorliegenden Beschwerdeverfahren rechtlich keinen Bedenken, weil das Beschwerdegericht der Anhörung der Betroffenen kein besonderes Gewicht beigemessen hat. In der angegriffenen Entscheidung wird zwar ausgeführt, die Feststellungen der Sachverständigen zur Betreuungsbedürftigkeit und zum Betreuungsbedarf der Betroffenen würden auch von dem persönlichen Eindruck, den das Beschwerdegericht bei der Anhörung der Betroffenen gewonnen habe, gestützt.

8

Zur Begründung, weshalb das Beschwerdegericht die Ausführungen der Sachverständigen für überzeugend erachtet, zieht es den von der Berichterstatterin gewonnenen persönlichen Eindruck von der Betroffenen nur ergänzend heran. In erster Linie stützt es sich hingegen auf die Ergebnisse der erstinstanzlichen Anhörung der Betroffenen vom 23. Juni 2015 und auf die Ausführungen der Verfahrenspflegerin in ihrem Schreiben vom 22. Oktober 2015. Unter diesen Umständen wurde durch die von der beauftragten [X.]in durchgeführte Anhörung eine ausreichende Grundlage für die getroffene Entscheidung vermittelt.

9

2. In materiell-rechtlicher Hinsicht ist die angefochtene Entscheidung dagegen nicht frei von Rechtsfehlern.

Die getroffenen Feststellungen rechtfertigen zwar die Verlängerung der Betreuung mit den vom Amtsgericht angeordneten [X.]n, nicht aber die Anordnung eines [X.]. Denn die erheblich in Freiheitsrechte der Betroffenen eingreifende Anordnung des [X.] lässt sich nur rechtfertigen, wenn ihre Voraussetzungen auch in der zur Überprüfung gestellten Entscheidung verlässlich festgestellt sind (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Januar 2011 - [X.] 256/10 - FamRZ 2011, 637 Rn. 19; zur Verlängerung des [X.] Staudinger/[X.] BGB [Stand: 6. Juni 2016] § 1903 Rn. 39).

a) Soweit dies zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten erforderlich ist, ordnet das Betreuungsgericht nach § 1903 Abs. 1 BGB an, dass der Betreute zu einer Willenserklärung, die den Aufgabenkreis des Betreuers betrifft, dessen Einwilligung bedarf (Einwilligungsvorbehalt). Ob dies der Fall ist, hat das Betreuungsgericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht festzustellen. Ein Einwilligungsvorbehalt hinsichtlich der Vermögenssorge kann nur dann angeordnet werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Vermögensgefährdung erheblicher Art vorliegen. Der Grundsatz der Erforderlichkeit bedeutet dabei auch, dass der Einwilligungsvorbehalt je nach den Umständen auf einen einzelnen Vermögengegenstand oder eine bestimmte Art von Geschäften beschränkt werden kann (Senatsbeschlüsse vom 27. April 2016 - [X.] 7/16 - FamRZ 2016, 1070 Rn. 16 und vom 28. September 2016 - [X.] 275/16 - juris Rn. 6 [X.]).

b) Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht.

Die Ausführungen des [X.]s hierzu beschränken sich auf die Feststellung, die Anordnung eines [X.] sei wegen der mangelnden Fähigkeit der Betroffenen, ihr Geld einzuteilen, nötig. Auch in der erstinstanzlichen Entscheidung ist ohne weitere Begründung ausgeführt, die Anordnung des [X.] erfolge zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für das Vermögen der Betroffenen.

Dies kann die Anordnung eines [X.], der einen gravierenden Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen darstellt, nicht rechtfertigen. Hierzu bedarf es vielmehr konkreter Anhaltspunkte für eine Vermögensgefährdung erheblicher Art und Feststellungen dazu, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Anordnung des [X.] erforderlich ist, um eine erhebliche Gefahr für das Vermögen der Betroffenen abzuwenden. Tragfähige Feststellungen, die diesen Anforderungen genügen, hat das Beschwerdegericht nicht getroffen.

3. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat hinsichtlich der Anordnung des [X.] verwehrt, weil die Sache mangels hinreichender Tatsachenfeststellung noch nicht entscheidungsreif ist (vgl. § 74 Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG). Die angegriffene Entscheidung ist daher insoweit aufzuheben und die Sache ist insoweit an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.

Dose      

        

Schilling      

        

Günter

        

Botur      

        

Krüger      

        

Meta

XII ZB 136/16

07.12.2016

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG München II, 15. Februar 2016, Az: 6 T 4553/15

§ 26 FamFG, § 68 Abs 3 FamFG, § 278 Abs 1 FamFG, § 1903 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.12.2016, Az. XII ZB 136/16 (REWIS RS 2016, 1230)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 1230

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