Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 22.01.2014, Az. 1 BvR 891/13

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2014, 8514

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Verfassungsrechtliche Zweifel an der Nacherhebung nicht entrichteter Abzugssteuern, wenn der Vergütungsschuldner vom Vergütungsgläubiger nicht mehr die Erstattung oder Abtretung des Erstattungsanspruchs verlangen kann (§§ 50a, 50d EStG 2002) - Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Substantiierung


Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin leistete Miet- und Lizenzzahlungen an eine mit ihr in einem Konzernverbund stehende, in [X.] nur beschränkt steuerpflichtige Gesellschaft mit Sitz in den [X.]. In den [X.] fand eine Ertragsbesteuerung dieser Gesellschaft statt. Nach § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 in Verbindung mit Abs. 5 Satz 2 [X.] 2002 war die Beschwer-deführerin verpflichtet, die für diese Einnahmen anfallenden Körperschaftsteuern für Rechnung der [X.] an das zuständige Finanzamt durch Abzug dieser Beträge von ihren Miet- und Lizenzzahlungen abzuführen. Das hat die Beschwerdeführerin aus Unwissenheit versäumt und wurde deshalb im Nachhinein mit den im Ausgangsverfahren in Streit stehenden [X.] in Anspruch genommen.

2

Da die Gesellschaft aufgrund des zwischen den [X.] und [X.] bestehenden ertragsteuerlichen Doppelbesteuerungsabkommens nicht verpflichtet war, Körperschaftsteuer an den [X.] Fiskus zu zahlen, hätte sie nach § 50d Abs. 1 [X.] 2002 den vom Vergütungsschuldner, der Beschwerdeführerin, von ihren Vergütungsansprüchen abgezogenen Steuerbetrag vom [X.] Fiskus erstattet verlangen, oder nach § 50d Abs. 2 [X.] 2002 eine Freistellung von der Steuerpflicht beantragen können, so dass der Vergütungsschuldner schon gar nicht zum Abzug verpflichtet gewesen wäre. Dies war hier versäumt worden und konnte auch nicht mehr nachgeholt werden, da die [X.] zwischenzeitlich liquidiert worden war. Gleichwohl forderte das Finanzamt von der Beschwerdeführerin mit den angegriffenen Bescheiden die nicht von ihren Vergütungsverpflichtungen in Abzug gebrachte Körperschaftsteuer.

3

Die dagegen vor dem Finanzgericht erhobene Klage war erfolgreich (Urteil des [X.] vom 3. November 2011 - 6 K 1503/07 - EFG 2013, [X.]); die Revision führte zur Änderung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Abweisung der Klage (Urteil vom 19. Dezember 2012 - [X.]/11 - [X.], S. 698).

II.

4

Die [X.]beschwerde ist unzulässig, weil sie nicht den sich aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] ergebenden Begründungsanforderungen genügt.

5

1. a) Die Begründung der [X.]beschwerde soll dem [X.] eine zuverlässige Grundlage für die weitere Behandlung des Verfahrens verschaffen (vgl. [X.] 15, 288 <292>). Hierfür müssen innerhalb der Beschwerdefrist das angeblich verletzte Recht bezeichnet und der seine Verletzung enthaltende Vorgang substantiiert dargelegt werden (vgl. [X.] 81, 208 <214>; 99, 84 <87>; stRspr). Soweit zur Beurteilung der behaupteten Grundrechtsverletzung erforderlich, ist auch eine eingehende Auseinandersetzung mit den Gründen der angegriffenen Entscheidung geboten (vgl. [X.] 101, 331 <345>). Hat das [X.] für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt, muss anhand dieser Maßstäbe aufgezeigt werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme Grundrechte verletzt werden (vgl. [X.] 99, 84 <87>; 101, 331 <346>; 102, 147 <164>).

6

b) Diesen Anforderungen genügt die [X.]beschwerde nicht.

7

aa) Die geltend gemachten Verletzungen von Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 14 GG werden nicht in hinreichend substantiierter Weise gerügt. Das gilt besonders für die Rüge der Verletzung des Eigentums, aber auch für die Rüge der Verletzung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes. In der [X.]beschwerde wird insbesondere nicht auf das für das angegriffene Urteil und dessen verfassungsrechtliche Würdigung wesentliche Argument der verfahrensrechtlichen Eigenständigkeit der Festsetzungs-, Nacherhebungs- und Haftungsverfahren (§ 155 [X.], § 167 [X.], § 191 [X.]) gegenüber den Billigkeitsverfahren (§ 163 [X.], § 227 [X.]) eingegangen. Mangels Verknüpfung der Besteuerungssituation des [X.] sei - so der [X.] im angegriffenen Urteil - das Finanzamt an dem Erlass eines Nacherhebungsbescheids gegenüber dem Vergütungsschuldner nicht wegen einer "untypischen Fallgestaltung" (Ausfall des vom Gesetzgeber vorgesehenen Systems des Abzugs-, Erstattungs- und Freistellungsverfahrens infolge Liquidation der [X.]in) gehindert gewesen, jedenfalls aber sei die Frage nach einer solchen Verknüpfung im Wege einer Billigkeitsentscheidung zugunsten der Beschwerdeführerin nicht Gegenstand des vorliegenden Ausgangsverfahrens gewesen.

8

bb) Mit diesem Argument setzt sich die [X.]beschwerde nicht auseinander, hätte dies aber tun müssen. Denn über die Frage, ob im Einzelfall wegen einer besonderen Härte eine Billigkeitsmaßnahme in Betracht kommt, ist nach ständiger fachgerichtlicher Rechtsprechung nicht im Festsetzungsverfahren und einem darauf bezogenen Klageverfahren, sondern in einem gesonderten Billigkeitsverfahren zu entscheiden (vgl. zu der sogenannten Zweigleisigkeit der Verfahren § 163 Satz 3 [X.], die Urteile des [X.]s vom 19. Juni 2013 - [X.]/12 -, [X.], S. 1491, vom 23. April 2009 - [X.]/06 -, [X.], 15, vom 4. Juli 2007 - [X.]/06 -, [X.], 308, und vom 6. März 2003 - [X.]/01 -, [X.], S. 1160, sowie die Beschlüsse des [X.]s vom 27. Juli 2011 - [X.]/10 -, [X.], S. 2005, vom 9. Juni 2010 - [X.]/10 -, [X.], S. 1783, vom 20. Februar 2008 - [X.]/07 -, [X.], [X.], vom 20. Juli 2007 - [X.]/06 -, [X.], S. 2069, und vom 1. Oktober 2003 - [X.]/02 - [X.], S. 44; vgl. auch [X.] 48, 102 <110 f., 115 f.>; 93, 165 <171>; 99, 216 <245 f.>; 99, 246 <272 f.>; 99, 273 <278 f.>). Der Zweck der §§ 163, 227 [X.] liegt darin, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalles, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrages insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen (vgl. [X.], Urteil vom 17. April 2013 - [X.] -, juris, m.w.N.).

9

2. Da sich die [X.]beschwerde aus den genannten Gründen als nicht annahmefähig erweist, steht nicht zur Entscheidung, ob und unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen eine Finanzbehörde von [X.] wegen daran gehindert sein kann, ursprünglich vom Vergütungsschuldner trotz gesetzlicher Verpflichtung nicht entrichtete [X.] (vgl. § 50a [X.] 2002) zu einem Zeitpunkt nachzuerheben, in dem bereits feststeht, dass der zum Steuerabzug verpflichtete und vom Finanzamt nachträglich in Anspruch genommene Vergütungsschuldner vom [X.] nicht mehr die Erstattung oder die Abtretung des Erstattungsanspruchs gegen die Bundesrepublik [X.] erlangen kann (vgl. § 50d [X.] 2002). Zweifel an der Nacherhebung der Steuern nach § 167 Abs. 1 Satz 1 [X.] beim Vergütungsschuldner oder seiner Inhaftungnahme nach § 50a Abs. 5 Satz 5 [X.] 2002, § 191 [X.] können sich in diesen Fällen vor allem daraus ergeben, dass es nicht nur - wie hier nach dem ertragsteuerlichen Doppelbesteuerungsabkommen - an einem Besteuerungsrecht der Bundesrepublik [X.] gegenüber dem [X.] fehlt; es fehlt bei Vorliegen der beschriebenen Voraussetzungen, dass nämlich die Steuererhebung trotz fehlender Steuerpflicht der [X.]in unstreitig und definitiv nicht mehr korrigiert werden kann (hier wegen Liquidation und Löschung der ehemals in den [X.] gegründeten und ansässigen [X.]in), auch an der für die Steuernacherhebung gemäß § 167 [X.] oder für die Haftung gemäß § 191 [X.] erforderlichen materiellen Belastungsrechtfertigung gegenüber der Vergü-tungsschuldnerin.

Es ist allerdings eine in erster Linie durch die Fachgerichte zu klärende Frage, ob dem durch eine einschränkende Auslegung der §§ 50a, 50d [X.] oder der §§ 167, 191 [X.] Rechnung getragen werden kann, oder ob ein Gleichheitsverstoß erst im Billigkeitsverfahren durch eine Billigkeitsmaßnahme gemäß § 163 [X.] oder § 227 [X.] vermieden werden kann.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 891/13

22.01.2014

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BFH, 19. Dezember 2012, Az: I R 81/11, Urteil

Art 3 Abs 1 GG, Art 14 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 163 S 3 AO 1977, § 167 Abs 1 S 1 AO 1977, § 191 AO 1977, § 227 AO 1977, § 50a EStG 2002, § 50d EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 22.01.2014, Az. 1 BvR 891/13 (REWIS RS 2014, 8514)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 8514


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 BvR 891/13

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 891/13, 22.01.2014.


Az. I R 81/11

Bundesfinanzhof, I R 81/11, 19.12.2012.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
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Zitiert

I R 81/11

II R 10/12

I R 44/10

X B 41/10

X R 6/11

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