Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.12.2014, Az. IV ZR 408/14

4. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 805

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Gegenstand

Nachlassverfahren: Gehörsverletzung bei Urteilsverkündung des Berufungsgerichts ohne Einräumung der Möglichkeit zur ergänzenden Stellungnahme


Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Revision gegen das Urteil des 10. Zivilsenats des [X.] vom 23. Januar 2014 zugelassen.

Das vorbezeichnete Urteil wird, soweit es sich gegen die Beklagten zu 1 bis 4 richtet, gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 343.554 €

Gründe

1

I. Die Klägerin nimmt die [X.] auf Pflichtteilsergänzung in Anspruch. Sie ist die zweite Ehefrau des am 11. Juni 1997 verstorbenen Erblassers. Aus dessen erster Ehe waren zwei Kinder hervorgegangen, der [X.]     (ehemaliger Beklagter zu 1) und die Tochter [X.](ehemalige Beklagte zu 6). Der ehemalige Beklagte zu 1 errichtete am 19. Juni 1982 ein handschriftliches Testament, in dem er seine Schwester zur Alleinerbin einsetzte. 1988 heiratete er die nunmehrige Beklagte zu 1. Die [X.] zu 2 bis 5 sind seine aus dieser Ehe hervorgegangenen Kinder. Durch Erbverträge vom 7. Oktober 1991 und 23. Mai 1997 setzten sich der Erblasser und die Klägerin wechselseitig zu Erben ein. Mit Hof- und Hausgrundstücksübereignungsvertrag vom 15. April 1995 übereignete der Erblasser seinem [X.]     den in der [X.] eingetragenen "W.    Hof" mit der Hofstelle [X.] straße 15 und dem Einfamilienhaus [X.] straße 11 sowie das weitere Grundstück S 12.

2

Die Klägerin verlangte von den beiden Kindern des Erblassers Pflichtteilsergänzung und machte ihre Ansprüche mit Klage vom 9. Juni 2000 geltend. Noch während des Rechtsstreits erster Instanz verstarb der [X.]     des Erblassers am 4. Oktober 2003. Das Nachlassgericht erteilte am 13. November 2003 einen Erbschein, der die nunmehrige Beklagte zu 1 als dessen Erbin zu 1/2 sowie die [X.] zu 2 bis 5 als Erbinnen zu je 1/8 ausweist.

3

Das Landgericht wies die Klage mit Urteil vom 31. Mai 2007 gegen die vormalige Beklagte zu 6 ab und gab ihr gegen die [X.] zu 1 bis 5 teilweise statt. Hiergegen legten sowohl die Klägerin (nur bezüglich der [X.] zu 1 bis 5) als auch die [X.] zu 1 bis 5 Berufung ein. Mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2013 überreichten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin das Testament des [X.] M.     vom 19. Juni 1982, welches seine Schwester, die vormalige Beklagte zu 6, mit Schreiben vom 10. Dezember 2013 dem Nachlassgericht übersandt hatte. Das Testament wurde am 30. Dezember 2013 eröffnet.

4

Am 23. Januar 2014 fand die mündliche Verhandlung vor dem [X.] statt. In dieser wurde auch die Frage der Passivlegitimation der [X.] infolge des [X.] erörtert (vgl. [X.] vom 23. Januar 2014, [X.]. 1272-1274 Gerichtsakte). Ebenfalls am 23. Januar 2014 und zeitlich noch vor der Verhandlung vor dem Berufungsgericht erklärten die [X.] zu 1 und 3 sowie die Beklagte zu 1 für die [X.] zu 4 und 5 die Anfechtung des [X.] auf der Geschäftsstelle des Nachlassgerichts (Vermerke vom 23. Januar/12. Februar 2014, [X.]. 1355f. Gerichtsakte). Das [X.] hat mit Urteil vom 23. Januar 2014 unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin auf die Berufung der [X.] zu 1 bis 5 das Urteil des [X.] teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Gegen die Abweisung der Klage im Verhältnis zu den [X.] zu 1 bis 4 richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

5

Am 21. März 2014 beschloss das Nachlassgericht, dass der Erbschein nicht eingezogen wird, weil das Testament vom 19. Juni 1982 gem. §§ 2079, 2080, 2081 BGB wirksam angefochten worden sei.

6

II. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde ist die Revision zuzulassen, das angefochtene Urteil, soweit es gegen die [X.] zu 1 bis 4 ergangen ist, aufzuheben und der Rechtsstreit gemäß § 544 Abs. 7 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zulassung der Revision folgt aus einem entscheidungserheblichen Verstoß des [X.] gegen den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG, soweit es angenommen hat, dass der bisherige Beklagte zu 1 durch das Testament vom 19. Juni 1982 durch seine Schwester beerbt wurde und die [X.] zu 1 bis 5 daher von der Erbfolge ausgeschlossen seien.

7

1. Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Verfahrensbeteiligten, dass sie Gelegenheit erhalten, sich vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zum zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern. Dieses Recht ist verletzt, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (Senatsbeschluss vom 22. April 2009 - [X.], [X.], 920 Rn. 11). Das Gericht hat nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO darauf hinzuwirken, dass sich die [X.]en rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären und insbesondere auch Angaben zu geltend gemachten Tatsachen ergänzen. Ein solcher Hinweis erfüllt seinen Zweck nur dann, wenn der [X.] anschließend die Möglichkeit eröffnet wird, ihren Sachvortrag unter Berücksichtigung des Hinweises zu ergänzen. Erteilt ein Gericht einen Hinweis entgegen § 139 Abs. 4 ZPO erst in der mündlichen Verhandlung, muss es der betroffenen [X.] genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben. Das Berufungsgericht darf das Urteil in dem Termin erlassen, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird, wenn die [X.] in der mündlichen Verhandlung ohne weiteres in der Lage ist, umfassend und abschließend Stellung zu nehmen. Ist das nicht der Fall, soll das Berufungsgericht auf Antrag der [X.] [X.] gewähren, § 139 Abs. 5 ZPO. Wenn es offensichtlich ist, dass sich die [X.] in der mündlichen Verhandlung nicht abschließend erklären kann, muss das Berufungsgericht - wenn es nicht in das schriftliche Verfahren übergeht - auch ohne einen Antrag auf [X.] die mündliche Verhandlung vertagen, um Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. [X.] das Berufungsgericht in diesem Fall ein Urteil, ohne die Sache vertagt zu haben, verstößt es gegen den Anspruch der [X.]en auf rechtliches Gehör ([X.], Beschlüsse vom 4. Juli 2013 - [X.], NJW-RR 2013, 1358 Rn. 7; vom 10. März 2011 - [X.], NJW-RR 2011, 877 Rn. 11).

8

2. Diesen Grundsätzen wird die Entscheidung des [X.] nicht gerecht. Zwischen den [X.]en war über einen [X.]raum von nahezu 10 Jahren unstreitig, dass die [X.] zu 1 bis 5 infolge gesetzlicher Erbfolge Erben des früheren [X.] zu 1 geworden sind. Dies ergibt sich auch aus dem Erbschein vom 13. November 2003. [X.] gemäß § 2365 BGB gilt im Zivilprozess mit einem [X.] entsprechend § 292 ZPO (vgl. [X.]/[X.], 6. Aufl. § 2365 Rn. 21). Die Klägerin musste als gewissenhafte und kundige Prozessbeteiligte bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 23. Januar 2014 nicht ernsthaft davon ausgehen, dass die [X.] zu 1 bis 5 nicht Erben des früheren [X.] zu 1 sind. Zwar hat die Klägerin selbst mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2013 das Testament vom 19. Juni 1982 zur Akte gereicht. Hieraus hat sie aber keine rechtlichen Konsequenzen gezogen, sondern nur darauf hingewiesen, dass die Schwester des vormaligen [X.] zu 1 dieses Testament aufgefunden und mit Schreiben vom 10. Dezember 2013 an das Nachlassgericht weitergereicht hat. Die Klägerin hat selbst ausdrücklich darauf hingewiesen, sie könne nicht beurteilen, ob das jetzt aufgefundene Testament eine Unrichtigkeit des Erbscheins vom 13. November 2003 begründe. In der [X.] bis zur mündlichen Verhandlung vom 23. Januar 2014 haben auch die [X.] zu keinem [X.]punkt geltend gemacht, sie seien nicht Erben des vormaligen [X.] zu 1. Die Klägerin konnte von der Rechtsnachfolge auf Seiten des vormaligen [X.] zu 1 nichts wissen. So kam es in Betracht, dass das Testament vom 19. Juni 1982 keine Wirkung mehr entfaltete, weil der ehemalige Beklagte zu 1 entweder anderweitig testiert hat oder die [X.] zu 1 bis 5 das Testament angefochten haben. Ein Anfechtungsrecht stand ihnen gemäß §§ 2079, 2081 BGB zu. Nach § 2079 BGB kann eine letztwillige Verfügung angefochten werden, wenn der Erblasser einen zur [X.] des [X.] vorhandenen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, dessen Vorhandensein ihm bei der Errichtung der Verfügung nicht bekannt war oder der erst nach der Errichtung geboren oder pflichtteilsberechtigt geworden ist. So liegt es hier, da der vormalige Beklagte zu 1 seine jetzige Ehefrau erst 1988 geheiratet hat und die vier Kinder danach geboren wurden. So hat der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausdrücklich erklärt, das Recht der [X.], das Testament anzufechten, liege auf der Hand.

9

Eine sachgerechte Reaktion der Klägerin auf die Frage, welche Auswirkungen das Testament aus 1982 hat, war in der mündlichen Verhandlung daher nicht möglich. Das Berufungsgericht durfte nicht unmittelbar am Ende der mündlichen Verhandlung ein Urteil verkünden, nachdem die Rechtsnachfolge über einen langen [X.]raum unstreitig geblieben war. Vielmehr wäre es erforderlich gewesen, auch ohne Schriftsatzantrag der Klägerin entweder in das schriftliche Verfahren überzugehen oder die Sache zu vertagen, um den [X.]en Gelegenheit zu ergänzender Stellungnahme, gegebenenfalls nach gerichtlichem Hinweis, zu geben. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich das Berufungsgericht in der mündlichen Verhandlung darum bemüht hätte, die Frage der Rechtsnachfolge aufzuklären. Ausweislich des Protokolls sind die [X.] zu 1 und 3 persönlich im Termin anwesend gewesen. Das Berufungsgericht hat sie indessen nicht befragt, ob ein Widerrufstestament existiert oder sie das Testament angefochten haben. Hätte es dieses getan, so hätte es erfahren, dass diese beiden [X.] vor dem Termin beim Berufungsgericht am selben Tag beim Nachlassgericht waren und dort die Anfechtung des [X.] erklärt hatten.

Durch die Vorgehensweise des [X.] lief die Klägerin Gefahr, dass ihre auf Pflichtteilsergänzung gerichtete Klage wegen vermeintlich nicht gegebener Erbenstellung der [X.] zu 1 bis 5 abgewiesen würde, obwohl sich nachträglich herausstellt, dass das Testament aus 1982 wegen erfolgreicher Anfechtung keine Wirkung entfaltet. Dies hat auch das Nachlassgericht mit seinem Beschluss vom 21. März 2014 angenommen und wegen der wirksam erklärten Anfechtung davon abgesehen, den zugunsten der [X.] zu 1 bis 5 erteilten Erbschein einzuziehen. Diese Gefahr hätte das Berufungsgericht vermeiden können und müssen, wenn es ordnungsgemäß auf eine weitere Aufklärung des Sachverhalts hingewirkt und auf den Erlass einer Entscheidung im Termin zur mündlichen Verhandlung verzichtet hätte.

3. Der Verstoß gegen den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör ist auch entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob ein Pflichtteilsergänzungsanspruch der Klägerin gegen den vormaligen [X.] zu 1 bestanden hat. Dies ist daher revisionsrechtlich zugunsten der Klägerin zu unterstellen. Ebenfalls kommt es aufgrund der erklärten Anfechtung des [X.] in Betracht, dass weiterhin die [X.] zu 1 bis 5 Erbinnen des vormaligen [X.] zu 1 geworden sind. Auf die von der Klägerin weiter aufgeworfene Frage der prozessualen Stellung eines zunächst verklagten [X.] kommt es demgegenüber nicht an.

[X.]                        [X.]                                    Dr. Karczewski

              [X.] Brockmöller

Meta

IV ZR 408/14

02.12.2014

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Hamm, 23. Januar 2014, Az: 10 U 61/07, Urteil

Art 103 Abs 1 GG, § 139 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.12.2014, Az. IV ZR 408/14 (REWIS RS 2014, 805)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 805


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. IV ZR 408/14

Bundesgerichtshof, IV ZR 408/14, 02.12.2014.


Az. 10 U 61/07

Oberlandesgericht Hamm, 10 U 61/07, 27.10.2016.


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