Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.06.2018, Az. AK 24/18, AK 25/18

3. Strafsenat | REWIS RS 2018, 6961

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Gegenstand

Aufhebung eines Haftbefehls wegen Verletzung einer Unterrichtungspflicht nach dem JGG


Tenor

Die Untersuchungshaft hat [X.].

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den [X.] findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

I.

1

Die Beschuldigten befinden sich in dieser Sache auf Grund der Haftbefehle des Ermittlungsrichters des [X.] vom 15. September 2017 seit dem 5. Dezember 2017 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Für diese am 18. September 2017 verkündeten Haftbefehle war zuvor Überhaft notiert.

2

Gegenstand des gegen den Beschuldigten [X.] ergangenen Haftbefehls ist der Vorwurf, er habe sich seit Juni 2014 im [X.] und in [X.] als Mitglied an der außereuropäischen terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" ([X.]) beteiligt und als solches im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt gemeinschaftlich handelnd drei nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen getötet, und zwar im Juni 2014 in [X.] zwei Nachbarinnen schiitischen Glaubens sowie am 23. Oktober 2014 in der Nähe von [X.] den [X.] Offizier     U.   , strafbar als drei Fälle des [X.] gegen Personen jeweils in Tateinheit mit Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland sowie als weiterer Fall der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 [X.], § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1, 2, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB.

3

Gegenstand des gegen den Beschuldigten [X.]ergangenen Haftbefehls ist der Vorwurf, er habe sich als Jugendlicher ab dem 10. Juni 2014 im Raum [X.] mehrfach als Mitglied am [X.] beteiligt und dabei unter anderem im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person - den vorbenannten [X.] Offizier unmittelbar vor dessen Tötung - in schwerwiegender Weise entwürdigend und erniedrigend behandelt, strafbar als Kriegsverbrechen gegen Personen in Tateinheit mit Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland sowie als weiterer Fall der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 9 [X.], § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1, 2, §§ 52, 53 StGB, § 1 [X.].

4

Bis die gegenständlichen Haftbefehle vollstreckt worden sind, waren ab dem 24. Mai 2017 zwei Haftbefehle des [X.] vom 23. Mai 2017 ([X.]) bzw. 24. Mai 2017 ([X.]) vollzogen worden, die auf den Vorwurf von Verbrechen nach dem [X.] gestützt waren. Diese Haftbefehle hat das [X.] mit Beschluss vom 5. Dezember 2017 wegen Verletzung des Beschleunigungsgebots aufgehoben.

5

Mit Beschlüssen vom 22. Februar 2018 ([X.] u. StB 29/17 bezüglich [X.] sowie [X.] bezüglich [X.]) hat der [X.] die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus angeordnet; mit dem den Beschuldigten [X.]betreffenden Beschluss hat der [X.] auf dessen Beschwerde zugleich entschieden, dass dieser Beschuldigte ausschließlich der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Kriegsverbrechen gegen Personen - der mittäterschaftlichen Tötung des [X.] Offiziers - dringend verdächtig ist. Hinsichtlich der Tötung der beiden schiitischen Nachbarinnen hat der [X.] den nach § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO erforderlichen Verdachtsgrad dagegen verneint. Im Rahmen der Haftprüfung ist er davon ausgegangen, dass der für die Bestimmung des Fristbeginns nach § 121 Abs. 1 StPO maßgebende Tag für den Beschuldigten [X.]auf den 24. Mai 2017, für den Beschuldigten [X.]auf den 14. Juni 2017 fällt, weil zu diesen [X.]punkten für den Erlass der gegenständlichen Haftbefehle ausreichende Erkenntnisse zu den jeweiligen Tatvorwürfen vorlagen.

[X.]

6

Die Voraussetzungen der Untersuchungshaft auch über - seit den letzten [X.] vergangene - drei weitere Monate hinaus liegen für beide Beschuldigte vor.

7

1. Hinsichtlich der Einzelheiten der für die Entscheidung maßgeblichen Tatvorwürfe, der den jeweiligen dringenden Tatverdacht begründenden Umstände, der Haftgründe der Fluchtgefahr und der [X.] sowie der Versagung einer Haftverschonung nimmt der [X.] Bezug auf die Gründe seiner Haftfortdauerentscheidungen vom 22. Februar 2018, die fortgelten. Insoweit ist ergänzend auszuführen:

8

a) Es beseitigt den dringenden Tatverdacht nicht, dass das [X.] die zwei Beschuldigten in dem Verfahren, in dem das [X.] gegen sie Haftbefehl wegen des dringenden Tatverdachts von Verbrechen nach dem [X.] erlassen hatte, mittlerweile freigesprochen hat. Zwar stützte sich der Tatverdacht im dortigen Verfahren ebenfalls auf Bekundungen der Zeugen [X.]l.  , [X.].  ,    [X.]und [X.], deren Angaben auch im hiesigen Verfahren eine erhebliche Bedeutung zukommt. Die Tatvorwürfe in beiden Verfahren weisen jedoch keine Verflechtungen miteinander auf.

9

Soweit die Verteidigung mitteilt, der Vorsitzende des [X.] habe in Übereinstimmung mit den Sitzungsvertretern der Generalstaatsanwaltschaft Berlin zur Begründung des Freispruchs ausgeführt, dass die Angaben (auch) der vier benannten Zeugen "sich bei Nachfragen zum größten Teil als Spekulationen und Mutmaßungen sowie Erkenntnisse vom [X.]" herausgestellt hätten, vermag dies eine abweichende Bewertung schon deshalb nicht zu rechtfertigen, weil im hiesigen Verfahren gerade Erkenntnisse dieser Zeugen vom [X.] bedeutsam sind. Das gilt sowohl für die dem Beschuldigten [X.]angelastete Mittäterschaft an der Tötung des [X.] Offiziers   U.   als auch für das mutmaßliche Nichtvorhandensein einer vom Beschuldigten [X.] behaupteten Zwangslage während des ihm vorgeworfenen schwerwiegenden Beschimpfens und [X.] unmittelbar zuvor, desgleichen für die Mitgliedschaft beider Beschuldigter im [X.]. Nach den [X.]en haben die Zeugen vor allem über ihnen gegenüber getätigte Erklärungen der Beschuldigten berichtet (s. hierzu [X.] unter [X.]) [X.]) (2) sowie [X.] unter [X.] 1. a) [X.]) (3)), was den dringenden Verdacht belegt, nicht über eigene Wahrnehmungen zu den diesen zur Last liegenden Kriegsverbrechen oder zu von solchen Erklärungen unabhängigen mitgliedschaftlichen Betätigungsakten.

Darüber hinaus haben zwischenzeitlich weitere Zeugen die Tatvorwürfe bekräftigende Angaben gemacht. Hierbei handelt es sich um die Zeugen [X.]k.   , [X.]h.   und [X.]sowie den gesperrten Zeugen "S.    " bei dessen zweiter Einvernahme am 7. März 2018.

Soweit die Verteidigung die Aussage des Zeugen [X.]k.   als evident unglaubhaft behandelt, weil er angegeben habe, er sei bei der Hinrichtung des [X.] Offiziers anwesend gewesen, obwohl er zugleich bekundet habe, schon Monate zuvor aus [X.] geflohen zu sein, vermag der [X.] ihr darin nicht zu folgen. Ausweislich des Vernehmungsprotokolls betrifft die Videosequenz über die Tötung in [X.], bei der der Zeuge eigenen Angaben zufolge zugegen war, diejenige eines anderen Menschen, nicht das mutmaßliche Kriegsverbrechen an dem Offizier. Die eigene Anwesenheit am Ort dessen Hinrichtung hat der Zeuge [X.]k.   nicht behauptet. Der [X.] teilt daher nicht die Ansicht der Verteidigung, an der [X.] dieses Zeugen ließe sich beispielhaft ein unsachgemäßes Vorgehen der Ermittlungsbehörden erläutern.

Soweit die Zeugen [X.]h.    und [X.]  , die Cousine des Beschuldigten [X.]und ihr Ehemann, zu dem Filmmitschnitt über    U.   s Hinrichtung sowie zu Erklärungen dieses Beschuldigten ihnen gegenüber Angaben gemacht haben, weist die Verteidigung zutreffend darauf hin, dass auf der Grundlage der Vernehmungsprotokolle die Bekundungen in bedeutsamen Punkten nicht miteinander in Einklang stehen. Dies nimmt den Angaben jedoch nicht jegliche Aussagekraft. Vielmehr sind sie mit einem entsprechend erheblich geminderten Beweiswert in die Würdigung der in den [X.] verschrifteten Beweismittel einzubeziehen.

b) Der gegen den Beschuldigten [X.]ergangene Haftbefehl ist nicht wegen Verletzung der - auf Heranwachsende entsprechend anwendbaren (§ 109 Abs. 1 Satz 1 [X.]) - Unterrichtungspflicht des § 72a Satz 1 [X.] aufzuheben.

Die Jugendgerichtshilfe ist im hiesigen Verfahren - soweit ersichtlich - nicht unverzüglich mit dem Beginn der Vollstreckung dieses Haftbefehls am 5. Dezember 2017 benachrichtigt worden. Nach ihren Angaben hat sie am 7. Mai 2018 Kenntnis davon erlangt, dass der Haftbefehl mit Beschluss vom 22. Februar 2018 "aufrecht erhalten" worden und eine erneute Haftprüfung nach weiteren drei Monaten vorgesehen ist. Unter Beachtung ihrer Verpflichtung zu beschleunigter Vorlage eines Berichts als Haftentscheidungshilfe nach § 38 Abs. 2 Satz 3, § 107 [X.] hat die Jugendgerichtshilfe mit an den [X.] gerichtetem Schreiben vom 14. Mai 2018 Stellung genommen. Seit welchem [X.]punkt ihr der Haftbefehl bekannt war, hat sie allerdings nicht mitgeteilt.

Unter den gegebenen Umständen ist auszuschließen, dass sich eine Verletzung der Unterrichtungspflicht auf die vorliegende Entscheidung auswirken würde. Wie dargelegt, liegt mittlerweile eine Stellungnahme der Jugendgerichtshilfe vor. In dem benannten Verfahren vor dem [X.] hatte sie bereits unter dem 11. Dezember 2017 berichtet. Aus ihren schriftlichen Äußerungen ist nichts ersichtlich, was es rechtfertigen könnte, hinsichtlich des Beschuldigten [X.]die allgemeinen Haftvoraussetzungen zu verneinen; auch eine Haftverschonung analog § 116 StPO, gegen die aus Sicht der Jugendgerichtshilfe "nichts spräche", ist weiterhin nicht erfolgversprechend.

2. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über drei weitere Monate hinaus (§ 121 Abs. 1, § 122 Abs. 4 Satz 2 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang des Verfahrens haben ein Urteil bislang noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft. Das Verfahren ist auch nach den Haftfortdauerentscheidungen des [X.]s vom 22. Februar 2018 hinreichend gefördert worden.

Die Ermittlungen sind insbesondere geprägt durch eine aufwendige Auswertung von [X.] aus der Telekommunikationsüberwachung und von auf digitalen Datenträgern gespeicherten Informationen. Die Erkenntnisse sind zum Großteil in [X.] angefallen, so dass sie vor der Auswertung übersetzt werden müssen. Bei [X.] vom 16. Mai bis zum 25. November 2017 fielen allein 5.977 [X.] für das hiesige Verfahren an. Zudem wurden bei Durchsuchungsmaßnahmen Ende Mai und Mitte September 2017 im Ganzen 21 Mobiltelefone, sieben SIM-Karten, drei Laptops, zwei Spielekonsolen sowie ein Festnetztelefon nebst WLAN-Router mit einem Gesamtdatenvolumen von 720 Gigabyte sichergestellt. Die auf diesen Datenträgern gespeicherten Informationen sind zwar ganz überwiegend bereits vor der ersten Haftprüfungsentscheidung des [X.]s ausgewertet worden. Anschließend sind indes auf Grund einer Durchsuchung bei der Zeugin [X.]h.    am 27. Februar 2018 nochmals zehn Mobiltelefone, ein Laptop, zwei Digitalkameras und eine Videokamera sichergestellt worden; nach Angaben der Zeugin standen (auch) diese Speichermedien vormals im Besitz des Beschuldigten [X.].

Dass die Auswertung derartiger umfangreicher Datenbestände, insbesondere wenn gesprochene und geschriebene Äußerungen in einer fremden Sprache getätigt werden, erhebliche [X.] in Anspruch nimmt, versteht sich von selbst. Der [X.] hat auch keine Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Mitteilung des [X.]s, zur [X.] stünden für die [X.] "nur eingeschränkt geeignete Übersetzer zur Verfügung". Selbst wenn, wie die Verteidigung geltend macht, bei der Zeugin [X.]h.   bereits früher hätte durchsucht werden können, hätte dies nicht die von den Ermittlungsbehörden erzielbaren Auswertungskapazitäten erhöht.

Wegen weiterer Einzelheiten, vor allem auch zu anderen - zwischenzeitlich durchgeführten - sachdienlichen Ermittlungshandlungen, wird auf den Vorlagebericht des [X.]s vom 17. Mai 2018 Bezug genommen.

In Anbetracht dessen ist das Ermittlungsverfahren bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden. Der [X.] hat angekündigt, "Mitte 2018" Anklage zum [X.] zu erheben. Angesichts des bereits weit fortgeschrittenen [X.] wird er sich um eine zügige Umsetzung dieser Ankündigung zu bemühen haben.

3. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nach wie vor nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Gericke               [X.]

Meta

AK 24/18, AK 25/18

28.06.2018

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: AK

§ 72a S 1 JGG, § 109 Abs 1 S 1 JGG, § 120 Abs 1 S 1 StPO, § 121 Abs 1 StPO, § 122 Abs 4 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.06.2018, Az. AK 24/18, AK 25/18 (REWIS RS 2018, 6961)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 6961

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