Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.06.2016, Az. AnwZ (Brfg) 38/15

Senat für Anwaltssachen | REWIS RS 2016, 9682

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:200616UANWZ.[X.]RFG.38.15.0

[X.]UN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
AnwZ ([X.]) 38/15

Verkündet am:

20. Juni 2016

[X.]oppel

Justizamtsinspektor

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle

in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache

wegen Widerrufs der Zulassung
-

2

-

Der [X.], [X.],
hat
auf die mündliche [X.] vom 20. Juni 2016
durch [X.] [X.], die Richterinnen Roggenbuck und [X.] sowie die Rechtsanwälte
Dr.
[X.] und Dr. Wolf

für Recht erkannt:

Auf die
[X.]erufung der [X.]eklagten wird
das Urteil des 2. Senats des Hessischen
[X.]s vom 2. Februar 2015
aufgeho-ben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

Tatbestand:

Die Klägerin ist im [X.]ezirk der [X.]eklagten zur Rechtsanwaltschaft zugelas-sen.
Sie bildete zusammen mit ihrem Ehemann die Sozietät "H.

und Partner Anwaltssozietät GbR"
(fortan auch: Sozietät). Am 5.
Juli 2012
wurde auf Antrag des Finanzamtes
über das Vermögen der Sozietät die vorläufige [X.] angeordnet. Am 1.
August 2012 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet (AG K.

IN

). Am 25.
Januar 2013 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin eröffnet (AG [X.]

IN

). Diesem [X.] lag ein Eigenantrag der Klägerin zugrunde.

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Mit [X.]escheid vom 8.
März 2013 widerrief die [X.]eklagte die Zulassung der Klägerin wegen [X.].

Gegen diesen [X.]escheid hat die Klägerin rechtzeitig Anfechtungsklage erhoben. Sie hat
darauf verwiesen, bereits seit 2012 im Angestelltenverhältnis tätig zu sein und keinen Zugriff auf die Konten ihrer Arbeitgeber zu
haben, und hat beantragt,

den [X.]escheid der [X.]eklagten vom 8.
März 2013, zugestellt am 11.
März 2013, aufzuheben.

Die [X.]eklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, bis zum Erlass des [X.] sei der [X.] der Klägerin nicht so ausgestaltet gewesen, dass eine Gefähr-dung der Rechtsuchenden ausgeschlossen sei.

Der [X.] hat den [X.] aufgehoben. Der [X.] hat die [X.]erufung gegen das Urteil des [X.]s zugelassen. Die Parteien halten an ihren im Verlauf des Rechtsstreits geäußerten Ansichten fest. Die [X.]eklagte beantragt,

das Urteil
des Hessischen [X.]s vom 2. Februar 2015 abzuändern und die Klage abzuweisen.

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4

-

Die Klägerin beantragt,

die [X.]erufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien
wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen [X.]ezug genommen.
Das Insol-venzverfahren über das Vermögen der Klägerin wurde mit [X.]eschluss vom 16.
Juli 2015 aufgehoben. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] dauert an.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige [X.]erufung führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.

1. Gemäß §
14 Abs.
2 Nr.
7 [X.]RAO ist die Zulassung zur Rechtsanwalt-schaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist;
es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Ein Vermögensverfall wird unter anderem dann vermutet, wenn ein Insol-venzverfahren über das Vermögen des Rechtsanwalts eröffnet worden ist. Im maßgeblichen Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 29.
Juni 2011 -
AnwZ
([X.]) 11/10, [X.]Z 190, 187 Rn. 9
ff.) befand sich die Klägerin in Vermögensverfall, nachdem das Insolvenzverfahren über ihr [X.] eröffnet worden war. Einwände erhebt die Klägerin insoweit nicht.

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2. Entgegen der Ansicht des [X.]s war im Zeitpunkt des [X.] eine Gefährdung der Rechtsuchenden nicht ausgeschlos-sen.

a) Nach ständiger Senatsrechtsprechung kann eine Gefährdung der Inte-ressen der Rechtsuchenden in Ausnahmefällen ausgeschlossen sein, wenn der Rechtsanwalt die zum Schutz der Interessen der Rechtsuchenden in seiner [X.] erforderlichen Vorkehrungen trifft und rechtlich und tatsächlich sicherstellt, dass diese Vorkehrungen auch eingehalten werden. Das setzt regelmäßig den Abschluss eines Anstellungsvertrags mit einer Anwaltssozietät voraus, der nach der [X.], dem Umfang der Tätigkeitsverpflichtung des Rechtsanwalts gegenüber der Sozietät und den getroffenen vertraglichen und tatsächlichen Vorkehrungen einen effektiven Schutz der Interessen der [X.] erwarten lässt
([X.], [X.]eschlüsse
vom 18.
Oktober 2010 -
AnwZ
([X.]) 21/10, juris Rn. 9
mwN; vom 22.
Mai 2013 -
AnwZ
([X.]) 73/12, juris Rn.
5).

Wie die [X.]eklagte
mit
Recht beanstandet hat, hat der
[X.] keine
Feststellungen zur tatsächlichen Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses getroffen und auch nicht erläutert, warum die von der Klägerin vorgelegten schriftlichen Arbeitsverträge
den Anforderungen der oben zitierten Senatsrecht-sprechung genügten. Feststellungen dazu, wie die Tätigkeit der Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung überwacht wurde, fehlen ebenfalls. Nach den Erklärungen der Klägerin und ihres Prozessbevollmächtig-ten zu Protokoll
der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] arbei-tet die Klägerin ausschließlich in einem [X.]üro in [X.]

, wo außerdem zwei [X.] und eine weitere Rechtsanwältin tätig sind. Ihre Tätigkeit werde regelmäßig von einem der Sozien kontrolliert. Kostenrechnungen unterschreibe sie selbst. Mit der [X.]uchführung habe sie nichts zu tun. Sie habe keinen Zugang zu den 9
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Finanzverwaltungsmodulen. Nach Zulassung der [X.]erufung hat die Klägerin ih-ren Vortrag
schriftsätzlich
dahingehend ergänzt,
dass dies seit dem 1.
August 2012 so vereinbart und gehandhabt worden sei.

b) Ob diese Handhabung in den vorgelegten Arbeitsverträgen
vereinbart und im Zeitpunkt der Widerrufsverfügung tatsächlich praktiziert wurde, kann ebenso offen bleiben wie die Frage, ob die Anforderungen der zitierten Senats-rechtsprechung damit erfüllt sind. Schon
nach dem Wortlaut des §
14 Abs.
2 Nr.
7 [X.]RAO
ist
der Widerruf der Zulassung die Regel und die Annahme einer trotz des [X.] nicht gegebenen Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden die Ausnahme. Der Vermögensverfall des Anwalts lässt be-fürchten, dass entweder der Anwalt selbst oder dessen Gläubiger auf Gelder der Mandanten zugreifen. Ziel der Vorschrift des §
14 Abs.
2 Nr.
7 [X.]RAO ist es, dieser Gefahr vorzubeugen. Von einem Widerruf der Zulassung eines in [X.]sverfall geratenen Anwalts kann folglich nur dann abgesehen werden, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung eine sichere Prognose dahingehend getroffen
werden kann, dass sich im zu entscheidenden Einzelfall die typischen Gefahren, die mit dem Vermögensverfall eines Anwalts verbunden sind, nicht verwirklichen werden.

Grundlage einer solchen
Prognose ist nicht nur der
geschlossene Anstel-lungsvertrag. Vielmehr entscheidet eine Gesamtwürdigung aller
maßgeblichen Umstände darüber, ob die Gefährdung der Rechtsuchenden hinreichend sicher ausgeschlossen ist ([X.], [X.]eschluss vom 18.
Oktober 2010 -
AnwZ
([X.]) 21/10, juris Rn. 10 mwN).
Der Senat hat einen Ausschluss der Gefährdung der [X.] insbesondere dann angenommen, wenn der in Vermögensverfall geratene Rechtsanwalt seinen [X.]eruf beanstandungsfrei ausgeübt und den [X.] selbst gestellt hat
und im Insolvenzverfahren keine Anmeldungen 12
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von Gläubigern vorlagen, die aus Mandaten des Rechtsanwalts stammen ([X.], [X.]eschlüsse vom 18.
Oktober 2004 -
AnwZ
([X.]) 43/03, [X.], 511; vom 22.
Mai 2013 -
AnwZ
([X.]) 73/12, juris Rn.
5; vgl. auch [X.], [X.]eschluss vom 25.
Juni 2007 -
AnwZ
([X.]) 101/05, NJW 2007, 2924 Rn.
10).

Die Klägerin hat ihren [X.]eruf nicht
in diesem Sinne
beanstandungsfrei ausgeübt. Die Sozietät "H.

und Partner Anwaltssozietät GbR"
hatte im Zeit-punkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen
hohe
Verbind-lichkeiten
angehäuft. Nach dem [X.]ericht der vom Insolvenzgericht bestellten Gutachterin hatte die Sozietät
kein [X.] eingerichtet. Die Konten der Sozietät wurden privat und geschäftlich genutzt. [X.] von insge-samt 25 Mandanten in Höhe von insgesamt 23.192,67

und nicht
ordnungsgemäß
ausgekehrt worden. Die Gutachterin schätzte das Risiko, dass die rechtlichen Interessen der Mandanten nicht ordnungsgemäß wahrgenommen wurden, so hoch ein, dass sie die Möglichkeit einer Fortfüh-rung der Kanzlei im Insolvenzverfahren ausschloss.
Die Eröffnung des [X.] über das Vermögen der Sozietät war nicht von der Klägerin [X.] worden, sondern vom Finanzamt.

Die Klägerin meint, alles dies gehe sie nichts an. Ihrer sicheren Erinne-rung nach habe sie in einer Familiensache N.

einmal ein Fremdgeldkon-to eröffnet und im Übrigen [X.] entweder sofort weitergeleitet oder Fremdgeldkonten geführt. In ihrem eigenen Insolvenzverfahren seien keine Forderungen von Mandanten angemeldet
worden. Als Gesellschafterin der [X.] war sie jedoch geschäftsführungsbefugt (§
709 [X.]G[X.])
und damit ebenso wie die Mitgesellschafter verantwortlich für den Umgang mit
Fremdgeld.
Ihr Vor-trag ist widersprüchlich, soweit einerseits ihr Ehemann, der Mehrheitsgesell-schafter, die Einrichtung von Fremdgeldkonten abgelehnt haben soll
und für 14
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sämtliche Fehlbeträge verantwortlich gewesen sei, andererseits sie selbst we-gen dessen unzulänglicher Leistungsfähigkeit völlig überlastet gewesen sei.
Ihr Hinweis auf fehlende Anmeldungen von Mandantenforderungen
in ihrem eige-nen Insolvenzverfahren
ist mindestens irreführend, weil die Haftung der Gesell-schafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft

128 HG[X.] analog)
gemäß §
93 [X.] in der Insolvenz der Gesellschaft nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann. Dass in dem Insolvenzverfahren über ihr
Vermögen kei-ne Forderungen gemäß
§
93 [X.] angemeldet worden sind, hat die Klägerin nicht behauptet. Aus dem zur Akte gereichten Insolvenzplan, ist
unter der Rubrik "sonstige Verbindlichkeiten"
ein [X.]etrag von 190.029,57

für die
Ver-bindlichkeiten der Sozietät ausgewiesen. Die davon erfassten Ansprüche der betroffenen Mandanten gegen die Klägerin
mögen mit der [X.]estätigung des [X.] und der Aufhebung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen erledigt
sein. An der [X.]ewertung der [X.]erufsausübung der Klägerin als nicht be-anstandungsfrei ändert sich dadurch jedoch nichts.

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III.

Die Kostenentscheidung beruht auf
§
112c Abs.
1 Satz 1 [X.]RAO i.V.m. §
154 Abs. 2 VwGO.

Kayser
Roggenbuck
[X.]

[X.]
Wolf

Vorinstanz:
[X.], Entscheidung vom 02.02.2015 -
2 [X.] 6/13 -

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Meta

AnwZ (Brfg) 38/15

20.06.2016

Bundesgerichtshof Senat für Anwaltssachen

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.06.2016, Az. AnwZ (Brfg) 38/15 (REWIS RS 2016, 9682)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 9682

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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