Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.10.2015, Az. 3 StR 382/15

3. Strafsenat | REWIS RS 2015, 3073

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[X.]:[X.]:[X.]:2015:291015B3STR382.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 382/15
vom
29. Oktober 2015
in der Strafsache
gegen

wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern

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2
-
Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des [X.] -
zu 2. auf dessen Antrag -
am 29.
Oktober 2015 gemäß §
349 Abs. 2 und 4, §
354 Abs.
1 analog StPO
einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 17.
März 2015

a)
im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 22 Fällen schuldig ist, sowie

b)
im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen [X.] aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere [X.] des [X.] zurück-verwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen [X.] eines Kindes in 22 Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt sowie eine Kompensations-
und eine Adhäsionsentscheidung getrof-fen. Die hiergegen gerichtete, auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision 1
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des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von §
349 Abs. 2 StPO.
Die Verurteilung des Angeklagten wegen schweren sexuellen [X.] eines Kindes gemäß §
176a Abs. 1 StGB hält der rechtlichen [X.] nicht stand. Das [X.] hat die Rückfallvoraussetzung dieses [X.] bejaht. Dieser rechtlichen Würdigung stand zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung indes das Verwertungsverbot gemäß §
51 Abs. 1 [X.] entgegen. Dies ist im Revisionsverfahren auf die Sachrüge zu beachten (vgl. [X.], Urteil vom 10.
Januar 1973 -
2 StR 451/72, [X.]St 25, 100; Beschluss vom 23.
März 2006 -
4 StR 36/06, [X.], 296).
Im Einzelnen:
1. Gemäß §
51 Abs. 1 [X.] darf dem Betroffenen eine Tat und die ent-sprechende Verurteilung im
Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn die Eintragung über die Verurteilung im Register getilgt worden oder sie zu tilgen ist. Dieses bereits mit Eintritt der [X.] entstehende Vorhalte-
und Verwertungsverbot der Eintragung im Register bedeutet einen Schutz des Betroffenen auch in den Fällen, in denen seine frühere Verurteilung auf andere Weise als durch eine Registerauskunft bekannt wird, etwa durch Mitteilungen von dritter Seite oder den Betroffenen selbst (vgl. [X.], Urteil vom 8.
Dezember 2011 -
4 [X.], [X.], 143, 144 mwN). Durch die Regelung des §
51 Abs. 1 [X.] wird ein Verurteilter
von dem mit seiner Verurteilung verbundenen Strafmakel befreit und durch die umfassende Wirkung der Tilgung die mit der Verurteilung einhergehende Stig-matisierung endgültig beseitigt. Unter das Verbot fallen Tat und Verurteilung sowie deren Vorhalten und Verwerten im Rechtsverkehr zum Nachteil des Be-troffenen. Für die Frage der [X.] ist maßgeblicher Zeitpunkt in Strafsa-2
3
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chen das Ende der Hauptverhandlung in der Tatsacheninstanz (vgl. [X.], [X.], 5.
Aufl., §
51 Rn. 5, 12 ff., 24 mwN).
2. Die uneingeschränkte Geltung dieses Vorhalte-
und Verwertungsver-botes ist nach der Rechtsprechung des [X.] für die Strafzu-messung unbestritten; danach darf eine getilgte oder [X.] Vorstrafe nicht zum Nachteil des Angeklagten, insbesondere nicht strafschärfend berück-sichtigt werden (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 11.
November 2009 -
1 [X.], [X.], 82, vom 24.
August 2011 -
1 StR 317/11, StraFo 2011,
519 und vom 25.
Januar 2011 -
4 [X.], [X.], 286). Gleiches gilt für gemäß §
63 Abs. 1 [X.] [X.] Eintragungen im Er-ziehungsregister, wenn der Angeklagte vor der Hauptverhandlung das 24.
Lebensjahr vollendet hat (vgl. [X.], Beschluss vom 12.
Juni 2012 -
3 [X.], [X.], 423; [X.] aaO, Rn. 26 ff.). Das Vorhalte-
und Ver-wertungsvorbot [X.]r Bestrafungen und der zugrundeliegenden Taten gilt grundsätzlich auch für die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung, sofern nicht eine der in §
52 [X.] aufgeführten Ausnahmen gege-ben ist (vgl. [X.] aaO, Rn. 37; [X.], Beschluss vom 28.
August 2012
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3 [X.], [X.]St 57, 300, 302
ff.). Schließlich dürfen getilgte Vorstrafen auch nicht als Beweisanzeichen für eine nachteilige Würdigung der Persönlich-keit eines Angeklagten oder als Indiz für seine [X.]chaft oder hinsichtlich der Glaubwürdigkeit von Prozessbeteiligten herangezogen
werden (vgl. [X.] aaO, Rn. 33).
3. Strittig ist hingegen, ob §
51 Abs. 1 [X.] auch den Fall erfasst, dass die frühere Straftat oder Verurteilung Tatbestandsmerkmal einer späteren Straf-tat ist, die vor Eintritt der [X.] begangen wurde. Das [X.] hat dies -
zu §
49 [X.] aF -
verneint und entschieden, dass es gestattet 5
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5
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sei, eine sonst unter das Verwertungsverbot fallende Vorstrafe zur Ausfüllung des gesetzlichen Tatbestandes einer neuen Straftat heranzuziehen, vorausge-setzt, dass dies zum Zeitpunkt der Begehung der neuen Straftat auch dann möglich gewesen wäre, wenn das "heutige Recht"
hätte angewendet werden müssen (§
2 Abs. 2 Satz 2 StGB aF = §
2 Abs. 3 StGB nF). Sonst würde etwa eine Falschaussage, die nach damaligem und "heutigem Recht"
strafbar ist, straflos bleiben, weil ihre Tatbestandsmäßigkeit nicht mehr festgestellt werden könnte (vgl. [X.], Urteil vom 7. Dezember 1972 -
1 Ss 312/72, NJW 1973, 1012, 1013; ebenso [X.] aaO, Rn. 36; [X.], Die Rechtswir-kungen
der Straftilgung, Diss. 1975, S. 71; Creifelds, [X.] 1974, 129, 140).
4. Ob dies zutrifft, kann indes offen bleiben, da diese Rechtsauffassung jedenfalls auf die hier zu beurteilende Fallkonstellation nicht übertragbar ist. Zwar werden Taten nach §
176 Abs. 1 und 2 StGB gemäß §
176a Abs. 1 StGB zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern heraufgestuft; die frühere Verurteilung ist dabei Tatbestandsmerkmal der Qualifikationsvorschrift. Indes knüpft diese nicht an das [X.] und damit an den unmittelbaren Unrechts-
und
Schuldgehalt der neuen Tat nach §
176 Abs. 1 oder 2 StGB an; vielmehr betrifft sie allein die [X.], da sie einen ansonsten bei der Straffin-dung nur allgemein zu berücksichtigenden Umstand (§
46 Abs. 2 Satz 2 StGB: Das Vorleben des [X.]) für eine bestimmte Konstellation des Rückfalls schon zur Festlegung des Strafrahmens heranzieht. Nach dem mit §
51 Abs. 1 [X.] verfolgten Zweck (s. oben 1.) und in der Konsequenz der daraus von der Rechtsprechung gezogenen Folgerungen (s. oben 2.) ist es daher nicht zuläs-sig, zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung in der Tatsacheninstanz [X.] einschlägige Vorstrafen zur Bejahung der Voraussetzungen des §
176a Abs. 1 StGB zu verwerten.
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5. Danach hätte das [X.] die rechtskräftige Vorverurteilung des Angeklagten durch das Urteil des [X.] vom 20.
Juli 2004 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer zur Bewährung ausgesetzten Frei-heitsstrafe von zehn Monaten, in der die [X.] die Erfüllung der tatbe-standlichen Voraussetzung des Rückfalls gemäß §
176a Abs. 1 StGB erblickt hat, nicht berücksichtigen dürfen. Zwar war zum Zeitpunkt der in der vorliegen-den Sache begangenen letzten Tat im Juni 2008 die [X.] für diese Vorstrafe noch nicht eingetreten, indes war dies zum Zeitpunkt der Urteilsver-kündung des angefochtenen Urteils am 17.
März 2015 der Fall. Die [X.] betrug gemäß §
46 Abs. 1 Ziff. 2 Buchst. b [X.] [X.] und hatte gemäß §
47 Abs. 1 [X.] i.V.m. §
36 Abs. 1 Satz 1 [X.] am 20.
Juli 2004, dem Tag des früheren Urteils, zu laufen begonnen und (bereits) mit Ablauf des 19.
Juli 2014 geendet (vgl. [X.], Beschluss vom 15.
Juli 2014 -
5 [X.], [X.], 356). Daher durfte diese [X.] gemäß §
51 Abs. 1 [X.] zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung am 17.
März 2015 nicht mehr zum Nachteil des Angeklagten vorgehalten und [X.] werden.
6. Da die aufgrund der Sachrüge veranlasste umfassende Prüfung des Urteils im Übrigen keinen weiteren Rechtsfehler erbracht hat und andere Fest-stellungen als die bisherigen nicht möglich erscheinen, ändert der Senat in ent-sprechender Anwendung des §
354 Abs. 1 StPO den Schuldspruch dahin, dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 22 Fällen schuldig ist.
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Die Schuldspruchänderung zieht die Aufhebung des gesamten Straf-ausspruches nach sich; über die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe muss [X.] neu verhandelt und entschieden werden.
[X.]

Schäfer

Mayer Spaniol
10

Meta

3 StR 382/15

29.10.2015

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.10.2015, Az. 3 StR 382/15 (REWIS RS 2015, 3073)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 3073

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