Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.10.2013, Az. IX ZR 319/12

9. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 2135

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Gegenstand

Insolvenzanfechtung: Passivlegitimation der Betreiberin des Systems zur Erhebung der Lkw-Maut bei Zahlungen des Schuldners im Guthabenabrechnungsverfahren


Leitsatz

Zur Frage, wem gegenüber die Deckungsanfechtung von Zahlungen möglich ist, die ein Schuldner an die Betreiberin des Systems zur Erhebung der Lkw-Maut im Guthabenabrechnungsverfahren erbracht hat.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 14. Zivilsenats des [X.] in [X.] vom 20. November 2012 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der Zivilkammer 3 des Landgerichts [X.] vom 29. September 2010, berichtigt mit Beschluss vom 21. Oktober 2010, wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtsmittel zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Auf Antrag einer Gläubigerin vom 5. Dezember 2005 eröffnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 15. März 2006 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Der Schuldner betrieb ein Transportunternehmen. Die Beklagte ist im Auftrag der [X.] die private Betreiberin des Systems zur Erhebung von [X.] gesetzlichen Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen mit schweren Nutzfahrzeugen (LKW-Maut).

2

Seit Ende 2003 nahm der Schuldner bei der Beklagten zur Abrechnung der Mautgebühren an dem von ihr angebotenen Guthabenabrechnungsverfahren teil. Wählt der Mautschuldner dieses Verfahren, muss er auf einem Konto bei der Beklagten ein Guthaben unterhalten, von dem laufend die aufgrund mautpflichtiger Fahrten angefallenen Beträge durch die Beklagte abgebucht und an das [X.] ausgekehrt werden.

3

Schon seit August 2005 führte der Schuldner keine Sozialversicherungsbeiträge mehr ab. Er war fortlaufend Zwangsvollstreckungsmaßnahmen der Sozialversicherungsträger ausgesetzt. Auf seine Weisung zahlten für ihn auf sein Guthabenkonto bei der Beklagten die P.  -GmbH am 29. Dezember 2005 5.000 € und [X.]       in der [X.] vom 29. September 2005 bis 26. Januar 2006 in 24 [X.] insgesamt 51.100,02 €.

4

Der Kläger verlangt von der Beklagten die genannten Beträge, also insgesamt 56.100,02 €, im Wege der Insolvenzanfechtung zurück. Die Beklagte meint, nicht sie, sondern das [X.], an die sie die Beträge ausgekehrt hat, sei passivlegitimiert.

5

Das [X.] hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das [X.] die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch in vollem Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision ist begründet, die Berufung gegen das landgerichtliche Urteil zurückzuweisen.

I.

7

Das Berufungsgericht hat gemeint, dass die Anfechtungsvoraussetzungen des § 131 Abs. 1 [X.] zwar im Übrigen vorlägen, die Beklagte aber nicht die Empfängerin der aus dem Schuldnervermögen weggegebenen Beträge sei (§ 143 Abs. 1 [X.]). Die Beklagte wirke zwar bei der Erhebung der Maut mit, die [X.] selbst sei ihr jedoch nicht übertragen. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten (nachfolgend: [X.]) sei zwar eine Zahlungspflicht des Nutzers an die Beklagte vorgesehen. Dabei handele es sich aber nur um einen Vorschuss. Es liege eine Leistung an einen Empfangsberechtigten des Gläubigers vor, die nur gegenüber dem Gläubiger anfechtbar sei. Bei derartigen mittelbaren Zuwendungen an einen [X.] richte sich die Anfechtung in der Regel gegen den [X.]. Die Beklagte sei nicht Anfechtungsgegnerin, weil sie nicht selbst Inhaberin der Mautforderung gewesen sei und lediglich den Einzug organisiert habe. Der Kläger könne folglich nur gegenüber dem [X.] anfechten.

II.

8

Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Beklagte ist für den geltend gemachten Anspruch aus Deckungsanfechtung passivlegitimiert. Die übrigen Anfechtungsvoraussetzungen des § 131 Abs. 1 Nr. 1 und 2 [X.] sind ebenfalls gegeben.

9

1. Die Beklagte war hinsichtlich der angefochtenen Zahlungen [X.] des Schuldners. Sie ist demgemäß auch als Empfängerin der angefochtenen Leistung anzusehen, die gemäß § 143 [X.] zur Rückgewähr verpflichtet ist (vgl. [X.], Urteil vom 12. Februar 2004 - [X.], [X.], 862, 863).

Hinsichtlich der Einzahlung der streitgegenständlichen Beträge auf das Guthabenkonto war die Beklagte allerdings noch nicht [X.], weil es sich insoweit noch um freiwillige Zahlungen des Schuldners handelte, auf welche die Beklagte keinen Anspruch hatte. Durch die Einzahlungen wurde aber der Beklagten nachfolgend die Befriedigung ihrer Ansprüche ermöglicht. Aus dem durch die Einzahlungen hergestellten Guthaben wurden von ihr die mit der Einbuchung des Schuldners zur Deckung der von ihm zu zahlenden Maut fällig gewordenen Beträge zu ihren Gunsten abgebucht. Die damit vorgenommenen Zahlungen erfolgten zur Deckung einer Entgeltforderung der Beklagten.

a) Die Maut ist eine öffentlich-rechtliche Benutzungsgebühr (vgl. BT-Drucks. 14/7013 [X.]; BVerwG, Urteil vom 4. August 2010 - 9 C 6/09, [X.], 325 Rn. 12; vom 4. August 2010 - 9 C 7/09, Rn. 8). Für den hier in Frage stehenden Zeitraum der Jahre 2005 und 2006 ist das Gesetz über die Erhebung von [X.] Gebühren für die Benutzung von [X.]en mit schweren Nutzfahrzeugen (Autobahnmautgesetz für schwere Nutzfahrzeuge, künftig: [X.]) in der vom 8. Dezember 2004 bis 31. August 2007 geltenden Fassung maßgebend (vgl. Art. 6 des Gesetzes zur Änderung kraftfahrzeugsteuerlicher und autobahnmautrechtlicher Vorschriften vom 17. August 2007, [X.] I S. 1985; zur heutigen Rechtslage vgl. das Gesetz über die Erhebung von [X.] Gebühren für die Benutzung von [X.]en und Bundesstraßen vom 12. Juli 2011, [X.] I S. 1378; Bundesfernstraßenmautgesetz, künftig: [X.]). Nach § 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] (heute: § 2 Satz 1 Nr. 1 [X.]) ist [X.] unter anderem der Eigentümer oder Halter des gemäß § 1 [X.] (heute: § 1 [X.]) mautpflichtigen Fahrzeuges. Dies war der Schuldner. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 [X.] (heute: § 4 Abs. 1 Satz 1 [X.]) hat der [X.] die Maut spätestens bei Beginn der mautpflichtigen Benutzung oder im Falle einer Stundung zu dem festgesetzten Zeitpunkt an das [X.] (nachfolgend auch: [X.]) zu entrichten. [X.] ist demgemäß dieses [X.].

b) Der Schuldner war von der Verpflichtung zur Zahlung der Maut an das [X.] jedoch gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 [X.] (heute: § 4 Abs. 6 Satz 1 [X.]) befreit. Die Beklagte war Gläubigerin eines vom Schuldner befriedigten [X.].

aa) Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 und 2 [X.] (heute: § 4 Abs. 3 Satz 1 und 2 [X.]) kann das [X.] einem Privaten die Errichtung und den Betrieb eines Systems zur Erhebung der Maut übertragen oder diesen beauftragen, an der Erhebung der Maut mitzuwirken (Betreiber). Die danach mögliche Beleihung des Privaten mit der hoheitlichen Erhebung der Maut ist allerdings nicht erfolgt. Die Beklagte ist nicht ermächtigt, die Maut in eigenem Namen hoheitlich festzusetzen. Die Beklagte wurde als Betreiber stattdessen beauftragt, an der Erhebung der Maut mitzuwirken (Bekanntmachung des [X.]es für Güterverkehr vom 23. Dezember 2004, [X.] 2004, [X.]; BVerwG, Urteil vom 4. August 2010 - 9 C 6/09, aaO Rn. 6). In § 4 Abs. 5 [X.] (heute: § 4 Abs. 6 [X.]) ist näher geregelt, wie diese Mitwirkung im Einzelnen erfolgen kann. Nach Satz 1 dieser Vorschrift ist der [X.] von der Verpflichtung zur Entrichtung der Maut an das [X.] befreit, wenn der Betreiber sich gegenüber dem [X.] zur unbedingten Zahlung eines Betrages in Höhe der entstandenen Maut des [X.]s verpflichtet, der [X.] nachweist, dass zwischen ihm und dem Betreiber ein Rechtsverhältnis besteht, aufgrund dessen der [X.] für jede mautpflichtige Benutzung der [X.] ein Entgelt in Höhe der zu entrichtenden Maut an den Betreiber zahlen muss oder gezahlt hat, und wenn der [X.] schließlich sicherstellt, dass seine Verpflichtungen aus dem Rechtsverhältnis erfüllt werden.

Demgemäß konnte die Beklagte mit dem Schuldner einen zivilrechtlichen Vertrag mit einem Inhalt schließen, der zusammen mit einer von ihr gegenüber dem [X.] übernommenen unbedingten Zahlungspflicht dazu führte, dass der [X.] von der Entrichtung der Maut an das [X.] befreit war.

bb) Ein solcher Vertrag ist zwischen dem Schuldner und der Beklagten geschlossen worden. Die Voraussetzungen einer Befreiung von der Maut lagen vor. Gläubigerin des befriedigten [X.] war die Beklagte.

§ 4 Abs. 5 [X.] eröffnet allerdings lediglich die Möglichkeit für die genannte Konstruktion. Diese ist vom Gesetz nicht zwingend vorgesehen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein erstes Gesetz zur Änderung des [X.], BT-Drucks. 15/3678 [X.] zu Buchst. d). Maßgebend ist, ob die genannten Voraussetzungen tatsächlich erfüllt sind. Es kann nicht angenommen werden, dass bereits die Nutzung des Erhebungssystems der Beklagten den Vertragsschluss mit dem Inhalt des § 4 Abs. 5 [X.] bewirkt und der [X.] gegenüber der Beklagten zur Zahlung eines Entgeltes in der Höhe verpflichtet ist, die das Erhebungssystem auf der Grundlage der maßgeblichen Tatsachen ermittelt hat (unklar BVerwG, Urteil vom 4. August 2010 - 9 C 6/09, aaO Rn. 6).

Die Voraussetzungen des Befreiungstatbestandes des § 4 Abs. 5 [X.] waren aber nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts vorliegend gegeben.

(1) Das Berufungsgericht hat eine Verpflichtung der Beklagten gegenüber dem [X.] zur unbedingten Zahlung eines Betrages in Höhe der zu Lasten des Schuldners entstandenen Maut festgestellt (Berufungsurteil S. 5 Abs. 3). Diese Feststellung ist von den Parteien im Revisionsverfahren nicht angegriffen worden und deshalb für das Revisionsgericht bindend (§ 559 Abs. 2 ZPO).

(2) Der Kläger hat nachgewiesen, dass zwischen dem Schuldner und der Beklagten ein Rechtsverhältnis bestand, aufgrund dessen der [X.] für jede mautpflichtige Benutzung einer [X.] der Beklagten ein Entgelt in Höhe der zu entrichtenden Maut zahlen musste und gezahlt hat. Dabei handelt es sich um die Zahlung eines Entgelts im Sinne des § 4 Abs. 5 [X.].

Maßgebend für das Rechtsverhältnis zwischen dem Schuldner und der Beklagten war zunächst dessen Benutzerregistrierung bei der Beklagten vom 21. Mai 2003. Davon abweichend nahm seit Ende 2003 der Schuldner an der Abrechnung nach dem in den [X.] der Beklagten geregelten Guthabenabrechnungsverfahren teil. Die Geltung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen war zwischen dem Schuldner und der Beklagten vereinbart. Die von der Beklagten vorgelegten Geschäftsbedingungen stammen zwar vom 17. Januar 2008. Da ihre Anwendbarkeit aber zwischen den Parteien unstreitig ist, hat der Senat davon auszugehen, dass die tatsächlich vereinbarten früher geltenden [X.] insoweit inhaltsgleich waren.

Nach dem danach zwischen dem Schuldner und der Beklagten praktizierten Guthabenabrechnungsverfahren gemäß Nr. 18.1.3 [X.] galt gemäß Nr. 21.2 [X.], dass der Benutzer rechtzeitig im Voraus ein Guthaben auf sein von der Beklagten angegebenes Konto einzuzahlen oder zu überweisen hatte, welches zum Ausgleich der künftigen Forderungen der Beklagten im Sinne der Nr. 4.1 [X.] erforderlich war. War eine ausreichende Deckung durch das vorhandene Guthaben nicht mehr gegeben, sperrte die Beklagte das Fahrzeuggerät, so dass der Benutzer am Guthabenabbuchungsverfahren nicht mehr teilnehmen konnte. Dies entsprach Nr. 37.1 [X.], der diese Möglichkeit der Beklagten einräumt. Nach Nr. 4.1 [X.] war der Benutzer verpflichtet, die nach seinen Angaben in dem von ihm gewählten [X.]sverfahren ermittelte Maut im Voraus an die Beklagte zu zahlen. Der ([X.] wurde gemäß Nr. 4.1 Satz 2 [X.] mit der Einbuchung zur Zahlung fällig, sofern nichts anderes vereinbart war. Die Beklagte hatte gemäß Nr. 4.1 Satz 3 [X.] die vom Benutzer bezahlte Maut an das [X.] auszukehren.

Nach diesen vom [X.] gebilligten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten (vgl. Bekanntmachung des [X.]es für Güterverkehr vom 23. Dezember 2004, [X.] 2004, 24744) schuldet der Benutzer gemäß Nr. 4.1 [X.] also ein vertragliches Entgelt im Sinne des § 4 Abs. 5 Nr. 1 [X.], das der Beklagten zustand. Allerdings war die Beklagte vom Nutzer beauftragt, die von diesem gezahlte Maut an das [X.] abzuführen. Diese in Nr. 4.1 Satz 3 [X.] geregelte [X.] ist jedoch nicht zusätzlich und unabhängig von der eigenen Zahlungspflicht der Beklagten gegenüber dem [X.] zu erfüllen. Sie wird vielmehr gerade dadurch erfüllt, dass die Beklagte auch ihrer dem [X.] gegenüber bestehenden eigenen unbedingten Zahlungspflicht in Höhe der zu Lasten des Schuldners entstandenen Maut nachkommt. Mit der Zahlung erfüllt die Beklagte sowohl ihre selbständige Pflicht gegenüber dem [X.] wie die [X.] gegenüber dem [X.].

(3) Der Schuldner hat durch seine Teilnahme am Guthabenabrechnungsverfahren auch sichergestellt, dass seine Verpflichtungen aus dem Rechtsverhältnis mit der Beklagten erfüllt wurden. Die Gegenleistung der Beklagten bestand darin, dass sie die Voraussetzungen für die Befreiung des Schuldners von der Maut schaffte.

Damit war der Schuldner von der Verpflichtung zur Entrichtung der Maut an das [X.] gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 [X.] befreit. Mit der Abbuchung der geschuldeten Beträge in Höhe der Maut vom Guthabenkonto des Schuldners bei der Beklagten erfüllte er den Entgeltanspruch der Beklagten.

Soweit die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten sich in ihrer Wortwahl an einem Auftragsverhältnis orientieren, ist eine Auslegung im Sinne des § 4 Abs. 5 [X.] geboten, dessen Umsetzung die vertraglichen Vereinbarungen dienen. Ist die Beklagte selbst gegenüber dem [X.] zur unbedingten Zahlung eines Betrages in Höhe der entstandenen Maut des [X.]s verpflichtet, können die weiteren Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 [X.] bejaht werden.

Die Beklagte ist folglich nicht lediglich als Zahlstelle tätig geworden. Der Schuldner hatte sich ihrer nicht nur als Leistungsmittlerin bedient. Hätte der Schuldner die Beklagte lediglich als solche Zwischenperson eingeschaltet, die für ihn im Wege einer einheitlichen Handlung eine Zuwendung an einen [X.] bewirkt und damit zugleich unmittelbar das den [X.] haftende Vermögen (Guthabenkonto) vermindert, hätte sich die Deckungsanfechtung allerdings allein gegen den [X.] als Empfänger gerichtet, wenn es sich für diesen erkennbar um eine Leistung des Schuldners gehandelt hätte ([X.], Urteil vom 16. September 1999 - [X.], [X.]Z 142, 284, 287; vom 16. November 2007 - [X.], [X.]Z 174, 228 Rn. 35; vom 26. April 2012 - [X.], [X.]Z 193, 129 Rn. 9; vom 25. April 2013 - [X.], [X.], 1044 Rn. 11).

(4) Das Ergebnis wird bestätigt durch die vergleichbare Rechtslage bei der Anfechtung gegenüber den gesetzlichen und tarifvertraglichen Einzugsstellen für die Gesamtsozialversicherungsbeiträge. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind diese Einzugsstellen passivlegitimiert auch für eine Anfechtung auf Rückzahlung der an sie gezahlten Sozialversicherungsbeiträge, soweit sie im Innenverhältnis anderen Versicherungsträgern zustehen ([X.], Urteil vom 12. Februar 2004 - [X.], [X.], 862, 863; vom 21. Oktober 2004 - [X.], [X.], 38 f; vom 30. März 2006 - [X.], [X.], 957 Rn. 8; Beschluss vom 11. Oktober 2007 - [X.], [X.], 2228 Rn. 4).

Wesentlicher Grund hierfür ist, dass im Außenverhältnis der Einziehungsstelle zum Beitragsschuldner dieser nur an die Einziehungsstelle mit befreiender Wirkung leisten kann. Die Einzugsstelle hat die alleinige Empfangszuständigkeit und ist für die Durchsetzung aller Beitragsforderungen Prozessstandschafter, Titelgläubiger und Klauselberechtigter im Sinne des § 725 ZPO. Deshalb ist die Einzugsstelle wie eine Vollrechtsinhaberin anzusehen ([X.], Urteil vom 12. Februar 2004, aaO [X.]63).

Eine ähnliche Situation ist nach den Feststellungen vorliegend gegeben. Da die Beklagte Gläubigerin des an sie zu zahlenden Entgelts in Höhe der einzuziehenden Maut war, konnte der Schuldner mit auch der Beklagten gegenüber befreiender Wirkung nur an diese zahlen. Zwar hätte er mit befreiender Wirkung hinsichtlich der Maut selbst auch an das [X.] leisten können. Der [X.] ist, auch wenn die Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 [X.] vorliegen, nicht aus dem Gebührenverhältnis zum [X.] entlassen (BT-Drucks. 15/3678 [X.]). Die Beklagte hat demgemäß nicht die alleinige Empfangszuständigkeit. Sie ist auch nicht allein zur Durchsetzung des Anspruchs berufen. Führt etwa der [X.] nicht den Nachweis für die Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 [X.], kann das [X.] selbst die Entrichtung der Maut verlangen (BT-Drucks. 15/3678, aaO). Nur durch die Bezahlung des Entgelts an die Beklagte konnte aber der Schuldner gleichzeitig die Verpflichtung gegenüber der Beklagten und zur Zahlung der Maut erfüllen.

2. Die übrigen Voraussetzungen des § 131 Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 143 Abs. 1 Satz 1 [X.] hat das Berufungsgericht im [X.] an das [X.] bejaht. Die Beklagte hat sich schon im Berufungsverfahren nicht mehr hiergegen gewandt. Da die Deckung inkongruent war, scheidet ein Bargeschäft nach § 142 [X.] aus ([X.], Urteil vom 20. Januar 2011 - [X.], [X.], 438 Rn. 18; vom 10. Mai 2007 - [X.], [X.], 1162 Rn. 10 mwN).

3. Soweit die angefochtenen Zahlungen, worauf die Revision zusätzlich abhebt, teilweise dazu gedient haben könnten, eigene Forderungen der Beklagten aus einer Tätigkeit für den Schuldner zu erfüllen, wäre die Beklagte ebenfalls [X.], so dass eine Deckungsanfechtung nach §§ 130, 131 [X.] auch insoweit in Betracht käme. Solche Forderungen der Beklagten könnten in Form von Entgelten und Auslagenersatz nach Nr. 4.2 [X.] in Verbindung mit dem Preisverzeichnis der Beklagten entstanden sein. Der Kläger hat jedoch nicht dargelegt, ob und welche der dort genannten Leistungen der Schuldner in Anspruch genommen und bezahlt hat.

Davon abgesehen wurden derartige Entgelte nach Nr. 4.2 f [X.] nicht mit dem [X.] verrechnet, sondern gemäß Nr. 27.2 [X.] gesondert abgerechnet. Sie sind gemäß Nr. 21.3 [X.] nicht Gegenstand der Guthabenabrechnungen und außerhalb des Guthabenabrechnungsverfahrens zu erfüllen. Dass solches in anfechtungsrelevanter Weise geschehen wäre, macht der Kläger nicht geltend. Das angewandte Guthabenabrechnungsverfahren betraf vielmehr das der Beklagten geschuldete Entgelt in Höhe der an das [X.] abzuführenden Maut.

III.

Da die Aufhebung des Berufungsurteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das von ihm festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, ist die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und das landgerichtliche Urteil wieder herzustellen (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Kayser                      Vill                           Pape

                Grupp                    Möhring

Meta

IX ZR 319/12

10.10.2013

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend KG Berlin, 20. November 2012, Az: 14 U 188/10

§ 131 InsO, § 4 Abs 2 S 1 ABMG vom 02.12.2004, § 4 Abs 2 S 2 ABMG vom 02.12.2004, § 4 Abs 5 ABMG vom 02.12.2004

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.10.2013, Az. IX ZR 319/12 (REWIS RS 2013, 2135)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2135

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