Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 07.03.2024, Az. 2 C 2/23

2. Senat | REWIS RS 2024, 2867

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Gegenstand

Vergütung von Mehrarbeit bei Ruhestandsversetzung infolge eines Dienstunfalls


Leitsatz

1. Der Dienstherr ist gemäß § 78 Abs. 3 Satz 2 SBG verpflichtet, für angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit innerhalb eines Jahres Dienstbefreiung zu gewähren. Dieser vorrangige Freizeitausgleich darf nur unterbleiben, wenn die Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht realisierbar ist. In diesem Fall eröffnet § 78 Abs. 3 Satz 3 SBG die Möglichkeit einer finanziellen Abgeltung.

2. Der Umstand, dass die wegen Mehrarbeit zu gewährende Dienstbefreiung nicht innerhalb der Jahresfrist des § 78 Abs. 3 Satz 2 SBG erfolgen konnte, weil der Beamte infolge eines Dienstunfalls erkrankt und sodann wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt wird, stellt keinen zwingenden dienstlichen Grund i. S. d. § 78 Abs. 3 Satz 3 SBG dar. Der Gesetzgeber ist nicht aus Gründen der Gleichbehandlung verpflichtet, für diese Konstellation eine finanzielle Ausgleichsregelung zu schaffen.

Tenor

Das Urteil des [X.] vom 27. Dezember 2022 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Tatbestand

1

Der Kläger beansprucht die finanzielle Abgeltung von Mehrarbeit.

2

Der 1959 geborene Kläger, zuletzt im [X.] (Besoldungsgruppe [X.]) im Landesdienst, wurde in den Jahren 2015 und 2016 mehrfach zu Mehrarbeit im Rahmen von Polizeieinsätzen herangezogen. Am 11. September 2016 erlitt er einen Unfall, der mit Bescheid vom 13. November 2017 als Dienstunfall anerkannt wurde. An den Unfall schlossen sich Krankheitszeiten an, die u. a. durch den zeitlichen Ausgleich geleisteter [X.] und Erholungsurlaub unterbrochen wurden. Mit Ablauf des 31. Juli 2018 versetzte der Beklagte den Kläger wegen dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand. Im Hinblick darauf beantragte der Kläger die finanzielle Abgeltung geleisteter Mehrarbeit im Umfang von 205 Stunden.

3

Die nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren erhobene Klage blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg. Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Ein Anspruch auf Vergütung von Mehrarbeit bestehe nicht. Zwar seien sich die Beteiligten darin einig, dass der Kläger zum Zeitpunkt seines Eintritts in den Ruhestand insgesamt 205 nicht durch Dienstbefreiung oder Vergütung abgegoltene, dienstlich angeordnete oder genehmigte [X.] geleistet habe. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer [X.] lägen aber nicht vor. Ein Anspruch auf finanziellen Ausgleich sei nicht bereits während der aktiven Dienstzeit des [X.] als dienstfähiger Polizeibeamter entstanden. Der Kläger habe eine Dienstbefreiung als Ausgleich für die [X.] nicht beantragt. Die wegen angeordneter Mehrarbeit an sich zu gewährende Dienstbefreiung sei auch nicht aus zwingenden dienstlichen Gründen unmöglich gewesen. Ein solcher Grund liege nicht in dem Umstand, dass Freizeitausgleich während der aktiven Dienstzeit nicht habe erfolgen können, weil der Beamte nach Ableistung der Mehrarbeit aufgrund eines Dienstunfalls erkrankt und in Folge dessen wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt worden sei. Ein Anspruch auf finanzielle Abgeltung oder Entschädigung ergebe sich auch nicht aus anderen Anspruchsgrundlagen.

4

Hiergegen wendet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des [X.], mit der er beantragt,

die Urteile des [X.] vom 27. Dezember 2022 und des Verwaltungsgerichts des [X.] vom 22. September 2020 sowie den Bescheid des [X.] vom 24. Juli 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des [X.], Bauen und Sport vom 5. Dezember 2018 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger eine finanzielle Abgeltung für 205 geleistete [X.] zu gewähren,

hilfsweise festzustellen, dass das Fehlen einer Ausgleichsregelung für die infolge seiner Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit nicht mehr kompensierbaren [X.] den Kläger in seinen Rechten verletzt.

5

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

Die zulässige Revision des [X.] ist mit der Maßgabe begründet, dass das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Oberverwaltungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen ist (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend entschieden, dass die Unmöglichkeit der Gewährung von [X.] wegen einer auf einem Dienstunfall beruhenden Dienstunfähigkeit kein die Gewährung einer [X.] ermöglichender zwingender dienstlicher Grund ist (2.) und diese Differenzierung auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt (4.). Sowohl die Auffassung, die Gewährung von [X.] setze einen vorangegangenen Antrag des Beamten voraus (1.), als auch die Annahme, [X.] könne nur ein noch im Dienst befindlicher Beamter beanspruchen (3.), verletzen aber revisibles Recht. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des [X.] kann der Senat über die Anträge des [X.] nicht abschließend entscheiden (5.).

7

1. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Entstehung des Anspruchs auf finanzielle Abgeltung geleisteter [X.] im (noch) aktiven Dienstverhältnis setze einen vorherigen Antrag des Beamten auf [X.] voraus, um durch die förmliche Ablehnung dieses Antrags wegen entgegenstehender zwingender dienstlicher Gründe die Voraussetzung für eine finanzielle Abgeltung der geleisteten Mehrarbeit zu schaffen, verletzt [X.] (§ 191 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 127 Nr. 2 [X.] und § 63 Abs. 3 Satz 2 BeamtStG).

8

Gemäß § 78 Abs. 3 Satz 1 des [X.] Beamtengesetzes in der zum maßgeblichen [X.]punkt der streitgegenständlichen Einsätze (vgl. [X.], Urteil vom 29. April 2021 - 2 [X.] 18.20 - [X.] 172, 254 Rn. 16) geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 11. März 2009 (Amtsbl. [X.], [X.]) sind Beamte verpflichtet, ohne Vergütung über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse dies erfordern und sich die Mehrarbeit auf Ausnahmefälle beschränkt. Werden sie durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit im Umfang von mehr als einem Achtel der individuellen wöchentlichen Arbeitszeit im Monat beansprucht, ist ihnen gemäß § 78 Abs. 3 Satz 2 [X.] innerhalb eines Jahres grundsätzlich entsprechende [X.] zu gewähren. Ist eine [X.] aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich, können an ihrer Stelle Beamte in Besoldungsgruppen mit aufsteigenden Gehältern gemäß § 78 Abs. 3 Satz 3 [X.] für einen [X.]raum von bis zu 480 Stunden im Jahr eine Vergütung erhalten.

9

§ 78 Abs. 3 Satz 2 [X.], an den § 78 Abs. 3 Satz 3 [X.] anknüpft, sieht das Erfordernis eines Antrags auf [X.] nicht vor. Die Vorschrift verpflichtet - ebenso wie § 88 Satz 2 [X.] und entsprechende landesrechtliche Regelungen - vielmehr den Dienstherrn, die erbrachte Mehrarbeit innerhalb eines Jahres durch Freizeit von Amts wegen auszugleichen. Dabei ist es dem Dienstherrn überlassen, innerhalb dieser Frist unter Berücksichtigung der dienstlichen Verhältnisse den [X.]raum auszuwählen, in dem er den Beamten - sei es zusammenhängend oder aufgeteilt - vom Dienst befreit, ohne dass der Beamte dies rechtlich beeinflussen oder auch nur mitbestimmen kann. § 78 Abs. 3 Satz 2 [X.] verlangt von dem Beamten kein bestimmtes Verhalten (vgl. [X.], Urteil vom 10. Dezember 1970 - 2 [X.] 45.68 - [X.]E 37, 21 <23 f.> zur inhaltsgleichen Regelung des § 72 Abs. 2 Satz 2 [X.] a. F.) und kann deshalb auch nicht zu einem Rechtsausschluss führen, wenn der Beamte etwas unterlässt.

2. Zutreffend ist die Annahme des Berufungsgerichts, es stelle keinen zwingenden dienstlichen Grund i. S. d. § 78 Abs. 3 Satz 3 [X.] für die Nichtgewährung der gebotenen [X.] dar, dass der Beamte nach Ableistung der Mehrarbeit aufgrund eines Dienstunfalls erkrankt und infolgedessen wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt wird.

In der Rechtsprechung des Senats ist für die dem § 78 Abs. 3 Satz 3 [X.] entsprechende Regelung des § 88 Satz 4 [X.] und für inhaltsgleiche landesrechtliche Regelungen geklärt, dass die Tatbestandsvoraussetzung der einer [X.] entgegenstehenden zwingenden dienstlichen Gründe nicht erfüllt ist, wenn in der Person des Beamten liegenden Gründe, wie etwa Krankheit, den fristgerechten Freizeitausgleich hindern. Zwingende dienstliche Gründe liegen nur dann vor, wenn der an sich dem Beamten zu gewährende Freizeitausgleich mit großer Wahrscheinlichkeit zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen oder einer Gefährdung des Dienstbetriebs führen würde ([X.], Urteil vom 23. September 2010 - 2 [X.] 27.09 - [X.] 240 § 48 [X.] Nr. 13 Rn. 11 zu § 85 Abs. 2 Satz 3 [X.] Fassung 1997; Beschluss vom 24. Mai 1985 - 2 [X.] - [X.] 232 § 72 [X.] Nr. 26 S. 10 zu § 72 Abs. 2 Satz 3 [X.] a. F.). Im Hinblick auf die auf höchster Prioritätsstufe verlangten dienstlichen Gründe muss die weitere Dienstleistung des betroffenen Beamten unerlässlich sein, um die sachgerechte Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben - und damit die Funktionsfähigkeit des Verwaltungsbereichs - sicherstellen zu können (vgl. [X.], Urteile vom 25. Juni 2009 - 2 [X.] 68.08 - NVwZ-RR 2009, 893 Rn. 17 und vom 30. März 2006 - 2 [X.] 23.05 - [X.] 236.2 § 76c DRiG Nr. 1 Rn. 17 f.). Insbesondere in den Verwaltungsbereichen, die, wie - hier - die Polizei oder die Feuerwehr und der Strafvollzug, der unmittelbaren Gefahrenabwehr dienen und mit denen der Staat Leib und Leben seiner Bürger unmittelbar schützt, müssen durch die Gewährung von Freizeitausgleich Einbußen am Sicherheitsstandard zu befürchten sein, die nicht hinnehmbar sind (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juli 2012 - 2 [X.] 29.11 - [X.]E 143, 381 Rn. 36 f.).

Keine andere Sichtweise ergibt sich aus dem Vorbringen des [X.], die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit habe unter anderem auch den Zweck, die Funktionsfähigkeit der Verwaltung zu erhalten, deshalb liege darin - wie vom [X.] (Urteil vom 5. März 2013 - W 1 K 12.455 - juris Rn. 29) angenommen - ein zwingender dienstlicher Grund i. S. d. § 78 Abs. 3 Satz 3 [X.]. Diese Argumentation übersieht, dass Bezugspunkt der gesetzlichen Regelung nicht die Versetzung in den Ruhestand, sondern die Möglichkeit der Gewährung von [X.] ist. Diese muss aus zwingenden dienstlichen Gründen unmöglich sein.

3. Der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung, [X.] könne nur ein noch im aktiven Dienst befindlicher Beamter beanspruchen, weil nur diesem auch noch [X.] gewährt werden könne, liegt aber ein fehlerhaftes Verständnis des Regelungssystems der Mehrarbeit zugrunde. Nach § 78 Abs. 3 Satz 2 [X.] ist für die angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit innerhalb eines Jahres [X.] zu gewähren. Dieser vorrangige Ausgleich darf nur unterbleiben, wenn die [X.] aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich ist. In diesem Fall eröffnet Satz 3 die Möglichkeit einer finanziellen Abgeltung, die vor Ablauf eines Jahres gesperrt ist. "An die Stelle" der [X.] tritt dann der Vergütungsanspruch: Der Anspruch auf Freizeitausgleich wandelt sich in einen Vergütungsanspruch um. Durch § 78 Abs. 3 Satz 3 [X.] ist damit dienstrechtlich die Möglichkeit eingeräumt, Beamten für die geleistete Mehrarbeit unter den genannten Voraussetzungen eine [X.] zu gewähren. Ob und ggf. in welcher Höhe die Mehrarbeit vergütet wird, ergibt sich aus den einschlägigen Regelungen des Besoldungsrechts (vgl. zu § 88 Satz 4 [X.] auch [X.], in: [X.], Stand Dezember 2023, L § 88 Rn. 27).

a) Nach seiner Wortfassung enthält § 78 Abs. 3 Satz 2 [X.] die ausdrückliche Anordnung, dass für erbrachte Mehrarbeit [X.] in gleichem zeitlichen Umfang innerhalb eines Jahres zu gewähren ist. Das Wort "grundsätzlich" bezieht sich nach der Satzstellung nicht auf die einzuhaltende Jahresfrist, sondern auf die Gewährung von [X.]. Von diesem Regelungsgehalt geht auch der in unmittelbarem systematischen Zusammenhang stehende § 78 Abs. 3 Satz 3 [X.] aus. Mit der im Präsens gehaltenen Formulierung "ist eine [X.] aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich" ist ebenso wie mit der Formulierung "an ihrer Stelle" die in § 78 Abs. 3 Satz 2 [X.] innerhalb eines Jahres zu gewährende [X.] in Bezug genommen. Der vorrangige Freizeitausgleich innerhalb der Jahresfrist darf nur unterbleiben, wenn die [X.] aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht realisierbar ist; das Erfordernis entgegenstehender zwingender dienstlicher Gründe beschränkt den Dienstherrn. In diesem Fall eröffnet § 78 Abs. 3 Satz 3 [X.] die Möglichkeit einer finanziellen Abgeltung.

Dieses Verständnis entspricht dem Sinn und Zweck der Norm. Die in § 78 [X.] getroffenen Regelungen einschließlich der Regelung des Ausgleichs der Mehrarbeit durch [X.] haben in erster Linie den Zweck, die Einhaltung der regelmäßigen Arbeitszeit - jedenfalls im Gesamtergebnis - zu gewährleisten. Dem Beamten soll in ungeschmälertem Umfang Freizeit zur Verwendung nach seinen persönlichen Bedürfnissen und Interessen zur Verfügung stehen, ungeachtet dessen, ob er diese [X.] auch zur Regeneration und Wiederherstellung seiner Arbeitskraft benötigt ([X.], Urteil vom 10. Dezember 1970 - 2 [X.] 45.68 - [X.]E 37, 21 <23 f.> zu § 72 Abs. 2 Satz 2 [X.] a. F. und vom 17. November 2016 - 2 [X.] 23.15 - [X.]E 156, 262 Rn. 16 ff. zu § 88 Satz 2 [X.]).

Dieser arbeitszeitrechtliche Hauptzweck findet sich in den Motiven des [X.] bestätigt. Der bei der Umsetzung der Föderalismusreform durch Art. 1 des Gesetzes Nr. 1675 zur Anpassung dienstrechtlicher Vorschriften an das [X.] vom 11. März 2009 neu gefasste § 78 [X.] basiert inhaltlich auf der bis dahin geltenden Arbeitszeitregelung des § 87 [X.] in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Dezember 2005 (Amtsbl. S. 2010, [X.] a. F.; vgl. [X.]. 13/2237, [X.]), dessen Regelung über Mehrarbeit in § 87 Abs. 3 [X.] a. F. seine rahmengesetzliche Grundlage in dem bis zum 31. März 2009 geltenden § 44 [X.] fand. [X.] war mit dem rahmenrechtlich in § 44 Satz 2 [X.] vorgegebenen Ausgleichszeitraum für Mehrarbeit, dass innerhalb der gesetzlich festgelegten [X.]spanne Freizeitausgleich für die die normale Arbeitszeit übersteigende Mehrarbeit erfolgen muss (vgl. Schriftlicher Bericht des [X.] vom 27. Februar 1971 [X.], 11 f. zum [X.] <1. [X.]> vom 18. März 1971 <BGBl. [X.] 208> und der dort vorgesehenen Neufassung des § 44 [X.] durch Art. V § 4 Nr. 1 1. [X.], [X.] Fassung 1971).

Der ursprünglich in § 44 Satz 2 [X.] 1971 auf drei Monate festgelegte Ausgleichszeitraum wurde durch Art. 2 Nr. 1 Buchst. b) des [X.] der Besoldungsstruktur ([X.]) vom 21. Juni 2022 ([X.]) auf Initiative der Länder auf ein Jahr erweitert. Die Länder hatten sich in dem vom Bundesrat beschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Fortsetzung der Dienstrechtsreform ([X.]. 14/3458 [X.] und 5) für eine Erweiterung des [X.] ausgesprochen. In ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Bundesrates hatte die Bundesregierung diese Erweiterung des [X.] mit der Begründung befürwortet, für die Fälle flexibler Arbeitszeitgestaltung sei der Ausgleichszeitraum bereits auf ein Jahr heraufgesetzt und der Ausgleichszeitraum für geleistete Mehrarbeit solle dem angeglichen werden ([X.]. 14/3458, [X.]). Im Rahmen des [X.]es wurde der Vorschlag des Bundesrates für die Erweiterung des [X.] für geleistete Mehrarbeit für das Beamtenrechtsrahmengesetz umgesetzt und für das Bundesbeamtengesetz übernommen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des [X.] zum Entwurf eines [X.] der Besoldungsstruktur, [X.]. 14/8623, S. 28 f.).

b) Nach der ausdrücklichen und eindeutigen Anordnung in § 78 Abs. 3 Satz 2 [X.] ist die [X.] innerhalb eines Jahres zu gewähren. Da für die vorliegende Fallgestaltung Sonderregelungen - wie etwa für den Schuldienst oder im Hinblick auf die Anrechnung geleisteter Mehrarbeit auf Langzeitarbeitszeitkonten - nicht ersichtlich sind, kann die geleistete Mehrarbeit nach Ablauf dieses Jahres nicht mehr durch [X.] abgegolten werden.

Hat der Dienstherr den betroffenen Beamten innerhalb der vorgeschriebenen Jahresfrist nach Ableistung der angeordneten oder genehmigten Mehrarbeit nicht in entsprechendem Umfang vom Dienst befreit, kommt es - rückblickend betrachtet - darauf an, ob hierfür zwingende dienstliche Gründe vorlagen. Nur in diesem Fall eröffnet § 78 Abs. 3 Satz 3 [X.] die Möglichkeit einer finanziellen Abgeltung, die vor Ablauf eines Jahres gesperrt ist. Der Anspruch auf Freizeitausgleich wandelt sich in einen Anspruch auf Vergütung um. Voraussetzungen und Höhe der dann dienstrechtlich zulässigen Vergütung sind im Besoldungsrecht geregelt. Maßgebend sind im vorliegenden Fall die im [X.]raum der geleisteten Mehrarbeit geltenden Vorschriften des Art. 1 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 des [X.] Besoldungsgesetzes in der Fassung vom 21. Januar 2015 (Amtsbl. [X.]) i. V. m. § 48 Abs. 1 [X.] 2006 und den in das [X.]recht übergeleiteten Regelungen der Verordnung über die Gewährung von Mehrarbeit für Beamte in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Dezember 1998 (BGBl. I [X.]494), geändert durch das Gesetz zur Anpassung von Besoldungs- und Versorgungsbezügen in den Jahren 2015 und 2016 vom 23. September 2015 (Amtsbl. I [X.]20).

c) Die Umwandlung des [X.] in einen Geldanspruch tritt aber auch dann ein, wenn der vom Gesetz nicht ausdrücklich geregelte Fall gegeben sein sollte, dass zwar zwingende dienstliche Gründe der [X.] nicht entgegenstanden, aber der Dienstherr dem Beamten den Freizeitausgleich innerhalb der dafür vorgesehenen Frist rechtswidrig vorenthalten hat. Denn hier muss der Anspruch erst recht bestehen. Es wäre mit dem Sinn und Zweck der Arbeitszeitregelung einschließlich des Ausgleichs der zeitlichen Mehrbeanspruchung durch [X.] nicht zu vereinbaren, dass der in § 78 Abs. 3 Satz 2 [X.] vorgesehene Anspruch auf [X.] nach einem Jahr ersatzlos nur deshalb entfiele, weil ihn der Dienstherr rechtswidrig nicht erfüllt hat (vgl. [X.], Urteil vom 10. Dezember 1970 - 2 [X.] 45.68 - [X.]E 37, 21 <28>). Sekundäre Ansprüche bestünden in diesem Fall nicht. Für einen Schadensersatzanspruch fehlt es an einem in Geld zu ersetzenden Schaden (vgl. [X.], Urteil vom 28. Mai 2003 - 2 [X.] 35.02 - [X.] 232 § 72 [X.] Nr. 39 S. 10; [X.], in: [X.], Stand Dezember 2023, L § 88 Rn. 66).

d) Aus der gesetzlichen Konzeption des § 78 Abs. 3 Satz 2 und 3 [X.] folgt, dass es im Risikobereich des Beamten liegt, wenn Mehrarbeitszeiten, in denen [X.] innerhalb eines Jahres dienstlich noch möglich war, ohne Ausgleich bleiben, weil die [X.] aus in seiner Person liegenden Gründen scheiterte. Denn innerhalb der Jahresfrist darf der Anspruch auf Kompensation von Mehrarbeit durch Freizeitausgleich erfüllt werden.

4. Es verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, dass ein Ausgleich in Geld nicht beansprucht werden kann, wenn die wegen Mehrarbeit zu gewährende [X.] nicht innerhalb der Jahresfrist des § 78 Abs. 3 Satz 2 [X.] erfolgen konnte, weil der Beamte infolge eines Dienstunfalls erkrankt und sodann wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt wird. Der Gesetzgeber ist nicht aus Gründen der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) verpflichtet, eine finanzielle Ausgleichsregelung für derartige Konstellationen zu schaffen. Der Gesetzgeber hat die Vergütung von Mehrarbeit als Ausnahme von den Grundsätzen des Beamtenrechts aus sachlichen Gründen nur begrenzt zugelassen (vgl. auch [X.], Urteile vom 21. Februar 1991 - 2 [X.] 48.88 - [X.]E 88, 60 <65> und vom 28. Mai 2003 - 2 [X.] 35.02 - [X.] 232 § 72 [X.] Nr. 39 S. 10). Nach der gesetzgeberischen Entscheidung ist Mehrarbeit grundsätzlich allein durch [X.] auszugleichen; nur ausnahmsweise erfolgt eine finanzielle Kompensation. Lediglich für die [X.], die dem betroffenen Beamten wegen seiner dienstlichen Inanspruchnahme aus zwingenden Gründen des Dienstbetriebs nicht innerhalb des dafür vorgesehenen [X.] in Freizeit abgegolten werden können, entsteht ein Vergütungsanspruch. Mit dem Anknüpfen an die zwingende dienstliche Inanspruchnahme des betroffenen Beamten, die dem Dienstherrn eine fristgerechte Erfüllung des Freizeitausgleichs unmöglich macht, hat der Gesetzgeber ein sachliches Differenzierungsmerkmal gewählt und damit in zulässiger Weise ein darüber hinausgehendes finanzielles Interesse der Beamten an der Abgeltung von Mehrarbeit ausgeschlossen.

Ungeachtet dessen bleibt es dem Gesetz- und Verordnungsgeber in solchen oder anderen ([X.] unbenommen, unter [X.] Modelle eines Interessenausgleichs zu entwickeln (vgl. etwa § 14a Abs. 11 der Verordnung über die Arbeitszeit von Beamtinnen und Beamten im [X.] in der Fassung vom 13. April 2022 <GV. [X.]. S. 524> über den finanziellen Ausgleich von [X.]guthaben bei Langzeitarbeitskonten oder § 8b Abs. 5 der [X.] Verordnung über die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten in der Fassung vom 30. September 2015 <Nds. GVBl. S. 196> über den finanziellen Ausgleich von [X.]guthaben bei [X.] und freiwilligen Arbeitszeitkonten).

5. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des [X.] kann der Senat nicht entscheiden, ob sich das Berufungsurteil aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 144 Abs. 4 VwGO). Für eine abschließende Entscheidung über den mit der Leistungsklage zu verfolgenden Hauptantrag des [X.] bedarf es weiterer Sachaufklärung, die dem Revisionsgericht verwehrt ist (§ 137 Abs. 2 VwGO). Dies führt zur Zurückverweisung der Sache an das Oberverwaltungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

Nach den tatsächlichen Feststellungen des [X.] (§ 137 Abs. 2 VwGO) hat der Kläger zum [X.]punkt seines Eintritts in den Ruhestand insgesamt 205 nicht durch [X.] oder Vergütung abgegoltene, dienstlich angeordnete oder genehmigte [X.] geleistet. Nicht geklärt ist, bei welchen Einsatzlagen der Kläger Mehrarbeit geleistet hat. Auf informatorische Befragung in der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte erklärt, dass die Bereitschaftspolizei des [X.] bei dem [X.] vom 26. Mai bis 9. Juni 2015, bei [X.] in [X.] vom 16. bis 18. Oktober 2015 sowie vom 10. bis 12. Januar 2016, bei dem Besuch des Präsidenten [X.] in [X.] vom 21. bis 26. April 2016 und bei dem [X.] in [X.] vom 6. bis 12. Dezember 2016 eingesetzt war. Die Beteiligten konnten aber keine Angaben dazu machen, ob der Kläger an sämtlichen Einsätzen teilgenommen hat, und damit auch nicht, in welchem Umfang er Mehrarbeit bei welchen Einsätzen geleistet hat. Keine Feststellungen enthält das Berufungsurteil auch zu der Frage, ob der Dienstherr aus zwingenden dienstlichen Gründen gehindert war, innerhalb der nach Ableistung der Mehrarbeit in Lauf gesetzten [X.] den entsprechenden Freizeitausgleich gegenüber dem Kläger zu erfüllen, oder ggf. ob er ihm den Freizeitausgleich wegen eines vermeintlichen Antragserfordernisses rechtswidrig vorenthalten hat.

Insoweit weist der Senat darauf hin, dass es dem Dienstherrn obliegt, darzulegen, ob er aufgrund der für erforderlich gehaltenen personellen Ausstattung des Dienstbetriebs gehindert war, fristgerecht [X.] zu gewähren, und ob und wie - mit oder ohne Antrag - er den zeitlichen Ausgleich angefallener Mehrarbeit von Beamten in die Dienstplanung einbezogen hat. Zwar trägt der Kläger nach der allgemeinen Beweislastregel grundsätzlich die Beweislast für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen bei dem geltend gemachten Anspruch auf [X.] nach § 78 Abs. 3 Satz 3 [X.]. Allerdings ist in dem vom Grundsatz der Amtsermittlung geprägten Verwaltungsprozess zu berücksichtigen, dass die Beteiligten ohne Rücksicht auf die Verteilung der materiellen Beweislast zur Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung verpflichtet sind (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO). Das schließt ein, dass einem Beteiligten eine besondere Mitwirkungspflicht hinsichtlich solcher Umstände obliegt, die allein in seiner Sphäre, seinem Verantwortungs- und Verfügungsbereich liegen. Dies trifft auf die im Organisationsermessen des Dienstherrn liegende sachliche und personelle Ausgestaltung des Dienstbetriebs zu. Kommt der Dienstherr einer danach bestehenden Mitwirkungspflicht nicht nach und wird dadurch die Sachverhaltsaufklärung schwierig oder gar unmöglich, kann das Gericht Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zu Gunsten des anspruchsberechtigten Beamten erwägen (vgl. [X.], Urteile vom 26. November 1969 - 6 [X.] 121.65 - [X.]E 34, 225 <226 f.>, vom 20. Januar 2000 - 2 [X.] 13.99 - [X.] 237.7 § 15 [X.] Nr. 4 [X.] f. und vom 26. Januar 2012 - 2 A 7.09 - [X.]E 141, 361 Rn. 45).

Meta

2 C 2/23

07.03.2024

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, 27. Dezember 2022, Az: 1 A 333/20, Urteil

Art 3 Abs 1 GG, § 137 Abs 2 VwGO, § 144 Abs 3 S 1 Nr 2 VwGO, § 144 Abs 4 VwGO, § 191 Abs 2 VwGO, § 63 Abs 3 S 2 BeamtStG, § 44 BRRG vom 21.06.2002, § 127 Nr 2 BRRG, § 88 BBG 2009, § 78 Abs 3 S 2 BG SL 2009, § 78 Abs 3 S 3 BG SL 2009

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 07.03.2024, Az. 2 C 2/23 (REWIS RS 2024, 2867)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 2867

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