Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16.08.2011, Az. 1 C 12/10

1. Senat | REWIS RS 2011, 4011

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Gegenstand

Niederlassungserlaubnis aus familiären Gründen; Voraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts; Bedarfsgemeinschaft; deutsche Familienangehörige


Leitsatz

1. Für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist neben der Erfüllung der dort genannten speziellen Voraussetzungen auch erforderlich, dass die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt ist.

2. Ist der Ausländer nur deshalb auf Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) angewiesen, weil er mit seinen deutschen Familienangehörigen in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, könnte er aber mit seinem Erwerbseinkommen seinen eigenen Bedarf decken, so ist bei Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu machen.

Tatbestand

1

Die Klägerin, eine 1960 geborene [X.] Staatsangehörige, erstrebt die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis aus familiären Gründen nach § 28 Abs. 2 Satz 1 [X.].

2

Die Klägerin reiste 1996 mit ihrem [X.] nach [X.] ein, um hier mit ihrem damaligen [X.]n Ehemann zusammenzuleben. Sie erhielt von August 1996 bis Juli 1999 befristete [X.] zur Führung der familiären Lebensgemeinschaft. Im Oktober 1997 wurde ein weiterer [X.] geboren. Mittlerweile sind beide Söhne [X.] Staatsangehörige. Die Klägerin ist geschieden.

3

Im Juni 1999 zog die Klägerin mit beiden Kindern wegen Misshandlungen durch ihren damaligen Ehemann aus der Familienwohnung aus. Auf ihren Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wurde ihr im April 2000 eine eheunabhängige Aufenthaltserlaubnis nach § 19 AuslG erteilt und in der Folgezeit jeweils um zwei bzw. drei Jahre verlängert. Ab Juli 2005 wurden die der Klägerin weiter erteilten befristeten [X.] auf § 28 Abs. 1 Nr. 3 [X.] gestützt.

4

Im Dezember 2008 beantragte die Klägerin die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 [X.]. Sie wies darauf hin, dass sie als Küchenhelferin im Kindergarten erwerbstätig sei und mit diesen Einkünften ihren eigenen Lebensunterhalt sichern könne. Zwar beziehe sie ergänzend [X.], um auch den Lebensunterhalt für ihre beiden Kinder bestreiten zu können. Für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 [X.] komme es aber nur auf die Sicherung des Lebensunterhalts des Nachziehenden an, nicht dagegen auch auf die Sicherung des Lebensunterhalts für Familienangehörige mit [X.]r Staatsangehörigkeit. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 12. Februar 2009 ab und berief sich darauf, dass auch der Unterhalt der Kinder gesichert sein müsse. Ein atypischer Fall, der ein Absehen von der Sicherung des Lebensunterhalts rechtfertigen könne, liege nicht vor.

5

Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beklagte verpflichtet, der Klägerin die beantragte Niederlassungserlaubnis zu erteilen. Er hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Zwar sei das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass ein Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 [X.] auch das Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 [X.], insbesondere die Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.], erfordere. Hierfür reiche aber aus, dass der die Niederlassungserlaubnis begehrende Ausländer seinen eigenen Lebensunterhalt sichern könne. Auf die familiäre Bedarfsgemeinschaft sei nur dann abzustellen, wenn die begehrte Aufenthaltsverfestigung die fiskalischen Interessen der Bundesrepublik [X.] beeinträchtige. Das sei dann der Fall, wenn die Aufenthaltsverfestigung des jeweiligen Antragstellers zugleich aufenthaltsrechtliche Wirkungen für dessen Familienangehörige habe. Demgegenüber seien die fiskalischen Interessen der Bundesrepublik [X.] dann nicht nachteilig betroffen, wenn der aufenthaltsrechtliche Status der Familienangehörigen von der Rechtsstellung des Ausländers unabhängig sei, der die Aufenthaltsverfestigung begehre. Das sei hier der Fall. Die Beteiligten gingen übereinstimmend davon aus, dass der Verdienst der Klägerin ausreiche, um ihren eigenen Lebensunterhalt zu sichern. Bei einem Nettoverdienst von 885,95 € verblieben nach Abzug des Freibetrags nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II (heute: § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II) in Höhe von 100 € und des auf sie entfallenden Teils der Kosten für Unterkunft und Heizung von 133,96 € der Klägerin für sich selbst 651,99 € und damit nahezu das Doppelte des Regelsatzes für Alleinstehende nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II.

6

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision. Sie ist der Auffassung, dass bei der Sicherung des Lebensunterhalts auf die familiäre Bedarfsgemeinschaft abzustellen sei. Denn § 28 Abs. 2 [X.] setze die Führung einer familiären Lebensgemeinschaft voraus. Art. 6 GG werde durch die Versagung der Niederlassungserlaubnis nicht verletzt. Die Klägerin könne die familiäre Lebensgemeinschaft mit ihren Kindern auch ohne einen Titel zum Daueraufenthalt fortsetzen.

7

Die Klägerin tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des [X.] beim [X.] hat sich an dem Verfahren beteiligt und sich im Wesentlichen der Auffassung der [X.] angeschlossen.

Entscheidungsgründe

8

[X.]ie Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. [X.]as Berufungsgericht hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht verpflichtet, der Klägerin die begehrte Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 [X.] zu erteilen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts genügt es für die Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 [X.] zwar nicht, dass die Klägerin mit ihrem Einkommen ihren eigenen Bedarf decken könnte, für den Lebensunterhalt ihrer Kinder aber auf Leistungen nach dem [X.] ([X.]) angewiesen ist; denn insoweit ist für die Berechnung auf die Regelungen über die Bedarfsgemeinschaft nach dem [X.] abzustellen. [X.]ie Entscheidung erweist sich jedoch im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO), weil eine Ausnahme vom Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] vorliegt.

9

Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Klagen auf Verpflichtung zur Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (hier: 23. Juni 2010). Zugrunde zu legen sind daher die Bestimmungen des [X.]es in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 ([X.]), die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten.

1. [X.]as Berufungsgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die besonderen Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 [X.] vorliegen. Nach § 28 Abs. 2 Satz 1 [X.] ist dem ausländischen Familienangehörigen eines [X.] im Sinne von § 28 Abs. 1 [X.] in der Regel eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem [X.] im [X.] fortbesteht, kein [X.] vorliegt und er sich auf einfache Art in [X.] verständigen kann.

2. [X.]as Berufungsgericht hat weiterhin zu Recht angenommen, dass ein Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 [X.] neben den dort genannten Voraussetzungen auch das Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 [X.], insbesondere die Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.], erfordert.

Zwar ergibt sich dies nicht aus dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Satz 1 [X.]. [X.]ieser greift vielmehr mit dem Tatbestandsmerkmal des [X.] eines [X.]es ausdrücklich nur eine der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 [X.]) auf, lässt alle anderen hingegen unerwähnt. Gesetzessystematik sowie Sinn und Zweck der Norm sprechen jedoch dafür, dass für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 [X.] auch das in § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] geregelte Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts erfüllt sein muss.

[X.]er Gesetzgeber hat nach der Konzeption des [X.]es die Fälle, in denen er von der Erfüllung bestimmter allgemeiner Erteilungsvoraussetzungen abweichen wollte, ausdrücklich im Wortlaut der jeweiligen Vorschrift kenntlich gemacht (beispielsweise in § 29 Abs. 4, § 30 Abs. 3, § 34 Abs. 1 und § 36 Abs. 1 [X.]). Eine entsprechende Regelung hat er auch in § 28 Abs. 1 [X.] für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Ehegatten eines [X.], das minderjährige ledige Kind eines [X.] bzw. den Elternteil eines minderjährigen ledigen [X.] zur Ausübung der Personensorge getroffen. Im Gegensatz dazu fehlt in § 28 Abs. 2 [X.] für den Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis eine entsprechende Formulierung. [X.]araus folgt, dass neben den in § 28 Abs. 2 Satz 1 [X.] genannten Tatbestandsmerkmalen die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 [X.] - insbesondere die Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] - erfüllt sein müssen (so auch [X.], Beschluss vom 6. Juli 2006 - 18 E 1500/05 - [X.] 2006, 407; [X.], Beschluss vom 13. August 2009 - 1 S 223.09 - [X.] 2010, 25; [X.], Beschluss vom 3. Februar 2010 - 3 [X.] 70.09 - juris; [X.], Urteil vom 22. Februar 2011 - 12 B 20.08 - juris; [X.], Ausländerrecht Kommentar, Stand: Februar 2008, § 28 [X.] Rn. 27; [X.], in: GK-[X.], Stand: Mai 2008, § 28 Rn. 245; [X.], [X.], § 28 Rn. 10 f.; [X.]ienelt, in: [X.], Ausländerrecht Kommentar, 9. Aufl. § 28 [X.] Rn. 20). [X.]em steht nicht entgegen, dass § 28 Abs. 2 Satz 1 [X.] ausdrücklich das Fehlen eines [X.]es als Erteilungsvoraussetzung erwähnt, die anderen Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] jedoch unerwähnt lässt. Vielmehr wird durch diese Formulierung die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 [X.] verschärft, weil von einem [X.] auch bei einer atypischen Fallgestaltung nicht mehr abgesehen werden kann. [X.]araus kann nicht auf eine Absicht des Gesetzgebers geschlossen werden, er habe durch die Verschärfung einer Regelerteilungsvoraussetzung auf die Erfüllung der übrigen Regelerteilungsvoraussetzungen verzichten wollen. Für das Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts als Voraussetzung für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 [X.] spricht auch die Bedeutung, die der Gesetzgeber der Unterhaltssicherung generell beimisst. Er sieht hierin eine Erteilungsvoraussetzung von grundlegendem staatlichen Interesse und zugleich die wichtigste Voraussetzung, um die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu verhindern (vgl. Urteil vom 30. April 2009 - BVerwG 1 [X.] 3.08 - [X.] 402.242 § 5 [X.] Nr. 5 Rn. 11). Angesichts dieser gesetzgeberischen Wertung kann nicht angenommen werden, dass von der Unterhaltssicherung bei Erteilung einer Erlaubnis zum [X.]aueraufenthalt nach § 28 Abs. 2 [X.] abgesehen werden sollte. [X.]er Gesetzgeber hat allerdings die Niederlassungserlaubnis bei familiärer Lebensgemeinschaft mit [X.] insofern gegenüber einer solchen mit Ausländern privilegiert, als für die Unterhaltssicherung § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] und nicht § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 [X.] maßgeblich ist. [X.]as hat zur Folge, dass für die Familienangehörigen [X.]eutscher die Sicherung des Lebensunterhalts nur eine Regelerteilungsvoraussetzung darstellt und nicht wie für die Familienangehörigen von Ausländern eine zwingende Voraussetzung.

3. Allerdings verletzt die Entscheidung des Berufungsgerichts Bundesrecht, indem sie für die Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] nur auf den eigenen Bedarf der Klägerin abstellt, nicht aber auf den Gesamtbedarf der aus der Klägerin und ihren beiden Kindern bestehenden Bedarfsgemeinschaft. Nach der Rechtsprechung des [X.]s ist der Lebensunterhalt eines Ausländers im Sinne von § 2 Abs. 3 [X.] nämlich nicht schon dann gesichert ist, wenn der Ausländer mit seinem Erwerbseinkommen seinen eigenen Bedarf decken könnte, er für seinen Ehepartner und seine Kinder aber auf Leistungen nach dem [X.] ([X.]) angewiesen ist (vgl. Urteil vom 16. November 2010 - BVerwG 1 [X.] 21.09 - [X.] 2011, 182 Rn. 14 ff. - zur [X.] in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen). Vielmehr sind für die Berechnung, ob ein Anspruch auf öffentliche Leistungen besteht, grundsätzlich die sozialrechtlichen Regelungen über die Bedarfsgemeinschaft nach § 9 Abs. 2 [X.] maßgeblich.

In dem vom [X.] entschiedenen Fall ging es zwar um eine Niederlassungserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 26 Abs. 4 [X.] und nicht - wie hier - um eine solche aus familiären Gründen. In dem Urteil wird jedoch ausdrücklich hervorgehoben, dass sich aus der Verweisung des § 2 Abs. 3 Satz 1 [X.] auf das Sozialrecht allgemein - und nicht nur für besondere Fallkonstellationen wie den Familiennachzug - ergibt, dass die Sicherung des Lebensunterhalts bei einem erwerbsfähigen Ausländer auch den Lebensunterhalt des mit ihm in familiärer Gemeinschaft lebenden Ehepartners und der unverheirateten Kinder bis zum 25. Lebensjahr umfasst (Urteil vom 16. November 2010 a.a.[X.] Rn. 16). Zur Begründung hat der [X.] maßgeblich auf Sinn und Zweck der Regelung abgestellt, die dazu dient, (neue) Belastungen für die öffentlichen Haushalte zu vermeiden. Und er hat darauf hingewiesen, dass eine Niederlassungserlaubnis die Berechtigung zum [X.]aueraufenthalt begründet und daher vom Gesetzgeber in § 26 Abs. 4 [X.] und § 9 Abs. 2 [X.] von erhöhten Integrationsvoraussetzungen abhängig gemacht wurde, die über die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 [X.] hinausgehen (Urteil vom 16. November a.a.[X.] Rn. 17).

Für Aufenthaltstitel zum Zweck des Familiennachzugs hat der [X.] in seinem Urteil vom gleichen Tag in der Sache BVerwG 1 [X.] 20.09 (zur Aufnahme in die Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen, Rn. 22 f.) ausgeführt, dass sich auch aus der in § 2 Abs. 3 Satz 4 [X.] getroffenen Regelung ergibt, dass bei der Sicherung des Lebensunterhalts auf den Gesamtbedarf der Kernfamilie des Ausländers abzustellen ist. Nach dieser Vorschrift werden bei der Erteilung und Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug "Beiträge der Familienangehörigen zum Haushaltseinkommen berücksichtigt". [X.]ie Verwendung des Begriffs "Haushaltseinkommen" macht deutlich, dass der Gesetzgeber insoweit von einer einheitlichen Betrachtung der häuslichen Familiengemeinschaft ausgeht. Ferner hat der [X.] ausgeführt, dass nur das Abstellen auf die familiäre Bedarfsgemeinschaft der Lebenswirklichkeit gerecht wird. Es wäre lebensfremd, wenn man annähme, ein Ausländer, der Alleinverdiener ist, würde von seinem Einkommen zunächst seinen eigenen Bedarf decken und seiner Familie lediglich die verbleibenden Mittel zukommen lassen. Als wirklichkeitsfremd hat er daher die fiktive Berechnung angesehen, ob der einzelne Ausländer - für sich gesehen - seinen Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen bestreiten könnte (Urteil vom 16. November 2010 a.a.[X.] Rn. 19).

An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Soweit im Einzelfall oder in einer typisierten Gruppe von Einzelfällen eine Ausnahme vom Abstellen auf die familiäre Bedarfsgemeinschaft zu machen ist, kann dem durch Annahme einer Abweichung vom Regelfall Rechnung getragen werden.

4. [X.]er angegriffene Beschluss des Berufungsgerichts erweist sich jedoch im Ergebnis als richtig, weil eine Ausnahme vom Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] vorliegt. Von einer solchen Ausnahme ist bei besonderen, atypischen Umständen auszugehen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen (vgl. Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 [X.] 32.07 - BVerwGE 131, 370 Rn. 27). Ob ein Ausnahmefall vorliegt, ist gerichtlich voll überprüfbar (vgl. Urteil vom 30. April 2009 a.a.[X.] Rn. 15). Besondere Umstände, die eine Ausnahme vom Regelfall begründen, liegen hier in der Tatsache, dass das Einkommen der Klägerin nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ausreicht, ihren eigenen Lebensunterhalt zu sichern, und die [X.] nur durch den Unterhaltsbedarf ihrer beiden [X.] Kinder entsteht. Für die Kinder bedeutet die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis an ihre Mutter aber keine Verfestigung des Aufenthalts, da sie als [X.]eutsche ohnehin Anspruch auf dauerhaften Verbleib in der [X.] haben.

[X.]er [X.] hat als einen Grund für das Abstellen auf die Bedarfsgemeinschaft - wie bereits dargelegt - die Vermeidung zusätzlicher Belastungen der öffentlichen Haushalte angeführt, die auch durch eine Verfestigung des Aufenthalts [X.] ausländischer Familienangehöriger eintritt (Urteil vom 16. November 2010 a.a.[X.] Rn. 18). [X.]ieser Grund für das Abstellen auf die familiäre Bedarfsgemeinschaft liegt bei [X.] Familienangehörigen nicht vor. [X.]as Aufenthaltsrecht eines [X.] im Land seiner Staatsangehörigkeit kann nicht weiter verfestigt werden. [X.]eutsche sind auch dann nicht zur Ausreise verpflichtet, wenn sie Sozialleistungen beziehen. [X.]aher führt die mit einer Niederlassungserlaubnis verbundene Verfestigung des Aufenthalts der Klägerin nicht zu einer Verstetigung der Belastung öffentlicher Haushalte durch die Verpflichtung zur Gewährung von Sozialleistungen. In der aus der Klägerin und ihren Kindern bestehenden Bedarfsgemeinschaft ist sie die einzige Ausländerin. Sie erzielt aber ein ihren Bedarf deckendes Einkommen. In diesem Fall greift die allgemeine Regel nicht, dass die Verfestigung des Aufenthalts eines Mitglieds der auf Sozialleistungen angewiesenen Bedarfsgemeinschaft zu einer zusätzlichen Belastung der öffentlichen Haushalte führt und daher der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis entgegensteht. [X.]er gleiche Gedanke lag auch der Rechtsprechung des [X.]s zur einschränkenden Auslegung des Versagungs- und [X.]es nach § 46 Nr. 6 [X.] 1990 (jetzt: § 55 Abs. 2 Nr. 6 [X.]) wegen Sozialhilfebezugs unterhaltsberechtigter Familienangehöriger zugrunde. In seinem Urteil vom 28. September 2004 (BVerwG 1 [X.] 10.03 - BVerwGE 122, 94 <101>) hat der [X.] ausgeführt, dass die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 35 Abs. 1 [X.] die durch diesen Ausweisungstatbestand geschützten fiskalischen Interessen dann nicht beeinträchtigt, wenn ein [X.] Familienangehöriger des Ausländers Sozialhilfe bezieht. [X.]er Verweis auf § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] verliert durch die vorstehend näher beschriebene Ausnahme im Fall einer durch [X.] Familienangehörige entstehenden [X.] nicht seine Bedeutung, da weiterhin der Lebensunterhalt des die Niederlassungserlaubnis begehrenden Ausländers selbst - sowie gegebenenfalls weiterer in die Bedarfsgemeinschaft einbezogener ausländischer Familienangehöriger - gesichert sein muss.

[X.]a eine Ausnahme vom Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] schon aus den vorstehend dargelegten Gründen zu machen ist, kam es für die Entscheidung des [X.]s nicht mehr auf die von der Revision aufgeworfene Frage an, ob eine Ausnahme auch dann vorläge, wenn der Lebensunterhalt der familiären Bedarfsgemeinschaft nur deshalb nicht gedeckt wäre, weil der geschiedene Ehemann der Klägerin - was bisher nicht festgestellt ist - seinen Unterhaltspflichten gegenüber den gemeinsamen Kindern nicht nachkommt.

Meta

1 C 12/10

16.08.2011

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 23. Juni 2010, Az: 6 A 140/10, Beschluss

§ 28 Abs 2 AufenthG 2004, § 28 Abs 1 AufenthG 2004, § 2 Abs 3 AufenthG 2004, § 5 Abs 1 Nr 1 AufenthG 2004, § 9 Abs 2 S 1 Nr 2 AufenthG 2004, § 55 Abs 2 Nr 6 AufenthG 2004, § 9 Abs 2 SGB 2, § 35 Abs 1 AuslG 1990, § 46 Nr 6 AuslG 1990

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16.08.2011, Az. 1 C 12/10 (REWIS RS 2011, 4011)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4011

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Referenzen
Wird zitiert von

M 25 K 15.4386

W 7 K 14.704

19 ZB 20.2659

19 ZB 20.209

11 K 6495/18

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