Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.05.2003, Az. 5 StR 66/03

5. Strafsenat | REWIS RS 2003, 3012

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Nachschlagewerk: [X.]: neinVeröffentlichung: jaStGB § 222Wer infolge einer Täuschung durch das Opfer vorsatzlosaktive Sterbehilfe leistet, nimmt nicht an einertatbestandslosen Selbstgefährdung teil.[X.], Urteil vom 20. Mai 2003 - 5 StR 66/03 [X.] -5 StR 66/03BUNDESGERICHTSHOFIM NAMEN DES VOLKESURTEILvom 20. Mai 2003in der Strafsachegegenwegen Totschlags- 3 -Der 5. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom20. Mai 2003, an der teilgenommen haben:Vorsitzende Richterin [X.],[X.],Richterin [X.],Richter Dr. Brause,Richter [X.] beisitzende Richter,[X.] Vertreter der [X.],Rechtsanwaltals Verteidiger,[X.] Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,- 4 -für Recht erkannt:Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil [X.] [X.] vom 10. Oktober 2002 mit den Fest-stellungen aufgehoben.Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Ju-gendkammer des [X.] zurückverwiesen.[X.] Von Rechts wegen [X.]G r ü n d eDas Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigespro-chen, einen [X.] getötet zu haben, den er als Zivildienstlei-stender betreut hatte. Die dagegen mit der Sachrüge geführte Revision [X.], die vom [X.] vertreten wird, hat Erfolg.[X.] [X.] hat festgestellt:Der 20 Jahre alte Angeklagte übernahm als Zivildienstleistender [X.] Februar 2001 ohne besondere Vorbereitung für die Dauer von zwei [X.] in der [X.]in [X.] die Tagesbetreuung (10.00 bis16.30 Uhr) des 28 Jahre alten S . Dieser litt an stark ausge-prägter progressiver Muskeldystrophie vom Typus Duchenne und vermochteneben einzelnen Fingern [X.] diese aber ohne [X.] [X.] nur noch Mund und Zun-- 5 -ge zu bewegen. Seine Arme und Beine waren in [X.] fixiert. De-formationen des Brustkorbes und der Wirbelsäule und eine starke Reduzie-rung der Atemmuskulatur ließen nur noch eine Atmungskapazität von zehnProzent eines Gesunden zu. Der Ausstoß von Kohlendioxyd wurde durch einzeitweise an die Nase angeschlossenes Beatmungsgerät gefördert. [X.] verfügte über einen herausragenden Intellekt. Er konnteseine Vorstellungen genau artikulieren und dank seiner guten Menschen-kenntnis einschätzen, an welche der Pflegekräfte er sich zu wenden hatte,um auch ausgefallene Wünsche zu verwirklichen. Schon im Dezember 1999hatte er in einem elektronischen Brief einer ihm nahe stehenden [X.] mitgeteilt. Er hatte geschildert, dadurch sexuellerregt zu werden, daß er in zwei miteinander verklebten Müllsäcken verpacktmit zugeklebtem Mund in einen Behälter geworfen würde, um [X.] mit weiteren Müllsäcken bedeckt [X.] anschließend durch die Müllabfuhr indie Verbrennungsanlage gebracht und dort verbrannt zu werden.Er griff im Februar 2001 diese Gedanken auf und wollte sie mit [X.] Angeklagten verwirklichen. Zunächst hatte er diesen gebeten, ihm statteiner Hose eine Plastiktüte über den Unterleib bis zur Hüfte zu ziehen.Nachdem er dem Angeklagten erläutert hatte, gern Plastik auf der Haut zuspüren, kam der Angeklagte diesem Verlangen nach. Am 22. Februar 2001gegen 12.15 Uhr äußerte [X.]den Wunsch, ihn in Müllsäcke verpackt ineinen Müllcontainer zu legen. Auf Nachfragen des Angeklagten [X.], dies schon öfter gemacht zu haben, und daß seine Bergung aus [X.] am Nachmittag sicher sei. Der Angeklagte erfüllte in dem [X.], dem ihm anvertrauten [X.] so gut wie möglich zu [X.], alle bestimmt vorgebrachten Anweisungen, ohne sie kritisch zu [X.]. Er packte [X.]nackt in zwei Müllsäcke, schnitt eine Öffnung fürden Kopf in den oberen Müllsack und verklebte beide Säcke. Bis auf einekleine Öffnung verschloß er ferner [X.] auf besonderen Wunsch [X.] [X.] des-sen Mund mit Klebeband und legte ihn bei Außentemperaturen um den Ge-frierpunkt in einen teilweise gefüllten Container. [X.] stellte der- 6 -Angeklagte den Rollstuhl in den Abstellraum, räumte die Wohnung auf undverließ die Pflegeeinrichtung durch einen Seiteneingang. Diese Maßnahmenhatte [X.]angeordnet, um eine gegenüber anderen Pflegekräften wahr-heitswidrig mitgeteilte Abwesenheit zu belegen. Eine deshalb erst am Abenderfolgte Suche nach ihm blieb ergebnislos. Am nächsten Morgen wurde [X.] im Container entdeckt. Der Tod war durch Ersticken, möglicher-weise in Kombination mit Unterkühlung eingetreten. Entweder hatte der obe-re Müllsack die Atemwege verlegt oder die ohnehin nur flache Atmung wardurch einen auf den Brustkorb gelangten weiteren Müllsack unmöglich ge-worden.[X.] der rechtlichen Würdigung führt die [X.] aus:Das zu Tode führende Geschehen sei wegen der [X.] und des Opfers nicht mehr als Beteiligung aneiner Selbstgefährdung, sondern als einverständliche Fremdgefährdung zuwerten. Die Gefährdung sei ausschließlich von dem Angeklagten, wenn auchauf alleinige Veranlassung des Geschädigten, ausgegangen, der sich [X.] Ergebnis lediglich ausgesetzt habe. Allerdings ergebe eine wertende Be-trachtung aller Umstände, daß die einverständliche Fremdgefährdung ent-sprechend der Auffassung von [X.] (NStZ 1984, 411, 412) —unter allen [X.] einer Selbstgefährdung gleichstehe. Dafür spreche dieumfassende und sorgsame Planung des Geschehens durch das Opfer, diebesondere, von Überforderung, Naivität, Vertrauensseligkeit und unzurei-chender Vorbereitung geprägte Situation des Angeklagten und dessen [X.] Bestreben, alle Wünsche des [X.] zu erfüllen.Der Angeklagte sei letztendlich dazu benutzt worden, den [X.] verwirklichen, ohne darüber informiert gewesen zu sein. Damit sei die Zu-rechnung des Handelns des Angeklagten zum objektiven Tatbestand ausge-schlossen.- 7 -III.Der Freispruch hält der sachlichrechtlichen Prüfung nicht stand. DieFeststellungen des [X.] tragen nicht dessen Wertung, der Ange-klagte habe im Ergebnis an einer straflosen Selbstgefährdung teilgenommen.1. In der Rechtsprechung des [X.] ist als Folge [X.] der Selbstverantwortung des sich selbst eigenverantwortlichgefährdenden Tatopfers anerkannt, daß gewollte und verwirklichte [X.] nicht dem Tatbestand eines [X.] oder Tötungs-delikts unterfallen, wenn das mit der Gefährlichkeit bewußt [X.] sich realisiert. Wer lediglich eine solche Selbstgefährdungveranlaßt, ermöglicht oder fördert, macht sich nicht wegen eines vorsätzli-chen oder fahrlässigen [X.] oder Tötungsdelikts strafbar([X.]St 32, 262, 263 f.; [X.] [X.], 25, 26 und 319, 320; 1986, 266,267; 1987, 406; [X.] NJW 2000, 2286; [X.]St 46, 279, 288). Diese Recht-sprechung gründet in erster Linie auf Sachverhalte, denen gemein ist,daß die den Verletzungs- oder [X.] verursachende schädi-gende Handlung [X.] die Einnahme von Betäubungsmitteln ([X.]St 32, 262 f.;[X.] [X.], 319; [X.] NJW 2000, 2286; [X.]St 46, 279, 283),Stechapfeltee ([X.] [X.], 25) oder Alkohol ([X.] NStZ 1986, [X.], 406) [X.] durch das Opfer selbst erfolgt und erfährt dann eine Ausnahme,wenn der sich Beteiligende [X.] das [X.] erfaßt als der sich selbst Gefährdende ([X.]St 32, 262, 265;[X.] [X.], 25 f.; 1986, 266; 1987, 406; [X.] NJW 2000, [X.]. auch BayObLG JZ 1997, 521). Maßgebendes Kriterium zur [X.] Selbstgefährdung ist in diesen Fällen somit [X.] wie auch beider Anwendung des § 216 StGB anerkannt (vgl. [X.]St 19, 135, 139 f.;[X.], [X.]. vom 25. November 1986 [X.] 1 StR 613/86 insoweit nicht [X.] 1987, 365 f. abgedruckt; [X.] in [X.]/[X.], StGB 26. Aufl.§ 216 [X.]. 11) [X.] der Sache nach die Trennungslinie zwischen [X.] Teilnahme (vgl. [X.] in [X.]. Vor § 211 [X.]. 22; [X.]. [X.] 8 -§ 216 [X.]. 11; [X.]. aaO § 222 [X.]. 21 sub Selbstgefährdung; [X.][X.], StGB 51. Aufl. Vor §§ 211 bis 216 [X.]. 10; [X.] in[X.]. Vor § 211 [X.]. 45). Deren Grundsätze werden vonder Rechtsprechung auch herangezogen, soweit eine ausschließlichvon dem Beteiligten ausgehende Gefährdung, wie sie etwa bei einerdurch Täuschung bewogenen Vornahme der Tötungshandlung (vgl.[X.]St 32, 38, 41 f.) oder beim Geschlechtsverkehr eines HIV-Infizierten miteinem gesunden Menschen entsteht, zu beurteilen ist (vgl. [X.]St 36, 1,17 f.; BayObLG NStZ 1990, 81 f.).2. Diese Grundsätze sind auch bei dem hier vorliegenden Fall einesvom Angeklagten verursachten [X.]es bei [X.] und Durchführung nach den Wünschen des sich selbst Gefährden-den zugrundezulegen. Danach ist in wertender Betrachtung zu entscheiden,ob der Angeklagte im Vollzug des Gesamtplans des zum Tode führendenGeschehens über die [X.] verfügte oder als Werkzeugdes Suizidenten handelte (vgl. [X.]St 19, 135, 140; [X.] aaO § 216[X.]. 11; [X.] NStZ 1987, 345, 347; [X.] aaO [X.]. 51). Letzteres wä-re angesichts der eigenhändigen Ausführung der [X.] den Angeklagten nur anzunehmen, falls der Lebensmüde den Ange-klagten über das zum Tode führende Geschehen getäuscht und ihn mit [X.] hervorgerufenen Irrtums zum Werkzeug gegen sich selbst gemacht hätte(vgl. [X.]St 32, 38, 41 zur spiegelbildlichen Situation einer Täuschung dessich selbst Tötenden; vgl. auch [X.] NJW 2003, 454 f.).So liegt es hier aber nicht. Der Angeklagte wurde über die konkretenUmstände der von ihm allein verursachten extremen Gefährdung nicht ge-täuscht. Zwar hatte der Suizident erklärt, er habe [X.] schon öfterveranlaßt. Diese Äußerung begründete aber keinen Irrtum des [X.] der konkreten Tatumstände. Der Angeklagte hat seine Gefähr-dungshandlungen bewußt vorgenommen und dabei in extremer Weise imWi[X.]pruch zu jedem medizinischen Alltagswissen gehandelt, indem er die- 9 -wesentlich reduzierten Atmungsmöglichkeiten weiter verringerte und dasspätere Opfer lediglich mit Plastik eingekleidet gefährlicher Kälte preisgab.Auch die Vorspiegelung des [X.], von einem (unbekannten) [X.] Nachmittag gerettet zu werden, begründet keinen die Tatherrschaft [X.] in Frage stellenden Irrtum. Die darin enthaltene Aussicht, eswerde alles gut gehen, beseitigt nicht das Bewußtsein von den über [X.] werdenden Gefährdungen, zu denen der fehlende Einsatz des [X.] und die naheliegende Gefahr einer weiteren Verringerung [X.] durch einen auf die Brust des [X.] auftreffendenMüllsack zu zählen waren, auch vor dem Hintergrund eines bewußt herbei-geführten verringerten Entdeckungsrisikos.3. Allerdings werden im rechtswissenschaftlichen Schrifttum mitden Lehren der Risikoübernahme (vgl. [X.], Strafrecht [X.].S. 343 f.), der Anerkennung einer —quasi mittäterschaftlichen [X.] (vgl.[X.] in [X.]. Vor § 211 [X.]. 56; [X.] in Schön-ke/[X.],StGB 26. Aufl. Vorbemerkung §§ 32 ff. [X.]. 52a und 107 m. w. N. aus derLiteratur; BayObLG NStZ 1990, 81, 82; vgl. auch [X.][X.], [X.]. § 222 [X.]. 3) und des Vorrangs des Willens zur Selbstgefährdung(vgl. [X.] für [X.] S. 157, 171, 175) Auffassungen vertreten, die ineinem weiteren Umfang zu einer straflosen Mitwirkung an einem Selbsttö-tungsgeschehen führen. Indes bestehen hier schon Bedenken, begrifflichnoch eine Selbsttötung anzunehmen, falls die Tatherrschaft nicht uneinge-schränkt beim Suizidenten verbleibt. Einer Anerkennung strafloser aktiverSterbehilfe stünde zudem der sich aus der Werteordnung des [X.] ergebende vorrangige Schutz menschlichen Lebens entgegen(vgl. [X.]St 46, 279, 285 f.), der auch die sich aus § 216 StGB ergebendeEinwilligungssperre legitimiert (vgl. [X.]St aaO S. 286). Änderungen [X.] bleiben vor diesem Hintergrund allenfalls dem [X.] 10 -Der Senat verkennt nicht, daß die bestehende Rechtslage es einemvollständig [X.], aber bewußtseinsklaren moribunden[X.] [X.] wie hier [X.] weitgehend verwehrt, ohne strafrechtlicheVerstrickung Dritter aus dem Leben zu scheiden, und für ihn dadurch [X.] zur schwer erträglichen Lebenspflicht werden kann. [X.] kann aber nicht ein auch in Art. 1 Abs. 1 GG angelegtes Rechtauf ein Sterben unter menschenwürdigen Bedingungen begründen(vgl. [X.]St aaO, 285; [X.]St 42, 301, 305). Die dafür erforderlichen Vor-aussetzungen einer indirekten Sterbehilfe (vgl. [X.]St 42 aaO; [X.][X.], StGB 51. Aufl. Vor §§ 211 bis 216 [X.]. 18) sind vorliegend nichtgegeben. Ein verfassungsrechtlich verbürgter Anspruch auf aktiveSterbehilfe, der eine Straflosigkeit des die Tötung Ausführenden zur [X.] könnte, ist dagegen nicht anerkannt (vgl. [X.] 76, 248, 252;[X.][X.] aaO [X.]. 17 m. w. N.).IV.Der Freispruch kann danach keinen Bestand haben. Sollte der neueTatrichter zu den gleichen Feststellungen gelangen, werden diese in ersterLinie hinsichtlich einer fahrlässigen Todesverursachung gemäß § 222 StGBzu würdigen sein (vgl. [X.]St 36, 1, 9 f.; [X.] NStZ 2002, 315, 316 f.). [X.] Feststellung eines [X.] oder Aussetzungsvorsatzeskämen die Vorschriften der §§ 221, 223 ff. StGB in Betracht. Die besondere,von Überforderung, Naivität, Vertrauensseligkeit und unzureichender Vorbe-reitung geprägte Tatsituation des Angeklagten wird der neue Tatrichter bei- 11 -der Beurteilung der Gleichstellung des heranwachsenden Angeklagten miteinem Jugendlichen nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG im Hinblick darauf zu wür-digen haben, ob in dem Angeklagten noch in größerem Umfang [X.] wirksam waren (vgl. [X.]St 36, 37, 40).[X.] Häger [X.]

Meta

5 StR 66/03

20.05.2003

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.05.2003, Az. 5 StR 66/03 (REWIS RS 2003, 3012)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 3012

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