Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.02.2017, Az. 1 ARs 16/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 15321

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Tenor

Die beabsichtigte Entscheidung des 2. Strafsenats widerspricht der Rechtsprechung des 1. Strafsenats, der - unabhängig von der inzwischen eingetretenen Unzulässigkeit der Anfrage - an dieser Rechtsprechung festhält.

Gründe

I.

1

1. Der 2. Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden,

„dass die Nötigung zur Übertragung von unerlaubtem Besitz an Betäubungsmitteln nicht das strafrechtlich geschützte Vermögen betrifft.“

2

Er hat daher mit Beschluss vom 1. Juni 2016 (2 [X.]) gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 [X.] bei den übrigen Strafsenaten angefragt, ob an ggfs. entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.

3

2. Allerdings hat eine andere Spruchgruppe des anfragenden [X.]s mit Urteil vom 22. September 2016 (2 StR 27/16) auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung entschieden, von der aber entsprechend des zuvor gefassten [X.]es abgewichen werden sollte.

II.

4

Das Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 [X.] soll eine (überflüssige) Vorlage an den [X.] vermeiden, wenn nämlich der Strafsenat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage mitteilt, an seiner bisherigen Rechtsauffassung nicht länger festzuhalten. Deshalb ist [X.] für eine Vorlage an die großen [X.]e, dass der [X.], von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, zuvor erklärt hat, an seiner Rechtsauffassung weiterhin festzuhalten (§ 132 Abs. 3 Satz 1 [X.]).

5

1. Allein aus dem Umstand, dass ein [X.] einen [X.] gefasst hat, ergibt sich weder aus § 132 [X.], noch aus Sinn und Zweck des [X.] eine Sperrwirkung für die anderen [X.]e, weiterhin unter Zugrundelegung der bisherigen Rechtsprechung zu entscheiden ([X.], Beschlüsse vom 15. Juni 1994 - [X.] = NJW 1994, 2299 und vom 24. August 2000 - 1 StR 349/00; [X.] in [X.], 26. Aufl., § 132 [X.] Rn. 21).

6

2. Bindungswirkung entfaltet demgegenüber der Beschluss eines angefragten [X.]s, mit dem er einer Änderung der bisherigen Rechtsprechung zugestimmt hat. Ab diesem Zeitpunkt ist ihm eine Rückkehr zur „alten“ Rechtsprechung versagt, sofern er nicht vorher seinerseits den [X.] ([X.] in [X.], 26. Aufl., § 132 [X.] Rn. 21; [X.]/[X.], 7. Aufl., § 132 [X.] Rn. 13).

7

Diese Wirkungen gelten grundsätzlich auch für den [X.], der den [X.] gefasst hat ([X.], Urteil vom 22. September 2016 - 2 StR 27/16, [X.], 82 - zum Fehlen einer Sperrwirkung). Jedoch wird durch eine zeitlich nach dem [X.] auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung gefasste Entscheidung die gestellte Anfrage hinfällig und damit unzulässig, weil der [X.] mit seiner nachfolgenden Entscheidung dokumentiert hat, dass er an seiner Anfrage nicht mehr festhält [X.] in BeckOK/[X.], [X.]. 27, § 132 [X.] Rn. 18). Auch wenn ein [X.] überbesetzt ist und deswegen mehrere Sitzgruppen gebildet hat, kann er (nach außen) nur eine einheitliche Rechtsprechung verfolgen ([X.] [X.], 127, 130). § 132 Abs. 3 Satz 1 [X.] ermächtigt nur den [X.] als solchen zur Anfrage bei anderen [X.]en, nicht einzelne Sitzgruppen eines [X.]s. Die noch anderslautende frühere Regelung von § 9 des Bundesgesetzes über die Errichtung eines Gerichtshofes für Handelssachen von 1869, wonach auch eine Rechtsfrage beim Abweichen von einer früheren Entscheidung des(selben) [X.]s vor das Plenum zu bringen war, war im späteren § 137 [X.] aF, ebenso nun in § 132 [X.], nicht mehr enthalten (Hergenröder, [X.] Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, [X.] 1995, S. 89 f.).

8

3. Soweit der anfragende [X.] darüber hinaus selbst eigene entgegenstehende Rechtsprechung mit dem [X.] aufgegeben hat, trifft ihn die Bindungswirkung des [X.] ebenso wie angefragte [X.]e, d.h. mit der Aufgabe bisheriger Rechtsprechung ist er grundsätzlich ebenso gehindert, weiter nach der aufgegebenen Rechtsprechung zu entscheiden; im Gegensatz zu einem angefragten [X.] entfällt die Bindungswirkung für ihn jedoch mit einer gegenteiligen Entscheidung, weil damit zugleich seine Anfrage hinfällig geworden ist [X.] in BeckOK/[X.], [X.]. 27, § 132 [X.] Rn. 19). Bleibt sie weiter aufrecht erhalten, ist sie unzulässig geworden.

9

So ist es vorliegend.

III.

1. Unabhängig von der Zulässigkeit der Anfrage steht der beabsichtigten Entscheidung Rechtsprechung des 1. Strafsenats entgegen. Der [X.] hat in zahlreichen Entscheidungen, darunter auch viele unbegründete Beschlüsse nach § 349 Abs. 2 [X.], den Besitz von Betäubungsmitteln den Vermögenswerten zugerechnet, u.a. in dem Beschluss vom 25. Februar 1997 - 1 StR 804/96, als einem Drogendealer durch Täuschung Drogen abgenommen wurden und danach das Opfer mittels Waffeneinsatz davon abgehalten wurde, die Rückgabe zu verlangen und dadurch „die erstrebte Schädigung seines Vermögens hinzunehmen“.

Im Urteil vom 4. September 2001 - 1 [X.] hat der [X.] in einem Fall, in dem die Angeklagten Drogendealer mit Gewalt dazu bringen wollten, ihnen Drogen ohne Bezahlung auszuhändigen, ausdrücklich formuliert:

„Wer einen Rauschgifthändler mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Herausgabe von Drogen nötigt, um sich zu Unrecht zu bereichern, macht sich nicht der Nötigung, sondern der räuberischen Erpressung schuldig. Das [X.] hat sich an einer entsprechenden Verurteilung gehindert gesehen, weil der unerlaubte Besitz von Betäubungsmitteln nicht durch § 253 StGB als Vermögen strafrechtlich unter Schutz stehe. Hierbei hat es verkannt, daß die Rechtsordnung im Bereich der Vermögensdelikte ein wegen seiner Herkunft, Entstehung oder Verwendung schlechthin schutzunwürdiges Vermögen nicht kennt (vgl. [X.]St 8, 254, 256; [X.] NStZ-RR 1999, 184, 185 f.; [X.]/[X.] 50. Aufl. § 263 Rdn. 29 m.w.N.). Auch an Sachen wie Rauschgift, die jemand aufgrund einer strafbaren Handlung besitzt und als Tatmittel zur Begehung geplanter Straftaten bereitstellt, kann unbeschadet ihrer Zweckbestimmung oder Bemakelung Erpressung und Betrug begangen werden.“

An den vorgenannten Entscheidungen hält der [X.] fest.

2. Auch wenn der Anbau von Betäubungsmitteln, deren Herstellung, das Handeltreiben mit ihnen, das Einführen oder Ausführen, die Abgabe, das Veräußern, das sonst in den Verkehr bringen und der Erwerb grundsätzlich einer Erlaubnis des [X.] bedürfte (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG), ergibt sich daraus nichts für den Besitz von Betäubungsmitteln, welcher gerade nicht erwähnt ist. Ob Besitz daher sogar erlaubnisfrei ist (Weber, BtMG, 4. Aufl., § 3 Rn. 76; [X.] in [X.], 2. Aufl., BtMG § 3 Rn. 5 f.), kann insoweit dahinstehen. Letztlich kann aber mangels fehlender Erwähnung des Besitzes in § 3 BtMG der Besitz von Betäubungsmitteln und beispielsweise von Schusswaffen und Munition (vgl. § 52 Abs. 3 Nr. 2 [X.]) kaum unterschiedlich behandelt werden.

Außerdem vermag die Argumentation des anfragenden Strafsenats nicht überzeugend zu begründen, weshalb trotz (Weiter)Geltung der [X.] der §§ 858 ff. BGB dem Besitz von Betäubungsmitteln kein Vermögenswert zukommen soll, insbesondere in solchen Fällen, denen ein erlaubter Drogenbesitz vorangegangen ist (z.B. Betäubungsmittelbestand von Apotheken), oder das Tatopfer Betäubungsmittel straflos im Ausland erworben hat. Bei einem straflosen Erwerb im Ausland kommt hinzu, dass insoweit nach dem Verbringen nach [X.] die Anwendung des Straftatbestandes des Besitzes nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG deswegen nicht unproblematisch ist, weil in diesem Fall der Käufer gerade keine Erlaubnis nach § 3 BtMG benötigte.

3. Die Hilfserwägungen des anfragenden Strafsenats zur Frage des Eigentums an Betäubungsmitteln, von welchem regelmäßig das Recht zum Besitz abgeleitet ist, helfen ebenfalls nicht weiter. Unklar bleibt, auf welche Weise es zu einem offenbar geminderten Eigentum („jedenfalls kein vollwertiges Eigentum“) kommen soll und auf welcher Rechtsgrundlage die dem Bürgerlichen Recht bislang unbekannte Figur eines „eingeschränkten Eigentums“ beruht. Dies gilt in gleicher Weise für die nach Auffassung des anfragenden Strafsenats offenbar mit einer Einreise nach [X.] verbundene Minderung des vorhandenen Eigentums bei einem nicht strafbaren Vorerwerb im Ausland. Allein der Umstand, dass die Einfuhr (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG) nach [X.] verboten ist, vermag keine sachenrechtlichen Wirkungen an der eingeführten Sache herbeizuführen. Weder wird hiervon das Eigentum noch der Besitz betroffen.

Raum     

       

Graf     

       

Cirener

       

Radtke     

       

Bär     

       

Meta

1 ARs 16/16

21.02.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARs

nachgehend BGH, 16. August 2017, Az: 2 StR 335/15, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.02.2017, Az. 1 ARs 16/16 (REWIS RS 2017, 15321)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 15321


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 StR 335/15

Bundesgerichtshof, 2 StR 335/15, 16.08.2017.

Bundesgerichtshof, 2 StR 335/15, 01.06.2016.


Az. 1 ARs 16/16

Bundesgerichtshof, 1 ARs 16/16, 21.02.2017.


Az. 5 ARs 47/16

Bundesgerichtshof, 5 ARs 47/16, 07.02.2017.


Az. 3 ARs 16/16

Bundesgerichtshof, 3 ARs 16/16, 15.11.2016.


Az. 4 ARs 17/16

Bundesgerichtshof, 4 ARs 17/16, 10.11.2016.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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