Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 18.12.2017, Az. 2 BvR 2259/17

2. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2017, 439

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung von Art 19 Abs 4 S 1 GG iVm Art 2 Abs 2 S 1 GG durch Versagung von Eilrechtsschutz gegen die Ausweisung eines Deutschtürken in die Türkei - Gefahr der Folter im Zielstaat bei Vorwurf der Unterstützung des "Islamischen Staates" sowie dortiges Risiko menschenunwürdiger Haftbedingungen bedingen weitere Sachaufklärung oder Einholung geeigneter Zusicherungen des Zielstaats - Gegenstandswertfestsetzung


Tenor

Der Beschluss des [X.] vom 21. September 2017 - 8 L 6810/17.GI.A - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Der Beschluss vom 14. November 2017 - 8 L 7779/17.GI.A - ist gegenstandslos. Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Das [X.] hat dem Beschwerdeführer ein Drittel seiner notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren und die Auslagen für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 10.000 € (in Worten: zehntausend [X.]) und für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 5.000 € (in Worten: fünftausend [X.]) festgesetzt.

Gründe

1

1. Der am 20. April 1987 in [X.] geborene Beschwerdeführer ist [X.] Staatsangehöriger. Er verbrachte seine Kindheit und Jugend in [X.] und heiratete im Februar 2008 eine [X.] Staatsangehörige. Aus der Ehe sind zwei Söhne hervorgegangen, die (auch) die [X.] Staatsangehörigkeit besitzen. Seit dem [X.] wandte sich der Beschwerdeführer dem muslimischen Glauben zu und nahm Kontakt zu salafistischen Kreisen auf. Im [X.] 2013 reiste der Beschwerdeführer mehrfach, teilweise zusammen mit seiner Familie, in die [X.] und von dort weiter nach [X.], wo er in einem von der terroristischen [X.] beherrschten Dorf lebte und der Organisation Geld und einen geländetauglichen PKW zur Verfügung stellte. Nach seiner Rückkehr nach [X.] überwies er über Mittelsmänner einen Geldbetrag auf ein Konto des sogenannten "[X.]", nachdem er zuvor unter Vorspiegelung falscher Tatsachen bei einer Bank einen Kredit von 25.000 € aufgenommen hatte.

2

Der Beschwerdeführer wurde am 31. März 2014 in Haft genommen und vom [X.] mit Urteil vom 6. Juli 2015 unter anderem wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

3

2. Die Ausländerbehörde wies den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 3. Juni 2016 aus der [X.] aus, drohte die Abschiebung in die [X.] an und ordnete die sofortige Vollziehung an. Die nach dem § 53 [X.] durchzuführende Interessenabwägung führe zum Überwiegen des Ausweisungsinteresses.

4

3. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid Klage und beantragte die Anordnung ihrer aufschiebenden Wirkung. Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag mit Beschluss vom 29. Mai 2017 ab, da der Ausweisungsbescheid offensichtlich rechtmäßig sei. Von dem Beschwerdeführer gehe weiterhin eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit aus; insbesondere sei er noch nicht ausreichend stabil, um Anreizen für eine Rückkehr in sein früheres Leben zu widerstehen. Es liege auch kein Abschiebungsverbot für den Beschwerdeführer vor, da die Behauptung, ihm drohe in der [X.] Folter, unsubstantiiert sei. Selbst wenn in der [X.] bekannt geworden sein sollte, dass der Beschwerdeführer in der [X.] [X.] wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden sei, rechtfertige dies nicht den Schluss, dass ihm in der [X.] Verhaftung und Folter drohten.

5

4. Der Beschwerdeführer legte gegen den Beschluss Beschwerde ein, die der [X.]hof mit Beschluss vom 31. August 2017 zurückwies. Es bestehe keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass dem Beschwerdeführer, dessen terroristische Aktivitäten in der [X.] möglicherweise bekannt geworden seien, einer Gefahr von Folter oder einer anderen menschenrechtswidrigen Behandlung ausgesetzt sei. Dies entnehme der Senat dem Lagebericht des [X.] vom 19. Februar 2017. Danach sei es zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, dass Anhänger der [X.] und der [X.] solchen Behandlungen ausgesetzt seien. Für eine die Strafverfolgung wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung überschreitende Gefahr von Folter oder menschenrechtswidriger Behandlung fehlten jedoch bei islamistischen Kämpfern jegliche Anhaltspunkte. Auch das möglicherweise gegen den Beschwerdeführer geführte Ermittlungsverfahren führe nicht zu einer anderen Beurteilung.

6

5. Der Beschwerdeführer hatte schon unter dem 15. August 2017 einen Asylantrag gestellt. Er müsse bei einer Abschiebung in die [X.] mit Inhaftierung und Folter rechnen. Er habe im Juli erfahren, dass in der [X.] gegen ihn wegen einer angeblichen Mitgliedschaft bei [X.] ermittelt werde; die entsprechende Anklageschrift könne er jedenfalls teilweise vorlegen.

7

Das [X.] lehnte den Antrag mit Bescheid vom 23. August 2017 gemäß § 30 Abs. 4 [X.] als offensichtlich unbegründet ab. Zur Begründung führte es insbesondere aus, dass die Zuerkennung internationalen Schutzes aufgrund der Ausschlusstatbestände der § 3 Abs. 2 und § 4 Abs. 2 [X.] ausscheide. Die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter seien noch enger, so dass auch diese ausscheide. Es lägen auch keine Abschiebungsverbote vor, da nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer menschenrechtswidrigen Behandlung in der [X.] auszugehen sei. Zu erwarten sei allenfalls eine kurzfristige Festnahme des Beschwerdeführers, jedoch nach den Erkenntnissen des [X.] keine Folter oder sonstige unmenschliche Behandlung.

8

6. Am 30. August 2017 erhob der Beschwerdeführer gegen den Bescheid des [X.]s Klage und beantragte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Er führte unter anderem aus, die Begründung des Offensichtlichkeitsurteils sei unzureichend. Ihm drohe politische Verfolgung, da die Strafverfolgung wegen eines politischen Delikts erfolge. Zudem stünden ihm Abschiebungsverbote zur Seite. Aufgrund der laufenden Ermittlungen würde er bei einer Abschiebung in die [X.] für unbestimmte Zeit in Polizeigewahrsam oder Untersuchungshaft genommen, in deren Verlauf er möglicherweise gefoltert werde. Auch im Auslieferungsverkehr werde zwischenzeitlich davon ausgegangen, dass Auslieferungen in die [X.] nur bei konkreten Zusicherungen bezüglich der Haftbedingungen zulässig seien. Mit Schreiben vom 5. September 2017 legte der Beschwerdeführer ein Schreiben von [X.] vor, in dem ausgeführt wurde, [X.] lägen zwar keine eigenen Erkenntnisse über die Folter von Islamisten in der [X.] vor. Die [X.] Sektion von [X.] habe jedoch Ende Juli 2017 eine E-Mail eines in [X.] lebenden Vaters eines seit Oktober 2016 in der [X.] inhaftierten [X.]n Staatsangehörigen erhalten. Dieser habe berichtet, sein [X.] sei in einem Gefängnis in [X.] inhaftiert, wo er seit einiger Zeit zusammen mit den Mitgefangenen schwer geschlagen und gefoltert werde. Ärztliche Versorgung werde den Gefangenen vollständig verweigert; sie müssten in Zellen für Behinderte schlafen, die voll seien mit menschlichen Fäkalien.

9

Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag mit Beschluss vom 21. September 2017 ab. Die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet sei nicht zu beanstanden, da die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Satz 1 [X.] vorlägen. Die Vorschrift sei in Fällen, in denen Handlungen des internationalen Terrorismus in Rede stünden, nicht eng auszulegen. Zudem lägen auch keine Abschiebungsverbote vor. Der [X.]hof habe dies im [X.] Verfahren zu Recht festgestellt. Die drohende Inhaftierung begründe nicht den Verdacht einer gegen Art. 3 [X.] verstoßenden Behandlung. Lediglich Angehörigen der [X.] oder der [X.] drohe Folter, ansonsten seien die Gefängnisse massiv überbelegt, wodurch sich nach dem Bericht der [X.] vom 19. Mai 2017 die schon zuvor ungenügenden Bedingungen weiter verschlechtert hätten. Da jedoch nur Berichte über Folter an [X.] und [X.] vorlägen, fehle es an jeglichen Anhaltspunkten für eine beachtliche Gefahr von Folter oder menschenrechtswidriger Behandlung im Falle des Beschwerdeführers.

7. Der Beschwerdeführer erhob unter dem 3. Oktober 2017 Anhörungsrüge. Er führte unter anderem aus, das Verwaltungsgericht habe das Schreiben von [X.] vom 5. September 2017 nicht berücksichtigt.

Das Verwaltungsgericht wies die Anhörungsrüge mit Beschluss vom 14. November 2017 zurück, vom Beschwerdeführer am 22. November 2017 vorgelegt. Ein Gehörsverstoß liege nicht vor. Das Gericht habe den [X.] Report 2017 zur Kenntnis genommen, dieser entspreche aber weitgehend dem ausgewerteten Bericht der [X.]. Dem Schreiben von [X.] vom 5. September 2017 lasse sich ebenfalls keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer menschenrechtswidrigen Behandlung entnehmen. Die Schilderung zweier Folterfälle in dem Schreiben lasse sich nicht verifizieren; im Übrigen könne das Gericht nicht erkennen, was an einer Nutzung einer Zelle für behinderte Menschen menschenrechtswidrig sein solle.

1. Der Beschwerdeführer hat [X.]beschwerde erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Mit einstweiliger Anordnung vom 21. September 2017 hat das [X.] der zuständigen Ausländerbehörde bis zum Erlass einer Entscheidung über die [X.]beschwerde - längstens bis zum 30. November 2017 - untersagt, den Beschwerdeführer in die [X.] abzuschieben.

2. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 16a Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 3 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG. Sowohl im [X.] als auch im asylrechtlichen Eilverfahren hätten die Gerichte einen unzutreffenden Prognosemaßstab, jenen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, der nur im Hauptsacheverfahren Anwendung finde, für die dem Beschwerdeführer drohenden Gefahren angenommen. Insbesondere bei [X.] seien die Fachgerichte nach der Rechtsprechung des [X.]s und des [X.] angehalten, besonders sorgfältig zu prüfen. Dabei dürften dem Betroffenen, der sich bezüglich der Verhältnisse in seinem Heimatland typischerweise in Beweisnot befinde, keine zu hohen Darlegungslasten auferlegt werden. Seiner Darlegungslast sei der Beschwerdeführer nachgekommen und habe insbesondere auf die drohende Inhaftierung bei einer polizeibegleiteten Abschiebung in die [X.] hingewiesen. Ob tatsächlich, wie [X.] und Verwaltungsgericht annähmen, nur [X.] und [X.] in [X.]n Gefängnissen gefoltert würden, sei jedenfalls hoch zweifelhaft. Auch im Auslieferungsverkehr werde derzeit verbreitet die Gefahr einer Art. 3 [X.] widersprechenden Behandlung bei der Auslieferung in die [X.] angenommen. Weiterhin sei den vorgelegten Berichten zu entnehmen gewesen, dass sich zum einen in der [X.] seit dem Putschversuch die Berichte über Folter gehäuft hätten. Auch [X.] Offizielle hätten unverhohlen von Folter gegenüber Feinden der [X.] gesprochen. Ein Bericht des [X.], welches mit einer sechsköpfigen Delegation die [X.] bereist hätte, sei aufgrund des Widerspruchs der [X.] nicht veröffentlicht worden. Weiterhin habe das Verwaltungsgericht Art. 16a GG verletzt, da es nicht berücksichtigt habe, dass gegen den Beschwerdeführer in der [X.] aufgrund eines offensichtlich manipulierten [X.] ermittelt werde. Manipulierte [X.] indizierten eine politische Verfolgung im Sinne des Art. 16a GG. Zudem habe das Verwaltungsgericht den Ausschluss des § 3 Abs. 2 [X.] zu Unrecht auch auf das Asylgrundrecht erstreckt. Zwar könne auch die Anerkennung als Asylberechtigter versagt werden, wenn der Asylsuchende seine politische Überzeugung durch terroristische Mittel betätigt habe. Eigene terroristische Aktivitäten würden dem Beschwerdeführer jedoch nicht vorgeworfen. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG sei ferner deshalb verletzt, weil die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet nicht hinreichend begründet worden sei. Die strafgerichtliche Verurteilung entfalte keine Bindungswirkung, sondern habe allenfalls Indizcharakter. Weiterhin verstoße die Entscheidung gegen das Willkürverbot, weil die Frage der [X.] mit jener des Flüchtlingsschutzes gleichgesetzt worden sei. Schließlich habe das Verwaltungsgericht Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, indem es das Schreiben von [X.] vom 5. September 2017 nicht berücksichtigt und es zu Unrecht unterlassen habe, Auskünfte des [X.] dazu einzuholen. Auch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sei verletzt, weil das Verwaltungsgericht durch die unanfechtbare Eilantragsabweisung und die dadurch bedingte Schaffung vollendeter Tatsachen den Weg zum [X.] versperrt habe. Dieser habe jedoch zu entscheiden gehabt, ob der Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung gegriffen habe. Schließlich sei bei der Prüfung der Ausweisung das [X.] des Beschwerdeführers nicht ausreichend berücksichtigt worden.

3. Die Akten der Ausgangsverfahren haben dem [X.] vorgelegen. Die Bundesregierung und das [X.] haben von ihrem [X.] Gebrauch gemacht.

Die Kammer nimmt die [X.]beschwerde in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Entscheidung an und gibt ihr in diesem Umfang statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93b [X.]. § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]). Das [X.] hat die für die Beurteilung der [X.]beschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]).

1. Die [X.]beschwerde ist in einer die Entscheidungskompetenz der Kammer eröffnenden Weise offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]. Die Entscheidung des [X.] vom 21. September 2017 verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, indem sie ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids des [X.]s auch bezüglich der geltend gemachten Abschiebungsverbote aus § 60 Abs. 5 [X.] in Verbindung mit Art. 3 [X.] im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ohne weitere Sachaufklärung verneint.

a) Den schutzwürdigen Interessen des Betroffenen muss im Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 2 GG wirksam Rechnung getragen werden (vgl. [X.], 108 <112 f.>). Die Verfahrensgewährleistung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG beschränkt sich nicht auf die Einräumung der Möglichkeit, die Gerichte gegen Akte der öffentlichen Gewalt anzurufen; sie gibt dem Bürger darüber hinaus einen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes verlangt nicht nur, dass jeder potenziell rechtsverletzende Akt der Exekutive in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht der richterlichen Prüfung unterstellt werden kann; vielmehr müssen die Gerichte den betroffenen Rechten auch tatsächliche Wirksamkeit verschaffen (vgl. [X.] 35, 263 <274>; 40, 272 <275>; 67, 43 <58>; 84, 34 <49>; stRspr). Das Maß dessen, was wirkungsvoller Rechtsschutz ist, bestimmt sich entscheidend auch nach dem sachlichen Gehalt des als verletzt behaupteten Rechts (vgl. [X.] 60, 253 <297>), hier - angesichts der in Rede stehenden [X.] und der Gefahr unmenschlicher und entwürdigender Inhaftierungsbedingungen -, der Menschenwürde sowie des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Verbindung mit der Gewährleistung des Art. 3 [X.] im Lichte der Rechtsprechung des [X.].

b) Die verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung haben dem hohen Wert dieser Rechte Rechnung zu tragen (vgl. zu den Anforderungen an einen wirkungsvollen Rechtsschutz im Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 2 GG; [X.] 117, 71 <106 f.>) und die Vorgaben der [X.] zu berücksichtigen (vgl. [X.] 111, 307 <323 ff.>). In Fällen, in denen die möglicherweise bestehende Gefahr, Folter oder unmenschlichen Haftbedingungen ausgesetzt zu sein, in Rede steht, kommt der verfahrensrechtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verfassungsrechtliches Gewicht zu. Dies gilt insbesondere in Situationen, in denen sich der Betroffene auf eine in seinem Abschiebungszielstaat bestehende [X.] beruft und für diese auch ernsthafte Anhaltspunkte bestehen (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Mai 1996 - 2 BvR 528/96 -, juris, Rn. 27 ff.).

c) Sowohl verfassungsrechtlich als auch konventionsrechtlich ist es in solchen Konstellationen geboten, dass sich die zuständigen Behörden und Gerichte vor einer Rückführung in den [X.] über die dortigen Verhältnisse informieren und gegebenenfalls Zusicherungen der zuständigen Behörden einholen (vgl. [X.] 94, 49 <100>; [X.], Urteil vom 17. Januar 2012 - 8139/09 - [X.], Rn. 187). Diese Zusicherungen müssen geeignet sein, eine ansonsten bestehende beachtliche Gefahr einer Art. 3 [X.] verletzenden Behandlung wirksam auszuschließen (zu den diesbezüglichen Anforderungen vgl. zuletzt [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 24. Juli 2017 - 2 BvR 1487/17 -, juris, Rn. 46 ff.; [X.], Urteil vom 17. Januar 2012 - 8139/09 - [X.], Rn. 188 f.); andernfalls kann es zur Sicherung effektiven Rechtsschutzes geboten sein, die aufschiebende Wirkung der Klage - zunächst - anzuordnen (vgl. zur Bedeutung des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes für das Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1; [X.] 126, 1 <27 ff.>; zuletzt [X.], Beschlüsse der [X.] des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 - 2 BvR 2013/16 -, juris, Rn. 17 und vom 14. Dezember 2017 - 2 BvR 1872/17 -).

2. Diesen Maßgaben wird die angegriffene Entscheidung vom 21. September 2017 nicht gerecht.

a) Dies gilt zum einen für die Annahme des [X.], es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Abschiebung in die [X.] mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter drohe. Mit menschenrechtswidriger Behandlung müssten nur kurdische Aktivisten und Anhänger der [X.] rechnen; dass auch Anhänger des "[X.]" oder [X.]s gefoltert würden, sei nicht ersichtlich. Die ins Verfahren eingeführten entgegenstehenden Behauptungen von [X.] seien nicht verifizierbar.

Mit dieser Begründung verfehlt das Verwaltungsgericht die verfassungsrechtlichen Vorgaben. Es bestand im Hinblick auf das vom Beschwerdeführer überreichte Schreiben von [X.] vom 5. September 2017 vor dem Hintergrund der als gerichtsbekannt einzustufenden allgemeinen Erkenntnisse zur politischen Situation in der [X.] von [X.] wegen Anlass zu weiterer Sachaufklärung oder zur Einholung von Zusicherungen der [X.]n Behörden zur Behandlung des Beschwerdeführers. Denn es bestanden hinreichende Anhaltspunkte für das Bestehen einer [X.] auch im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Unterstützung des "[X.]" und damit auch in Bezug auf den Beschwerdeführer. In dem Schreiben vom 5. September 2017 ist von ausgedehnter Folter von Terrorverdächtigen sowie davon die Rede, dass die Zellen, in denen die Betroffenen untergebracht waren, voller menschlicher Fäkalien gewesen seien. Diese mit eine Nachprüfung ermöglichenden Einzelheiten belegten Angaben hätten einer Überprüfung bedurft; jedenfalls konnte sich das Verwaltungsgericht nicht darauf beschränken, die in dem Schreiben ebenfalls erwähnte Unterbringung in einer Zelle für Behinderte für sich genommen als nicht menschenrechtswidrig zu bewerten. Vor dem Hintergrund dieser Besonderheiten des vorliegenden Falles kommt es für das [X.]beschwerdeverfahren nicht auf die generelle Frage an, ob Personen, die wegen politischer Straftaten verdächtigt oder inhaftiert werden, auch dann Folter droht, wenn es sich nicht um kurdische Aktivisten oder Anhänger der [X.] handelt.

b) Entsprechendes gilt für die Frage der Haftbedingungen. Hierzu hat das Verwaltungsgericht sich zwar auf Quellen bezogen, die eine deutliche Verschlechterung der Haftbedingungen in der [X.] beschreiben. Es hat jedoch nicht eigenständig begründet, warum bei dem Beschwerdeführer eine der [X.] genügende Inhaftierung gewährleistet sein soll und deshalb ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 [X.] in Verbindung mit Art. 3 [X.] ausscheidet. In Anbetracht der Rechtsprechung des [X.] in einem Verfahren nach § 58a [X.] (Beschluss vom 19. September 2017 - 1 VR 7/17 -, juris, Rn. 56) und zahlreicher Oberlandesgerichte in Auslieferungssachen zu den in der [X.] derzeit herrschenden Haftbedingungen (vgl. zuletzt [X.], Beschluss vom 2. Juni 2017 - 2 AR (Ausl) 44/17 -, juris und [X.] in [X.], Beschluss vom 28. September 2017 - 1 Ausl. [X.]/17 -, juris) konnte das Verwaltungsgericht auch insoweit nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Abschiebung keine menschenrechtswidrige Behandlung drohte.

c) Das Verwaltungsgericht war vor diesem Hintergrund verpflichtet, den Sachverhalt weiter aufzuklären oder eine Abschiebung an die Einholung von geeigneten Zusicherungen der [X.]n Stellen hinsichtlich einer menschenrechtskonformen Behandlung des Beschwerdeführers zu binden (vgl. dazu [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 24. Juli 2017 - 2 BvR 1487/17 -, juris, Rn. 50). Im Hinblick auf den festgestellten Verstoß gegen die aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG sich ergebende Aufklärungspflicht bedarf die Frage, ob neben dem Beschwerdeführer andere oder alle dem "[X.]" zuzurechnenden Personen nach einer Abschiebung in die [X.] generell mit Folter zu rechnen haben (Art. 2 Abs. 2 GG), im vorliegenden [X.]beschwerdeverfahren keiner Entscheidung.

3. Die Kammer hebt den Beschluss nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 [X.] auf und verweist die Sache an das Verwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung zurück, da der Beschluss des [X.] vom 21. September 2017 auf der Grundrechtsverletzung beruht.

4. Im Übrigen wird die [X.]beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Von einer Begründung wird insoweit abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 [X.]).

5. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 [X.], die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG.

Meta

2 BvR 2259/17

18.12.2017

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend VG Gießen, 14. November 2017, Az: 8 L 7779/17.GI.A, Beschluss

Art 2 Abs 2 S 1 GG, Art 19 Abs 4 S 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 53 AufenthG 2004, § 58 AufenthG 2004, § 60 Abs 5 AufenthG 2004, Art 3 MRK, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG, § 80 Abs 5 VwGO, § 86 Abs 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 18.12.2017, Az. 2 BvR 2259/17 (REWIS RS 2017, 439)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 439

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