Bundesfinanzhof, Urteil vom 11.02.2010, Az. VI R 61/08

6. Senat | REWIS RS 2010, 9465

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Gegenstand

(Zwangsläufigkeit von Aufwendungen für behindertes Kind bei Unzumutbarkeit des Einsatzes eigenen Vermögens - Maßvolle Vermögensbildung zur Altersvorsorge - Keine Anwendung des § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG im Rahmen von § 33 EStG - Zusätzlicher Abzug nach § 33 EStG bei Übertragung des Behinderten-Pauschbetrags)


Leitsatz

1. Unterhaltsaufwendungen sind nur dann zwangsläufig, wenn die unterhaltene Person außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Grundsätzlich ist das volljährige Kind verpflichtet, seinen Vermögensstamm im Rahmen des Zumutbaren zu verwerten, bevor es seine Eltern auf Unterhalt in Anspruch nimmt .

2. Ein schwerbehindertes Kind, das angesichts der Schwere und der Dauer seiner Erkrankung seinen Grundbedarf und behinderungsbedingten Mehrbedarf nicht selbst zu decken in der Lage ist, darf zur Altersvorsorge maßvoll Vermögen bilden (Anschluss an BFH-Urteil vom 30. Oktober 2008 III R 97/06, BFH/NV 2009, 728) .

3. Die das eigene Vermögen des Unterhaltsempfängers betreffende Bestimmung des § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG kommt im Rahmen des § 33 EStG nicht eigens zur Anwendung .

4. Im Fall der Übertragung des Behinderten-Pauschbetrags kann der Steuerpflichtige Aufwendungen für sein behindertes Kind gemäß § 33 EStG zusätzlich abziehen .

Tatbestand

1

I. Die zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Klägerin und Revisionsklägerin und der inzwischen verstorbene Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielten im Streitjahr (1998) Einkünfte aus Gewerbebetrieb und selbständiger [X.]rbeit. Der Gesamtbetrag der Einkünfte belief sich auf 663.618 DM. Die 1975 geborene Tochter [X.] leidet an Down-Syndrom. Ihr Schwerbehindertenausweis ist mit dem Merkmal "[X.]" gekennzeichnet. [X.] war im Streitjahr in einer sozialtherapeutischen [X.]ofgemeinschaft untergebracht und ging in einer angeschlossenen Behindertenwerkstatt einer Tätigkeit nach. Sie wurde im Streitjahr bei den Klägern gemäß § 32 [X.]bs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) berücksichtigt.

2

[X.] ist Eigentümerin eines ihr 1993 vom Großvater geschenkten Mehrfamilienhauses in [X.] Sie erzielte im Streitjahr aus der Vermietung dieses Objekts negative Einkünfte in [X.]öhe von 10.486 DM.

3

Die Kläger machten im Streitjahr [X.]ufwendungen für die Unterbringung und den Werkstattbesuch ihrer Tochter als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG geltend. Sie bezifferten die Kosten nach [X.]bzug von vereinnahmtem Pflegegeld und Verpflegungsaufwendungen auf 77.114 DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --F[X.]--) berücksichtigte die [X.]ufwendungen nicht. Das F[X.] ließ jedoch den Behinderten-Pauschbetrag (§ 33b [X.]bs. 3 EStG) und den [X.] (§ 33b [X.]bs. 6 EStG) zum [X.]bzug zu.

4

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab (Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1710). Es führte u.a. aus, dass [X.]ufwendungen von Eltern erwachsener behinderter Menschen in vollstationärer [X.]eimunterbringung grundsätzlich eine außergewöhnliche Belastung seien. Im Streitfall bestehe jedoch die Besonderheit, dass [X.] über ein nicht unerhebliches Vermögen --ein [X.] verfüge. Deshalb komme eine steuerliche Berücksichtigung der [X.]ufwendungen nicht in Betracht. Dies sei in § 33a [X.]bs. 1 Satz 3 EStG ausdrücklich normiert, gelte aber auch in den Fällen des § 33 EStG.

5

Die Kläger beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid dahingehend zu ändern, dass 77.114 DM, hilfsweise 73.176 DM, als außergewöhnliche Belastungen abgezogen werden.

6

Das F[X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Revision der Kläger ist begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen (§ 126 [X.]bs. 3 Satz 1 [X.]r. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat die Unterstützungsleistungen der Kläger für ihre Tochter zu Unrecht vom [X.]bzug als außergewöhnliche Belastungen ausgeschlossen.

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1. [X.]ach § 33 [X.]bs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf [X.]ntrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere [X.]ufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen (außergewöhnliche Belastungen). [X.]ufwendungen sind außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer [X.]rt und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. [X.]ufwendungen erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit sie den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 [X.]bs. 2 EStG).

9

2. Im Streitfall sind den Klägern die [X.]ufwendungen für die Heimunterbringung der Tochter aus rechtlichen Gründen zwangsläufig erwachsen.

a) Die Kläger hatten ihrer Tochter angemessenen Unterhalt zu leisten (§§ 1601, 1610 [X.]bs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs i.d.[X.] --BGB--). Ihr von den Klägern aufzubringender Lebensbedarf umfasste auch den behinderungsbedingten Mehrbedarf (Urteil des [X.] --BFH-- vom 30. Oktober 2008 [X.]/06, [X.], 728, m.w.[X.]; s. auch BFH-Urteil vom 23. Mai 2002 [X.], [X.], 296, [X.] 2002, 567).

b) [X.] sind nur dann zwangsläufig, wenn die unterhaltene Person außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 1602 [X.]bs. 1 BGB; BFH-Urteil vom 14. [X.]ugust 1997 III R 68/96, [X.], 315, [X.] 1998, 241). Diese Voraussetzung ist im Streitfall gegeben. [X.] war im Streitfall nicht verpflichtet, den Stamm ihres Vermögens einzusetzen.

Ein volljähriges Kind ist grundsätzlich verpflichtet, vorrangig seinen Vermögensstamm zu verwerten, bevor es seine Eltern auf Unterhalt in [X.]nspruch nimmt. Dies folgt im Umkehrschluss aus § 1602 [X.]bs. 2 BGB. Der Grundsatz kommt jedoch nicht zur [X.]nwendung, wenn die [X.] im Einzelfall unzumutbar ist. Inwieweit das Vermögen einzusetzen ist, muss daher jeweils aufgrund einer Zumutbarkeitsabwägung unter Berücksichtigung aller bedeutsamen Umstände und insbesondere auch der Lage der Unterhaltsverpflichteten entschieden werden (Urteil des [X.] vom 5. [X.]ovember 1997 [X.], [X.]eue Juristische Wochenschrift --[X.]JW-- 1998, 978; Urteil des [X.] vom 11. [X.]ugust 2006  11 UF 25/06, [X.]JW 2007, 1217; BFH-Urteil in [X.], 728; [X.]/ [X.], 5. [X.]ufl., § 1602 Rz 58). [X.]ach diesen Grundsätzen dürfen schwerbehinderte volljährige Kinder, die ihren angemessenen Bedarf nicht selbst decken können und bei denen ungewiss ist, ob ihr Unterhaltsbedarf im [X.]lter durch Unterhaltsleistungen der Eltern gedeckt werden kann, maßvoll Vermögen bilden; eine als [X.]ltersvorsorge dienende vermietete Eigentumswohnung braucht deshalb nicht vor der Inanspruchnahme elterlichen Unterhalts verwertet zu werden (Urteil des [X.] vom 10. [X.]ovember 1999  2 UF 229/98, Zeitschrift für das Familienrecht 2001, 47).

[X.]ach diesen Grundsätzen konnte auch der schwerbehinderten Tochter der Kläger die Veräußerung des Grundstücks nicht zugemutet werden, da sie hierauf zur [X.]ltersvorsorge und zur [X.]bdeckung ihres weiteren lebenslangen behinderungsbedingten Mehrbedarfs angewiesen war (s. BFH-Urteil in [X.], 728). Da ungewiss ist, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang [X.] mit zunehmendem [X.]lter ihren Grundbedarf und vor allem den behinderungsbedingten Mehrbedarf durch Unterhaltsleistungen der Kläger wird decken können, war eine [X.]ltersvorsorge zu treffen. Diese Vorsorge ist angesichts der Schwere und der Dauer der Krankheit maßvoll ausgefallen. Mit den Vermögenserträgnissen kann der durch die Behinderung bedingte Bedarf im [X.]lter wenigstens teilweise gedeckt werden. Da andererseits nach den Feststellungen des [X.] wegen des außerordentlich hohen Unterhaltsbedarfs der [X.] bei Verwertung des Grundstücks "der Veräußerungserlös schnell verbraucht wäre", wäre es unbillig, von [X.] zu verlangen, den Stamm ihres Vermögens anzugreifen.

c) Entgegen der [X.]uffassung der Vorinstanz kommt die das eigene Vermögen des Unterhaltsempfängers betreffende Bestimmung des § 33a [X.]bs. 1 Satz 3 EStG im Rahmen des § 33 EStG nicht ergänzend zur [X.]nwendung. § 33a EStG stellt gegenüber der allgemeinen Regelung des § 33 EStG eine Sondervorschrift dar. Das bedeutet auch, dass die in § 33a EStG enthaltenen Sonderbestimmungen nicht auf die Generalklausel des § 33 EStG ausgedehnt werden dürfen (Kanzler in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 33a EStG Rz 10).

3. Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung und ist daher aufzuheben. Der [X.] kann jedoch nicht durcherkennen, da die Sache nicht spruchreif ist. Von seinem Standpunkt aus zu Recht hat das [X.] keine Feststellungen zur Höhe der nach § 33 EStG abziehbaren [X.]ufwendungen gemacht. Zum Verhältnis dieser [X.]ufwendungen zum Behinderten-Pauschbetrag (§ 33b [X.]bs. 3 EStG) wird darauf hingewiesen, dass im Fall der Übertragung dieses [X.] (§ 33b [X.]bs. 5 EStG) der Steuerpflichtige [X.]ufwendungen für sein behindertes Kind zusätzlich abziehen kann, weil der Pauschbetrag nur [X.]ufwendungen des Kindes abgilt ([X.]/Kanzler, § 33b EStG [X.]). Im Übrigen wird § 33 [X.]bs. 3 EStG zu beachten sein.

Meta

VI R 61/08

11.02.2010

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, 22. Mai 2008, Az: 1 K 50225/04, Urteil

§ 33 EStG 1997, § 33a Abs 1 S 3 EStG 1997, § 33b EStG 1997, § 1601 BGB, § 1602 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 11.02.2010, Az. VI R 61/08 (REWIS RS 2010, 9465)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9465

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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(Prozesskosten nur bei Gefährdung der materiellen Existenzgrundlage als außergewöhnliche Belastungen abziehbar - Teilweise inhaltsgleich mit …


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11 UF 25/06

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