Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.10.2022, Az. XIII ZB 131/19

13. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 7857

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Gegenstand

Abschiebungshaft: Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde einer Vertrauensperson des Betroffenen


Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Vertrauensperson des Betroffenen gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des [X.] vom 9. Oktober 2019 wird auf ihre Kosten verworfen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

1

I. Der Betroffene, ein algerischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2015 in das [X.] ein. Seinen Asylantrag lehnte das [X.] mit bestandskräftigem Bescheid vom 13. April 2016 ab und forderte ihn unter Androhung der Abschiebung auf, das [X.] zu verlassen. Die am 5. Oktober 2018 geplante Abschiebung scheiterte, weil der Betroffene in seiner Unterkunft nicht anzutreffen war.

2

Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das [X.] mit Beschluss vom 30. April 2019 gegen den Betroffenen Abschiebungshaft bis zum 28. Juni 2019 an. Die für diesen Tag geplante Abschiebung scheiterte, weil der Betroffene sich auf dem Weg zum Luftfahrzeug einkotete und nach Reinigung und [X.] Widerstand gegen die Abschiebung leistete. Der Flugkapitän verweigerte trotz der vorhandenen Sicherheitsbegleitung die Beförderung des Betroffenen.

3

Auf den Antrag der beteiligten Behörde vom 28. Juni 2019 hat das [X.] mit Beschluss vom 29. Juni 2019 Haft längstens bis zum 30. August 2019 angeordnet. Gegen diesen Beschluss hat der Betroffene noch im Anhörungstermin Beschwerde eingelegt, welcher das Amtsgericht nicht abgeholfen hat. Mit Schreiben vom 21. Juli 2019 hat [X.] gegenüber dem [X.] mitgeteilt, eine Person des Vertrauens des Betroffenen (Vertrauensperson) zu sein. Nachdem auf seinen Antrag das [X.] mit Beschluss vom 6. August 2019 die Haftanordnung vom 28. Juni 2019 aufgehoben hatte, hat [X.] mit weiterem Schreiben vom 15. August 2019 gegenüber dem [X.] beantragt, die Rechtswidrigkeit der angeordneten Haft festzustellen. Mit Beschluss vom 9. Oktober 2019 hat das [X.] den Feststellungsantrag der Vertrauensperson zurückgewiesen.

4

II. Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.

5

1. [X.] ist zwar statthaft. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ist eine Rechtsbeschwerde auch dann ohne Zulassung nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG statthaft, wenn - wie hier - das Beschwerdegericht einen Feststellungsantrag nach § 62 Abs. 1 FamFG zurückgewiesen hat und in dem Rechtsbeschwerdeverfahren die Überprüfung dieser Entscheidung verlangt wird ([X.], Beschlüsse vom 22. Oktober 2015 - [X.], [X.] 2015, 439 Rn. 4; vom 23. Februar 2021 - [X.] 52/20, juris Rn. 6).

6

2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unzulässig, weil die Vertrauensperson - die nicht im Namen des Betroffenen, sondern aus eigenem Recht im Interesse des Betroffenen handelt ([X.], Beschlüsse vom 19. Mai 2020 - [X.] 82/19, [X.] 2020, 387 Rn. 8; vom 23. Februar 2021 - [X.] 52/20, juris Rn. 7, 10) - am Verfahren im ersten Rechtszug nicht im Sinne des § 429 Abs. 2 Nr. 2 FamFG beteiligt war.

7

a) Nach § 429 Abs. 2 Nr. 2 FamFG steht einer von dem Betroffenen benannten Person seines Vertrauens - unabhängig von der Beeinträchtigung eigener Rechte - zwar das Recht der Beschwerde im Interesse des Betroffenen zu; dieses Recht besteht jedoch im Haftanordnungsverfahren - anders als im Haftaufhebungsverfahren (vgl. [X.], [X.] 2020, 387 Rn. 13 mwN) - nur, wenn die Vertrauensperson bereits im ersten Rechtszug an dem Verfahren beteiligt wurde. Durch das Erfordernis der erstinstanzlichen Beteiligung sollen Beschwerden solcher durch § 429 Abs. 2 FamFG privilegierter Personen vermieden werden, die am Verfahren erster Instanz kein Interesse gezeigt haben (vgl. BT-Drucks. 16/6308, S. 271 f.). Die fehlende Beteiligung im erstinstanzlichen Verfahren hat zur Folge, dass keine gegenüber § 59 Abs. 1 FamFG erweiterte Beschwerdebefugnis besteht. Die Vorschrift des § 429 FamFG gilt auch im Rechtsbeschwerdeverfahren (vgl. [X.], Beschlüsse vom 8. März 2012 - [X.], juris Rn. 5; vom 23. Februar 2021 - [X.] 52/20, juris Rn. 7).

8

b) Die Vertrauensperson war am hier in Rede stehenden, die Haftverlängerung betreffenden Anordnungsverfahren vor dem Amtsgericht nicht beteiligt, sondern hat sich darauf beschränkt, nach Erlass des die Haftverlängerung anordnenden Beschlusses einen Haftaufhebungsantrag zu stellen. Das genügt für eine Beteiligung im Sinne des § 429 Abs. 2 FamFG jedoch nicht, weil Haftanordnungs- und Haftaufhebungsverfahren jeweils selbständige Verfahren bilden (vgl. [X.], Beschluss vom 23. Februar 2021 - [X.] 52/20, juris Rn. 7, 10).

9

c) Es besteht vorliegend auch kein Bedürfnis, von dieser Voraussetzung abzusehen. Die Bejahung eines Rechtsschutzinteresses an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer freiheitsentziehenden Maßnahme im Sinne des § 62 FamFG ermöglicht eine solche Feststellung nach der Rechtsprechung des [X.] nicht losgelöst von dem jeweils bestehenden Rechtsschutzsystem. Sofern es dem Betroffenen zumutbar und möglich war, eine von der Verfahrensordnung bereitgestellte Rechtsschutzmöglichkeit zu ergreifen, kann von ihm erwartet werden, dass er diese wahrnimmt ([X.], Beschlüsse vom 28. April 2011 - [X.] 292/10, [X.] 2011, 200 Rn. 15; vom 26. Mai 2011 - [X.] 318/10, juris Rn. 16; vom 24. September 2015 - [X.] 3/15 Rn. 9). Hier stand es dem Betroffenen frei, nach Erledigung der Haftanordnung selbst einen Antrag gemäß § 62 FamFG zu stellen und auf diese Weise sein Rehabilitierungsinteresse geltend zu machen. Das hat der Betroffene nicht getan.

Die vorliegende Konstellation ist auch nicht mit den Fällen vergleichbar, in denen wegen unzutreffender Behandlung des durch die Vertrauensperson gestellten [X.] kein effektiver Rechtsschutz für den Betroffenen zur Verfügung steht (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 23. Februar 2021 - [X.] 52/20, juris Rn. 7, 10). Der Vertrauensperson stand es auch dann, wenn sie im ersten Rechtszug betreffend das Haftanordnungsverfahren nicht beteiligt war, offen, im Haftaufhebungsverfahren vor dem Amtsgericht den gestellten [X.] mit einem Antrag nach § 62 FamFG für den Fall der Erledigung zu verbinden (vgl. [X.], Beschluss vom 26. April 2018 - [X.] 95/17, juris Rn. 8), über den sodann neben (oder nach) der Aufhebung der Haft zu entscheiden gewesen wäre.

Soweit die Rechtsbeschwerde auf den Beschluss des [X.] vom 29. November 2012 ([X.] 115/12, [X.] 2013, 158 Rn. 3) verweist, ergibt sich daraus nichts anderes. Die Beschwerdeberechtigung der Vertrauensperson ergab sich in jenem Verfahren, dem ein Haftaufhebungsantrag und nicht eine Beschwerde gegen die Haftanordnung zugrunde lag, aus dem Umstand, dass die Vertrauensperson diesen [X.] vor dem Amtsgericht selbst gestellt hat und damit im ersten Rechtszug dieses Verfahrens beteiligt war.

3. [X.] beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

[X.]     

  

[X.]     

  

Tolkmitt

  

Picker     

  

Holzinger     

  

Meta

XIII ZB 131/19

25.10.2022

Bundesgerichtshof 13. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Paderborn, 9. Oktober 2019, Az: 5 T 212/19

Art 104 GG, § 62 AufenthG, § 59 Abs 1 FamFG, § 62 FamFG, § 429 Abs 2 Nr 2 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.10.2022, Az. XIII ZB 131/19 (REWIS RS 2022, 7857)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 7857

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(Beschwerdeberechtigung einer Vertrauensperson in einem Haftaufhebungsverfahren)


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