Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.06.2022, Az. VI ZR 172/20

6. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 3052

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ZIVIL- UND ZIVILVERFAHRENSRECHT BUNDESGERICHTSHOF (BGH) BELEIDIGUNG KIRCHE NATIONALSOZIALISMUS

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Gegenstand

Verhöhnung und Verunglimpfung des Judentums durch das Sandsteinrelief "Wittenberger Sau" einer mittelalterlichen Kirchenfassade: Angriff auf den Geltungs- und Achtungsanspruch eines jeden in Deutschland lebenden Juden; Distanzierung von dem in dem Relief "Judensau" verkörperten Aussagegehalt; Beseitigung des andauernden rechtswidrigen Störungszustands


Leitsatz

1. Durch eine Darstellung, die das jüdische Volk und seine Religion, mithin das Judentum als Ganzes verhöhnt und verunglimpft, wird der Geltungs- und Achtungsanspruch eines jeden in Deutschland lebenden Juden angegriffen.

2. Der rechtsverletzende Zustand, der von einem der Diffamierung und Verunglimpfung von Juden dienenden Sandsteinrelief ausgeht, kann nicht allein durch Entfernung des Reliefs, sondern auch dadurch beseitigt werden, dass sich der Störer von dem im Relief verkörperten Aussagegehalt distanziert, dieses kontextualisiert und in eine Stätte der Mahnung zum Zwecke des Gedenkens und der Erinnerung an die jahrhundertelange Diskriminierung und Verfolgung von Juden bis hin zum Holocaust umwandelt.

3. Der Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB ist auf die Beseitigung des andauernden rechtswidrigen Störungszustands, nicht hingegen auf eine bestimmte Handlung gerichtet. Es muss daher grundsätzlich dem Schuldner überlassen bleiben, wie er den Störungszustand beseitigt.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des [X.] vom 4. Februar 2020 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger verlangt von der beklagten Kirchengemeinde die Entfernung eines [X.]s von ihrer Kirchenfassade.

2

Die Beklagte ist Eigentümerin der unter Denkmalschutz stehenden [X.] Stadtkirche, an deren Außenfassade sich seit etwa dem Jahr 1290 ein [X.] befindet. Es zeigt unter anderem eine Sau, an deren Zitzen zwei Menschen saugen, die durch ihre [X.] als [X.]n identifiziert werden. Ein ebenfalls durch seinen Hut als [X.] zu identifizierender Mensch hebt den Schwanz der Sau und blickt ihr in den [X.]. [X.] wurde in Anlehnung an zwei von [X.] 1543 veröffentlichte antijudaistische Schriften über der Sau die Inschrift "[X.]" angebracht. [X.] entschied der [X.] im Rahmen von Sanierungsarbeiten an der Stadtkirche, das Relief an seinem Ort zu belassen und ebenfalls zu sanieren. Am 11. November 1988 wurde unter dem Relief eine nach den örtlichen Verhältnissen nicht zu übersehende, in Bronze gegossene quadratische Bodenreliefplatte mit einer Inschrift eingeweiht. Der Text der Inschrift lautet: "Gottes eigentlicher Name, der geschmähte Schem Ha Mphoras, den die [X.]n vor [X.] fast unsagbar heilig hielten, starb in 6 Millionen [X.]n unter einem Kreuzeszeichen". In [X.] ist darüber hinaus der Beginn von [X.] wiedergegeben, der - übersetzt - lautet: "Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir". Auf einem in unmittelbarer Nähe angebrachten [X.] heißt es unter der Überschrift

„Mahnmal an der [X.]“:

„An der Südostecke der [X.] befindet sich seit etwa 1290 ein Hohn- und Spottbild auf die jüdische Religion. [X.]en dieser Art, die [X.]n in Verbindung mit Schweinen zeigen - Tiere, die im [X.]ntum als unrein gelten - waren besonders im Mittelalter verbreitet. Es existieren noch etwa fünfzig derartige Bildwerke.

[X.]nverfolgungen fanden in [X.] Anfang des 14. Jahrhunderts und 1440 statt, 1536 wurde [X.]n der Aufenthalt in [X.] grundsätzlich verboten.

[X.] veröffentlichte 1543 die antijudaistischen Schriften „Von den [X.]n und ihren Lügen“ und „Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht [X.]“, auf die sich die Inschrift der [X.] bezieht. Sie wurde 1570 angebracht wie der [X.] Text an der Traufe, der die von [X.] angestoßene [X.] mit der Tempelreinigung [X.] ([X.] 21) gleichsetzt und gegen „Papisten“ polemisiert.

Das Mahnmal unterhalb der [X.] wurde im November 1988 enthüllt, fünfzig Jahre nach dem Beginn der [X.]npogrome im nationalsozialistisch beherrschten [X.]. Die in Bronze gegossene Bodenplatte zeigt vier gegeneinander verkippte Trittplatten, die aussehen, als seien sie in morastigem Untergrund verlegt. Die Fugen ergeben ein Kreuzeszeichen. Der umlaufende Text verbindet die Inschrift der [X.] mit dem [X.]: „Gottes eigentlicher Name / der geschmähte Schem Ha Mphoras / den die [X.]n vor [X.] / fast unsagbar heilig hielten / starb in sechs Millionen [X.]n / unter einem Kreuzeszeichen.“ Dazu steht in hebräischer Schrift der Beginn von [X.]: „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir“. Die [X.] entwarf der Bildhauer [X.]. Die Umschrift verfasste der Schriftsteller [X.].“

3

Der Kläger ist [X.] und Mitglied einer [X.] Gemeinde in [X.]. Er macht geltend, er werde durch das [X.] beleidigt. Die diffamierende Wirkung bleibe unabhängig davon, ob man die Plastik kommentiere, erhalten. Eine Distanzierung von dem beleidigenden Aussagegehalt sei nicht möglich. Mit seiner Klage verlangt er von der [X.] in erster Linie die Entfernung des [X.]s; für den Fall, dass der [X.] dies aus [X.] nicht möglich sein sollte, begehrt er hilfsweise die Feststellung, dass das Relief den objektiven und subjektiven Tatbestand der Beleidigung gemäß § 185 StGB erfülle.

4

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Mit seiner vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

I.

5

Nach Auffassung des Berufungsgerichts verwirklicht das öffentlich sichtbare Vorhalten des beanstandeten [X.] weder den objektiven Tatbestand der Beleidigung des § 185 StGB noch verletzt es das allgemeine Persönlichkeitsrecht des [X.]. Zwar habe das Relief ursprünglich dazu gedient, [X.]n verächtlich zu machen, zu verhöhnen und herabzuwürdigen. Bei isolierter Betrachtung wäre es deshalb als Beleidigung von [X.]n zu werten. Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände sei ihm ein rechtsverletzender Sinngehalt aber nicht mehr zu entnehmen. Es sei inzwischen Teil eines nach den örtlichen Verhältnissen nicht zu übersehenden Ensembles von Exponaten, die die Zielrichtung der [X.]n erkennen ließen, es als Teil einer Gedenk- und Erinnerungskultur zu erhalten. Der Informationstext auf dem [X.] bringe unmissverständlich zum Ausdruck, dass sich die [X.] von [X.]nverfolgungen, den antijudaistischen Schriften [X.] und insbesondere auch von der verhöhnenden und verspottenden Zielrichtung der Schmähplastik distanziere.

II.

6

Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Der Kläger kann von der [X.]n nicht die Entfernung des beanstandeten [X.] verlangen. Es fehlt an der für einen derartigen Anspruch erforderlichen gegenwärtigen Rechtsverletzung. Selbst wenn eine solche gegeben wäre, könnte der Kläger daraus nicht die allein beanspruchte Rechtsfolge der Entfernung des Reliefs herleiten.

7

1. Der Kläger kann den geltend gemachten Anspruch auf Entfernung des [X.] nicht aus einer Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts ableiten (§ 1004 Abs. 1 Satz 1 analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG).

8

a) Das Berufungsgericht hat allerdings zu Recht angenommen, dass das beanstandete [X.] jedenfalls bis zur Verlegung der in Bronze gegossenen Bodenreliefplatte am 11. November 1988 einen das [X.] Volk und seine Religion massiv diffamierenden Aussagegehalt aufwies und [X.]nfeindlichkeit und Hass zum Ausdruck brachte. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die die Revisionserwiderung nicht in Frage stellt, diente das Relief zur Zeit seiner Entstehung und auch noch im 16. Jahrhundert, als es durch die Inschrift "[X.]" ergänzt wurde, dazu, [X.]n verächtlich zu machen, zu verhöhnen und auszugrenzen. Einen entsprechenden Aussagegehalt hatte das Relief jedenfalls auch noch bis zur Verlegung der [X.]. Das [X.] zeigt, wie zwei Menschen wie Ferkel an den Zitzen des Tieres saugen. Ein dritter Mensch schaut unter dem Hals der Sau hervor und versucht, ein Ferkel daran zu hindern, an die Zitzen der [X.] zu gelangen. Ein vierter Mensch hält mit der rechten Hand den Hinterhuf der Sau; mit der linken Hand hebt er ihren Schwanz und schaut ihr mit sichtbarem Interesse in den After. Er übertrifft die drei anderen deutlich an Größe, was seine besondere Bedeutung nahelegt. Alle vier dargestellten Personen sind aufgrund ihrer typischen "[X.]nhüte" eindeutig als [X.]n zu erkennen. Der der Sau in den After blickende [X.] ist aufgrund der Größe seiner Darstellung als Rabbiner zu identifizieren.

9

Durch eine solche Darstellung werden [X.]n und ihr Glauben in beson[X.] krasser Weise verhöhnt, verunglimpft und herabgewürdigt. Das Schwein gilt im [X.]ntum bekanntlich als unrein; in der [X.] Kunst des Mittelalters verkörpert es den [X.] (vgl. auch Kämpfer in [X.], 2018, 387 ff.; [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], Beiträge zur Kunst- und Kulturgeschichte, 1989, 7 ff.; [X.], [X.] 4/95, 4, 5 f.; [X.], Kunst und [X.] 1/21, 20 f.; [X.], [X.] und die [X.], 2017, 247).

b) Zu Recht hat das Berufungsgericht den Erfolg der Klage auch nicht an der fehlenden Aktivlegitimation des [X.] scheitern lassen. Zwar kann gegen Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht nur der unmittelbar Betroffene vorgehen (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 17. Mai 2022 - [X.], [X.] Rn. 25 [X.]). Auch wenn der Kläger nicht persönlich in dem beanstandeten Relief dargestellt wird, war die darin jedenfalls bis zur Verlegung der [X.] zum Ausdruck kommende Aussage aber geeignet, ihn unmittelbar in eigenen Rechten zu betreffen.

Wie unter a) dargestellt, verhöhnt und verunglimpft das beanstandete Relief isoliert betrachtet das gesamte [X.] Volk und seine Religion, mithin das [X.]ntum als Ganzes. Durch eine solche Darstellung wird unmittelbar auch der [X.] eines jeden in [X.] lebenden [X.]n angegriffen (vgl. Senatsurteil vom 18. September 1979 - [X.], [X.], 160, juris Rn. 15; [X.], Urteile vom 25. Juli 1963 - 3 StR 4/63, juris Rn. 14 - [X.] [insoweit in [X.]St 19, 63 nicht abgedruckt]; vom 21. April 1961 - 3 StR 55/60, [X.]St 16, 49, juris Rn. 27 - zur Schrift von [X.] "The Federal Reserve Conspiracy"; [X.] 15, 93, juris Rn. 25 f. - [X.] auf dem Teller). Diese Personengruppe ist durch den [X.] zu einer Einheit verbunden, die sie aus der Allgemeinheit hervortreten lässt (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Februar 1958 - 1 StR 387/57, [X.]St 11, 207, 209). Der vom [X.] im [X.] mit dem Ziel der Ausrottung des [X.]n Volkes begangene Massenmord an [X.]n prägt den Geltungsanspruch und Achtungsanspruch eines jeden in [X.] lebenden [X.]n (vgl. Senatsurteil vom 18. September 1979 - [X.], [X.], 160, juris Rn. 15; [X.], Urteil vom 15. Dezember 1994 - 1 [X.], NJW 1995, 340, juris Rn. 9; [X.] 15, 93, juris Rn. 25 f. - [X.] auf dem Teller; EGMR, NJW 2014, 137 Rn. 49 - [X.] [X.] gegen [X.]; [X.]/[X.] in [X.], Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Auflage, [X.]; [X.] in [X.]/[X.], Presserecht, 6. Auflage, § 13 Rn. 13.40; Brändel/[X.] in [X.]/[X.]/[X.], Handbuch Persönlichkeitsrecht, 2. Auflage, § 30 Rn. 9). Es gehört zum personalen Selbstverständnis eines jeden von ihnen, als Teil einer durch das unfassbare Unrecht herausgehobenen Personengruppe begriffen zu werden, die beson[X.] verletzlich ist und der gegenüber eine besondere moralische Verantwortlichkeit aller anderen [X.] besteht; dieses Selbstverständnis ist Teil ihrer Würde. Die Achtung dieses Selbstverständnisses ist für jeden von ihnen eine der Garantien gegen eine Wiederholung von Diskriminierung und Verfolgung; sie ist eine Grundbedingung für ihr Leben in [X.] (vgl. Senatsurteil vom 18. September 1979 - [X.], [X.], 160, juris Rn. 15, 17; [X.] 15, 93, juris Rn. 25 f. - [X.] auf dem Teller).

c) Die in dem beanstandeten Relief jedenfalls bis zur Verlegung der [X.] zum Ausdruck kommende Aussage war geeignet, den Kläger in seinem Recht auf Achtung seiner Persönlichkeit zu verletzen. Der sonst zur Feststellung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung erforderlichen Abwägung der wi[X.]treitenden grundrechtlichen Interessen im konkreten Einzelfall bedarf es ausnahmsweise nicht, weil die Aussage als Schmähung zu qualifizieren ist (vgl. zur Entbehrlichkeit der Einzelfallabwägung bei Schmähkritik: [X.], Beschluss vom 19. August 2020 - 1 BvR 2249/19, NJW 2021, 148 Rn. 14 ff. [X.]). Zwar ist bei der Annahme einer Schmähung Zurückhaltung geboten. Sie folgt nicht schon aus einem besonderen Gewicht der Ehrbeeinträchtigung als solcher und ist damit nicht ein bloßer Steigerungsbegriff. Eine Äußerung nimmt den Charakter einer Schmähung erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinan[X.]etzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht ([X.], Beschluss vom 9. Februar 2022 - 1 BvR 2588/20, juris Rn. 21 f.; vom 19. August 2020 - 1 BvR 2249/19, NJW 2021, 148 Rn. 15). So verhält es sich aber im Streitfall. Die in dem Relief bei isolierter Betrachtung verkörperte Aussage hat für sich genommen keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug zu einer sachlichen Auseinan[X.]etzung; nach den von der Revisionserwiderung nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts zielt sie vielmehr darauf ab, [X.]n und ihren Glauben verächtlich zu machen und zu verhöhnen.

Aber auch wenn das Relief nicht als bloßes Schmähbild zu qualifizieren wäre (die "schlichte Eindeutigkeit eines Schmähbildes" bezweifelnd: Germann in [X.], [X.] zur Denkmalpflege 15, 2020, [X.], 100; [X.] in [X.], [X.] zur Denkmalpflege 15, 2020, [X.], 36), wäre die darin jedenfalls bis zur Verlegung der [X.] zum Ausdruck kommende Aussage geeignet, den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu verletzen. Angesichts der Schwere der davon ausgehenden Verunglimpfung überwöge sein Schutzinteresse etwaige Interessen der [X.]n deutlich.

d) Die in dem beanstandeten Relief jedenfalls bis zur Verlegung der [X.] zum Ausdruck kommende Aussage ist der [X.]n auch zuzurechnen. Ob dies, wie die Revision meint, allein deshalb der Fall ist, weil die [X.] das Relief nicht von der Fassade ihres [X.]ngebäudes entfernt hat (zweifelnd [X.], [X.] 2020, 160; Kämpfer in [X.], 2018, 387, 395 f.), kann offenbleiben. Denn die [X.] hat sich durch ihren [X.] im Jahr 1983 entschieden, das Relief im Rahmen von Sanierungsarbeiten an der Stadtkirche an seinem Ort zu belassen und zu sanieren, und hat die Sanierung durchgeführt. Hierdurch hat sie den rechtsverletzenden Zustand durch ein ihr zurechenbares Verhalten aufrechterhalten oder sogar - durch Herstellung einer infolge der Sanierung besseren Erkennbarkeit des diffamierenden [X.] - intensiviert (vgl. [X.], 61. Edition, § 1004 Rn. 58; Kämpfer in [X.], 2018, 387, 394).

e) Die [X.] hat den jedenfalls bis zum 11. November 1988 bestehenden rechtsverletzenden Zustand aber dadurch beseitigt, dass sie unter dem Relief eine nach den örtlichen Verhältnissen nicht zu übersehende, in Bronze gegossene Bodenplatte mit der Inschrift "Gottes eigentlicher Name, der geschmähte Schem Ha Mphoras, den die [X.]n vor [X.] fast unsagbar heilig hielten, starb in 6 Millionen [X.]n unter einem Kreuzeszeichen" enthüllt und in unmittelbarer Nähe dazu einen [X.] mit der Überschrift "Mahnmal an der [X.]" angebracht hat, der den historischen Hintergrund des Reliefs und die [X.] näher erläutert. Aus der maßgeblichen Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Betrachters hat sie das bis dahin als Schmähung von [X.]n zu qualifizierende [X.] - das "[X.]" - in ein Mahnmal zum Zwecke des [X.] und der Erinnerung an die jahrhundertelange Diskriminierung und Verfolgung von [X.]n bis hin zur [X.] umgewandelt und sich von der früheren Aussage - wie sie im Relief bei isolierter Betrachtung zum Ausdruck kommt - distanziert.

aa) Entgegen der Auffassung der Revision kann der von dem [X.] ausgehende rechtsverletzende Zustand nicht allein durch Entfernung des Reliefs beseitigt werden. Auch wenn das Relief von Anfang an und immer nur der Diffamierung und Verunglimpfung von [X.]n diente und kaum eine bildliche Darstellung denkbar ist, die in höherem Maße im Wi[X.]pruch zur Rechtsordnung steht, gebietet die Rechtsordnung nicht seine Beseitigung. Vielmehr bestanden mehrere Möglichkeiten, die von ihm ausgehende rechtswidrige Beeinträchtigung für die Zukunft abzustellen. So hätte die [X.] den rechtswidrigen Störungszustand auch dadurch beenden können, dass sie das Relief vollständig verhüllt, dem Betrachter den in ihm verkörperten diffamierenden und judenfeindlichen Aussagegehalt dauerhaft verbirgt und damit sicherstellt, dass die Aussage keine Wirkung mehr erzielt. Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, konnte die [X.] den fortdauernden Störungszustand auch dadurch beseitigen, dass sie sich von dem im Relief verkörperten Aussagegehalt distanziert, dieses kontextualisiert und in eine Stätte der Mahnung zum Zwecke des [X.] und der Erinnerung an die jahrhundertelange Diskriminierung und Verfolgung von [X.]n bis hin zum [X.] umwandelt. Denn auch durch ein solches Vorgehen - durch die Umwandlung des "[X.]s" in ein Mahnmal und in ein Zeugnis für die Jahrhunderte währende judenfeindliche Geisteshaltung der [X.] [X.] - wird dem Relief der rechtsverletzende Aussagegehalt genommen.

An[X.] als die Revision meint, trägt ein solches Vorgehen der besonderen historischen und ethischen Situation, in die der Streitfall eingebettet ist, mindestens ebenso gut Rechnung wie die vom Kläger beanspruchte Entfernung des Reliefs. Das an der [X.]nfassade befindliche Relief ist Ausdruck und Beleg des [X.] Antijudaismus, der sich über Jahrhunderte hinzog und Grundlage für den Antisemitismus und schließlich die [X.] war ([X.] in Zeitzeichen, [X.] Kommentare zu Religion und Gesellschaft, 1/2018, 12; [X.] in [X.], [X.] zur Denkmalpflege 15, 2020, S. 13 f.; [X.]. "Eine perverse Sauerei", [X.], abgerufen am 14. Mai 2022). [X.] kontextualisiert illustriert es die Mitverantwortung der [X.] [X.] für die jahrhundertelange Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung von [X.]n und ermöglicht eine Aufklärung und inhaltliche Auseinan[X.]etzung mit dem Ziel, Hass, Ausgrenzung und Antisemitismus entgegenzutreten ([X.], "Eine perverse Sauerei", [X.], abgerufen am 14. Mai 2022).

bb) Die Revision wendet sich auch ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die [X.] habe sich von dem im Relief verkörperten Aussagegehalt erfolgreich distanziert und dieses in ein Mahnmal zum Zwecke des [X.] und der Erinnerung an die jahrhundertelange Diskriminierung und Verfolgung von [X.]n bis hin zum [X.] umgewandelt.

(1) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, die [X.] könne sich schon gar nicht von dem beleidigenden Aussagegehalt des an ihrer [X.] angebrachten und von ihr sanierten Reliefs distanzieren. Sie übersieht, dass Aussagen mit Wirkung für die Zukunft einen anderen Sinngehalt bekommen können, wenn sie in einen anderen Kontext gestellt werden.

(2) Die Revision rügt auch zu Unrecht, das Berufungsgericht habe den für die Erfassung des [X.] maßgeblichen Kontext falsch bestimmt und rechtsfehlerhaft die [X.] und den Informationstext auf dem [X.] in die Betrachtung miteinbezogen.

(a) Nach der gefestigten Rechtsprechung ist der Sinngehalt einer Aussage, die auch bildlich erfolgen kann, unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs, in dem sie steht, und der Begleitumstände, die für den Rezipienten erkennbar sind, zu bestimmen. Maßgeblich ist dabei weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von der Aussage Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat (st. Rspr., vgl. Senatsurteile vom 17. Mai 2022 - [X.], [X.] Rn. 65; vom 27. April 2021 - [X.], [X.], 336 Rn. 11 [X.]; [X.]E 93, 266, juris Rn. 124 ff. - Soldaten sind Mörder).

(b) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts kann der Betrachter des [X.] die [X.] und die in unmittelbarer Nähe aufgestellte Informationstafel, die sich beide am Fuß der [X.] unter dem in ca. 4 m Höhe angebrachten Relief befinden, nach den örtlichen Verhältnissen nicht übersehen. Dass sie mit dem Relief kein einheitliches Werk bilden und sich von diesem historisch und stilistisch unterscheiden, steht ihrer Berücksichtigung bei der Bestimmung des [X.] des Reliefs entgegen der Auffassung der Revision nicht entgegen. Gleiches gilt für den Umstand, dass die Erfassung des genauen Inhalts der drei Objekte eine unterschiedliche Blickrichtung des Betrachters und eine nähere Befassung mit dem jeweiligen Objekt erfordert. Dies gilt umso mehr, als sich auch die Darstellung in dem in etwa 4 m Höhe angebrachten [X.] dem Betrachter erst nach genauerem Hinsehen erschließt. Entgegen der Auffassung der Revision wi[X.]pricht es nicht der Lebenserfahrung, dass der unvoreingenommene und verständige Betrachter des Reliefs auch die [X.] und die in unmittelbarer Nähe aufgestellte Informationstafel in den Blick nimmt. Die Revisionserwiderung verweist zu Recht darauf, dass der Betrachter nach der Lebenserfahrung zunächst, jedenfalls aber auch die Gegenstände wahrnimmt, die ihm - wie die [X.] - in den Weg gelegt sind oder die vor ihm stehen, und dass er nicht lediglich nach oben schaut.

cc) Wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, erkennt der unvoreingenommene, verständige Betrachter auch die inhaltliche Verbindung zwischen dem Relief einerseits und der [X.] und dem Informationstext in dem [X.] andererseits. Er entnimmt den drei Objekten im Gesamtzusammenhang, dass sich die [X.] von der diffamierenden und judenfeindlichen Aussage, die dem Relief bei isolierter Betrachtung zu entnehmen ist, distanziert und dieses nunmehr als Teil eines Gesamtensembles zum Zwecke des [X.] und der Erinnerung an die jahrhundertelange Diskriminierung und Verfolgung von [X.]n bis hin zum [X.] und als Zeugnis für die Mitverantwortung der [X.] [X.] präsentiert.

Bereits die Überschrift des [X.] auf der Informationstafel "Mahnmal an der [X.]" vermittelt dem unvoreingenommenen und verständigen Betrachter, dass im nachfolgenden Text eine an der Stadtkirche befindliche Stätte der Erinnerung und des [X.] erläutert werden soll. Dem ersten Satz des [X.] entnimmt der Betrachter den Anlass für die Mahnung an diesem Ort, nämlich eine von der [X.]n ausdrücklich als "[X.] auf die [X.] Religion" bzw. "Schmähplastik" qualifizierte Darstellung an der Südostecke der [X.], deren Charakteristikum - die Abbildung von [X.]n in Verbindung mit Schweinen, Tieren, die im [X.]ntum als unrein gelten - anschließend beschrieben wird. Dem weiteren Informationstext in Verbindung mit der darin näher erläuterten in Bronze gegossenen Bodenplatte entnimmt der Betrachter, dass die [X.] das an ihrer [X.] angebrachte "[X.] auf die [X.] Religion" zum Anlass nimmt, der jahrhundertelangen Verhöhnung, Ausgrenzung und Verfolgung von [X.]n bis hin zur [X.] insgesamt zu gedenken. Ihm erschließt sich, dass die Schmähplastik ebenso wie die erwähnten [X.]nverfolgungen im 14. und 15. Jahrhundert, das 1536 gegenüber [X.]n verhängte Aufenthaltsverbot und die von [X.] veröffentlichten antijudaistischen Schriften Ausdrucksformen eines [X.], auch von der [X.] [X.] propagierten Antijudaismus waren, der sich über Jahrhunderte hinzog und den Boden für ausgeprägten [X.]nhass und den [X.] bereitet hat. Den inneren Zusammenhang zwischen dem an der Stadtkirche befindlichen "[X.]" und dem [X.] stellt die [X.] dabei - für den Betrachter klar erkennbar - durch die in Bronze gegossene Bodenplatte und deren nähere Erläuterung im Informationstext her. Nach der Erläuterung, dass sich die 1570 angebrachte Inschrift des [X.] "[X.]" auf [X.] antijudaistische Schriften "Von den [X.]n und ihren Lügen" und "Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht [X.]" bezieht, weist sie den Betrachter darauf hin, dass der umlaufende und von ihr wiedergegebene Text der [X.] die Inschrift der Schmähplastik mit dem [X.] verbinde. In diesem Text ist von dem "geschmähten Schem Ha Mphoras", der in sechs Millionen [X.]n gestorben sei, die Rede. Dass hiermit der nationalsozialistische Völkermord gemeint ist, ergibt sich zweifelsfrei aus der weiteren Erläuterung im Informationstext, wonach die [X.] fünfzig Jahre nach dem Beginn der [X.]npogrome im nationalsozialistisch beherrschten [X.] enthüllt worden sei. Dass die christliche [X.] nach Auffassung der [X.]n eine Mitverantwortung für die jahrhundertelange Verhöhnung, Ausgrenzung und Verfolgung von [X.]n trägt, erschließt sich dem Betrachter nicht zuletzt aus den Hinweisen auf das mit dem "Kreuzeszeichen" symbolhaft ausgedrückte [X.] auf der [X.] und deren näherer Erläuterung im Informationstext. Danach ergeben die Fugen der vier gegeneinander verkippten Trittplatten, die aussehen, als seien sie in morastigem Untergrund verlegt, ein Kreuzeszeichen. Im umlaufenden Text auf der Platte wird auf den Tod von 6 Millionen [X.]n "unter einem Kreuzeszeichen" verwiesen.

f) Aber auch wenn man annähme, die [X.] habe sich durch die Enthüllung der in Bronze gegossenen Bodenplatte und die Aufstellung des [X.]s noch nicht hinreichend von der im Relief bei isolierter Betrachtung zum Ausdruck kommenden Aussage distanziert, könnte der Kläger nicht die - allein begehrte - Entfernung des beanstandeten [X.] verlangen. Der Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB ist auf die Beseitigung des andauernden rechtswidrigen Störungszustands, nicht hingegen auf eine bestimmte Handlung gerichtet. Nach der gefestigten Rechtsprechung muss es grundsätzlich dem Schuldner überlassen bleiben, wie er den Störungszustand beseitigt. Dies hat seinen Grund darin, dass die Rechte des Störers nicht weitergehend eingeschränkt werden sollen, als der Schutz des Berechtigten vor Beeinträchtigungen seiner Rechte es erfordert. Abgesehen davon trägt der Störer ggf. das Risiko der Zwangsvollstreckung, wenn die gewählte Maßnahme die Störung nicht beseitigt (vgl. Senatsurteil vom 28. Juli 2015 - [X.], [X.]Z 206, 289 Rn. 40; [X.], Urteile vom 22. Oktober 1976 - [X.], [X.]Z 67, 252, 253, juris Rn. 11; vom 12. Dezember 2003 - [X.], [X.], 797, juris Rn. 14; [X.], NJW 2010, 220 Rn. 26; [X.], 61. Edition, § 1004 Rn. 67; [X.]/[X.]/Fed[X.]en/[X.], 40. Auflage, UWG § 8 Rn. 1.113, 1.115, 1.119). Etwas anderes gilt nur dann, wenn allein eine konkrete Maßnahme die Beeinträchtigung beseitigen kann oder andere Maßnahmen zwar möglich sind, vernünftigerweise aber nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden können (vgl. [X.], Urteil vom 12. Dezember 2003 - [X.], [X.], 797, juris Rn. 14 f. [X.]; [X.], NJW 2010, 22, Rn. 26; [X.], aaO Rn. 73).

Nach diesen Grundsätzen könnte der Kläger aus einem etwa noch bestehendem Störungszustand jedenfalls nicht die allein beanspruchte Rechtsfolge der Entfernung des Reliefs herleiten. Denn wie unter e) aa) ausgeführt, bestanden im Streitfall mehrere Möglichkeiten, die von dem Relief jedenfalls bis zum 11. November 1988 ausgehende rechtswidrige Beeinträchtigung für die Zukunft abzustellen.

2. Der Kläger kann den geltend gemachten Anspruch auf Entfernung des [X.] auch nicht aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 analog, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 185 StGB ableiten. Insoweit gelten die Ausführungen unter 1 e) und f) entsprechend. Auf sie wird Bezug genommen.

3. Der Hilfsantrag des [X.] ist mangels Eintritts der innerprozessualen Bedingung nicht zur Entscheidung angefallen.

[X.]    

        

von Pentz    

        

Oehler

        

Klein    

        

Linder    

        

Meta

VI ZR 172/20

14.06.2022

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 4. Februar 2020, Az: 9 U 54/19, Urteil

§ 823 Abs 1 BGB, § 823 Abs 2 BGB, § 1004 Abs 1 S 1 BGB, Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, § 185 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.06.2022, Az. VI ZR 172/20 (REWIS RS 2022, 3052)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 3052 GRUR 2022, 1170 REWIS RS 2022, 3052 NJW 2022, 2406 REWIS RS 2022, 3052 MDR 2022, 1216-1218 REWIS RS 2022, 3052


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. VI ZR 172/20

Bundesgerichtshof, VI ZR 172/20, 14.06.2022.


Az. 9 U 54/19

Oberlandesgericht Köln, 9 U 54/19, 14.01.2020.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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3 StR 190/19 (Bundesgerichtshof)

(Vorsatzerfordernis in Bezug auf das Leugnen des Holocausts)


B 13 R 9/19 R (Bundessozialgericht)

Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto - weite Auslegung des Begriffs des Ghettos …


1 BvR 673/18 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Zur Auslegung des Merkmals der Eignung einer Äußerung zur Störung des öffentlichen Friedens iSd …


60 Qs 16/22 (Landgericht Aachen)


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