Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.08.2011, Az. XI B 53/11

11. Senat | REWIS RS 2011, 4151

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nach Schluss der mündlichen Verhandlung gestellter Protokollergänzungsantrag unzulässig - Beschwerde gegen Ablehnung der Protokollberichtigung - Überraschungsentscheidung


Leitsatz

1. NV: Ein Protokollergänzungsantrag, der sich auf "Vorgänge" während der Verhandlung oder Beweisaufnahme oder bestimmte Äußerungen eines Beteiligten bezieht, ist bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zu stellen .

2. NV: Der Inhalt und Umfang der tatsächlichen Erörterung des Sach- und Streitstandes mit den Beteiligten gehört nicht zu den in die Niederschrift aufzunehmenden Vorgängen der Verhandlung .

3. NV: Ist eine Rechtsfrage im Verfahren bereits erörtert worden, liegt keine unzulässige Überraschungsentscheidung vor .

Tatbestand

1

I. Das Finanzgericht ([X.]) lehnte den von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) nach Abweisung ihrer Klage erhobenen Antrag zu 2 auf Protokollberichtigung als unzulässig ab.

2

Die Klägerin hatte beantragt, anstelle der Passage "Der Vertreter der Klägerin macht Ausführungen zur Sach- und Rechtslage im Wesentlichen aus seinen Schriftsätzen" folgende Formulierung in das Protokoll aufzunehmen:

3

"Der Vertreter der Klägerin macht Ausführungen zur Sach- und Rechtslage. Über die Ausführungen in seinen Schriftsätzen hinaus weist er auf den Beschluss des [X.] vom [X.] hin, wonach die Erklärung der Aufrechnung nach § 388 BGB nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum nicht die Wahl bestimmter Worte erfordere. Er stellt die Frage, ob das Gericht dies anders sehe. Ein [X.] zu materiellen Themen findet nicht statt."

4

Das [X.] war der Auffassung, es handele sich um einen unzulässigen Antrag auf Protokollergänzung.

5

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin. Sie führt aus, ihre Beschwerde sei ausnahmsweise statthaft, weil die Protokollberichtigung fälschlicherweise als unzulässig abgelehnt worden sei (Gräber/[X.], Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 94 Rz 21, m.w.N.). Die behauptete Verletzung der [X.] sei für das fehlerhafte Urteil des [X.] ursächlich. Im Streitfall habe tatsächlich keine Erörterung der Sach- und Rechtslage stattgefunden, weil materiell-rechtliche Fragen mit den Beteiligten überhaupt nicht besprochen worden seien. Dies habe zu einer unzulässigen Überraschungsentscheidung geführt. Denn der entscheidende Punkt, dass das [X.] aufgrund seiner Auslegung der getroffenen Abschlussvereinbarung zu keiner Aufrechnung komme, sei zu keiner Zeit des Verfahrens je mit ihr, der Klägerin, besprochen worden.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist jedenfalls unbegründet, weil das [X.] den Antrag zu 2 zu Recht als unzulässig zurückgewiesen hat.

7

a) Das [X.] hat insoweit ausgeführt, der Antrag der Klägerin sei nach Abschluss der mündlichen Verhandlung unzulässig. Denn es handele sich insoweit um die nachträglich begehrte Aufnahme von Vorgängen und Äußerungen, die nicht von § 160 Abs. 1 bis 3 der Zivilprozessordnung (ZPO) erfasst seien.

8

b) Die Rechtsauffassung des [X.] ist zutreffend.

9

Nach § 94 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) gelten für die Niederschrift die §§ 159 bis 165 ZPO entsprechend. Ein Protokollergänzungsantrag, der sich --wie im [X.] auf "Vorgänge" während der Verhandlung oder Beweisaufnahme oder bestimmte Äußerungen eines Beteiligten bezieht (§ 160 Abs. 4 Satz 1 ZPO), ist bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zu stellen (vgl. z.B. Beschluss des [X.] --BFH-- vom 26. September 2005 VIII B 6/04, [X.], 109, und Gräber/ [X.], a.a.[X.], § 94 Rz 9, m.w.N.). Dies ist nicht geschehen.

Der Inhalt und Umfang der tatsächlichen Erörterung des Sach- und Streitstandes mit den Beteiligten (vgl. § 93 Abs. 1 [X.]O) gehört nicht zu den Wesentlichen, in die Niederschrift aufzunehmenden Vorgänge der Verhandlung i.S. des § 94 [X.]O i.V.m. § 160 Abs. 2 ZPO (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/ [X.], § 94 [X.]O Rz 20, m.w.N.).

c) Im Übrigen liegt auch keine unzulässige Überraschungsentscheidung vor (vgl. dazu im Einzelnen Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 119 Rz 10a, m.w.N.).

Die Rechtsfrage, ob es sich bei der streitbefangenen [X.] um eine Aufrechnung handelt, ist im Verfahren bereits erörtert worden. So hat der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) bereits in den Rechtsbehelfsverfahren betreffend frühere Festsetzungszeiträume die Auffassung vertreten, dass die streitbefangene Vereinbarung keine Aufrechnungsvereinbarung sei (vgl. z.B. die Einspruchsentscheidung des [X.] vom 1. Juli 2008 betreffend Umsatzsteuer 2004 und 2005 u.a.).

Im Übrigen ist ein [X.] zur Gewährung rechtlichen Gehörs weder zu einem (umfassenden und ins Einzelne gehenden) [X.] noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet (vgl. z.B. [X.] vom 15. September 2006 [X.], [X.], 80, m.w.N.).

Meta

XI B 53/11

08.08.2011

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 4. Mai 2011, Az: 3 K 1429/09, Beschluss

§ 93 FGO, § 94 FGO, § 119 Nr 3 FGO, § 159 ZPO, § 160 Abs 1 ZPO, § 160 Abs 2 ZPO, § 160 Abs 3 ZPO, § 160 Abs 4 ZPO, § 164 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.08.2011, Az. XI B 53/11 (REWIS RS 2011, 4151)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4151

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VIII B 31/11 (Bundesfinanzhof)

Beschwerde gegen Ablehnung einer Protokollberichtigung


VIII B 44/22 (Bundesfinanzhof)

Überraschungsentscheidung im Rahmen der Feststellung einer vGA


III B 95/12 (Bundesfinanzhof)

Rüge von Verfahrensfehlern: Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Erlass einer Überraschungsentscheidung - Unterlassene Beeidigung von …


X B 198/10 (Bundesfinanzhof)

(Statthaftigkeit einer Beschwerde gegen die Ablehnung einer Protokollberichtigung - Umdeutung von Prozesserklärungen - außerordentliche Beschwerde …


IX B 9/21 (Bundesfinanzhof)

Nichtzulassungsbeschwerde: Greifbare Gesetzwidrigkeit; Verfahrensfehler


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.