Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.07.2011, Az. IX ZR 210/10

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 4755

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX [X.]/10

vom

14. Juli 2011

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 92
Wird ein Staatshaftungsanspruch aus der verspäteten innerstaatlichen Umsetzung einer EG-Richtlinie hergeleitet, welche die bevorrechtigte Behandlung von [X.] bei Insolvenz eines Versicherungsunternehmens anordnet, [X.] es sich um einen von dem jeweiligen Versicherungsnehmer zu verfolgenden Einzelschaden und nicht um einen von dem Insolvenzverwalter geltend zu [X.].

[X.], Beschluss vom 14. Juli 2011 -
IX [X.]/10 -
KG Berlin

LG Berlin

-
2
-
Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat durch [X.]
Dr.
[X.],
[X.] Dr. Gehrlein, [X.], Grupp
und die Richterin Möhring

am
14. Juli 2011
beschlossen:

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 9.
Zivilsenats des Kammergerichts vom 13.
Oktober 2010 wird
auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Der Streitwert wird auf 150.000

Gründe:

I.

Der Kläger ist Verwalter in dem am 28.
Februar 2004 über das Vermö-gen der A.

(nachfolgend: Schuldnerin) eröffneten Insolvenzverfahren.

[X.] des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.
März 2001 (nachfolgend: Richtlinie) sieht
in Art.
10 Abs.
1 bei [X.] eines Versicherungsunternehmens die Sicherstellung der bevorrechtigten Behandlung von Versicherungsforderungen im Sinne von Art.
2 lit K der Richtli-nie gegenüber anderen gegen das Unternehmen gerichteten Forderungen vor. 1
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3

-
Die Mitgliedsstaaten waren nach Art.
31 Abs.
1 der Richtlinie verpflichtet, der gebotenen innerstaatlichen Rechtsangleichung vor dem 20.
April 2003
nachzu-kommen. Die beklagte B.

hat die Richtlinie erst durch das Gesetz zur Umsetzung aufsichtsrechtlicher Bestimmungen zur Sanierung und Liquidation von Versicherungsunternehmen und Kreditinstituten
vom 10.
Dezember 2003 ([X.]
I S.
2478
ff) mit Wirkung zum 17.
Dezember 2003 in innerstaatliches Recht
transformiert. Nach der nunmehr maßgeblichen Rege-lung der §§
66, 77a Versicherungsaufsichtsgesetz (fortan: [X.])
ist das von den Versicherungsunternehmen zu bildende Sicherungsvermögen dem vorran-gigen Zugriff der Inhaber von Versicherungsforderungen
vorbehalten.

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der verspäteten Umsetzung der Richtlinie auf Feststellung in Anspruch, den Gläubigern der Schuldnerin, die am 20.
April 2003 Versicherungsforderungen im Sinne des Art.
2 lit K der Richtlinie hatten oder später erworben haben, alle wegen der verspäteten Umsetzung der Richtlinie entstandenen und entstehenden Schäden zu ersetzen. Die Vorderge-richte haben die Klage als unzulässig abgewiesen. Mit der Nichtzulassungsbe-schwerde verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

II.

Die Beschwerde deckt keinen Zulassungsgrund auf. Die Sache ist im Übrigen richtig entschieden. Aus
§
92 [X.] vermag der Kläger eine Prozessfüh-rungsbefugnis nicht herzuleiten.
Dies ergibt sich aus den zu dieser Vorschrift bereits entwickelten anerkannten Rechtsgrundsätzen.

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-

4

-

1. Gemäß §
92 [X.] können Ansprüche der Insolvenzgläubiger auf Er-satz eines Schadens, den diese
Gläubiger
gemeinschaftlich durch eine Ver-minderung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens vor oder nach Er-öffnung des Insolvenzverfahrens erlitten haben (Gesamtschaden), während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur von dem Verwalter geltend gemacht wer-den. Eine Verminderung der Insolvenzmasse als Grundvoraussetzung der Be-stimmung ist hier nicht eingetreten.

a) §
92 [X.] enthält keine Anspruchsgrundlage, sondern regelt die Ein-ziehung einer aus
einer anderen Rechtsgrundlage -
hier
aus europäischem
Gemeinschaftsrecht
-
herrührenden Forderung (MünchKomm-[X.]/[X.], 2.
Aufl. §
92 Rn.
4; HK-[X.][X.], 5.
Aufl. §
92 Rn.
6; [X.]/[X.], [X.],
§
92 Rn.
4; [X.]/[X.], [X.],
13.
Aufl.,
§
92 Rn.
5; HmbKomm-[X.]/Pohlmann, 3.
Aufl.,
§
92 Rn.
4).
Die Norm erfasst nur solche Schadenser-satzansprüche, die auf einer Verkürzung der Insolvenzmasse beruhen; ihr Zweck ist es, eine gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger aus dem Vermö-gen des wegen Masseverkürzung [X.] zu sichern
([X.], Urteil vom 8.
Mai 2003 -
IX
ZR 334/01, [X.], 1178, 1180
f; vom 20.
September 2004 -
II
ZR 302/02, [X.], 2254, 2256; BT-Drucks.
12/2443 S.
139). Maßgebliche Voraussetzung des [X.] ist folglich eine Verminderung der Insolvenzmasse, die sich in einer Verringe-rung der Aktiva oder in einer Vermehrung der Passiva manifestieren kann (HK-[X.][X.],
aaO; [X.]/[X.], aaO).

b) Im Streitfall fehlt es bereits an einer Verminderung der [X.]; ihr Umfang ist durch die verspätete Umsetzung der Richtlinie
nicht berührt worden.
Der in Ausführung der Richtlinie eingefügte §
77a [X.] sieht die [X.] durch den bevorrechtigten Zugriff 5
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-

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-
auf das Sicherungsvermögen

66 [X.]) vor. Dadurch wird das [X.] als Teil der Insolvenzmasse des Versicherungsunternehmens der Befriedigung insbesondere der Versicherten und der Versicherungsnehmer (vgl. §
77a Abs.
1 Satz
1 Nr.
1 [X.]) vorbehalten. Die verspätete Einführung dieser Regelung durch die Beklagte hat die auch zur Befriedigung der Versi-cherten und Versicherungsnehmer dienende Insolvenzmasse nicht verringert. Diesem Personenkreis wurde lediglich im Hinblick auf seine Befriedigung aus der unveränderten Insolvenzmasse ein insolvenzrechtlicher Vorrang
verwehrt. Die rechtzeitige Einführung des §
77a [X.] hätte demgegenüber die zur Befrie-digung der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger zur Verfügung stehende Masse infolge des dem Verwalter versagten Zugriffs auf das Sicherungsvermögen ver-ringert. Demnach
ist jedenfalls eine Verkürzung der Insolvenzmasse nicht ein-getreten.

2. Die hier geltend gemachte Vorenthaltung eines
insolvenzrechtlichen Vorrechts bildet überdies keinen von §
92 [X.] vorausgesetzten Gesamtscha-den, sondern einen von dem jeweils betroffenen Gläubiger zu verfolgenden
Einzelschaden.

a) Ein Gesamtschaden
bezieht sich auf einen solchen Schaden, den der einzelne Gläubiger ausschließlich aufgrund seiner Gläubigerstellung und damit als Teil der Gesamtheit der Gläubiger erlitten hat
(HmbKomm-[X.]/Pohlmann, aaO §
92 Rn.
14). Die Verkürzung der Masse muss also die Gesamtheit der Gläubiger treffen
(BT-Drucks., aaO; MünchKomm-[X.]/[X.], aaO §
92 Rn.
11). Dagegen handelt es sich um einen nicht von §
92 [X.] erfassten [X.], wenn der Gläubiger nicht als Teil der Gläubigergesamtheit, son-dern individuell geschädigt wird (HmbKomm-[X.]/Pohlmann, aaO §
92 Rn.
17). Ein [X.] verwirklicht sich bei der Verletzung eines Aussonde-8
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6

-
rungsrechts (§
47 [X.]), weil der betroffene Gegenstand nicht dem [X.] unterliegt (MünchKomm-[X.]/[X.], aaO §
92 Rn.
12; HK-[X.][X.], aaO §
92 Rn.
19; [X.]/[X.], aaO §
92 Rn.
11). Wird ein Ab-sonderungsrecht (§§
50
ff
[X.]) beeinträchtigt, kann neben den Individual-schaden des Absonderungsberechtigten insoweit ein Gesamtschaden treten, als ein in die Insolvenzmasse fallender Übererlös sowie Kostenpauschalen (§§
170, 171 [X.]) verloren gehen (MünchKomm-[X.]/[X.], aaO; HK-[X.][X.], aaO; HmbKomm-[X.]/Pohlmann, aaO §
92 Rn.
18).
Ein [X.] ist auch gegeben, sofern
unpfändbare Vermögensbestandteile des Schuldners beeinträchtigt werden ([X.], Beschluss vom 10.
Juli 2008 -
IX
ZB 172/07, [X.], 1691 Rn.
13).

b) §
77a [X.] statuiert ein absolutes Vorrecht der privilegierten im [X.] zu den anderen Insolvenzforderungen
([X.]/[X.], [X.],
12.
Aufl.,
§
77a Rn.
1; Männle, [X.] über die Sanierung und Liqui-dation von Versicherungsunternehmen und ihre Umsetzung ins [X.] Recht, 2007,
S. 288; [X.]/[X.] in [X.], 2004,
S.
487, 510). [X.] handelt es sich nicht um ein Aus-
oder Absonderungsrecht, sondern um
ein [X.] eigener Art (Männle, aaO; [X.]/[X.], aaO; [X.]/[X.], [X.],
§ 77 Rn.
11; [X.]/[X.], aaO Rn.
15 vor §§
49 bis 52). Das Sicherungsvermögen dient zunächst ausschließlich der Befriedigung der insoweit bevorrechtigten Ansprüche; nur ein etwaiger verbleibender Restbetrag steht der Gesamtheit der Gläubiger zur Verfügung ([X.]/[X.][X.], [X.],
4.
Aufl. §
77a,
Rn.
1; [X.]/[X.], aaO S.
511). [X.] die Gläubigergesamtheit in keiner Weise -
also nicht einmal über Kostenpauschalen
-
an dem Sicherungsvermögen, kann seine unterbliebene

10
-

7

-
Bildung keinen Gesamtschaden ausgelöst haben
(vgl. [X.], Beschluss
vom
10.
Juli 2008, aaO).

[X.]
Gehrlein
Fischer

Grupp
Möhring

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 02.12.2009 -
23 [X.]/09 -

KG Berlin, Entscheidung vom 13.10.2010 -
9 [X.] -

Meta

IX ZR 210/10

14.07.2011

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.07.2011, Az. IX ZR 210/10 (REWIS RS 2011, 4755)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4755

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9 U 151/08 (Oberlandesgericht Köln)


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IX ZR 210/10

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