Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.02.2011, Az. 2 AZR 830/09

2. Senat | REWIS RS 2011, 9123

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Gegenstand

Sanierungstarifvertrag - Auslegung - Zustimmung der Gewerkschaft als Wirksamkeitsvoraussetzung für Kündigung


Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 17. September 2009 - 11 [X.]/09 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf betriebliche Gründe gestützten ordentlichen Kündigung.

2

Die Klägerin trat im Jahre 1996 in die Dienste der [X.], die ein Unternehmen der Druckindustrie betreibt.

3

Am 30. Mai 2007 schloss die Beklagte mit der [X.] [X.], deren Mitglied die Klägerin ist, eine erstmals zum 31. Dezember 2008 kündbare Sanierungsvereinbarung (fortan: [X.] 2007). Diese sieht einerseits Vergütungskürzungen, andererseits für einen Personenkreis, zu dem auch die Klägerin zählt, Beschäftigungssicherung vor. Weiter heißt es in § 4:

        

„Kann diese Vereinbarung in Einzelfällen nicht eingehalten werden, kann ... nur mit Zustimmung des Betriebsrates und der [X.] Landesbezirk NRW (Fachbereich Medien, Kunst und Industrie) gekündigt werden.“

4

Mit Schreiben vom 4. Juli 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung der Klägerin zum 31. Dezember 2008 an. Die Abteilung Druckvorstufe, in der die Klägerin tätig war, werde geschlossen. Der Betriebsrat stimmte der Kündigung zu. Mit Schreiben vom 11. Juli 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Dezember 2008.

5

Die Klägerin hat mit der Klage ua. geltend gemacht, die Kündigung sei mangels vorheriger Zustimmung der [X.] [X.] unwirksam. Im Fall der Wirksamkeit der Kündigung stehe ihr jedenfalls ein Nachteilsausgleich nach § 113 [X.] zu.

6

Die Klägerin hat beantragt,

        

1.    

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigungserklärung der [X.] vom 11. Juli 2008 nicht zum 31. Dezember 2008 aufgelöst wird,

        

2.    

hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, an sie einen der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestellten Nachteilsausgleich gemäß § 113 [X.] zu zahlen, nicht jedoch unter 16.000,00 Euro.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Kündigung für wirksam erachtet. Die [X.] sei schon im Vorfeld in die zahlreichen Verhandlungen über die Schließung der Abteilung der Klägerin eingebunden und einverstanden gewesen. Sie habe die Kündigung spätestens am 24. September 2008 genehmigt. Einer vorherigen Zustimmung zur Kündigung habe es nicht bedurft.

8

Das Arbeitsgericht hat nach dem Hauptantrag erkannt. Das [X.] hat die Berufung der [X.] zurückgewiesen. Mit der Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben dem Hauptantrag der Klägerin zu Recht entsprochen. Die Kündigung hat das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst ([X.]). Sie hätte nach der [X.] der vorherigen Zustimmung bedurft ([X.]1). Eine solche ist nach den nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffenen Feststellungen des [X.] nicht erteilt worden ([X.]2). Ob eine nachträgliche Zustimmung erteilt wurde, kann dahinstehen ([X.]3). Über den Hilfsantrag war nicht zu entscheiden (I[X.]).

[X.] Die Kündigung der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst, weil sie nicht mit Zustimmung der [X.] [X.] ausgesprochen wurde.

1. Die Kündigung hätte der vorherigen Zustimmung der [X.] bedurft. Dieses Erfordernis ist in § 4 der [X.] 2007 aufgestellt. Das ergibt die Auslegung der tariflichen Vorschrift.

a) Die Auslegung des normativen Teils eines [X.] folgt nach ständiger Rechtsprechung des [X.] den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist vom [X.] auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am [X.] zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortsinn ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist dabei stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, so können die Gerichte für Arbeitssachen - ohne Bindung an eine Reihenfolge - weitere Kriterien, wie die Entstehungsgeschichte des [X.] oder auch die praktische Tarifübung, ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, gesetzeskonformen und praktisch brauchbaren Regelung führt (Senat 24. Juni 2004 - 2 [X.] [X.] § 626 Nr. 180 = EzA [X.] 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 7; [X.] 15. Oktober 2003 - 4 [X.] - EzA TVG § 4 Stahlindustrie Nr. 2; 30. Mai 2001 - 4 [X.] [X.]E 98, 35).

b) Bereits der Wortlaut der [X.] legt das hier zugrunde gelegte Verständnis der Tarifnorm nahe, auch wenn der Wortsinn nicht eindeutig ist.

aa) Der entsprechende Passus verlangt, dass nur „mit“ Zustimmung des Betriebsrats und der [X.] gekündigt werden kann. Die Präposition „mit“ bezeichnet hier ein Verhältnis der Gleichzeitigkeit zwischen den Vorgängen, die als „Kündigung“ und „Zustimmung“ benannt sind. Bereits der Ausspruch der Kündigung soll vom Vorhandensein der Zustimmung begleitet sein. Die Zustimmung muss dem Ausspruch der Kündigung gleichsam schon anhaften. In diesem Sinne haben auch die Beklagte selbst und der Betriebsrat den Tarifvertrag verstanden. So hat die Beklagte in der Klageerwiderung vorgetragen, sie habe „natürlich die erforderliche Zustimmung …“ „vor Ausspruch der Kündigung“ eingeholt. Der Betriebsrat wiederum hätte bei anderem Verständnis der [X.] schwerlich Anlass gehabt, ausdrücklich seine Zustimmung zu erteilen, deren es nach § 102 [X.] nicht bedurft hätte.

bb) Richtig ist allerdings, dass nach den §§ 183, 184 [X.] die vorherige Zustimmung Einwilligung, die nachträglich erteilte Zustimmung Genehmigung genannt wird und bei solchem Sprachgebrauch auch eine Genehmigung - also das nachträglich erklärte Einverständnis - als Zustimmung iSd. §§ 182 ff. [X.] bezeichnet werden kann. Indes ist bereits die Ausdrucksweise des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht einheitlich. Gerade im Kündigungsrecht und im Betriebsverfassungsrecht kann außerdem ein von den Definitionen in den §§ 183, 184 [X.] abweichendes Verständnis geboten sein. So hat der Senat zB erkannt, dass die nach § 103 [X.] notwendige Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung eines Betriebsratsmitglieds keine Zustimmung iSd. § 183 [X.] ist (4. März 2004 - 2 [X.] - [X.]E 110, 1). Das Betriebsratsmitglied kann daher die Kündigung nicht nach § 182 Abs. 3 [X.] iVm. § 111 Satz 2 und Satz 3 [X.] zurückweisen, weil ihm der Arbeitgeber die vom Betriebsrat erteilte Zustimmung nicht in schriftlicher Form vorlegt.

c) Entscheidend für die Auslegung sind systematische Gründe sowie der Sinn und Zweck der Tarifvorschrift.

aa) Schon der in der [X.] vorgesehene Gleichlauf zwischen der Mitwirkung des Betriebsrats und der [X.] spricht dafür, dass unter „Zustimmung“ die vorherige Zustimmung zu verstehen ist. Dass die Beteiligungsrechte des Betriebsrats stets vor Ausspruch der Kündigung auszuüben sind, ist im Gesetz (§§ 102, 103 [X.], § 15 Abs. 1 Satz 1 [X.]) ausdrücklich angeordnet. Wenn die Tarifvertragsparteien also, wie geschehen, diese Beteiligungsrechte gegenüber dem Gesetz um ein weiteres Recht ergänzen, liegt es nahe, dass sie eine Zustimmung des Betriebsrats vor der Kündigung zur Wirksamkeitsvoraussetzung erheben wollten, ähnlich wie es in § 102 Abs. 6 [X.] vorgesehen ist. Erfordert aber „Zustimmung“ für die Beteiligung des Betriebsrats „vorherige Zustimmung“, dann wäre es mehr als überraschend, wenn dasselbe Wort im selben Zusammenhang für die Beteiligung der [X.] die „nachträgliche Zustimmung“ iSd. § 184 [X.] einschlösse.

bb) Auch die vom [X.] in den Vordergrund gerückte Überlegung, dass einseitige empfangsbedürftige Gestaltungserklärungen grundsätzlich keinen Schwebezustand vertragen, weist in diese Richtung. Die Notwendigkeit der Vermeidung von rechtlichen Schwebezuständen ist gerade bei der Kündigung von Arbeitsverhältnissen von besonderem Belang. Der Arbeitnehmer muss eine Kündigung unter Angabe der von ihm als tragend angesehenen [X.] innerhalb der gesetzlichen Frist des § 4 [X.] angreifen, wenn er ihr Wirksamwerden nach § 7 [X.] verhindern will. Das kann er nur dann, wenn die [X.] bei Zugang der Kündigung feststehen. Der Arbeitnehmer muss also bei Zugang der Kündigung zumindest wissen können, ob alle [X.] gegeben sind. Andernfalls kann er sein [X.] nicht einschätzen (Senat 10. November 1994 - 2 [X.] - AP [X.] 1969 § 9 Nr. 24 = EzA [X.] § 9 nF Nr. 43). Dem entspricht es, dass für die Wirksamkeit von Kündigungen der Zeitpunkt des [X.] maßgeblich ist.

cc) Die [X.] 2007 ist eine Sanierungsvereinbarung. Die Zustimmungsbedürftigkeit von Kündigungen, die eine Veränderung des von den Tarifvertragsparteien als vertretbar angesehenen Verhältnisses von Lohnverzicht und Entlassungen einerseits und Beschäftigungssicherung andererseits mit sich bringen, diente ersichtlich auch dem Zweck, der [X.] einen ernstzunehmenden Einfluss auf die Kündigungsentscheidung einzuräumen und gegebenenfalls auf ihre Vermeidung hinzuwirken. Dem trägt das hier gefundene Auslegungsergebnis Rechnung.

dd) Den vorstehenden Überlegungen steht die Entscheidung des Senats vom 26. März 2009 (- 2 [X.] - AP [X.] 1969 § 4 Nr. 70) nicht entgegen. Danach muss die Kündigung eines Nichtberechtigten nicht innerhalb der Frist des § 4 [X.] angegriffen werden, solange dem Gekündigten die Genehmigung nicht zugegangen ist. Eine Kündigung durch einen Nichtberechtigten liegt hier jedoch ebenso wenig vor wie im Fall einer Kündigung ohne die nach den §§ 15 [X.], 103 [X.] erforderliche Zustimmung des Betriebsrats (Senat 4. März 2004 - 2 [X.] - [X.]E 110, 1).

d) Die Tarifvertragsparteien waren nicht gehindert, die Kündigung von der vorherigen Zustimmung der [X.] abhängig zu machen. Dagegen kann nicht geltend gemacht werden, dass die Vertragsparteien ihre Dispositionen nicht von der Zustimmung Dritter abhängig machen können (vgl. dazu Senat 10. November 1994 - 2 [X.] - AP [X.] 1969 § 9 Nr. 24 = EzA [X.] § 9 nF Nr. 43). Dass das Recht des Arbeitgebers, aus betrieblichen Gründen ordentlich zu kündigen, durch normative Regelungen eines [X.] von der Zustimmung des Betriebsrats abhängig gemacht ([X.] 14. März 2001 - 4 [X.] [X.] § 620 Schuldrechtliche Kündigungsbeschränkung Nr. 4 = EzA TVG § 4 Einzelhandel Nr. 47) und sogar ganz ausgeschlossen werden kann, steht außer Zweifel (vgl. Senat 18. März 2010 - 2 [X.] - EzA [X.] 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 17; 8. November 2007 - 2 [X.] [X.]E 124, 367; 13. Juni 1996 - 2 [X.] - [X.] § 1 Tarifverträge: [X.] Nr. 21 = EzA TVG § 4 Luftfahrt Nr. 2; vgl. auch [X.]/[X.] 3. Aufl. Bd. 1 § 100 Rn. 63 ff.; APS/Preis 3. Aufl. Grundlagen J. Rn. 10 - 15; trotz Bedenken letztlich ebenso: [X.]/[X.] 2. Aufl. § 1 Rn. 865 - 887). Dann aber muss es auch durch ein Zustimmungserfordernis eingeschränkt werden können. Ob diese Erwägungen auch für das Recht des Arbeitgebers, eine außerordentliche Kündigung auszusprechen, gelten, bedarf keiner Entscheidung, da eine solche hier nicht im Streit steht.

e) Ihre ursprünglich geäußerte Auffassung, die [X.] 2007 erfasse nur Kündigungen, die zu Terminen bis zum 31. Dezember 2008 24.00 Uhr ausgesprochen würden, hat die Beklagte nicht wieder aufgegriffen. Sie trifft auch ersichtlich nicht zu.

2. Das [X.] hat, ohne dass die Beklagte Verfahrensrügen erhoben hätte, festgestellt, dass eine Zustimmung der [X.] vor Ausspruch der Kündigung nicht vorlag. Das [X.] hat diese Feststellung darauf gestützt, die darlegungs- und beweisbelastete Beklagte habe insoweit ausreichenden Tatsachenvortrag nicht gehalten. Diese Würdigung ist gut nachvollziehbar und auch abgesehen davon, dass sie von der Beklagten mit der Revision nicht angegriffen wird, nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat an keiner Stelle konkret vorgetragen, dass und wann welche für die [X.] handelnde Person der hier streitigen Kündigung zugestimmt hätte. Die Beklagte hat lediglich allgemein ausgeführt, die [X.] sei in Gestalt des [X.] ständig über alle Umstände im Bilde gewesen und habe sie mitgetragen. Darin liegt keine Zustimmung.

3. Das nachträglich von der Beklagten eingeholte und in einer Protokollerklärung niedergelegte Einverständnis genügte schon deshalb nicht den tarifvertraglichen Anforderungen, weil es erst nach Ausspruch der Kündigung erfolgte.

I[X.] Der Hilfsantrag ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen, da die Klägerin bereits mit dem Hauptantrag Erfolg hat.

II[X.] Die Kosten der Revision fallen der Beklagten nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

        

        

    Nielebock    

        

    [X.]    

                 

Meta

2 AZR 830/09

24.02.2011

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Bielefeld, 26. November 2008, Az: 6 Ca 1986/08, Urteil

§§ 133ff BGB, §§ 182ff BGB, § 102 BetrVG, § 103 BetrVG, § 1 TVG, § 1 KSchG, § 133 BGB, § 157 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.02.2011, Az. 2 AZR 830/09 (REWIS RS 2011, 9123)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 9123


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 11 Sa 20/09

Landesarbeitsgericht Hamm, 11 Sa 20/09, 17.09.2009.


Az. 2 AZR 830/09

Bundesarbeitsgericht, 2 AZR 830/09, 24.02.2011.


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