Bundessozialgericht, Beschluss vom 02.12.2010, Az. B 9 SB 2/10 B

9. Senat | REWIS RS 2010, 798

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Gutachtenauftrag bzw ergänzende gutachtliche Stellungnahme - Erstellung nicht durch den gerichtlich beauftragten Sachverständigen sondern durch dessen kommissarischen Nachfolger


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 2. Dezember 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zu erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Der 1930 geborene Kläger begehrt in der Hauptsache die Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von 70.

2

Beim Kläger wurde zunächst bestandskräftig ein GdB von 50 festgestellt. Das beklagte Land lehnte den Neufeststellungsantrag des [X.] vom 19.9.2005 ab (Bescheid vom 7.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.6.2006). Auf Klage hat das [X.] ([X.]) die ablehnenden Bescheide aufgehoben und das beklagte Land verurteilt, ab 19.9.2005 einen GdB von 60 festzustellen. Hinsichtlich des weitergehenden Begehrens (GdB von 70) wies es die Klage im Übrigen ab (Urteil vom [X.]). Das vom Kläger angerufene [X.] [X.] (L[X.]) hat nach Einholung eines orthopädischen Gutachtens des Sachverständigen Prof. [X.], , , vom [X.] sowie einer ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme vom 3.12.2008, die von [X.] (kommissarischer Nachfolger von Prof. [X.] als Leiter der Orthopädischen Klinik) abgegeben worden ist, die Berufung des [X.] durch ohne mündliche Verhandlung ergangenes Urteil vom 2.12.2009 mit der Begründung zurückgewiesen, dieser habe keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 70.

3

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim [X.] (B[X.]) eingelegt. Als Zulassungsgrund macht er einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) geltend: Er rügt eine Verletzung der §§ 103, 118 [X.]G iVm §§ 404, 407, 407a, 411 ZPO. Er trägt [X.] vor: Das von Prof. [X.] angeforderte [X.] sei am 3.12.2008 ohne dessen Mitwirkung von [X.] erstellt worden, da der Sachverständige zwischenzeitlich die Klinik verlassen gehabt habe. Er, der Kläger, habe bereits in den Schriftsätzen vom [X.] und [X.] gerügt, dass das [X.] nicht vom gerichtlich bestellten Sachverständigen erstellt worden sei.

4

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das L[X.] begründet. Wie der Kläger formgerecht (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G) und auch im Ergebnis zutreffend gerügt hat, beruht das angegriffene Urteil des L[X.] auf einer Verletzung des § 118 Abs 1 [X.]G iVm §§ 404 Abs 1 Satz 1 ZPO. Der Verfahrensfehler liegt darin, dass die ergänzende gutachtliche Stellungnahme vom 3.12.2008 nicht der vom Gericht ernannte Sachverständige Prof. [X.], sondern dessen kommissarischer Nachfolger als Leiter der Orthopädischen Klinik, [X.], erstellt hat. Der [X.] macht deshalb gemäß § 160a Abs 5 [X.]G von der Möglichkeit Gebrauch, das Urteil des L[X.] aufzuheben und die Sache an dieses Gericht zurückzuverweisen.

5

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist fristgerecht eingelegt (§ 160a Abs 1 Satz 2 [X.]G) und begründet worden160a Abs 2 Satz 1 und 2 [X.]G). Die Begründung genügt auch den gesetzlichen Anforderungen an die Bezeichnung dieses [X.] (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G). Der Kläger hat in der Beschwerdebegründung substantiiert dargetan, dass die ergänzende Stellungnahme vom 3.12.2008 nicht vom beauftragten Sachverständigen, Prof. [X.], erstellt worden sei.

6

Der Kläger hat zudem nicht versäumt darzulegen, warum hinsichtlich des gerügten [X.] keine Heilung nach § 202 [X.]G iVm §§ 556, 295 ZPO eingetreten sei. Zum einen hat er vorgetragen, er habe bereits in seinen Schriftsätzen vom [X.] und [X.] gerügt, dass das [X.] nicht vom gerichtlich bestellten Sachverständigen erstellt worden sei. Zum anderen ist seinem Vorbringen zu entnehmen, dass ein rügeloses Verhandeln schon deshalb nicht möglich gewesen sei, weil das L[X.] nach § 124 Abs 2 [X.]G durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat.

7

Der Kläger hat außerdem hinreichend dargelegt, dass und warum die Entscheidung des L[X.] ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Verfahrensmangel beruhen kann, denn nach dem Vorbringen des [X.] hat sich das L[X.] [X.] auf die ergänzende gutachtliche Stellungnahme vom 3.12.2008 gestützt. Nach den Ausführungen des [X.] scheint es deshalb nicht ausgeschlossen, dass der vom Gericht beauftragte Sachverständige zu einer für ihn günstigeren Beurteilung hinsichtlich des GdB hätte gelangen können.

8

2. Die Rüge des [X.], die ergänzende gutachtliche Stellungnahme vom 3.12.2008 sei nicht von dem beauftragten Sachverständigen Prof. [X.], sondern von dem nicht zum Sachverständigen bestellten [X.] abgegeben worden, greift gemäß § 160 Abs 2 [X.] [X.]G durch.

9

Das L[X.] hat mit Schreiben vom 5.11.2008 Prof. [X.] mit der Erstellung der ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme beauftragt. Laut Aktenvermerk hat die Klinik das L[X.] am 26.11.2008 telefonisch darüber unterrichtet, dass Prof. [X.] nicht mehr an der Klinik sei und deshalb sein Nachfolger, [X.], die Anfrage beantworten werde. Der zuständige Berichterstatter des L[X.]155 Abs 1 und 4 [X.]G) hat darauf nicht reagiert: Er hat weder den ernannten Sachverständigen Prof. [X.] von seiner Pflicht zur Abgabe der ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme (§ 118 Abs 1 [X.]G iVm § 407 Abs 1 ZPO) entbunden und an dessen Stelle [X.] zum Sachverständigen ernannt (§ 118 Abs 1 [X.]G iVm § 404 Abs 1 Satz 1 ZPO). Noch hat er sonst wie nach außen hin erkennbar zum Ausdruck gebracht, dass er der Erstellung der ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme durch [X.] zustimme.

Mit dieser Verfahrensweise hat das L[X.] gegen § 404 Abs 1 Satz 1 ZPO verstoßen, der ausdrücklich dem Prozessgericht die Auswahl des [X.] Sachverständigen vorbehält. Es ist deshalb unzulässig, den einer bestimmten natürlichen Person erteilten Gutachtensauftrag bzw den Auftrag zur Erstellung einer ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme klinikintern dessen Nachfolger zuzuleiten; denn diese Aufträge gehen auch bei einem Klinikarzt nicht automatisch auf dessen Nachfolger über. Damit würde in unzulässiger Weise der Klinik die Auswahl des Sachverständigen überlassen (vgl hierzu auch [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 9. Aufl 2008, § 118 Rd[X.] 11 c). Die klinikinterne Weiterleitung des Gutachtensauftrags an den Nachfolger bedarf deshalb zumindest der ausdrücklichen, nach außen hin erkennbaren Zustimmung durch das Prozessgericht. Eine solche ist hier nicht erteilt worden.

Hinsichtlich dieses [X.] ist auch keine Heilung bzw kein Rügeverzicht iS des § 202 [X.]G iVm §§ 566, 295 ZPO eingetreten. Der Kläger hat nach Erhalt der ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme gegenüber dem L[X.] erstmals mit Schriftsatz vom [X.] geltend gemacht, dass nicht der vom Gericht beauftragte Gutachter, Prof. [X.], sondern [X.] die ergänzende gutachtliche Stellungnahme vom 3.12.2008 erstellt hat. Diese Rüge hat der Kläger mit dem Hinweis, [X.] sei der Verfasser der ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme, in seinem Schriftsatz vom [X.] wiederholt. Unerheblich ist insoweit, dass der Kläger in der letztendlich maßgebenden Einverständniserklärung nach § 124 Abs 2 [X.]G vom 5.11.2009 diesen Verfahrensfehler nicht ausdrücklich erneut gerügt hat. Ein mit der Einverständniserklärung verknüpftes, ausdrückliches Aufrechterhalten wird vom B[X.] in ständiger Rechtsprechung bei einem anwaltlich vertretenen Beteiligten im Hinblick auf § 160 Abs 2 [X.] Halbs 2 iVm § 103 [X.]G nur in Bezug auf einen Beweisantrag wegen dessen besonderer Warnfunktion verlangt (vgl B[X.] SozR 3-1500 § 160 [X.]; B[X.] SozR 3-1500 § 160 [X.]; B[X.] SozR 3-1500 § 124 [X.]; B[X.] SozR 3-1500 § 160 [X.]1; B[X.] SozR 3-1500 § 160 [X.]5; B[X.] SozR 4-1500 § 160 [X.] 1; B[X.] SozR 4-1500 § 160 [X.] 13).

Auf dem aufgezeigten Verfahrensmangel kann die Entscheidung des L[X.] auch beruhen. Mangels eigener sozialmedizinischer Sachkunde vermag der erkennende [X.] nicht auszuschließen, dass der vom Gericht beauftragte Sachverständige, Prof. [X.], auch unter Berücksichtigung der vom Kläger vorgelegten weiteren Befunde und der von diesem vorgebrachten Einwendungen seine bisherige Einschätzung des GdB geändert oder eine weitere Sachaufklärung für notwendig gehalten hätte und das L[X.] in der Folge zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis gelangt wäre.

3. Nach § 160a Abs 5 [X.]G kann das B[X.] in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das L[X.] zurückverweisen, wenn - wie hier - die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G vorliegen. Der [X.] macht im Hinblick auf die Umstände des vorliegenden Falles von dieser Möglichkeit Gebrauch.

Das L[X.] wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 9 SB 2/10 B

02.12.2010

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Ulm, 24. April 2007, Az: S 9 SB 2648/06, Urteil

§ 160a Abs 5 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 118 Abs 1 SGG, § 404 Abs 1 S 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 02.12.2010, Az. B 9 SB 2/10 B (REWIS RS 2010, 798)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 798

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 9 SB 20/10 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz - Beweisantrag nicht rechtskundig vertretener Beteiligter im …


B 9 SB 101/15 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Sachverständigengutachten - keine Pflicht zur Bestellung eines Facharztes …


B 9 SB 36/12 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - Schwerbehindertenrecht - Feststellung des Grads der Behinderung - Gewichtung der Einzel-GdB im Rahmen …


B 9 SB 10/13 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - Urkundsbeweis - nicht vom beauftragten Arzt erstelltes Gutachten …


B 9 SB 18/12 B (Bundessozialgericht)

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Untersuchungsmaxime - ergänzende Befragung eines nach § 109 …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.