Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.09.2014, Az. X ZR 61/13

X. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 2958

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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X ZR
61/13
vom
16. September 2014
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja

Kurznachrichten
ZPO § 719
a)
Ist der [X.] durch ein vorläufig vollstreckbares Urteil, gegen das Einspruch oder Berufung eingelegt worden ist, wegen Patentverletzung verurteilt, ist es grundsätzlich geboten, die Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil gemäß §
719 Abs.
1 und §
707 ZPO gegen Sicherheitsleistung einst-weilen einzustellen, wenn das Klagepatent im Patentnichtigkeitsverfahren durch das [X.] für nichtig erklärt worden ist.
b)
Unter den gleichen Voraussetzungen ist die Zwangsvollstreckung in entspre-chender Anwendung von §
719 Abs.
1 ZPO auch im Revisionsverfahren und im Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen.
[X.], Beschluss vom 16. September 2014 -
X [X.] -
OLG [X.]

LG [X.] I

-
2
-

Der X.
Zivilsenat des [X.] hat am 16. September 2014
durch [X.], die Richter Dr.
Grabinski, Dr.
Bacher, [X.] und die Richterin Schuster
beschlossen:
Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des [X.] vom 25. Mai 2012 und aus dem Urteil des Oberlandesge-richts [X.] vom 25. April 2013 wird gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 4 Millionen Euro einstweilen eingestellt.
Gründe:
I.
Das [X.] hat die Beklagte wegen Verletzung des mit Wirkung für die [X.] erteilten [X.] Patents 1
304
891 (Klagepatents) durch eine Kurznachrichtenfunktion von Mobiltelefonen zur Un-terlassung, Auskunftserteilung, Vernichtung und Rückruf verurteilt sowie die Verpflichtung der [X.] zum Schadensersatz festgestellt. Das Berufungs-gericht hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Dagegen hat die Beklagte Beschwerde mit dem Ziel der Zulassung der [X.] erhoben, über die der Senat noch nicht entschieden hat. Unterdessen hat das [X.] auf die während des landgerichtlichen Verfahrens er-hobene Nichtigkeitsklage der [X.] mit Urteil
vom 7.
Mai 2014 (6
Ni
12/14) das Klagepatent mit Wirkung für die [X.] für nichtig erklärt. Vor Zustellung dieses Urteils hat die Beklagte beantragt, die Zwangs-vollstreckung aus dem angefochtenen Berufungsurteil einstweilen gegen [X.]
-
3
-

cherheitsleistung einzustellen. Diesen Antrag hat
der Senat mit Beschluss vom 8.
Juli 2014 (X
ZR
61/13, juris

nicht zu ersetzender Nachteil) zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Anhörungsrüge
der [X.].
II.
Die zulässige Anhörungsrüge ist unbegründet. Sie ist jedoch zugleich als Gegenvorstellung anzusehen und führt im Hinblick auf die sich aus den nunmehr vorliegenden Entscheidungsgründen des patentgerichtlichen Urteils ergebende veränderte Sachlage zur einstweiligen
Einstellung der [X.] gegen Sicherheitsleistung.
1.
Die Zwangsvollstreckung aus einem wegen Patentverletzung verur-teilenden Erkenntnis ist nach §
719 Abs.
1 ZPO in Verbindung mit §
707 Abs.
1 ZPO vom [X.] oder vom Berufungsgericht grundsätzlich gegen Sicher-heitsleistung einstweilen einzustellen, wenn das Klagepatent durch (nicht rechtskräftiges) Urteil des Patentgerichts für nichtig erklärt wird.
Wenn das Klagepatent mit einer Patentnichtigkeitsklage angegriffen ist, verurteilt das Verletzungsgericht auch dann, wenn es eine Verletzung des in [X.] stehenden Patents bejaht, grundsätzlich nur dann wegen Patentverlet-zung, wenn es eine Nichtigerklärung nicht für (überwiegend) wahrscheinlich hält; andernfalls setzt es die Verhandlung des Rechtsstreits nach §
148 ZPO aus, bis jedenfalls erstinstanzlich über die Klage auf Nichtigerklärung des [X.] entschieden ist. Denn eine

vorläufig vollstreckbare

Verpflichtung des [X.]n zu Unterlassung,
Auskunft, Rechnungslegung sowie [X.] ist regelmäßig nicht zu rechtfertigen, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten steht, dass dieser Ver-urteilung durch die Nichtigerklärung des Klagepatents die Grundlage entzogen werden wird.
Der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs.
3 GG) in Verbin-dung mit den Grundrechten folgende und damit verfassungsrechtlich verbürgte 2
3
4
-
4
-

Justizgewährungsanspruch
(s. nur [X.] 88, 118, 123) gebietet, dem [X.] wirkungsvollen Rechtsschutz zur Verfügung zu stellen, wenn er sich gegen den [X.] mit einem Gegenangriff gegen den Rechtsbestand dieses
Patents zur Wehr setzen will. Dies erfordert nicht nur eine effektive Möglichkeit, diesen Angriff selbst durch eine Klage auf Nichtiger-klärung führen zu können, sondern auch eine angemessene Berücksichtigung des Umstands, dass in diesem Angriff auch ein

und gegebenenfalls das einzi-ge

Verteidigungsmittel gegen die Inanspruchnahme aus dem Patent liegen kann.
Wegen der gesetzlichen Regelung, die für die Ansprüche nach §§
139 ff. [X.] lediglich ein in [X.] stehendes Patent verlangt und für die Beseitigung dieser Rechtsposition nur die in die ausschließliche Zuständigkeit des Patentge-richts fallende Nichtigkeitsklage zur Verfügung stellt, kann
der Angriff gegen das Klagepatent anders als in anderen Rechtsordnungen nicht als Einwand im Ver-letzungsverfahren oder durch Erhebung einer Widerklage auf Nichtigerklärung geführt werden. Dies darf indessen nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des [X.] ist vielmehr grundsätzlich geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent der erhobenen [X.] nicht standhalten wird.
Ist der [X.] bereits durch ein vorläufig vollstreckbares Ur-teil wegen Patentverletzung verurteilt, reicht jedoch die Aussetzung allein nicht aus, um einer
wahrscheinlichen Nichtigerklärung des Klagepatents Rechnung zu tragen. Vielmehr erschüttert die Erwartung des [X.], das Klagepatent werde für nichtig erklärt werden, zugleich die Grundlage eines be-reits ergangenen, auf Patentverletzung erkennenden Urteils oder Versäumnis-urteils in einem solchen Maße, dass es grundsätzlich geboten ist, von der Mög-lichkeit Gebrauch zu machen, die Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil nach §§
719 Abs.
1, 707 Abs.
1 ZPO gegen Sicherheitsleistung einstweilen [X.]
-
5
-

len.
Dies ist regelmäßig angezeigt, wenn das Klagepatent durch das erstin-stanzlich zur Beurteilung seiner Rechtsbeständigkeit berufene [X.] bereits für nicht erklärt worden ist. Dem entspricht auch die obergerichtli-che Einstellungspraxis
(vgl. [X.], Beschluss vom 7.
Juli 2008

2
U
90/06, [X.] 9, 173

Herzklappenringprothese).
Eine andere Einschätzung kann im Einzelfall geboten sein, wenn sich aus den Gründen der patentgerichtlichen Entscheidung gewichtige Anhalts-punkte dafür ergeben, dass diese einer Überprüfung im Berufungsverfahren aller Voraussicht nach nicht standhalten wird. Dies kommt jedoch allenfalls in Ausnahmefällen in Betracht.
2.
Hat das Patentgericht

wie im Streitfall

das Klagepatent für nichtig erklärt, ist die Zwangsvollstreckung auch dann in entsprechender Anwendung der §§
719 Abs.
1, 707 Abs.
1 ZPO gegen Sicherheitsleistung einstweilen [X.], wenn das Verletzungsverfahren vom Berufungsgericht bereits ent-schieden und aufgrund einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revi-sion oder einer zugelassenen Revision beim [X.] anhängig ist. Die Einstellungsmöglichkeit nach den §§
719 Abs.
1, 707 Abs.
1 ZPO tritt inso-weit neben die von der [X.] in erster Linie erstrebte und im Senatsbe-schluss vom 8. Juli 2014 erörterte Einstellung nach §
719 Abs.
2 ZPO, deren Voraussetzungen, wie in diesem Beschluss näher ausgeführt
wurde, nicht er-füllt sind.
Zwar ist die Möglichkeit, die einstweilige Einstellung der [X.] auch dann anzuordnen, wenn der Schuldner nicht glaubhaft machen kann, dass ihm die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde, nach dem Wortlaut des §
719 Abs.
1 ZPO an sich nur dann eröffnet, wenn gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil der Einspruch oder 6
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8
-
6
-

die Berufung eingelegt wird. Die Vorschrift ist im Revisionsverfahren und im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde aber entsprechend anzuwenden, wenn das Klagepatent erstinstanzlich für nichtig erklärt worden ist.
Sinn und Zweck der Differenzierung zwischen den Voraussetzungen des §
719 Abs.
1 und des §
719 Abs.
2 ZPO ist es, der erhöhten Richtigkeitsgewähr Rechnung zu tragen, die der Gesetzgeber, ähnlich wie in §
708 Nr. 10 und §
717 Abs.
3 ZPO einerseits und in §§
709, 717 Abs.
2 ZPO andererseits mit Berufungsurteilen verbindet. Sie trägt den Besonderheiten der Verschränkung von [X.] und Patentnichtigkeitsverfahren, die sich aus dem "[X.]" ergibt, nicht hinreichend Rechnung. Die sich daraus ergebende planwidrige Regelungslücke ist durch entsprechende Anwendung von §
719 Abs.
1 ZPO auszufüllen.
Im Verletzungsrechtsstreit muss die Frage der Aussetzung nach §
148 ZPO
und damit die Frage, ob eine erhobene Nichtigkeitsklage hinreichende Aussicht auf Erfolg hat,
in jeder Instanz erneut geprüft werden, und zwar unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes des Patentnichtigkeitsverfahrens. Die Beurteilung dieser Frage bietet aber keine vergleichbare Richtigkeitsgewähr wie die Beurteilung der Rechtslage im Übrigen, weil die Entscheidung über die Nichtigkeitsklage nicht dem Verletzungsrichter, sondern in erster Instanz dem Patentgericht obliegt. Gibt das Patentgericht der Nichtigkeitsklage statt, so
wird die Richtigkeitsgewähr eines Berufungsurteils aus gleichsam außerhalb dieses Urteils liegenden Gründen erschüttert, und zwar in gleichem Maße wie die Rich-tigkeitsgewähr eines entsprechenden erstinstanzlichen Urteils. Für die der [X.] in §
719 Abs.
1 und 2 ZPO zugrunde liegende Differenzierung ist [X.] dessen insoweit kein Raum. Vielmehr muss die Regelung des §
719 Abs.
1 ZPO entsprechend herangezogen werden, wenn gegen ein Berufungsur-teil Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt worden ist.
9
10
-
7
-

3.
Nach diesen Grundsätzen ist auch im Streitfall die einstweilige [X.] der Zwangsvollstreckung aus dem Berufungsurteil und dem Urteil des [X.]s [X.] I anzuordnen.
Der dem angefochtenen Berufungsurteil zugrunde liegenden [X.], die Nichtigkeitsklage werde voraussichtlich erfolglos bleiben, ist mit dem Urteil des Patentgerichts die Grundlage entzogen. Die nunmehr vorliegenden Entscheidungsgründe dieses Urteils enthalten keine Anhaltspunkte dafür, dass dieses offensichtlich unrichtig ist. Vor diesem Hintergrund ist die Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil in entsprechender Anwendung von §
719 Abs.
1 ZPO gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen. Besondere Umstände, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung nahelegen könnten, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich.
Auch die Erklärung der Klägerin, bis zum
rechtskräftigen Abschluss des [X.] keine weiteren Vollstre-ckungsmaßnahmen aus den Verletzungsurteilen vorzunehmen, verschafft der

11
12
-
8
-

[X.] schon deshalb keine Rechtsposition, die vergleichbar der einstweili-gen Einstellung der Zwangsvollstreckung wäre, weil sie
unter dem unbestimm-ten Vorbehalt einer "unveränderten Sachlage"
abgegeben wurde.
Meier-Beck
Grabinski
Bacher

[X.]
Schuster

Vorinstanzen:
LG [X.] I, Entscheidung vom 25.05.2012 -
7 O 19334/11 -

OLG [X.], Entscheidung vom 25.04.2013 -
6 U 2420/12 -

Meta

X ZR 61/13

16.09.2014

Bundesgerichtshof X. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.09.2014, Az. X ZR 61/13 (REWIS RS 2014, 2958)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2958

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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X ZR 61/13

V ZR 275/11

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