Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.05.2017, Az. 3 AV 4/16

3. Senat | REWIS RS 2017, 10327

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Gegenstand

Örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts beim Streit um die Erteilung einer einstweiligen Erlaubnis für die Weiterführung eines Linienverkehrs


Leitsatz

Die Streitigkeit um die Erteilung einer einstweiligen Erlaubnis für die Weiterführung eines Linienverkehrs (§ 20 PBefG) bezieht sich nicht auf ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis im Sinne von § 52 Nr. 1 VwGO; die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts richtet sich in solchen Fällen nach § 52 Nr. 3 VwGO.

Gründe

1

1. Die Klägerin, ein Personenbeförderungsunternehmen, begehrt die Erteilung einstweiliger Erlaubnisse nach § 20 des Personenbeförderungsgesetzes ([X.]), hilfsweise die Genehmigung einer gemeinwirtschaftlichen [X.] auf den betreffenden Linien.

2

Unter dem 30. April 2013 sowie dem 1. Mai 2013 beantragte die Klägerin bei der [X.], ihr die Erbringung von eigenwirtschaftlichen Verkehrsleistungen in den dem Linienbündel Osterholz-West zugeordneten Linien 641, 642, 643, 644, 645, 646, 650 und 677 für die [X.] ab dem 31. Juli 2015 bis zum 31. Juli 2025 wieder zu genehmigen. Die Beklagte lehnte die Anträge mit [X.] vom 18. Juli 2014 ab und setzte mit [X.] vom 7. August 2014 die Kosten für diese Entscheidung fest. Die Klägerin hat unter dem 19. August 2014 Klage gegen den [X.] vom 18. Juli 2014 beim [X.] erhoben und beantragt mit einem Haupt- und 16 Hilfsanträgen, ihr eine Linienverkehrsgenehmigung für den [X.]raum vom 1. August 2015 bis zum 31. Juli 2025 zu erteilen. Mit Schreiben vom 27. März 2015 beantragte die Klägerin bei der [X.] die Erteilung von einstweiligen Erlaubnissen (§ 20 [X.]) für die weitere Durchführung des Linienverkehrs auf den Linien 641, 642, 643, 644, 645, 646 und 650 sowie hilfsweise die Erteilung einer Genehmigung für die gemeinwirtschaftliche Durchführung dieser Linienverkehre. Die Beklagte lehnte mit [X.] vom 28. Juli 2015 die Erteilung der beantragten einstweiligen Erlaubnisse ab und erteilte der Klägerin die Genehmigung für die gemeinwirtschaftliche [X.]. Die Klägerin hat hiergegen am 17. August 2015 Klage beim [X.] erhoben ([X.] 1424/15).

3

Das [X.] hat in diesem Verfahren das [X.] zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts angerufen. Die Streitigkeit beziehe sich auf ein ortsgebundenes Recht im Sinne von § 52 Nr. 1 VwGO. Es komme eine Zuständigkeit sowohl des [X.] als auch des [X.] in Betracht, da die Linie 644 zum Teil im Zuständigkeitsbereich des [X.] und zum Teil in dem des [X.] verlaufe. Daher komme die örtliche Zuständigkeit beider Verwaltungsgerichte in Betracht.

4

2. Die Anrufung des [X.]s ist unzulässig. Die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 53 Abs. 3 VwGO sind nicht erfüllt, weil für das Streitverfahren nicht die Zuständigkeit verschiedener Gerichte in Betracht kommt. Die Streitigkeit bezieht sich nicht auf ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis im Sinne von § 52 Nr. 1 VwGO; vielmehr richtet sich die örtliche Zuständigkeit des [X.] für das Verpflichtungsbegehren der Klägerin nach § 52 Nr. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 5 VwGO.

5

Gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO wird das zuständige Gericht innerhalb der [X.]barkeit durch das nächsthöhere Gericht bestimmt, wenn der Gerichtsstand sich nach § 52 VwGO richtet und verschiedene Gerichte in Betracht kommen. Kommen Gerichtsstände in mehreren Bundesländern in Betracht, ist das nächsthöhere Gericht im Sinne dieser Regelung das [X.] (vgl. [X.], Beschlüsse vom 7. Mai 1996 - 2 AV 1.95 - NVwZ 1996, 998 m.w.N. und vom 24. Juli 1962 - 7 ER 420.62 - [X.] 310 § 52 VwGO Nr. 2 S. 2).

6

Die strittige Frage, ob die Klägerin einen Anspruch auf die Erteilung der beantragten einstweiligen Erlaubnisse oder (hilfsweise) auf Genehmigung der gemeinwirtschaftlichen [X.] auf diesen Linien hat, betrifft nicht ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis im Sinne von § 52 Nr. 1 VwGO. Nach dieser Regelung ist bei Streitigkeiten, die sich auf unbewegliches Vermögen oder ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis beziehen, nur das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Vermögen oder der Ort liegt.

7

a) Den [X.] zu § 52 Nr. 1 VwGO ([X.]. 3/55 S. 35) ist zu entnehmen, dass durch diese Regelung nicht nur die sogenannten radizierten Realrechte, sondern auch andere Rechte erfasst werden sollen, die zu einem bestimmten Territorium in besonderer Beziehung stehen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 10. Dezember 1996 - 7 AV 11.96 u.a. - [X.] 310 § 52 VwGO Nr. 37 und vom 30. Januar 1964 - 2 ER 402.63 - [X.]E 18, 26 <28>).

8

Nach der Rechtsprechung des [X.]s gehören zu den ortsgebundenen Rechten im Sinne dieser Regelung vor allem die an ein bestimmtes Grundstück geknüpften Rechte, weil sie unter Voraussetzung dieser örtlichen Gebundenheit eingeräumt sind. Ferner zählen dazu die nur in der natürlichen Ausübung an Grundstücke gebundenen Rechte, weil auch in diesen Fällen die in § 52 Nr. 1 VwGO vorausgesetzte weitgehende Verbindung zwischen dem strittigen Recht und dem Territorium besteht, auf dem es ausgeübt wird. Dementsprechend hat das [X.] § 52 Nr. 1 VwGO in einem [X.] für anwendbar erachtet, in dem es um den Widerruf der Erlaubnis zum Befahren eines Sees ging ([X.], Beschluss vom 24. Juli 1962 - 7 ER 420.62 - [X.] 310 § 52 VwGO Nr. 2); ebenso wegen des engen räumlichen Zusammenhangs mit dem Betrieb eines Verkehrsflughafens für eine Klage gegen die Festlegung von An- und Abflugstrecken ([X.], Urteil vom 28. Juni 2000 - 11 C 13.99 - [X.]E 111, 276 <277>) sowie bei einer Klage auf nachträgliche Schutzauflagen nach Unanfechtbarkeit eines straßenrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses ([X.], Beschluss vom 31. März 2004 - 9 A 33.03 - NVwZ-RR 2004, 551 <552>). Dagegen hat das [X.] die Anwendbarkeit von § 52 Nr. 1 VwGO bei einer Anfechtungsklage verneint, die sich gegen [X.]e richtete, mit denen nach Maßgabe des [X.] (Gentechnikgesetz - [X.]) in der damals geltenden Fassung die Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflanzen (Mais, Raps und Zuckerrüben) an verschiedenen Standorten genehmigt worden war; zur Begründung wurde darauf abgestellt, dass diese Genehmigung wegen der in § 14 Abs. 3 [X.] normativ angelegten Ergänz- und Austauschbarkeit der im Antragsverfahren angegebenen und überprüften Standorte nicht mit hinreichender Nachhaltigkeit standortbezogen sei ([X.], Beschluss vom 10. Dezember 1996 - 7 AV 11.96 u.a. - [X.] 310 § 52 VwGO Nr. 37 S. 2). In einem das Personenbeförderungsgesetz betreffenden [X.] hat der Senat mit Beschluss vom 18. Juli 2016 - 3 AV 1.16 - [[X.]:[X.]:[X.]:2016:180716B3AV1.16.0] - (NVwZ 2017, 726) entschieden, dass sich die Streitigkeit um die Zustimmung zu einer Fahrplanänderung für einen Buslinienfernverkehr nicht auf ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis im Sinne von § 52 Nr. 1 VwGO bezieht.

9

b) Ausgehend davon handelt es sich bei der Verpflichtungsklage auf Erteilung von einstweiligen Erlaubnissen nach § 20 [X.] oder (hilfsweise) der Genehmigung einer gemeinwirtschaftlichen [X.] auf den betreffenden Linien nicht um eine Streitigkeit, die sich auf ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis im Sinne von § 52 Nr. 1 VwGO bezieht. Dementsprechend liegen die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO für eine Zuständigkeitsbestimmung nicht vor.

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 des Personenbeförderungsgesetzes ([X.]) muss, wer im Sinne des § 1 Abs. 1 [X.] mit Kraftfahrzeugen im Linienverkehr Personen befördert, im Besitz einer Genehmigung sein. Zwar weist eine solche Linienverkehrsgenehmigung insoweit einen Ortsbezug auf, als dort u.a. die Streckenführung und die durch den betreffenden Linienverkehr zu bedienenden Haltestellen konkretisiert werden. Ein Ortsbezug spiegelt sich auch im Versagungsgrund des § 13 Abs. 2 Nr. 1 [X.] wider; danach ist u.a. beim Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen die Genehmigung zu versagen, wenn der Verkehr auf Straßen durchgeführt werden soll, die sich aus Gründen der Verkehrssicherheit oder wegen ihres Bauzustandes hierfür nicht eignen. Doch beschränkt sich das Prüfprogramm der Genehmigungsbehörde bei der Entscheidung über die Erteilung einer Linienverkehrsgenehmigung nicht auf solche Fragen mit Ortsbindung. Vielmehr ist von der zuständigen Behörde im Genehmigungsverfahren ebenso zu prüfen, ob die an den [X.] zu stellenden subjektiven Voraussetzungen erfüllt werden. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 i.V.m. § 13 Abs. 1a [X.] darf beim Verkehr mit [X.] die Genehmigung nur erteilt werden, wenn die Anforderungen nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 1071/2009 des [X.] und des Rates vom 21. Oktober 2009 zur Festlegung gemeinsamer Regeln für die Zulassung zum Beruf des Kraftverkehrsunternehmers und zur Aufhebung der [X.][X.] des Rates ([X.] [X.] vom 14. November 2009 S. 51) erfüllt sind. Nach dieser Bestimmung müssen Unternehmen, die den Beruf des Kraftverkehrsunternehmers ausüben a) über eine tatsächliche und dauerhafte Niederlassung in einem Mitgliedstaat verfügen; b) zuverlässig sein, c) eine angemessene finanzielle Leistungsfähigkeit besitzen und d) die geforderte fachliche Eignung besitzen.

Danach liegt die für die Anwendung von § 52 Nr. 1 VwGO erforderliche Ortsgebundenheit nicht vor. Hinzu kommt, dass ein Linienverkehr nicht nur bei Fernbuslinien (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 18. Juli 2016 - 3 AV 1.16 - NVwZ 2017, 726 Rn. 12), sondern - wie der vorliegende Fall zeigt - auch im Öffentlichen Personennahverkehr in seiner Streckenführung den örtlichen Zuständigkeitsbereich mehrerer Verwaltungsgerichte berühren kann; das würde bei einer Anwendbarkeit von § 52 Nr. 1 VwGO stets zur Notwendigkeit eines Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens nach § 53 VwGO führen.

c) Stattdessen richtet sich die örtliche Zuständigkeit des [X.] hier nach § 52 Nr. 3 VwGO. Nach dieser Bestimmung ist bei allen anderen [X.] vorbehaltlich der Nummern 1 und 4 das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Verwaltungsakt erlassen wurde (Satz 1). Ist er von einer Behörde erlassen, deren Zuständigkeit sich auf mehrere [X.]bezirke erstreckt, so ist das Verwaltungsgericht zuständig, in dessen Bezirk der [X.] seinen Sitz oder Wohnsitz hat (Satz 2). Dies gilt nach Satz 5 auch bei [X.] in den Fällen der Sätze 1, 2 und 4.

Zuständig für die Erteilung der im Streit stehenden einstweiligen Erlaubnisse oder der Genehmigung einer gemeinwirtschaftlichen Leistungserbringung ist die [X.] mbH. Aufgrund der ihr im Wege der Beleihung übertragenen Befugnis zur [X.] ist sie trotz ihrer privatrechtlichen Rechtsform einer GmbH als "Behörde" im Sinne von § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO anzusehen. Die Zuständigkeit der [X.] für die Erteilung von personenbeförderungsrechtlichen Linienverkehrsgenehmigungen und einstweiligen Erlaubnissen nach § 20 [X.] umfasst alle Linienverkehre in [X.]; sie erstreckt sich somit im Sinne von § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO auf mehrere [X.]bezirke.

Das führt nach dieser Bestimmung zur örtlichen Zuständigkeit des [X.], in dessen Bezirk der durch die Ablehnung seines [X.] [X.] seinen Sitz oder Wohnsitz hat. Der Sitz der Klägerin liegt in [X.], einer Gemeinde im [X.] [X.]. Dieser Landkreis gehört gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 7 des [X.] vom 16. Dezember 2014 (Nds. GVBl. [X.]) zum Gerichtsbezirk des [X.].

Örtlich zuständig ist nach § 52 Nr. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 5 VwGO daher das [X.].

Meta

3 AV 4/16

29.05.2017

Bundesverwaltungsgericht 3. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AV

vorgehend VG Stade, 23. Mai 2016, Az: 1 A 1424/15

§ 52 Nr 1 VwGO, § 52 Nr 3 VwGO, § 53 Abs 1 Nr 3 VwGO, § 53 Abs 3 VwGO, § 20 PBefG, § 13 Abs 1a PBefG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.05.2017, Az. 3 AV 4/16 (REWIS RS 2017, 10327)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10327

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