Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.09.2017, Az. 2 StR 238/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 5427

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:130917U2STR238.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
2 StR 238/16
vom
13.
September
2017
in der Strafsache
gegen

wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge

-
2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 13.
September
2017, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Dr. Appl

als Vorsitzender,

die [X.] am [X.]
Prof. Dr. [X.],
[X.],
Dr. Grube,
Schmidt

als beisitzende [X.],

[X.] beim [X.]

in der Verhandlung,
Oberstaatsanwalt beim [X.]

bei der Verkündung

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht
erkannt:
-
3
-
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 8. Januar 2016 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, und eine Einziehungsentscheidung getroffen.
Die auf eine Verfahrensbeanstandung und die ausgeführte Sachrüge gestützte
Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

I.
Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
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-
1. Der heute 44-jährige Angeklagte leidet seit seiner Kindheit an [X.]. Dabei handelt es
sich um eine Erkrankung der Haut, die zu schmerz-haften Entzündungen und Abszessen, insbesondere an den Achseln, im [X.] und in der Leistenregion, führt. Die Krankheit entwickelte sich beim Angeklagten seit dessen 13. Lebensjahr schubweise stetig
fort. Infolge der ihn erheblich beeinträchtigenden Krankheitssymptome, zu denen auch eine starke Geruchsbildung
gehört, geht der Angeklagte seit seinem 30.
Lebensjahr keiner Berufstätigkeit mehr nach und wohnt zurückgezogen und nahezu ohne [X.] Kontakte in einer vom Sozialleistungsträger bezahlten Mietwohnung. Er lebt von Sozialleistungen, Zuwendungen der Eltern und Zuverdienst.
Zur Behandlung der Erkrankung unterzog sich der Angeklagte den schulmedizinisch zur Verfügung stehenden Therapiemöglichkeiten, die in der Gabe von Antibiotika und lokalen chirurgischen Eingriffen bestehen. Eine dauernde
Verbesserung oder Stabilisierung des Krankheitsbildes trat dadurch nicht ein. Gegen die mit der Krankheit einhergehenden Schmerzen nahm der Angeklagte bei Bedarf starke Schmerzmittel ein, die aber zu Unverträglichkeiten führten. Obwohl

wie dem Angeklagten bewusst ist

die Krankheitserschei-nungen der [X.] durch Rauchen begünstigt werden, konsumiert er täglich
bis zu 20 selbstgedrehte Zigaretten.
Im Alter von 15 Jahren begann der Angeklagte mit dem [X.] von Cannabis, der sich bis zum Tatzeitpunkt auf ca. fünf
bis sieben
Gramm Canna-bis täglich steigerte; zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung hatte der Angeklagte seine Tagesdosis auf ca. zwei
Gramm reduzie

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5
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Da sich der Marihuanakonsum beim Angeklagten positiv auf die Erkran-kung auswirkte und dazu führte, dass er nahezu beschwerdefrei war, entschloss
er sich, Cannabis im Rahmen der Eigenbehandlung als Medikament zu benutzen.
Um zur Selbstmedikation ständig Cannabis zur Verfügung zu haben, unterhielt
der Angeklagte in seiner Wohnung jedenfalls seit 2012 eine Indoor-plantage, in der er Hanfpflanzen anbaute. Am 24.
März 2014 verfügte er dort über insgesamt 1,718 kg Marihuana mit
einem THC-Gehalt von 78,46
g, das ausschließlich zum Eigenkonsum bestimmt war. Die Gesamtmenge setzte sich aus Cannabispflanzen unterschiedlicher Wachstumsstadien sowie aus abge-ernteten Pflanzen zusammen, die in Plastiktüten und Beuteln im Gefrierschrank eingefroren bzw. im Kühlschrank verwahrt waren. Außerdem bewahrte der Angeklagte
eine Kleinstmenge lose auf dem Wohnzimmertisch auf.
In [X.] Nähe des Kühlschranks befanden sich vier geladene Schusswaffen.
Der Angeklagte war zur Tatzeit nicht im Besitz einer betäubungsmittel-rechtlichen Erlaubnis nach §
3 BtMG. Einen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis
nach §
3 Abs.
2 BtMG bei der zuständigen Behörde hatte der Angeklagte weder gestellt noch Anstrengungen hierzu unternommen, obwohl
er hierüber mittels Internetrecherche und Büchern Informationen einge-holt hatte und ihm die Möglichkeit eines entsprechenden Antragsverfahrens zur Erlangung einer Ausnahmeerlaubnis
ebenso bekannt war wie der Umstand, dass etwa bereits 400
Ausnahmeerlaubnisse
erteilt worden waren. Auch die Möglichkeit, nach Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis
über das Internet Cannabisblüten
zu kaufen, war dem Angeklagten bekannt. Die Entscheidung, das Antragsverfahren nicht zu beschreiten, beruhte zum Teil darauf, dass der Angeklagte
davon ausging, auch bei Erteilung einer Erlaubnis den Erwerb der 7
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Lebensinhalt
bot.
Das [X.] hat angenommen, dass die Voraussetzungen für die Erlangung
einer Ausnahmeerlaubnis nach §
3 Abs.
2 BtMG jedenfalls zum Erwerb
von Cannabis tatsächlich vorlagen; bei entsprechender Antragstellung hätte der Angeklagte aufgrund seiner Erkrankung eine Ausnahmeerlaubnis auch im Zeitraum vor der Tat erhalten können. Darüber hinaus habe für den Angeklagten auch die konkrete Möglichkeit bestanden, zur ausreichenden Therapie
der Erkrankung und Linderung der Beschwerden Cannabisblüten zum Preis von monatlich ca.
300

auf legalem Weg zu erhalten, die Kosten durch die Krankenkasse oder ein Sozialversicherungsträger ersetzt zu bekommen oder sogar eine Erlaubnis zum Anbau von Marihuana zu erlangen.
Eine Einschränkung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeit-punkt hat die [X.] verneint.
2. Das [X.] hat die Tat als unerlaubten Besitz von [X.] in nicht geringer Menge gewertet.
Im Hinblick auf die aus Sicht des
[X.]s unwiderlegte Einlassung, dass das Marihuana nur zum Eigenkonsum bestimmt gewesen sei, hat die [X.] keine Strafbarkeit wegen bewaffneten unerlaubten Handeltreibens angenommen. Eine Rechtfertigung nach § 34 StGB und eine Entschuldigung nach §
35 StGB hat das [X.] verneint, da der Angeklagte keinen Antrag
auf Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs.
2 BtMG gestellt habe, obwohl ihm die Möglichkeit dieses Verfahrens bekannt und ihm dessen [X.] zumutbar gewesen sei, die Voraussetzungen für eine Erteilung vorge-legen hätten und die Finanzierung des legalen Bezuges von Cannabis habe sichergestellt werden können.
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Das [X.] hat die Tat als minder schweren Fall gemäß §
29a Abs.
2 BtMG gewertet. Da es nicht auszuschließen vermochte, dass der Angeklagte
einem vermeidbaren Irrtum hinsichtlich der Möglichkeit der Finan-zierung des aufgrund einer Ausnahmeerlaubnis
erwerblichen Cannabis unter-lag, hat es eine weitere Strafrahmenverschiebung nach §
35 Abs.
2 i.V.m. §
49 Abs.
1 StGB vorgenommen.
Soweit dem Angeklagten auch der Besitz von weiteren [X.] (Haschisch, Psilocybin-Pilze, [X.] und Amphetamin) zur Last lag, hat das [X.] die Strafverfolgung gemäß §
154a Abs.
2, Abs.
1 Satz
1 Nr.
1 StPO auf den Besitz von Marihuana beschränkt.

II.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der [X.] hat im Schuld-
und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zulasten des Angeklagten ergeben.
1. Die erhobene Rüge der Verletzung von §
244 Abs.
2 StPO ist aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] nicht in einer den Anforderungen
von §
344 Abs.
2 Satz
2 StPO genügenden Weise erhoben worden.
2. Die rechtsfehlerfrei getroffenen
Feststellungen tragen den Schuld-spruch wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.
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a) Das [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass wegen der fehlenden Zuordnungsmöglichkeit der Einzelportionen zu bestimmten Ernten zu Gunsten des Angeklagten davon auszugehen ist, dass dieses Marihuana aus verschiedenen Ernten stammt, die jeweils die Grenze der nicht
geringen Menge nicht überschritten haben, und daher der [X.] des unerlaubten Anbaus hinter den Verbrechenstatbestand des unerlaubten Besitzes der nicht geringen Menge zurücktritt (vgl. [X.], Urteil vom 16.
Oktober 2014

3
StR 268/14, [X.], 14, 15; [X.], BtMG, 5.
Aufl., §
29 Rn.
120
mwN).
b) Zu Gunsten des Angeklagten greifen weder Rechtfertigungs-
noch Entschuldigungsgründe ein.
aa) Der Besitz des Marihuanas
war nicht durch Notstand gemäß §
34 StGB gerechtfertigt.
(1) Zwar
sah sich der Angeklagte aufgrund seiner Erkrankung einer gegenwärtigen
Gefahr für seine Gesundheit ausgesetzt. Diese Gefahr konnte aber auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen anders als durch den unerlaubten Besitz von Marihuana
im Kilogrammbereich
abgewendet werden.
(2) Ob die Gefahr für das bedrohte Rechtsgut anders als durch die Vornahme
der straftatbestandsmäßigen Handlung abgewendet werden kann, bestimmt sich anhand der Erforderlichkeit der Notstandshandlung.
Die Notstandshandlung
muss unter den konkreten Umständen des Einzelfalles zum Schutz des [X.] nicht nur geeignet sein, es darf darüber hinaus auch kein milderes, gleichermaßen geeignetes Mittel vorhanden sein.
Der unerlaubte Umgang mit Betäubungsmitteln zum Zweck der Eigenbe-handlung ist nach der Rechtsprechung des [X.] regelmäßig nicht im Sinne des §
34 StGB erforderlich, wenn die Lösung der Konfliktlage 19
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zwischen dem Erhaltungsgut und dem Eingriffsgut innerhalb des Rechtsre-gimes des Betäubungsmittelrechts gefunden werden kann, weil die Möglichkeit einer Erlaubnis des Einsatzes zur Selbstmedikation gemäß §
3 Abs.
2 BtMG besteht ([X.], Beschluss
vom 28.
Juni 2016

1
StR 613/15, NJW 2016, 2818 Rn.
13). Dabei kommt es darauf, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis
konkret vorlagen und zu welchem Ergebnis das Genehmi-gungsverfahren geführt hätte, nicht an. Denn das [X.] nimmt eine abschließende Bewertung für den zulässigen Umgang mit Betäu-bungsmitteln vor, die den Zugriff auf §
34 StGB im Grundsatz ausschließt, auch wenn ein ansonsten unerlaubter Umgang mit erfassten Stoffen zu therapeuti-schen Zwecken erfolgt ([X.], Beschluss vom 28.
Juni 2016

1
StR
613/15, aaO,
Rn.
14).
(3) Anders als vom [X.] angenommen, kommt es in der [X.] Konstellation jedoch auf das (zwischenzeitlich durch die Neuregelung der Verkehrs-
und Verschreibungsfähigkeit von [X.] durch das Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 6.
März 2017 ([X.]
I, 403) überholte) Erfordernis der Durchführung des Genehmigungsverfahrens nach §
3 Abs.
2 BtMG nicht an. Eine Rechtfertigung der Tat scheidet vielmehr schon im Hinblick auf die festgestellte Menge des vom Angeklagten besessenen Marihuanas aus.
Unter dem Gesichtspunkt der geringst möglichen Aufopferung des [X.] kommt nämlich bereits der [X.] entscheidende Bedeutung zu. Der Besitz von Marihuana kann nach §
34 StGB
überhaupt nur in dem Umfang gerechtfertigt
sein, der für den [X.] zur Linderung der Gesundheitsbeeinträchtigungen
erforderlich ist ([X.], NJW 2004, 3645, 3646; [X.]
in Körner/[X.]/[X.], BtMG, 8.
Aufl., BtMG §
29 Teil
13 Rn.
62). Da Sinn und Zweck der Strafandrohung für den unerlaubten 25
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10
-
Besitz von Betäubungsmitteln im Vergleich zum straflosen [X.] gerade darin
bestehen, dass die Vorratshaltung die abstrakte Gefahr der Weitergabe an Dritte in sich birgt (vgl. [X.], Beschluss vom 4.
September 1996

3
StR 355/96, [X.], 49, 50), scheidet eine Rechtfertigung jedenfalls im vor-liegenden Fall aus. Bezogen auf den vom [X.] zum Tatzeitpunkt festge-stellten [X.] von bis zu sieben Gramm Cannabis täglich verfügte der Angeklagte über eine Menge, die für 245 Tage ausgereicht hätte, bezogen auf den von der [X.] als ausreichend angesehenen [X.] von zwei Gramm Cannabis besaß der Angeklagte eine Menge, die seinen Bedarf für mehr als zwei Jahre gedeckt hätte.
bb) Eine Entschuldigung gemäß
§
35 StGB scheidet ebenfalls wegen der anderweitigen Abwendbarkeit der Gefahr für die Gesundheit des Angeklagten aus (zur Identität des Maßstabs in §
34 und §
35 StGB siehe [X.] in
[X.]/[X.], StGB, 29.
Aufl., §
35 Rn.
13).
3. Auch der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand. Im Rah-men der Strafzumessung hat das [X.] insbesondere zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass dieser schwer erkrankt war und die Tat ledig-lich aus Leidensdruck zum Zwecke der (medizinisch indizierten) Selbsttherapie begangen hat (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Mai 2014

2 [X.], [X.], 609, 610).
Appl [X.] [X.]

Grube Schmidt

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Meta

2 StR 238/16

13.09.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.09.2017, Az. 2 StR 238/16 (REWIS RS 2017, 5427)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 5427

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2 StR 238/16

2 StR 354/13

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