Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.11.2012, Az. IX ZB 120/11, IX ZA 12/11

9. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 1621

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Gegenstand

Rechtsbeschwerde im Vollstreckbarerklärungsverfahren für ein polnisches Urteil über die Geschäftsführerhaftung wegen Insolvenzverschleppung: Verstoß gegen den deutschen ordre public bei Zustellung eines die Verteidigungsrechte des Rechtsbeschwerdeführers verletzenden Schriftstückes; dynamische Verweisung auf die EuGVVO


Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des [X.] vom 30. Dezember 2010 wird auf Kosten des [X.] als unzulässig verworfen.

Der Antrag des [X.] auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das vorgenannte Rechtsbeschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 1.381.152 € festgesetzt.

Gründe

1

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß Art. 44 der Verordnung ([X.]) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 ([X.], [X.]. L 12/01 S. 1) in Verbindung mit § 15 Abs. 1 [X.], § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nach § 15 Abs. 1 [X.], § 574 Abs. 2 ZPO unzulässig, weil sie nicht aufzeigt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert.

2

a) Der von der Rechtsbeschwerde geltend gemachte Zulässigkeitsgrund der [X.] liegt nicht vor. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] hat eine Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer Vielzahl von Fällen stellen kann ([X.], Beschluss vom 4. Juli 2002 - [X.], [X.]Z 151, 221, 223; vom 1. Oktober 2002 - [X.], [X.]Z 152, 182, 191). An der Entscheidungserheblichkeit der zu klärenden Rechtsfrage fehlt es, wenn die angegriffene Entscheidung aus anderen Gründen richtig ist, die ihrerseits keine Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde begründen (vgl. Hk-ZPO/[X.], 4. Aufl., § 544 Rn. 14 mwN). [X.] ist sie nur dann, wenn die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft ist, also über den Umfang und die Bedeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen. Solche Unklarheiten liegen etwa dann vor, wenn in der Literatur unterschiedliche Meinungen zu einer Frage vertreten werden (MünchKomm-ZPO/[X.], 3. Aufl., § 543 Rn. 7). Ansichten in der Literatur, die vereinzelt geblieben oder nicht nachvollziehbar begründet sind, erzeugen keinen solchen Klärungsbedarf ([X.], Beschluss vom 8. Februar 2010 - [X.], NJW-RR 2010, 978 Rn. 3; Musielak/Ball, ZPO, 9. Aufl., § 543 Rn. 5a; Hk-ZPO/[X.], aaO § 543 Rn. 9).

3

aa) Die Qualifizierung der Geschäftsführerhaftung bei Insolvenzverschleppung, wie sie auch Art. 299 § 1 des [X.] KSH vorsieht, ist zwar umstritten (vgl. nur [X.], [X.] und die [X.], 2006, [X.] ff; [X.], Insolvenzverschleppungshaftung in internationalen Fällen, 2007, [X.] ff; [X.], Gesellschaftsrecht und Gläubigerschutz im Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2011, [X.] ff; [X.], [X.], 53 mwN). Sie ist im Streitfall jedoch nicht entscheidungserheblich. Sofern entsprechende Rechtsstreitigkeiten nicht zivilrechtlich, sondern insolvenzrechtlich qualifiziert würden, könnte im Rahmen des [X.] gegen eine mitgliedstaatliche Entscheidung der ordre public-Vorbehalt nach Art. 26 der Verordnung ([X.]) Nr. 1346/2001 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (sog. EuInsVO, [X.]. [X.]) eingewandt werden. Die Auslegung des Art. 26 EuInsVO orientiert sich bei insolvenzbezogenen Einzelentscheidungen, die in einem kontradiktorischen Verfahren ergangen sind, an den zu Art. 34 [X.] entwickelten Maßstäben (vgl. [X.]/[X.], in [X.], Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des [X.] über Insolvenzverfahren im [X.] Recht, 1997, Rn. 206; [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 2005, Art. 26 Rn. 2; [X.], in [X.]/[X.], [X.], 2002, Art. 26 Rn. 8 [X.]; [X.], Die Abgrenzung zwischen [X.] und EuInsVO im Bereich insolvenzbezogener Einzelentscheidungen, 2006, [X.] ff, 85; vgl. auch [X.], Urteil vom 2. Mai 2006 - Rs. [X.]/04, [X.], [X.], 360 Rn. 64). Deshalb kann eine die Verteidigungsrechte des [X.] verletzende Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstückes entsprechend Art. 34 Nr. 2 [X.] einen Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public im Sinne von Art. 26 EuInsVO begründen (vgl. [X.], aaO S. 76; [X.], [X.] 2002, 157, 159), so dass sich die Qualifizierung der Geschäftsführerhaftung als zivil- oder insolvenzrechtlich im Ergebnis nicht auswirkt.

4

bb) Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene weitere Frage, ob Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO eine statische Verweisung auf das EuGVÜ enthalte oder ob die Vorschrift als dynamische Verweisung auf die zwischenzeitlich in den Mitgliedstaaten in [X.] getretene [X.] zu verstehen sei, begründet nicht den für § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderlichen Klärungsbedarf. Aufgrund der Regelung des Art. 68 Abs. 2 [X.], wonach Verweisungen auf das EuGVÜ fortan als Verweise auf die [X.] zu verstehen sind, wird Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO zutreffend als Verweisung auf die nunmehr geltende [X.] ausgelegt ([X.], aaO Art. 25 Rn. 2; [X.]/[X.]/[X.]/[X.], aaO Art. 25 Rn. 3; [X.] in [X.], [X.], 2010, Art. 25 EuInsVO Rn. 18; [X.]/[X.], 5. Aufl., Art. 25 VO ([X.]) 1346/2000 Rn. 1; Pannen/Riedemann, [X.], 2007, Art. 25 Rn. 37; [X.]/[X.], [X.]/[X.], 2011, Art. 68 [X.] I-VO Rn. 4; HK-[X.]/[X.], 6. Aufl., Art. 25 EuInsVO Rn. 5; Nerlich in Nerlich/[X.], [X.], 2009 Art. 25 VO ([X.]) 1346/2000, Rn. 2; MünchKomm-[X.]/[X.], 2. Aufl., Art. 25 VO ([X.]) 1346/2000 Rn. 3, 13; [X.]/[X.], [X.], 13. Aufl., Art. 25 EuInsVO Rn. 12; [X.] in [X.]/[X.], Zivilrecht unter [X.] Einfluss, 2005, [X.]. 30 Rn. 204; [X.], Annexverfahren bei Internationalen Insolvenzen, 2005, [X.]; [X.], [X.] 2002, 157, 159). Die von der Rechtsbeschwerde zitierte Empfehlung des [X.] ([X.] n

5

b) Weitere Zulässigkeitsgründe - auch im Zusammenhang mit der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstückes - sind nicht schlüssig und substantiiert dargelegt (vgl. Hk-ZPO/[X.], aaO § 544 Rn. 24 mwN). Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 [X.], § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO abgesehen.

6

2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Rechtsbeschwerde ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung nach den vorstehenden Ausführungen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 Satz 1 ZPO).

Vill                            Gehrlein                            Lohmann

             Fischer                               Pape

Meta

IX ZB 120/11, IX ZA 12/11

08.11.2012

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZA

vorgehend OLG Stuttgart, 30. Dezember 2010, Az: 5 W 71/09

Art 25 Abs 1 UAbs 2 EGV 1346/2000, Art 26 EGV 1346/2000, Art 34 Nr 2 EGV 44/2001, Art 68 Abs 2 EGV 44/2001, Art 1 VollstrZustÜbk 1968, Art 1ff VollstrZustÜbk 1968

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.11.2012, Az. IX ZB 120/11, IX ZA 12/11 (REWIS RS 2012, 1621)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1621

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