Bundesverfassungsgericht, Einstweilige Anordnung vom 25.11.2021, Az. 2 BvR 2110/21

2. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2021, 823

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Erlass einer einstweiligen Anordnung im Verfassungsbeschwerdeverfahren: Einstweilige Untersagung des Vollzugs einer Auslieferung an Rumänien - mögliche Verletzung des Verbots unmenschlicher und erniedrigender Behandlung (Art 4 EUGrdRCh) - Folgenabwägung


Tenor

Die Übergabe des Beschwerdeführers an die [X.] Behörden wird bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen untersagt.

Die Generalstaatsanwaltschaft [X.] wird mit der Durchführung der einstweiligen Anordnung beauftragt.

Gründe

1

Zur [X.] wird die Übergabe des Beschwerdeführers an die [X.] Behörden gemäß § 32 Abs. 1 und Abs. 2 [X.] bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen untersagt.

2

1. Das [X.] kann einen Zustand durch einstweilige Anordnung gemäß § 32 Abs. 1 [X.] vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 [X.] gegeben sind, ist wegen der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. [X.] 55, 1 <3>; 82, 310 <312>; 94, 166 <216 f.>; 104, 23 <27>; 106, 51 <58>).

3

Als Mittel des vorläufigen Rechtsschutzes hat die einstweilige Anordnung auch im verfassungsgerichtlichen Verfahren die Aufgabe, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern; sie soll auf diese Weise dazu beitragen, Wirkung und Bedeutung einer erst noch zu erwartenden Entscheidung in der Hauptsache zu sichern und zu erhalten (vgl. [X.] 42, 103 <119>). Deshalb bleiben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht, es sei denn, die Hauptsache erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. [X.] 89, 38 <43 f.>; 103, 41 <42>; 118, 111 <122>; stRspr). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, so hat das [X.] grundsätzlich lediglich im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. [X.] 105, 365 <371>; 106, 351 <355>; 108, 238 <246>; 125, 385 <393>; 132, 195 <232 f. Rn. 87>; stRspr).

4

2. Nach diesen Maßstäben ist eine einstweilige Anordnung zu erlassen.

5

a) Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Es erscheint vielmehr möglich, dass die angegriffene Entscheidung des [X.] den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 4 [X.] verletzt, weil das Gericht seiner Verpflichtung nach Art. 4 [X.], auf der zweiten Prüfungsstufe im Einzelfall gründlich zu prüfen und durch zusätzliche Informationen aufzuklären, ob der Beschwerdeführer nach seiner Überstellung in einer [X.] Haftanstalt einer Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt sein wird, nicht hinreichend nachgekommen ist (vgl. [X.] 156, 182 <200 ff. Rn. 42 ff.>). Nach der Mitteilung der [X.] Behörden vom 7. Oktober 2021 sollen dem Beschwerdeführer in der [X.] Strafhaft sowohl in der Quarantänezeit als auch im halboffenen beziehungsweise im offenen Strafvollzug mindestens 3 m² persönlicher Raum zur Verfügung stehen. Der angegriffene Beschluss lässt aber insbesondere eine eigene Prüfung des Gerichts, ob zu dem [X.] weitere defizitäre Haftbedingungen hinzutreten, nicht erkennen (vgl. [X.] 156, 182 <204 Rn. 50>). Ferner lässt sich dem angegriffenen Beschluss eine eigene Gefahrenprognose des Gerichts, um die Belastbarkeit der Zusicherungen der [X.] Behörden einschätzen zu können, nicht entnehmen (vgl. [X.] 156, 182 <207 Rn. 56>).

6

b) Die nach § 32 Abs. 1 [X.] erforderliche Folgenabwägung geht zugunsten des Beschwerdeführers aus. Die Folgen, die einträten, wenn der Beschwerdeführer überstellt werden würde, sich später aber herausstellte, dass die Überstellung rechtswidrig war, wiegen schwerer als die Folgen, die entstünden, wenn die Überstellung einstweilen untersagt bliebe, sich später aber herausstellte, dass sie ohne Rechtsverstoß hätte durchgeführt werden können. Denn im erstgenannten Fall wäre dem Beschwerdeführer eine erfolgreiche Geltendmachung seiner Einwände gegen die Überstellung voraussichtlich nicht mehr möglich. Demgegenüber könnte der Beschwerdeführer, sollte sich die geplante Überstellung als rechtmäßig erweisen, zu einem späteren Zeitpunkt an die [X.] Behörden übergeben werden. Sein Aufenthalt in [X.] würde sich lediglich bis zu einem solchen späteren Termin verlängern.

Meta

2 BvR 2110/21

25.11.2021

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer

Einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Frankfurt, 1. November 2021, Az: 1 Ausl A 123/21, Beschluss

Art 1 Abs 1 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, Art 4 EUGrdRCh, § 32 IRG, Art 3 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Einstweilige Anordnung vom 25.11.2021, Az. 2 BvR 2110/21 (REWIS RS 2021, 823)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 823

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