Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.02.2016, Az. AK 3/16

3. Strafsenat | REWIS RS 2016, 15956

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:180216BAK3.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS

AK 3/16
vom
18. Februar 2016
in dem Strafverfahren
gegen

wegen [X.] zur mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer

ausländischen terroristischen [X.]

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Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] sowie des Angeklagten und seiner Verteidiger am 18. Februar 2016 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:

Die Untersuchungshaft hat [X.].
Eine etwaige erforderliche weitere Haftprüfung durch den
Bun-desgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem [X.]punkt wird die Haftprüfung dem [X.] übertragen.

Gründe:
I.
[X.] wurde am 16. Juni 2015 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] vom 15. Juni 2015 ([X.].: 5 [X.]) festgenommen und befindet sich seitdem, unterbrochen zur Vollstre-ckung einer Ersatzfreiheitsstrafe in der [X.] vom 29. Juni bis zum 17. August 2015, in Untersuchungshaft. Der [X.] hat unter dem 30. Ok-tober 2015 Anklage zum [X.] erhoben. Das Oberlan-desgericht hat mit Beschluss vom 19. Januar 2016 die Anklage zugelassen, das Hauptverfahren eröffnet und mit derselben Entscheidung sowie Beschluss vom 21. Januar 2016 die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich ge-halten.
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II.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. [X.] ist dringend verdächtig, sich spätestens am 29. Mai 2015 zur mitgliedschaftlichen
Beteiligung an der [X.] bereit erklärt zu haben. Im Einzelnen ist im Sinne eines dringenden Tatver-dachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
a) Die [X.] [X.] al-Sham
Bei der [X.] [X.] al-Sham ("Soldaten [X.]") handelt es sich um eine Gruppierung, die -
soweit ersichtlich -
seit August 2013 auf Seiten der islamistischen Gegner des [X.] in den [X.] eingreift. Ihr Anführer ist der Tschetschene Muslim Margoshvili alias Muslim [X.] ash-Shishani, der über Kampferfahrung aus den [X.] [X.]kriegen verfügt und zuletzt als [X.] einer in [X.] operie-renden Gruppe fungiert hatte, die dem mutmaßlich von [X.] geführ-ten "Kaukasischen [X.]at" zuzurechnen ist.
Da ihm die Rückkehr nach [X.] nicht gelang, entschloss er sich im [X.], zusammen mit einem Teil seiner Kämpfer, überwiegend Tschetschenen, aber auch Angehörige west-licher [X.], zur "Auswanderung" nach [X.], um dort am Kampf gegen das Assad-Regime teilzunehmen.
Im Februar 2013 trat Muslim [X.] in einer Videoveröffentlichung der von [X.] befehligten Gruppierung [X.] in Er-scheinung, die sich später in [X.] ([X.]) umbenann-te. Die
Veröffentlichung enthielt einen Nachruf auf [X.], der 2
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ein jihadistisches Ausbildungslager in der Umgebung von [X.] geführt hatte. Muslim [X.] wird darin als militärischer Kommandeur der tschetscheni-schen Brigade in [X.] vorgestellt. Zudem unterhielt Muslim [X.] enge Beziehungen zu [X.], der sich im Juli 2013 mit einer [X.] Anzahl mehrheitlich nordkaukasischer Kämpfer von [X.] und der [X.] getrennt hatte, nachdem diese sich der [X.] im [X.] und Großsyrien" ([X.])
zugewandt hatten. Im Oktober 2013 vereinigte sich die von Muslim [X.] befehligte [X.] al-Sham mit [X.] und seinen Anhängern sowie mit einer Gruppierung um [X.] zu einer einheitlichen Organisation, die zwar eng mit anderen Organisationen wie [X.] (der sich [X.] bereits im Dezember 2013 anschloss) und [X.] zusammenarbeitete, aber ihre Eigenstän-digkeit bewahrte. So bezeichnete sich Muslim Abu
Walid in einer am 30. Juni 2014 über [X.] veröffentlichten [X.] als [X.] einer eigenen Grup-pe, die sich schon seit zwei Jahren in [X.] aufhalte und auch Kämpfer aus [X.] in ihren Reihen habe.

Ziel der [X.] al-Sham ist es, an der Seite der "Brüder" gegen die "[X.]" in [X.] zu kämpfen, diese zu vernichten und in der Region einen islamistischen Gottesstaat zu errichten. Ihre Selbständigkeit will die [X.] dabei jedenfalls solange bewahren, bis aus den Kämpfen ein neuer
[X.] her-vorgeht, der für die gesamte "[X.]" zu sprechen legitimiert ist. Die Stärke der Organisation, die in [X.] auch ein Ausbildungslager für [X.]willige aus aller Welt unterhält, wird derzeit auf bis zu 1.500 Kämpfer geschätzt. Im August 2013 beteiligte sich [X.] al-Sham an den Kämpfen gegen die Regierungs-truppen um die Hügelkette von [X.] nahe [X.]. Im Februar 2014 nahm sie gemeinsam mit [X.] am Angriff auf das Zentralgefängnis in [X.] teil; an dieser Operation wirkte wiederum auch
Ahrar al-Sham mit. Außerdem 7
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war sie beteiligt im März 2014 an der Einnahme der Stadt Kasab sowie im April 2015 an der Eroberung der Stadt [X.].

b) Die Tathandlungen des Angeklagten
[X.] wandte sich im Alter von etwa 18 Jahren verstärkt dem Islam zu und radikalisierte sich ab den Jahren 2011/2012 zunehmend. Er ver-steht den bewaffneten [X.] als religiöse Verpflichtung und legitimes Mittel zur gewaltsamen Durchsetzung einer radikal-fundamentalistischen Glaubensrich-tung. Mit seiner Lebensgefährtin

S.

hat er eine gemeinsame Toch-ter; diese hat außerdem zwei Söhne.
[X.] trug sich jedenfalls seit Februar 2014 mit dem Gedan-ken, mit seiner Lebensgefährtin nach [X.] auszureisen, um dort am bewaff-neten Kampf auf Seiten einer jihadistischen Gruppierung teilzunehmen. Im Juni 2014 nahm er zunächst Kontakt zu einem Mitglied des [X.] auf; sodann kam es zu mehreren Telefonaten mit

A.

(im Folgenden: A.

), der Mitglied der [X.] al-Sham und in diesem als Vertrauter von Muslim [X.] dafür zuständig ist, neue Rekruten zu werben und deren Reise nach [X.] sowie die Eingliederung in die Gruppierung zu organisieren. Dies war dem Angeklagten bekannt. In der Folgezeit reiste
S.

mit ihren drei Kindern nach [X.]; sie hält sich seitdem in einem von der [X.] al-Sham kontrollierten Gebiet auf. Für den 27. Juni 2014 war die Ausreise des Angeklag-ten nach [X.] geplant. Sie scheiterte daran, dass die [X.] Behörden ihn
nach Belgien zurückschoben. Im August 2014 versuchte der Angeklagte erfolg-los, auf dem Landweg über [X.] und die Türkei [X.] zu erreichen. In der Folgezeit bemühte er sich fortlaufend um neue Reisemöglichkeiten. Zuletzt plante er im Mai 2015, mit einem gefälschten Reisedokument nach [X.] zu 8
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gelangen. Zweck und Ziel der beabsichtigten Ausreise war die Teilnahme am bewaffneten Kampf in den Reihen der [X.] al-Sham. Am 29. Mai 2015 schickte der Angeklagte dem A.

mittels Telegram die ernst gemeinte Nachricht, es sei ihm eine Ehre, Personenschützer des Muslim [X.] zu sein. Auf Aufforderung des A.

sandte er diesem Bilder, die seine körperli-che Geeignetheit für diese Aufgabe dokumentieren sollten.
2. Der dringende Tatverdacht ergibt sich insbesondere aus den umfang-reichen Ergebnissen der Telekommunikationsüberwachung. Diese belegen u.a., dass der Angeklagte sich gegenüber A.

bereit erklärte, nach [X.] zu reisen und dort als Personenschützer des [X.]s der [X.] al-Sham tätig zu werden. Dies wird [X.] bestätigt etwa durch die Bekundungen mehrerer Zeugen, darunter diejenigen des Zeugen O.

und der Zeugin R.

. Daneben belegen weitere Zeugenaussagen, Erkenntnisse des Bundesnach-richtendienstes, Ergebnisse der Auswertung von sichergestellten [X.] sowie Sachverständigengutachten, dass das Tatgeschehen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit wie dargelegt zutrug. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Ausführungen in dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters des [X.] sowie die in der Anklageschrift des [X.] auf-geführten Beweismittel verwiesen.
3. Danach erklärte sich der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit be-reit, sich als Mitglied an der [X.] al-Sham zu beteiligen, § 30 Abs. 2 Alter-native
1, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB.
a) § 30 Abs. 2 Alternative 1 StGB ist auf den Verbrechenstatbestand der Beteiligung an einer (ausländischen) terroristischen [X.] als Mitglied nach §
129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs.
1 Satz 1 und 2 StGB anwendbar (vgl. im Einzelnen [X.], Beschluss vom 17. Dezember 2014 -
StB 10/14, NJW 2015, 11
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1032, 1033). Allerdings folgt aus dem im Rahmen des § 30 StGB zu stellenden Erfordernis des Zusammenwirkens mehrerer, dass die bloße Kundgabe, ein Verbrechen begehen zu wollen, den Tatbestand des § 30 Abs. 2 [X.]. 1 StGB nicht erfüllt; vielmehr muss die Erklärung darauf gerichtet sein, sich gegenüber deren Adressaten zu binden, sei es in Form der Annahme einer durch diesen gemachten Aufforderung, sei es in Form eines aktiven Sicherbietens diesem gegenüber in der Erwartung, dass er dem [X.] zustimmen werde. Diese beabsichtigte Selbstbindung macht es erforderlich, dass die Erklärung ernsthaft sein muss. Im Fall des [X.] zur mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen [X.] kommt Folgendes hinzu: Die Beteiligung als Mitglied setzt eine gewisse formale Eingliederung des [X.] in die [X.] und damit eine Beziehung voraus, die ihrer Natur nach der [X.] nicht aufgedrängt werden kann, sondern ihre Zustimmung erfordert. Die mit-gliedschaftliche Beteiligung muss von einem einvernehmlichen Willen zu einer fortdauernden Teilnahme am [X.] getragen sein. Zwar schließt die Notwendigkeit einer Mitwirkung anderer an der [X.] die [X.]i-ante des [X.] nicht aus. Die dargelegten deliktsspezifischen Be-sonderheiten sind jedoch auch im [X.] des § 30 StGB zu be-achten. Hieraus folgt, dass die erforderliche Selbstbindung erst und nur dann angenommen werden kann, wenn die Erklärung demjenigen gegenüber abge-geben wird, dessen Mitwirkung notwendig ist, im Falle der § 129a Abs. 1, 2 und 4, § 129b StGB mithin gegenüber einem Repräsentanten der terroristischen [X.] ([X.] aaO mwN).
b) Diese Voraussetzungen sind gegeben.
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Die [X.] al-Sham ist als ausländische terroristische [X.] im Sinne der § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB anzusehen. A.

war als mit wichtigen Aufgaben für die Organisation beauftragter Vertrauter des [X.]s Muslim [X.] ein Repräsentant der [X.], dem gegenüber eine [X.] nach § 30 Abs. 2 StGB begangen werden kann. Das Erklären der Bereitschaft des Angeklagten, als Personenschützer des Muslim [X.] tätig zu sein, war ernsthaft und inhaltlich darauf gerichtet, eingegliedert in die Organisation gewichtige Beteiligungshandlungen vorzunehmen.
4. Bei dem Angeklagten besteht aus den in dem Haftbefehl des Ermitt-lungsrichters des Bundesgerichthofs zutreffend dargelegten Gründen der Haft-grund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Die zu erwartende Strafe begründet einen erheblichen Fluchtanreiz. Seine Lebensgefährtin und seine Kinder befinden sich in [X.]. [X.] versuchte in der Vergangenheit mehrfach erfolglos, dorthin zu gelangen. Diese und die weiteren, in dem Haft-befehl aufgeführten Umstände begründen die Annahme, dass der Angeklagte sich, in Freiheit belassen, dem Verfahren entziehen wird. Daneben liegen die Voraussetzungen des Haftgrundes der [X.] nach § 112 Abs. 3 StGB vor. Weniger einschneidende Maßnahmen i.S.d. § 116 StPO kommen nicht in Betracht.
5. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersu-chungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor.
Die be-sondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersu-chungshaft. Die Auswertung der umfangreichen Ergebnisse der Telekommuni-kationsüberwachung wurde im August 2015 abgeschlossen, diejenige der am [X.] sichergestellten Datenträger dauerte bis Anfang Oktober 2015 15
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an. Mehrere wichtige Zeugen aus dem [X.] Umfeld des [X.] erst nach Offenlegung des Ermittlungsverfahrens vernommen werden. Trotz dieses erheblichen Ermittlungsaufwandes hat der [X.] schon unter dem 30. Oktober 2015 Anklage erhoben. Das [X.] hat das Zwischenverfahren zügig betrieben und bereits über deren Zulassung und die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden. Es beabsichtigt, im März 2016 mit der Hauptverhandlung zu beginnen. Nach alldem ist das Verfahren mit
der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.
6. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu dem gegen den Angeklagten erhobenen Tatvorwurf nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Becker [X.] Spaniol

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Meta

AK 3/16

18.02.2016

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.02.2016, Az. AK 3/16 (REWIS RS 2016, 15956)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 15956

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