Bundessozialgericht, Urteil vom 17.04.2013, Az. B 9 V 3/12 R

9. Senat | REWIS RS 2013, 6588

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

(Soziales Entschädigungsrecht - Gewaltopferentschädigung - sexueller Missbrauch in der Kindheit - Altfall - fehlender Tatzeuge - Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG - Glaubhaftmachung - aussagepsychologisches Gutachten - sozialgerichtliches Verfahren - Untersuchungsmaxime - Zurückverweisung)


Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 16. September 2011 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen, soweit sie die Gewährung von [X.] wegen Folgen sexuellen Missbrauchs in der Kindheit und Jugend der Klägerin betrifft.

Die zweitinstanzlich erhobene Klage betreffend Folgen körperlicher Misshandlung wird abgewiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von [X.] nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten ([X.]) iVm dem [X.] (BVG).

2

Die 1949 geborene Klägerin lebte bis 1962 bei ihrer Mutter und deren zweiten Ehemann [X.]). Der Vater der Klägerin hatte sich kurz nach der Geburt der Klägerin von deren Mutter getrennt. Gegen den Stiefvater wurde offenbar aufgrund des Verdachts, seine eigene Tochter sexuell missbraucht zu haben, ein Ermittlungsverfahren durchgeführt. Nach dem Tod des [X.] im März 1962 wurde die Klägerin vom Jugendamt aus dem Haushalt der Mutter herausgenommen und ihrem Vater, der wieder geheiratet hatte, zugeführt.

3

Im Mai 1967 erstattete die Klägerin gegen ihren Vater eine Strafanzeige. Dieser habe sie im vergangenen halben Jahr immer wieder unzüchtig berührt. Der Vater wurde offenbar verhaftet und das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Klägerin zunächst dem Jugendamt der [X.] und ab August 1967 der [X.] übertragen. Bis zur Vollendung ihres 21. Lebensjahres arbeitete die Klägerin in der [X.] eines Altersheims, wo sie anscheinend auch wohnte. Nach dem späteren Erwerb des Hauptschulabschlusses und verschiedenen Erwerbstätigkeiten heiratete die Klägerin im Jahre 1976 und gebar zwischen 1977 und 1981 drei Kinder.

4

Anlässlich einer stationären Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation in der P.-Klinik [X.] wurde bei der Klägerin neben einer mittelgradigen depressiven Episode erstmals eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Im [X.] an diese Maßnahme nahm die Klägerin eine ambulante Psychotherapie bei der psychologischen Psychotherapeutin S. auf. Diese äußerte den Verdacht einer dissoziativen Identitätsstörung die im Jahr 2002 durch die Abteilung Klinische Psychiatrie und Psychotherapie H. bestätigt wurde.

5

Im Mai 2005 beantragte die Klägerin beim [X.] die Gewährung von Gewaltopferentschädigung, weil sie in ihrer Kindheit von ihrem Stiefvater sexuell missbraucht und von ihrem Vater sexuell belästigt worden sei. Zur Begründung legte sie das Ergebnis ihrer Recherchen sowie Unterlagen vor, die sie unter Mitwirkung ihrer Therapeutin zusammengetragen hatte. Von dort wurde die Angelegenheit im Juni 2005 wegen des angegebenen Tatorts in [X.] zuständigkeitshalber an das Versorgungsamt M. abgegeben. Dieses Amt holte einen Befundbericht der Psychotherapeutin S. sowie Berichte der Abteilung Klinische Psychiatrie und Psychotherapie H. ein. Zudem befragte das Amt schriftlich Frau C., die in der [X.] von 1969 bis 1972 als Sozialarbeiterin im [X.] tätig und kurze [X.] mit der Pflegschaft der Klägerin befasst war. Ferner zog es die von der Evangelischen Jugend- und Familienhilfe [X.] eV archivierte Akte der Klägerin über die Pflegschaft der Klägerin sowie die Schwerbehindertenakte des [X.] bei, das mit Bescheid vom 30.8.2005 bei der Klägerin einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 wegen einer psychischen Behinderung ab Mai 2005 festgestellt hatte.

6

Mit Bescheid vom [X.] des Versorgungsamts M. in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der [X.] vom 17.7.2006 wurde der Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenversorgung nach dem [X.] abgelehnt. Es sei nicht nachgewiesen, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 [X.] geworden sei. Weder der sexuelle Missbrauch durch den Stiefvater noch die sexuelle Belästigung durch den leiblichen Vater seien nachgewiesen. Selbst unter Heranziehung der Beweiserleichterung des § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung ([X.]) sei ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff auf die Klägerin nicht anzunehmen.

7

Das von der Klägerin daraufhin angerufene [X.] ([X.]) hat von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie/Psychotherapie Dr. F. ein im Juli 2007 erstattetes nervenärztliches Gutachten mit einem unter Mithilfe des psychologischen Psychotherapeuten Dr. B. erstellten testpsychologischen Zusatzgutachten eingeholt. Der Sachverständige diagnostizierte eine dissoziative Identitätsstörung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 vH. Er vertrat die Auffassung, dass aufgrund des eindeutigen Vorliegens einer dissoziativen Identitätsstörung nach herrschender wissenschaftlicher Lehre ein frühkindlicher sexueller Missbrauch als Ursache für die Störung anzunehmen sei.

8

Mit Urteil vom 8.11.2007 hat das [X.] die noch gegen das [X.] gerichtete Klage abgewiesen, weil nicht im Sinne des notwendigen [X.] feststellbar sei, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden sei. Auch unter Anwendung der Beweiserleichterung des § 15 [X.] sei nicht anzunehmen, dass ein derartiger Angriff auf die Klägerin in ihrer Kindheit stattgefunden habe, weil von einer Glaubhaftigkeit der Schilderungen der Klägerin nicht ausgegangen werden könne. Schließlich sei der vom Sachverständigen gezogene Rückschluss von der vorliegenden Erkrankung auf deren Ursache nicht zulässig.

9

Das von der Klägerin mit der Berufung angerufene [X.] [X.] (L[X.]) hat weitere medizinische Unterlagen eingeholt, ua den [X.] sowie das für die [X.] in einem Rentenverfahren erstellte Gutachten der Neurologin und Psychiaterin [X.] vom 18.1.2005. Außerdem hat sich das L[X.] von der Dipl. Psychologin D. ein [X.] vom [X.] über die Klägerin erstatten lassen. Danach ist die Aussage der Klägerin bezüglich des dargelegten Missbrauchs durch den Stiefvater (1961 bis 1962) und den Vater (1963 bis 1967) nicht glaubhaft. Zwar liege keine bewusste Falschaussage vor, es bestünden aber Hinweise, dass die Angaben der Klägerin sich erst unter suggestiven Bedingungen entwickelt hätten.

Mit Urteil vom 16.9.2011 hat das L[X.] die zuletzt gegen den beklagten Landschaftsverband gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Seine Entscheidung hat es auf folgende Erwägungen gestützt:

Das Gericht sehe sich nicht in der Lage, einen sexuellen Missbrauch der Klägerin durch deren Stiefvater und/oder eine sexuelle Belästigung durch deren leiblichen Vater und damit einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 [X.] anzunehmen. Der von der Klägerin behauptete sexuelle Missbrauch bzw die sexuelle Belästigung sei zur Überzeugung des Senats nicht nachgewiesen. Unmittelbare Tatzeugen seien nicht vorhanden. Stiefvater, Mutter und Vater der Klägerin seien bereits verstorben. Urkunden, wie etwa staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakten etc, seien nicht mehr vorhanden. Andere Beweismittel, die die Angaben der Klägerin bestätigen könnten, seien nicht ersichtlich. Der sexuelle Missbrauch bzw die sexuelle Belästigung könne auch nicht aus der medizinischen Diagnose einer dissoziativen Identitätsstörung gefolgert werden.
Schließlich lasse sich ein sexueller Missbrauch bzw eine sexuelle Belästigung auch nicht unter Zugrundelegung der Beweiserleichterung nach § 6 Abs 3 [X.] iVm § 15 [X.] annehmen. Zwar komme die Beweiserleichterung (Glaubhaftmachung) zugunsten der Klägerin zur Anwendung, weil es weder Zeugen noch sonstige zum Beweis geeignete Unterlagen zu den von der Klägerin behaupteten Taten gebe. Die entsprechenden Behauptungen der Klägerin seien jedoch nicht glaubhaft. Dies ergebe sich zum einen aus dem eingeholten [X.] der Sachverständigen D. und zum anderen auch aus eigenen Erwägungen des Senats zur Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin. Ein Anspruch auf Opferentschädigung ergebe sich aus im Wesentlichen gleichen Überlegungen auch nicht aus der Behauptung der Klägerin, von ihrem Vater einmal krankenhausreif geschlagen worden zu sein.

Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass der Anspruch der Klägerin "wahrscheinlich" auch an den Voraussetzungen des § 10a [X.] scheitern würde. Für Taten in der [X.] vom [X.] bis 15.5.1976 könnten die Opfer nur dann Entschädigung nach dem [X.] erhalten, wenn sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt seien, also ein Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von mindestens 50 vorliege. Nach dem Schwerbehindertenrecht sei indes nur ein GdB von 30 anerkannt. Dem Gutachten des Dr. F. sei nicht zu folgen, weil er keinerlei Begründung dafür gegeben habe, dass die "MdE 50" betrage. Im Ergebnis könne dies jedoch dahinstehen.

Mit der - vom [X.] (B[X.]) zugelassenen - Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Soweit das L[X.] davon ausgehe, dass keine Beweismittel mehr vorhanden seien, sei § 103 [X.]G verletzt. Sie, die Klägerin, habe dem L[X.] gegenüber die Vernehmung ihrer Halbschwester als [X.]zeugin angeboten. Soweit das L[X.] sage, dass aus der Diagnose einer dissoziativen Identitätsstörung nicht auf deren Ursache rückgeschlossen werden könne, stehe dies im Widerspruch zu der Aussage des erstinstanzlich eingeholten ärztlichen Gutachtens. Zudem sei nach der Entscheidung des B[X.] vom 18.10.1995 - 9/9a RVg 4/92 - ein derartiger Rückschluss durchaus ernsthaft in Betracht zu ziehen, wenn die herrschende Meinung in der medizinischen Wissenschaft die geltend gemachte Belastung allgemein für geeignet halte, bestimmte Krankheiten hervorzurufen. Nach dem Gutachten des Dr. F. sei nach heute herrschender wissenschaftlicher Lehrmeinung ein entsprechender Rückschluss hier möglich.

Im Hinblick auf das zweitinstanzlich eingeholte aussagepsychologische Gutachten sei bisher ungeklärt, ob ein derartiges Gutachten überhaupt "die Entscheidung des Gerichts ersetzen darf". Bezüglich der vom L[X.] als eigene Erwägungen bezeichneten Gründe zur fehlenden Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen (fehlende Aussagekonstanz) habe das L[X.] nicht beachtet, dass sie an einer dissoziativen Identitätsstörung leide.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Urteile des [X.]s [X.] vom 16. September 2011 sowie des [X.] vom 8. November 2007 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 3. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2006 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter sowie einer schweren körperlichen Misshandlung [X.] nach dem Opferentschädigungsgesetz iVm dem [X.] zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat die [X.] auf deren Antrag hin beigeladen (Beschluss vom [X.]). Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 [X.]G).

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist zulässig.

Sie ist vom [X.] zugelassen worden und damit statthaft (§ 160 Abs 1 S[X.]). Die Klägerin hat bei der Einlegung und Begründung der Revision Formen und Fristen eingehalten 164 Abs 1 und 2 S[X.]). Die Revisionsbegründung genügt den Voraussetzungen des § 164 Abs 2 S 3 S[X.]. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihren Entschädigungsanspruch nach dem [X.] auf zahlreiche schädigende Vorgänge stützt. Demnach ist der Streitgegenstand derart teilbar, dass die Zulässigkeit und Begründetheit der Revision für jeden durch einen abgrenzbaren Sachverhalt bestimmten Teil gesondert zu prüfen ist (vgl [X.] Urteil vom 18.5.2006 - [X.] V 2/05 R - [X.] 4-3100 § 1 [X.] 3). Dabei bietet es sich hier an, die verschiedenen Vorgänge in zwei Gruppen zusammenzufassen, nämlich einen über Jahre andauernden sexuellen Missbrauch und eine körperliche Misshandlung.

Hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs rügt die Klägerin eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 S[X.]) durch das [X.], weil das Gericht ihre Halbschwester nicht als [X.]zeugin vernommen habe. Als weitere Verletzung der Sachaufklärungspflicht betrachtet die Klägerin die Einholung und Verwertung eines aussagepsychologischen Gutachtens durch das [X.], und zwar auch in Bezug auf die behauptete einmalige schwere körperliche Misshandlung durch ihren Vater. Als Verletzung der Sachaufklärungspflicht und Überschreitung der Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung rügt die Klägerin, dass das [X.] entgegen dem erstinstanzlich eingeholten psychiatrischen Gutachten nicht davon ausgegangen sei, dass aus der Art ihrer jetzigen Erkrankung auf sexuellen Missbrauch in der Kindheit und Jugend rückgeschlossen werden könne. Die Grenzen der richterlichen Beweiswürdigung habe das [X.] auch im Rahmen von ihm so bezeichneter eigener Erwägungen überschritten. Insgesamt rügt die Klägerin zusätzlich eine Verletzung des materiellen Beweisrechts, weil sich das [X.] bei Anwendung des § 15 [X.] nicht an die danach geltenden Grundsätze der Glaubhaftmachung gehalten habe.

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des [X.] und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 S 2 S[X.]), soweit das Berufungsurteil einen Anspruch der Klägerin auf [X.] wegen Folgen sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter betrifft. Hinsichtlich geltend gemachter Folgen einer schweren körperlichen Misshandlung durch den Vater führt die Revision insoweit zu einer Änderung des Urteils des [X.], als die darauf bezogene zweitinstanzlich erhobene Klage abgewiesen wird.

Stillschweigend aber zutreffend ist das [X.] davon ausgegangen, dass bereits während des Berufungsverfahrens ein [X.] kraft Gesetzes stattgefunden hat und seit dem 1.1.2008 der beklagte Landschaftsverband passiv legitimiert ist (vgl hierzu [X.] Urteil vom [X.] [X.] - [X.]E 106, 91 = [X.] 4-3800 § 1 [X.] 17, Rd[X.] 20 [X.]). Denn § 4 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der [X.] in die allgemeine Verwaltung (= Art 1 Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in [X.] vom 30.10.2007, GVBl [X.] 482) hat die den [X.]n übertragenen Aufgaben des [X.] Entschädigungsrechts einschließlich der Kriegsopferversorgung mit Wirkung zum 1.1.2008 auf die Landschaftsverbände übertragen. Der [X.] hat bereits mehrfach entschieden, dass die Verlagerung der Zuständigkeit für die Aufgaben der Kriegsopferversorgung, der Soldatenversorgung sowie der Opferentschädigung auf die kommunalen Landschaftsverbände in [X.] nicht gegen höherrangiges Bundesrecht, insbesondere nicht gegen Vorschriften des [X.] verstößt (vgl hierzu Urteile vom 11.12.2008 - [X.] VS 1/08 R - [X.]E 102, 149 = [X.] 4-1100 Art 85 [X.] 1, Rd[X.] 21, und - [X.] V 3/07 R - Juris Rd[X.] 22; vom [X.] - [X.] [X.] - Juris Rd[X.] 24; vom [X.] - [X.] [X.] - [X.]E 104, 245 = [X.] 4-3100 § 60 [X.] 6, Rd[X.] 26). Diese Übertragung hat zur Folge, dass allein der im Laufe des Verfahrens zuständig gewordene Rechtsträger die von der Klägerin beanspruchte Leistung gewähren kann, sodass sich die von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 und [X.] S[X.]) ab 1.1.2008 gemäß § 6 Abs 1 [X.] gegen den für die Klägerin örtlich zuständigen [X.] zu richten hat.

Obwohl auch der Revisionsantrag der Klägerin auf die Bewilligung einer "Opferentschädigung" gerichtet ist, legt der [X.] den erhobenen Anspruch im wohlverstandenen Interesse der Klägerin dahin aus, dass diese die Gewährung von [X.] begehrt (vgl § 123 S[X.]). Der wörtlich gestellte Leistungsantrag wäre nämlich unzulässig. Zwar kann im sozialgerichtlichen Verfahren die Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 [X.] S[X.] auf jede nach dem materiellen Recht vorgesehene Leistung gerichtet werden. Die beanspruchte Leistung muss indes genau bezeichnet werden ([X.] Urteil vom 17.7.2008 - [X.]/9a [X.] - [X.] 4-3200 § 81 [X.] 5). Der Begriff Opferentschädigung betrifft aber keine bestimmte Leistung, sondern umfasst alle nach dem [X.] in Verbindung mit dem [X.] zur Verfügung stehenden Leistungen (vgl § 1 Abs 1 [X.] iVm § 9 [X.]). Selbst wenn nach den Umständen des Falles als "Opferentschädigung" nur Geldleistungen in Betracht kämen, kann nach der Rechtsprechung des [X.]s ein dann immer noch zu unbestimmter Ausspruch nicht Gegenstand eines Grundurteils nach § 130 S[X.] sein (Urteil vom 20.10.1999 - [X.] [X.] R - USK 99140 S 816 f; Urteil vom [X.] - [X.] [X.]/00 R - [X.]E 88, 240, 246 f = [X.] 3-3800 § 1 [X.] 20 S 90; Urteil vom 2.10.2008 - [X.] [X.] - Juris Rd[X.] 12).

Soweit das [X.] erstmals über einen Anspruch der Klägerin nach dem [X.]/[X.] wegen der Folgen einer einmaligen schweren körperlichen Misshandlung durch ihren Vater entschieden hat, handelt es sich um eine Entscheidung über eine erst im Laufe des Berufungsverfahrens erhobene Klage. Diese Klage ist schon deshalb unzulässig, weil über den Anspruch insoweit noch keine Verwaltungsentscheidung vorliegt. Das [X.] hat sich mit diesem Streitpunkt nicht gesondert befasst. Insoweit ist das Urteil des [X.] klarstellend dahin abzuändern, dass diese Klage abgewiesen wird.

Für einen Anspruch der Klägerin auf eine [X.] nach dem [X.] iVm dem [X.] sind folgende rechtliche Grundsätze maßgebend:

Ein Entschädigungsanspruch nach dem [X.] setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs 1 S 1 [X.] gegeben sind (vgl hierzu [X.] Urteil vom [X.] - [X.] [X.] - Juris Rd[X.] 27 [X.]). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des [X.] durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des [X.]. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs 1 S 1 [X.] aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.

In [X.] - also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des [X.] ([X.]) und dem Inkrafttreten des [X.] (16.5.1976) - müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 S 2 [X.] iVm § 10a Abs 1 S 1 [X.] erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in der [X.] vom [X.] bis 15.5.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie (1.) allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und (2.) bedürftig sind und (3.) im Geltungsbereich des [X.] ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

Nach der Rechtsprechung des [X.]s ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 [X.] entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des [X.]) hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (stRspr seit 1995; vgl hierzu [X.] Urteil vom 7.4.2011 - [X.] [X.] - [X.]E 108, 97 = [X.] 4-3800 § 1 [X.] 18, Rd[X.] 32 [X.]). Dabei hat der erkennende [X.] je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben. Leitlinie des erkennenden [X.]s ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des [X.] ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der [X.] daher aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist er in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger bzw rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die [X.] in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (stRspr; vgl nur [X.] Urteil vom [X.] [X.] - [X.]E 106, 91 = [X.] 4-3800 § 1 [X.] 17, Rd[X.] 25 [X.]). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 [X.] durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein (vgl [X.] Urteil vom 7.4.2011 - [X.] [X.] - [X.]E 108, 97 = [X.] 4-3800 § 1 [X.] 18, Rd[X.] 36 [X.]).

In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der [X.] den Begriff des tätlichen Angriffs noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Für den [X.] ist allein entscheidend, dass die [X.], also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl [X.] Urteil vom [X.] [X.] - [X.]E 106, 91 = [X.] 4-3800 § 1 [X.] 17, Rd[X.] 28 [X.]). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 [X.] sein ([X.] Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - [X.]E 77, 7, 8 f = [X.] 3-3800 § 1 [X.] 6 S 23 f, und - 9 RVg 7/93 - [X.]E 77, 11, 13 = [X.] 3-3800 § 1 [X.] 7 S 28 f). Diese erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des [X.] und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des [X.] geboten. Eine Erstreckung dieses [X.] auf andere Fallgruppen hat das [X.] bislang abgelehnt (vgl [X.] Urteil vom 12.2.2003 - [X.] [X.] - [X.] 4-3800 § 1 [X.] 1 Rd[X.] 12).

Soweit Kinder Opfer körperlicher Gewalt ihrer Eltern werden, die die [X.] überschreitet, liegt regelmäßig eine Körperverletzung iS des § 223 StGB und damit auch ein tätlicher Angriff nach § 1 Abs 1 S 1 [X.] vor. Nach § 1631 Abs 2 BGB haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Daraus folgt jedoch nicht, dass jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet, als Gewalttat angesehen werden kann (Rademacker in [X.], Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 1 [X.] Rd[X.] 51). Auch insofern ist zu beachten, dass die erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs auf die Fälle sexuellen Missbrauchs von minderjährigen Kindern beschränkt ist. Anders als bei rein seelischen Misshandlungen liegen bei sexuellem Missbrauch Tätlichkeiten vor, die gegen den Körper des Kindes gerichtet sind.

Zum "Mobbing" als einem sich über längere [X.] hinziehenden Konflikt zwischen dem Opfer und Personen seines gesellschaftlichen Umfeldes hat der erkennende [X.] entschieden, dass bei einzelnen "Mobbing"-Aktivitäten die Schwelle zur strafbaren Handlung und somit zum kriminellen Unrecht überschritten sein kann; tätliche Angriffe liegen allerdings nur vor, wenn auf den Körper des Opfers gezielt eingewirkt wird, wie zB durch einen [X.]ritt ([X.] Urteil vom 14.2.2001 - [X.] [X.] - [X.]E 87, 276, 278 = [X.] 3-3800 § 1 [X.] 18 S 72).

Auch in Fällen der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt, in denen es unter Umständen an einer besonderen Kraftentfaltung gegen den Körper einer anderen Person bzw an einem beabsichtigten [X.] gänzlich fehlt, ist maßgeblich auf das Kriterium der objektiven Gefahr für Leib und Leben des Opfers abzustellen. Die Grenze der [X.] hinsichtlich des Begriffs des tätlichen Angriffs sieht der [X.] jedenfalls dann erreicht, wenn sich die auf das Opfer gerichtete Einwirkung - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellt und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielt (vgl [X.] Urteil vom 7.4.2011 - [X.] [X.] - [X.]E 108, 97 = [X.] 4-3800 § 1 [X.] 18, Rd[X.] 44 [X.]). So ist beim "[X.]" die Grenze zum tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 [X.] - ungeachtet ggf einschlägiger Straftatbestände nach dem StGB - erst überschritten, wenn die Tat durch Mittel körperlicher Gewalt gegen das Opfer begangen und/oder der rechtswidrig herbeigeführte Zustand mittels Tätlichkeiten aufrechterhalten wird (vgl [X.] Urteil vom 7.4.2011 - [X.] [X.] - [X.]E 108, 97 = [X.] 4-3800 § 1 [X.] 18, Rd[X.] 69 [X.]).

Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das [X.] Entschädigungsrecht, also auch das [X.], drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang hier: tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen) des [X.]. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs 3 [X.] die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 S 1 [X.], der gemäß § 6 Abs 3 [X.] anzuwenden ist, sind hinsichtlich des schädigenden Vorgangs bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

Für den [X.] muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der [X.] keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], S[X.], 10. Aufl 2012, § 128 Rd[X.] 3b [X.]). Daraus folgt, dass auch dem [X.] gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten ([X.] Urteil vom 24.11.2010 - [X.] AL 35/09 R - Juris Rd[X.] 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], S[X.], 10. Aufl 2012, § 128 Rd[X.] 3b [X.]).

Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit iS des § 1 Abs 3 S 1 [X.] ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl [X.] Beschluss vom [X.] - [X.] V 23/01 B - [X.] 3-3900 § 15 [X.] 4 S 14 [X.]). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.

Bei dem "Glaubhafterscheinen" iS des § 15 S 1 [X.] handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], S[X.], 10. Aufl 2012, § 128 Rd[X.] 3d [X.]), dh der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl [X.] Beschluss vom [X.] - [X.] V 23/01 B - [X.] 3-3900 § 15 [X.] 4 S 14 f [X.]). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, dh es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], S[X.], 10. Aufl 2012, § 128 Rd[X.] 3d [X.]), weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen [X.] reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die [X.] zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die [X.] als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs 1 S 1 S[X.]; vgl [X.] Beschluss vom [X.] - [X.] V 23/01 B - [X.] 3-3900 § 15 [X.] 4 [X.]).

Soweit die Klägerin [X.] nach dem [X.] wegen der Folgen sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter beansprucht, ist dem [X.] eine abschließende Entscheidung unmöglich. Entgegen der bisherigen Diktion auch des [X.] ist nicht zwischen einem sexuellen Missbrauch durch den Stiefvater und einer sexuellen Belästigung durch den Vater zu unterscheiden, sondern einheitlich von einem sexuellen Missbrauch zu sprechen. Denn strafrechtlich wird so nicht differenziert. Hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs von Kindern (Personen unter vierzehn Jahren) setzt § 176 StGB "sexuelle Handlungen" voraus. Ebenso stellt § 177 StGB betreffend andere Personen "sexuelle Handlungen" unter Strafe. Als solche werden alle Einwirkungen auf ein Kind oder eine über vierzehn Jahre alte Person verstanden, die mit sexuell bezogenem Körperkontakt einhergehen (s [X.], StGB, 59. Aufl 2012, § 177 Rd[X.] 49), sodass darunter auch die bisher als sexuelle Belästigung bezeichneten Handlungen des [X.] der Klägerin fallen. Die von der Klägerin ihrem Stiefvater und ihrem Vater zur Last gelegten schädigenden Vorgänge werden zwar von § 1 Abs 1 S 1 [X.] erfasst. Es fehlen jedoch hinreichende verwertbare Tatsachenfeststellungen.

Den behaupteten sexuellen Missbrauch durch den Stiefvater und später durch den Vater der Klägerin hat das [X.] nicht als nachgewiesen erachtet. Diese Beurteilung vermag der [X.] nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht zu bestätigen. Denn sie beruht auf einer Auslegung des § 15 S 1 [X.], die der [X.] nicht teilt.

Nach § 15 S 1 [X.] sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 [X.] ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind (vgl grundlegend [X.] Urteil vom [X.] - 9 RVg 3/89 - [X.]E 65, 123, 125 = [X.] 1500 § 128 [X.] 39 S 46). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 S 1 [X.] sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (vgl §§ 383 ff ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 S 1 [X.] bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 [X.] gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen [X.] gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind (vgl bereits [X.] Beschluss vom 28.7.1999 - [X.] [X.] B - Juris Rd[X.] 6).

Diesen Kriterien hat das [X.] zwar Rechnung getragen, indem es eine Anwendbarkeit des § 15 S 1 [X.] angenommen hat. Der Anwendung dieser Vorschrift steht hier auch nicht der Umstand entgegen, dass das [X.] verpflichtet war, die von der Klägerin benannte Zeugin [X.] zu vernehmen, denn diese ist nicht als Tatzeugin, sondern als [X.]zeugin benannt worden. Die Verpflichtung zu ihrer Vernehmung folgt indes aus § 103 S[X.], denn ausgehend von seiner materiellen Rechtsansicht zur Anwendbarkeit des § 15 [X.] hätte sich das [X.] zu deren Vernehmung gedrängt fühlen müssen. Die Angaben der Zeugin [X.] sind nämlich von erheblicher Relevanz im Rahmen der Prüfung einer Glaubhaftmachung des sexuellen Missbrauchs der Klägerin durch ihren Stiefvater [X.] Nach den tatsächlichen Feststellungen des [X.] über ein Ermittlungsverfahren gegen [X.] wegen eines sexuellen Missbrauchs seiner eigenen Tochter könnte es sich bei der Zeugin um die Tochter des [X.] handeln, die möglicherweise selbst von diesem sexuell missbraucht worden ist. Ihren Angaben kann somit auch hinsichtlich des behaupteten sexuellen Missbrauchs der Klägerin durch [X.] erhebliche Bedeutung zukommen.

Obwohl das [X.] den § 15 S 1 [X.] herangezogen hat, lassen seine Ausführungen nicht hinreichend deutlich erkennen, dass es dabei den von dieser Vorschrift eröffneten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung zugrunde gelegt hat. Aus der einschränkungslosen Bezugnahme auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen D. vom [X.] lässt sich eher der Schluss ziehen, dass das [X.] insoweit einen unzutreffenden, nämlich zu strengen Beweismaßstab angewendet hat. Diese Sachlage gibt dem [X.] Veranlassung, grundsätzlich auf die Verwendung von sog [X.] in Verfahren betreffend Ansprüche nach dem [X.] einzugehen.

Die Einholung und Berücksichtigung psychologischer [X.] ist im [X.] Entschädigungsrecht nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze für die Einholung von Sachverständigengutachten zulässig.

Grundsätzlich steht das Ausmaß von Ermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Einen Sachverständigen bestellt das Gericht, wenn es selbst nicht über ausreichende Sachkunde verfügt (vgl dazu [X.] in [X.]/[X.]/[X.], S[X.], 10. Aufl 2012, § 118 Rd[X.] 11b). Dies gilt auch für die Einholung eines sog [X.]s. Dabei handelt es sich um eine aussagepsychologische Begutachtung, deren Gegenstand die Beurteilung ist, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, dh einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl grundlegend [X.] Urteil vom [X.] - 1 [X.] - [X.]St 45, 164, 167). Da eine solche Beurteilung an sich zu den Aufgaben eines Tatrichters gehört, kommt die Einholung eines [X.]s nur ausnahmsweise in Betracht (vgl [X.] aaO, 182; [X.] Urteil vom 16.5.2002 - 1 StR 40/02 - Juris Rd[X.] 22). Ob eine derartige Beweiserhebung erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Hinzuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen kann insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson (Zeuge, Beteiligter) und deren Behandlung beeinflusst sein können (vgl dazu [X.] Beschluss vom 7.4.2011 - [X.] [X.]5/10 B - Juris Rd[X.] 6; Beschluss vom 24.5.2012 - [X.] V 4/12 B - [X.] 4-1500 § 103 [X.] 9 = Juris Rd[X.] 22). Die Entscheidung, ob eine solche Fallgestaltung vorliegt und ob daher ein [X.] einzuholen ist, beurteilt und trifft das [X.] im Rahmen der Amtsermittlung nach § 103 S[X.]. [X.] seine Entscheidung auf einem hinreichenden Grund, so ist deren Überprüfung dem Revisionsgericht entzogen (vgl [X.] Beschluss vom 24.5.2012 - [X.] V 4/12 B - [X.] 4-1500 § 103 [X.] 9 = Juris Rd[X.] 20, 23).

Von Seiten des Gerichts muss im Zusammenhang mit der Einholung, vor allem aber mit der anschließenden Würdigung eines [X.]s stets beachtet werden, dass sich die psychologische Begutachtung von Aussagen nicht darauf beziehen kann, Angaben über die Faktizität eines Sachverhalts zu machen. Möglich ist lediglich herauszufinden, ob sich Aussagen auf Erlebtes beziehen, dh einen Erlebnishintergrund haben. Darüber hinaus besteht die Kompetenz und damit auch die Aufgabe des Sachverständigen darin abzuklären, ob sich dieser Erlebnishintergrund in der sog Wachwirklichkeit befindet, anstatt auf Träumen, Halluzinationen oder Vorstellungen zu beruhen. Ausschließlich auf diesen Aspekt des [X.] einer Aussage kann sich die Glaubhaftigkeitsbegutachtung beziehen ([X.]/[X.]/Fabian/[X.]/Fabian/[X.]/[X.], Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, [X.], 49). In einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung trifft der Sachverständige erfahrungswissenschaftlich gestützte Feststellungen zu Erlebnishaltigkeit und Zuverlässigkeit von Sachverhaltskonstruktionen, die ein Zeuge oder ein Beteiligter vorträgt. Durch das Gutachten vermittelt er dem Gericht daher auf den Einzelfall bezogene wissenschaftliche Erkenntnisse und stellt diesem aufgrund von Befundtatsachen wissenschaftlich gestützte Schlussfolgerungen zur Verfügung ([X.]/[X.]/Fabian/[X.]/Fabian/[X.]/[X.], Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, [X.] f). Die umfassende rechtliche Würdigung dieser Feststellungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen obliegt sodann dem Gericht.

Aus den Ausführungen in dem Urteil des [X.] [X.] vom [X.] (- L 10 [X.]3/06 - Juris Rd[X.] 25) ergeben sich keine Hinweise auf die Unzulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von [X.] in sozialrechtlichen Verfahren. Vielmehr hat das [X.] [X.] hierbei lediglich die Amtsermittlung des erstinstanzlichen Gerichts gerügt, das anstelle der Vernehmung der durch die dortige Klägerin benannten Zeugen ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte (ua mit der Beweisfrage "Steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - dh es darf kein [X.] Zweifel bestehen - fest, dass die Klägerin Opfer sexuellen Missbrauchs - in welchem [X.]raum, in welcher Weise - geworden ist?"; Juris Rd[X.] 9). Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen nachvollziehbar, wenn das [X.] [X.] zum einen die Vernehmung der Zeugen gefordert und zum anderen festgestellt hat, dass die an die Sachverständigen gestellte Frage keinem Beweis durch ein medizinisches oder aussagepsychologisches Sachverständigengutachten zugänglich sei, sondern dass das Gericht diese Tatsache selbst aufzuklären habe. Ausdrücklich zu aussagepsychologischen Gutachten hat das [X.] [X.] ferner zutreffend festgestellt, auch bei diesen dürfe dem Sachverständigen nicht die Entscheidung überlassen werden, ob eine behauptete Tat stattgefunden habe oder nicht. Vielmehr dürfe dieser nur beurteilen, ob aussagepsychologische Kriterien für oder gegen den Wahrheitsgehalt der Angaben Betroffener sprächen und/oder ob die Aussagen und Erklärungen möglicherweise trotz subjektiv wahrheitsgemäßer Angaben nicht auf eigenen tatsächlichen Erinnerungen der Betroffenen beruhten ([X.] [X.], aaO, Juris Rd[X.] 25 [X.]). Aus diesen Ausführungen lässt sich nicht der Schluss ziehen, das [X.] [X.] gehe grundsätzlich davon aus, dass in sozialrechtlichen Verfahren keine [X.] eingeholt und berücksichtigt werden könnten.

Für die Erstattung von [X.] gelten auch im Bereich des [X.] Entschädigungsrechts zunächst die Grundsätze, die der [X.] in der Entscheidung vom [X.] (1 [X.] - [X.]St 45, 164) dargestellt hat. Mit dieser Entscheidung hat der [X.] die wissenschaftlichen Standards und Methoden für die psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen zusammengefasst. Nicht das jeweilige Prozessrecht schafft diese Anforderungen (zum Straf- und Strafprozessrecht: Fabian/[X.]/[X.], [X.] 1996, 347 f), vielmehr handelt es sich hierbei um wissenschaftliche Erkenntnisse der Aussagepsychologie (vgl [X.], NJ 1999, 603), die [X.] allgemein zu beachten haben, damit diese überhaupt belastbar sind und verwertet werden können (so auch [X.] Beschluss vom [X.] - NStZ 2001, 45 f; vgl grundlegend hierzu [X.]/[X.]/Fabian/[X.]/Fabian/[X.]/ [X.], Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, [X.] ff; [X.], Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, [X.] ff). Die grundsätzlichen wissenschaftlichen Anforderungen an [X.] stellen sich wie folgt dar (vgl zum Folgenden [X.] Urteil vom [X.] - 1 [X.] - [X.]St 45, 164, 167 ff [X.]; basierend ua auf dem Gutachten von Steller/[X.], wiedergegeben in Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46 ff):

Bei der psychologischen Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen besteht das methodische Grundprinzip darin, einen zu überprüfenden Sachverhalt (hier: Glaubhaftigkeit einer bestimmten Aussage) so lange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist. Der wissenschaftlich ausgebildete psychologische Sachverständige arbeitet (gedanklich) also zunächst mit der Unwahrannahme als sog [X.] (Steller/[X.], Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46, 61; den Begriff der [X.] sowie das Ausgehen von dieser kritisierend [X.]/[X.], Streit 2000, 65, 67 f). Der Sachverständige bildet dazu neben der "Wirklichkeitshypothese" (die Aussage ist mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert) die Gegenhypothese, die Aussage sei unwahr. Bestehen mehrere Möglichkeiten, aus welchen Gründen eine Aussage keinen Erlebnishintergrund haben könnte, hat der Sachverständige bezogen auf den konkreten Einzelfall passende Null- bzw [X.] zu bilden (vgl beispielhaft hierzu [X.]/[X.]/Fabian/[X.]/Fabian/[X.]/ [X.], Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, [X.] f; ebenso, zudem mit den jeweiligen diagnostischen Bezügen [X.], [X.] 2000, [X.], 61 ff). Die Bildung relevanter, also auf den jeweiligen Einzelfall abgestimmter Hypothesen ist von ausschlaggebender Bedeutung für Inhalt und (methodischen) Ablauf einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung. Sie stellt nach wissenschaftlichen Prinzipien einen wesentlichen, unerlässlichen Teil des [X.] dar. Im weiteren Verlauf hat der Sachverständige jede einzelne Alternativhypothese darauf zu untersuchen, ob diese mit den erhobenen Fakten in Übereinstimmung stehen kann; wird dies für sämtliche Null- bzw [X.] verneint, gilt die Wirklichkeitshypothese, wonach es sich um eine wahre Aussage handelt.

Die zentralen psychologischen Konstrukte, die den Begriff der Glaubhaftigkeit - aus psychologischer Sicht - ausfüllen und somit die Grundstruktur der psychodiagnostischen Informationsaufnahme und -verarbeitung vorgeben, sind Aussagetüchtigkeit (verfügt die Person über die notwendigen kognitiven Grundvoraussetzungen zur Erstattung einer verwertbaren Aussage?), [X.] (weist die Aussage Merkmale auf, die in erlebnisfundierten Schilderungen zu erwarten sind?) sowie [X.] (liegen potentielle Störfaktoren vor, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Aussage begründen können?). Erst wenn die Aussagetüchtigkeit bejaht wird, kann der mögliche Erlebnisbezug der Aussage unter Berücksichtigung ihrer Qualität und Validität untersucht werden ([X.]/[X.]/Fabian/[X.]/Fabian/[X.]/[X.], Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, [X.]; zur eventuell erforderlichen Hinzuziehung eines Psychiaters zur Bewertung der Aussagetüchtigkeit [X.], [X.] 2003, 641 ff). Das abschließende gutachterliche Urteil über die Glaubhaftigkeit einer Aussage kann niemals allein auf einer einzigen Konstruktebene [X.] der [X.]) erfolgen, sondern erfordert immer eine integrative Betrachtung der Befunde in Bezug auf sämtliche Ebenen ([X.], [X.] 2000, [X.], 62).

Die wesentlichen methodischen Mittel, die der Sachverständige zur Überprüfung der gebildeten Hypothesen anzuwenden hat, sind die - die [X.] überprüfende - Aussageanalyse (Inhalts- und Konstanzanalyse) und die - die [X.] betreffende - Fehlerquellen-, Motivations- sowie Kompetenzanalyse. Welche dieser Analyseschritte mit welcher Gewichtung durchzuführen sind, ergibt sich aus den zuvor gebildeten Null- bzw [X.]; bei der Abgrenzung einer wahren Darstellung von einer absichtlichen Falschaussage sind andere Analysen erforderlich als bei deren Abgrenzung von einer subjektiv wahren, aber objektiv nicht zutreffenden, auf Scheinerinnerungen basierenden Darstellung (vgl hierzu [X.], Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 17 ff).

Diese [X.] müssen nicht in einer bestimmten Prüfungsstrategie angewendet werden und verlangen keinen vom Einzelfall losgelösten, schematischen Gutachtenaufbau. Die einzelnen Elemente der Begutachtung müssen auch nicht nach einer bestimmten Reihenfolge geprüft werden (vgl [X.] Beschluss vom [X.] - NStZ 2001, 45 f). Es ist vielmehr ausreichend, wenn sich aus einer Gesamtbetrachtung des Gutachtens ergibt, dass der Sachverständige das dargestellte methodische Grundprinzip angewandt hat. Vor allem muss überprüfbar sein, auf welchem Weg er zu seinen Ergebnissen gelangt ist.

Die aufgrund der dargestellten methodischen Vorgehensweise, insbesondere aufgrund des Ausgehens von der sog [X.], vorgebrachten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von [X.] in sozialgerichtlichen Verfahren (vgl hierzu [X.] Urteil vom 30.6.2008 - [X.] [X.]6/06 - Juris Rd[X.] 33 [X.]; [X.] Berlin-Brandenburg Urteil vom [X.] - Juris Rd[X.] 36; [X.] Rheinland-Pfalz Urteil vom [X.] [X.]3/09 - Juris Rd[X.] 44 ff; offenlassend, aber Zweifel an der Anwendbarkeit der [X.] äußernd [X.] Baden-Württemberg Urteil vom 15.12.2011 - L 6 VG 584/11 - [X.]/SGB 2012, 203, 206) überzeugen nicht.

Nach derzeitigen Erkenntnissen gibt es für einen psychologischen Sachverständigen keine Alternative zu dem beschriebenen Vorgehen. Der Erlebnisbezug einer Aussage ist nicht anders als durch systematischen Ausschluss von [X.] zur Wahrannahme zu belegen ([X.], Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, [X.], 22). Nach dem gegenwärtigen psychologischen Kenntnisstand kann die Wirklichkeitshypothese selbst nicht überprüft werden, da eine erlebnisbasierte Aussage eine hohe, aber auch eine niedrige [X.] haben kann. Die Prüfung hat daher an der Unwahrhypothese bzw ihren möglichen Alternativen anzusetzen. Erst wenn sämtliche Unwahrhypothesen ausgeschlossen werden können, ist die Wahrannahme belegt (vgl [X.], Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, [X.]). Zudem hat diese Vorgehensweise zur Folge, dass sämtliche Unwahrhypothesen geprüft werden, womit ein ausgewogenes Analyseergebnis erzielt werden kann (Schoreit, [X.] 2004, 284, 286).

Es ist zutreffend, dass dieses methodische Vorgehen ein recht strenges Verfahren der Aussageprüfung darstellt (so auch [X.]/[X.]/Fabian/[X.]/Fabian/[X.]/[X.], Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, [X.]5), denn die Tatsache, dass eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, bedeutet nicht zwingend, dass diese Hypothese tatsächlich zutrifft. Gleichwohl würde das Gutachten in einem solchen Fall zu dem Ergebnis gelangen, dass eine wahre Aussage nicht belegt werden kann. Insoweit korrespondieren das methodische Grundprinzip der Aussagepsychologie und die rechtlichen Anforderungen in Strafverfahren besonders gut miteinander (vgl dazu [X.], aaO [X.]). Denn auch die Unschuldsvermutung hat zugunsten des Angeklagten bis zum Beweis des Gegenteils zu gelten. Durch beide Prinzipien soll auf jeden Fall vermieden werden, dass eine tatsächlich nicht zutreffende Aussage als glaubhaft klassifiziert wird. Zwar soll möglichst auch der andere Fehler unterbleiben, dass also eine wahre Aussage als nicht zutreffend bewertet wird. In Zweifelsfällen gilt aber eine klare Entscheidungspriorität (vgl [X.], aaO): Bestehen noch Zweifel hinsichtlich einer Unwahrhypothese, kann diese also nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, so gilt der Erlebnisbezug der Aussage als nicht bewiesen und die Aussage als nicht glaubhaft.

Diese Konsequenz führt nicht dazu, dass [X.] im sozialrechtlichen Entschädigungsverfahren nach dem [X.] als Beweismittel schlichtweg ungeeignet sind. Soweit der [X.] gilt, ist damit die Anwendung dieser methodischen Prinzipien der Aussagepsychologie ohne Weiteres zu vereinbaren. Denn dabei gilt eine Tatsache erst dann als bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Bestehen in einem solchen Verfahren noch Zweifel daran, dass eine Aussage erlebnisfundiert ist, weil eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, geht dies zu Lasten des [X.] bzw der Klägerin (von der Zulässigkeit von [X.] ausgehend [X.] Berlin-Brandenburg Urteil vom [X.] - L 11 VG 33/08 - Juris Rd[X.] 24 ff; [X.] [X.] Urteil vom [X.] (7) [X.]6/05 - Juris Rd[X.] 24; ebenso, jedoch bei Anwendung der Beweiserleichterung des § 15 S 1 [X.] Bayerisches [X.] Urteil vom 30.6.2005 - L 15 [X.]3/02 - Juris Rd[X.] 40; [X.] Niedersachsen-Bremen Urteil vom [X.] - L 13 [X.]/05 - Juris Rd[X.] 34 sowie Urteil vom 16.9.2011 - L 10 VG 26/07 - Juris Rd[X.] 38 ff).

Die grundsätzliche Bejahung der Beweiseignung von [X.] im [X.] Entschädigungsrecht wird auch dadurch gestützt, dass nach der dargestellten hypothesengeleiteten Methodik - unter Einschluss der sog [X.] - erstattete Gutachten nicht nur in Strafverfahren Anwendung finden, sondern auch in Zivilverfahren (vgl [X.] Beschluss vom 24.6.2003 - [X.] - NJW 2003, 2527, 2528 f; [X.] Urteil vom 13.7.2011 - 1 U 32/08 - Juris Rd[X.] 50 ff) und in arbeitsrechtlichen Verfahren (vgl [X.] Urteil vom 20.7.2011 - 26 Sa 1269/10 - Juris Rd[X.] 64 ff). In diesen Verfahren ist der [X.] der anspruchsbegründenden Tatsachen bzw der Voraussetzungen für einen Kündigungsgrund (zumeist eine erhebliche Pflichtverletzung) ebenfalls erforderlich.

Soweit allerdings nach Maßgabe des § 15 S 1 [X.] eine Glaubhaftmachung ausreicht, ist ein nach der dargestellten Methodik erstelltes [X.] nicht ohne Weiteres geeignet, zur Entscheidungsfindung des Gerichts beizutragen. Das folgt schon daraus, dass es im Rahmen des § 15 S 1 [X.] ausreicht, wenn die Möglichkeit, dass die Angaben des Antragstellers zutreffen, als die wahrscheinlichste angesehen werden kann, während ein aussagepsychologischer Sachverständiger diese Angaben erst dann als glaubhaft ansieht, wenn er alle [X.] ausschließen kann. Da ein sachgerecht erstelltes [X.] den [X.] ermöglichen soll, muss ein für die Auskunftsperson ungünstiges Ergebnis eines solchen Gutachtens nicht bedeuten, dass die betreffenden Angaben nicht iS des § 15 S 1 [X.] als glaubhaft erscheinen können.

Will sich ein Gericht auch bei Anwendung des § 15 S 1 [X.] eines aussagepsychologischen Gutachtens bedienen, so hat es den Sachverständigen mithin auf den insoweit geltenden Beweismaßstab hinzuweisen und mit ihm zu klären, ob er sein Gutachten nach den insoweit maßgebenden Kriterien erstatten kann. Dabei sind auch die [X.] entsprechend zu fassen. Im Falle von Glaubhaftigkeitsbegutachtungen lautet die übergeordnete psychologische Untersuchungsfragestellung: "Können die Angaben aus aussagepsychologischer Sicht als mit (sehr) hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert klassifiziert werden?" ([X.]/[X.]/Fabian/[X.]/ Fabian/[X.]/[X.], Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, [X.]). Demgegenüber sollte dann, wenn eine Glaubhaftmachung ausreicht, darauf abgestellt werden, ob die Angaben mit relativer Wahrscheinlichkeit als erlebnisfundiert angesehen werden können.

Damit das Gericht den rechtlichen Begriff der Glaubhaftmachung in eigener Beweiswürdigung ausfüllen kann und nicht durch die Feststellung einer Glaubhaftigkeit seitens des Sachverständigen festgelegt ist, könnte es insoweit hilfreich sein, dem Sachverständigen aufzugeben, solange systematisch und unvoreingenommen nach Fakten zu den verschiedenen Hypothesen zu suchen, bis sich ein möglichst klarer Unterschied in ihrer Geltungswahrscheinlichkeit bzw praktischen Gewissheit ergibt (für eine solche Vorgehensweise im Asylverfahren vgl [X.]/[X.], Schriftenreihe des [X.], [X.], 2001, [X.], 184). Denn dem [X.] ist am ehesten gedient, wenn der psychologische Sachverständige im Rahmen des Möglichen die Wahrscheinlichkeiten bzw [X.] für die unterschiedlichen Hypothesen darstellt.

Diesen Maßgaben wird das Berufungsurteil nicht gerecht. Das [X.] hat sich bei seiner Verneinung einer Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin nach § 15 S 1 [X.] ohne Weiteres auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen D. vom [X.] gestützt. Dieses [X.] ist vom [X.] zu den Fragen eingeholt worden:

Ist die Aussage der Klägerin bezüglich der dargelegten schädigenden Ereignisse (Missbrauch durch den Stiefvater [X.] 1961 - 1962; Missbrauch durch den Vater 1963 - 1967) glaubhaft? Wenn ja, auf welchen aussagepsychologischen Kriterien beruht die Glaubhaftigkeit zu den unmittelbaren schädigenden Ereignissen? Wenn nein, nach welchen aussagepsychologischen Kriterien ist die Glaubhaftigkeit für die unmittelbaren schädigenden Ereignisse nicht erreicht oder auszuweisen?

Ein Hinweis auf den im Rahmen des § 15 S 1 [X.] geltenden Beweismaßstab der Glaubhaftmachung ist dabei nach Aktenlage nicht erfolgt. Dementsprechend lässt das Gutachten der Sachverständigen D. nicht erkennen, dass sich diese der daraus folgenden Besonderheiten bewusst gewesen ist. Vielmehr hat die Sachverständige in dem Abschnitt 3 ("Methodik der Begutachtung und Hypothesenbildung") festgestellt, dass es sich bei der Glaubhaftigkeitsbeurteilung um einen Hypothesen geleiteten Prüfprozess handele ("[X.]" und "[X.]"). Dabei hat die Sachverständige auf Veröffentlichungen von [X.] (Beurteilung von Aussagen über Traumata. Erinnerungen und ihre psychologische Bewertung - Forensisch-psychologische Praxis 2004 und [X.]/Steller, [X.], 2004) hingewiesen ([X.] f des Gutachtens).

Da das Berufungsurteil mithin bei der Anwendung des § 15 S 1 [X.] offenbar auf einer Tatsachenwürdigung beruht, der ein unzutreffender Beweismaßstab zugrunde liegt, vermag der erkennende [X.] die Beurteilung des [X.] zu diesem Punkt nicht zu bestätigen.

Auf dieser nicht tragfähigen Tatsachenwürdigung beruht die Entscheidung des [X.]. Das gilt auch in Anbetracht des Umstandes, dass das [X.] seine Auffassung von der fehlenden "Glaubhaftigkeit" der Behauptungen der Klägerin zusätzlich auf eigene Erwägungen gestützt hat. Denn diese Erwägungen tragen die Entscheidung des [X.] nicht allein. Vielmehr hat das [X.] diese Ausführungen nur ergänzend gemacht ("nicht nur auf das [X.], sondern auch auf eigene Erwägungen"), sodass das [X.] der Sachverständigen D. nach der Diktion des [X.] für dessen Tatsachenwürdigung maßgebend ist.

Der erkennende [X.] sieht sich zu einer Aufhebung des Berufungsurteils und einer Zurückverweisung der Sache an das [X.] veranlasst (§ 170 Abs 2 S 2 S[X.]), weil die jetzt nach zutreffenden [X.] vorzunehmenden Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigungen im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden können (§ 163 S[X.]).

Das [X.] wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 9 V 3/12 R

17.04.2013

Bundessozialgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: V

vorgehend SG Lüneburg, 8. November 2007, Az: S 11 VG 3/06, Urteil

§ 15 S 1 KOVVfG, § 128 Abs 1 S 1 SGG, § 103 SGG, § 170 Abs 2 S 2 SGG, § 383 ZPO, § 1 Abs 1 S 1 OEG, § 6 Abs 3 OEG, § 10 S 2 OEG, § 10a Abs 1 S 1 OEG, § 1 Abs 3 S 1 BVG, § 176 StGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 17.04.2013, Az. B 9 V 3/12 R (REWIS RS 2013, 6588)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6588

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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