Bundespatentgericht, Beschluss vom 22.09.2016, Az. 17 W (pat) 10/16

17. Senat | REWIS RS 2016, 5109

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Gegenstand

Patentbeschwerdeverfahren – "Anzeige- und Bedienvorrichtung für ein Kraftfahrzeug mit einer interaktiven Benutzerschnittstelle" – Rückzahlung der Beschwerdegebühr – unangemessene Sachbehandlung


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2007 005 027.7 - 53

hat der 17. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 22. September 2016 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.] Dipl.-Phys. [X.], der Richterin [X.] sowie [X.] und Dipl.-Ing. Hoffmann

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des [X.] vom 16. Dezember 2015 aufgehoben und das Patent mit folgenden Unterlagen erteilt:

Patentansprüche 1 bis 6 und

Beschreibung Seiten 1, 1a, 1b, 2 bis 10,

jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung,

2 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1 und 2 vom Anmeldetag.

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

Gründe

I.

1

Die vorliegende Patentanmeldung, welche die Priorität einer [X.] Voranmeldung vom 27. März 2006 in Anspruch nimmt, wurde am 1. Februar 2007 beim [X.] eingereicht. Sie trägt die Bezeichnung

2

„Anzeige- und Bedienvorrichtung für ein Kraftfahrzeug mit einer interaktiven Benutzerschnittstelle“.

3

[X.], [X.]) benannt, die der Anmeldung entgegenstünden. Daraufhin hat die Anmelderin neue Patentansprüche eingereicht. Zusammen mit der Ladung zur Anhörung hat die Prüfungsstelle die Anmelderin auf den mangelnden erfinderischen Gehalt dieser neuen Patentansprüche gegenüber der Druckschrift [X.] hingewiesen.

4

während der Anhörung, ohne die Anhörung zu unterbrechen, an seinem Computer im Dienstzimmer, in dem die Anhörung stattfand, nach weiterem Stand der Technik recherchiert. Der „Niederschrift über die Anhörung“ ist zu entnehmen, dass zwei Druckschriften ([X.], [X.]) neu benannt wurden. Trotzdem wurden die geltenden Patentansprüche schließlich als „voraussichtlich gewährbar“ bezeichnet. Die Anmelderin sollte lediglich noch Ansprüche und Beschreibungsseiten in Reinschrift einreichen. Dies hat sie am folgenden Tag getan.

5

[X.]) entgegengehalten. „Bei der Zusammenstellung der Erteilungsunterlagen“ sei die Prüfungsstelle auf diese Druckschrift aus der Recherche nach § 43 [X.] vom 25. September 2007 gestoßen, die „im Gegensatz zum [X.]“ (dort war sie nämlich mit „[X.]“ bezeichnet) „bereits ohne Kombination mit anderen Druckschriften“ dem nun geltenden Hauptanspruch entgegenstehe.

6

[X.] den Gegenstand des Hauptanspruchs nicht nahelegen könne und deshalb das Patentbegehren aus der Anhörung unverändert aufrechterhalten werde, recherchierte die Prüfungsstelle nochmals und hielt in einem neuen Bescheid nunmehr die Druckschrift [X.] als „neuheitsschädlich“ entgegen. Auch dieser Beurteilung widersprach die Anmelderin in einer Eingabe vom 10. Dezember 2015.

7

[X.] nahegelegt sei.

8

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde der Anmelderin gerichtet. Im [X.] vom 20. Januar 2016 bemängelt die Anmelderin zunächst die Verfahrensführung durch die Prüfungsstelle.

9

[X.] und [X.], in [X.] bzw. [X.], letztere mit 100 Ansprüchen), die er zunächst auf ihre Relevanz untersuchte und sodann dem Vertreter der Anmelderin entgegenhielt, ohne dass ihm jedoch eine Argumentation für fehlende Neuheit oder fehlende erfinderische Tätigkeit gelungen sei. Nachdem der Prüfer am Ende der Anhörung erklärt habe, dass die Patentansprüche voraussichtlich gewährbar seien, habe er im Bescheid vom 20. März 2015, also zwei Tage nach der Anhörung, erklärt, er sei bei der Zusammenstellung der Erteilungsunterlagen auf die Druckschrift [X.] aus dem [X.] vom 25. September 2007 gestoßen. Diese Druckschrift [X.] war jedoch im vorgelagerten Rechercheverfahren nach § 43 [X.] ermittelt worden und somit bereits bei Beginn des Prüfungsverfahrens aktenkundig.

[X.] als „neuheitsschädlich“ ins Verfahren eingeführt, den Zurückweisungsbeschluss jedoch mit fehlender erfinderischer Tätigkeit gegenüber [X.] begründet.

[X.] teilweise völlig falsch interpretiert habe (siehe z. B. [X.] Seite 13 Mitte „… erscheint vollständig abwegig“). Einige [X.] im Stand der Technik sowohl im Beschluss als auch während des Prüfungsverfahrens widersprächen dem technisch Vertretbaren und seien wie ein Ermessensfehlgebrauch zu beurteilen. Mit der Druckschrift [X.] lasse sich ein Naheliegen des Gegenstands des geltenden Hauptanspruchs nicht begründen. Aufgrund dessen, dass der Prüfer selbst im Beschluss seine Argumente, ohne sich unmittelbar in jedem Punkt mit den vorgebrachten Einwänden auseinanderzusetzen, erweitert und verändert habe, liege sogar eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor.

Die Anmelderin hat ihr Patentbegehren im Beschwerdeverfahren neu formuliert und eine angepasste Beschreibung eingereicht. Sie stellt den Antrag,

den angegriffenen Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

Patentansprüche 1 bis 6 und  Beschreibung Seiten 1, 1a, 1b, 2 bis 10, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung, 2 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1 und 2 vom Anmeldetag.

Außerdem beantragt sie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

Das geltende Patentbegehren (hier mit einer zusätzlichen Merkmalsgliederung für den Patentanspruch 1) lautet:

1. Anzeige- und Bedienvorrichtung (2) für ein Kraftfahrzeug (1)

(a) umfassend eine als Touchscreen ausgebildete Anzeigevorrichtung (3), eine mit der Anzeigevorrichtung (3) gekoppelte Steuereinheit (5) und eine Speichervorrichtung (6), wobei die Speichervorrichtung (6) Daten umfasst, mittels derer im Zusammenwirken mit der Steuereinheit (5) eine Benutzerschnittstelle zum Bedienen mindestens eines Fahrzeugsystems (13-16), einer Fahrzeugfunktion und/oder eines Dienstes umsetzbar ist,

(b) wobei mit der Steuereinheit (5) eine Positionsbestimmungseinheit (29) zum Ermitteln einer dreidimensionalen Position eines Betätigungselements, insbesondere eines Körperteils, eines Nutzers im Raum gekoppelt ist und die Benutzerschnittstelle ausgestaltet ist, interaktiv in Abhängigkeit der ermittelten Position beeinflusst zu werden

(c) und relativ zu einer Anzeigefläche (4) der Anzeigevorrichtung (3) in einem Erfassungs- oder Detektionsbereich der Positionsbestimmungseinheit (29) ein [X.] (30) definiert ist, innerhalb dessen eine Anwesenheit des Betätigungselements des Nutzers erkannt wird, wobei eine interaktive Reaktion der Benutzerschnittstelle beim Erkennen der Anwesenheit in dem [X.] (30) ausgelöst wird und wobei die Benutzerschnittstelle so ausgestaltet ist, dass eine auf der erfassten Anwesenheit des Betätigungselements beruhende interaktive Reaktion nur beim Erfassen des Betätigungselements in dem [X.] (30) stattfindet,

(d) wobei das [X.] (30) einen Raumbereich umfasst und eine Seitenfläche des [X.] angrenzend an die Anzeigefläche (4) parallel zu dieser ausgerichtet ist und diese überdeckt,

(e) wobei die Positionsbestimmungseinheit (29) ausgebildet ist, eine Position des Betätigungselements eindeutig einem von mehreren [X.] (38-42) des [X.]s (30) zuzuordnen, um eine positionsabhängige, differenzierte interaktive Beeinflussung der Benutzerschnittstelle zu ermöglichen, wobei die [X.] (38-42) Teilvolumina des [X.]s (30) sind und jeweils eine der Anzeigefläche (4) zugewandte, parallel zur Anzeigefläche (4) ausgerichtete Grundfläche (43-47) aufweisen, wobei die Grundflächen (43-47) die Anzeigefläche (4) segmentieren, wobei die interaktive Reaktion von der dem jeweiligen Segmentvolumen zugeordneten ermittelten Position abhängig ist,

(f) wobei das [X.] (30) [X.] in einem größeren Abstand von der Anzeigefläche (4) umfasst als die [X.] (38-42), wobei der Abstand entlang einer Flächennormalen der Anzeigefläche (4) gemessen wird, sodass das [X.] [X.] umfasst, die von keinem der [X.] umfasst sind.

2. Anzeige- und Bedienvorrichtung (2) nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die [X.] (38-42) parallelepipedförmig sind.

3. Anzeige- und Bedienvorrichtung (2) nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass das [X.] (30) parallelepipedförmig, vorzugsweise quaderförmig, ist.

4. Anzeige- und Bedienvorrichtung (2) nach einem der vorgenannten Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Positionsbestimmungseinheit (29) das Betätigungselement des Nutzers von einem weiteren Betätigungselement eines weiteren Nutzers unterscheiden kann und die [X.] interaktiv ausgestaltet ist.

5. Anzeige- und Bedienvorrichtung (2) nach einem der vorgenannten Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Positionsbestimmungseinheit (29) ausgestaltet ist, eine Anwesenheit des Betätigungselements und/oder des weiteren Betätigungselements in mindestens einem Nachbarvolumen (55, 56) zu dem [X.] (30) zu erfassen.

6. Anzeige- und Bedienvorrichtung (2) nach einem der vorgenannten Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das Betätigungselement des Nutzers ein einzeln ausgestreckter Finger ist.

Aufgabe zugrundeliegen, eine einfacher zu bedienende, an die Bedürfnisse eines Fahrers und/oder Beifahrers angepasste Anzeige- und Bedienvorrichtung für ein Kraftfahrzeug zu schaffen, die insbesondere eine Anzahl erforderlicher Betätigungshandlungen zum Auslösen einer Fahrzeugfunktion oder Bedienen eines Fahrzeugsystems oder Dienstes minimiert (siehe geltende Beschreibung Seite 1b unten, Seite 2 oben).

II.

Die rechtzeitig eingelegte und auch sonst zulässige Beschwerde hat Erfolg, da das nunmehr geltende Patentbegehren durch den bekannt gewordenen Stand der Technik nicht vorweggenommen oder nahegelegt ist und auch die übrigen Kriterien für eine Patenterteilung erfüllt sind ([X.] §§ 1 bis 5, § 34).

1. Die vorliegende Patentanmeldung betrifft eine Anzeige- und Bedienvorrichtung für ein Kraftfahrzeug mit einem Touchscreen zum Bedienen eines Fahrzeugsystems, einer Fahrzeugfunktion, eines Dienstes o. ä. (siehe [X.] [0001], [0020], [0021]).

Aufgrund des begrenzten Bauraums in einem Kraftfahrzeug ist die Größe des Touchscreens in der Regel begrenzt. Die Anmelderin beschreibt hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Anzeigefläche einen Ressourcenkonflikt, weil der Touchscreen zugleich zur [X.] und zur Bedienung verwendet werden soll, wofür in der Regel eine Einblendung von Bedienelementen erforderlich ist. Aus dem Stand der Technik sei es bekannt, zwischen einem Anzeigemodus, in dem bevorzugt Informationen dargestellt werden, und einem Bedienmodus, in dem virtuelle Bedienelemente und/oder Bedienelementzuordnungen dargestellt werden, durch eine bestimmte „Betätigungshandlung“ umzuschalten (siehe Absatz [0003]).

Um beispielsweise diese Umschaltung zu vereinfachen, bzw. ganz allgemein mehr Möglichkeiten zur Bedienung bereitzustellen, schlägt die Anmeldung i. W. vor, das Betätigungselement (wie etwa den Finger des Benutzers) bereits vor der Berührung des Touchscreens zu erfassen, so dass die Benutzerschnittstelle durch eine Annäherung des [X.] „interaktiv“ beeinflusst werden kann. Dazu wird vor der Anzeigefläche des Touchscreens ein „[X.]“ (30) definiert, das von einer Positionsbestimmungseinheit (29) überwacht wird. Zusätzlich ist das [X.] in mehrere [X.] unterteilt, die sich von der Anzeigefläche aus in den Raum vor dieser erstrecken. Die Positionsbestimmungseinheit ordnet das erfasste Betätigungselement eindeutig einem dieser [X.] zu, so dass die interaktive Beeinflussung von dem jeweiligen Segmentvolumen abhängig gemacht werden kann; d. h. abhängig von dem Teil-Raumbereich, in welchem der sich annähernde Finger erkannt wurde, können unterschiedliche Reaktionen der Benutzerschnittstelle, betreffend die Touchscreen-Darstellung und die Funktionsauslösung, erfolgen.

Fachmann, der mit der Aufgabe betraut wird, die Bedienung einer Anzeige- und Bedienvorrichtung für ein Kraftfahrzeug zu verbessern, sieht der Senat einen Entwicklungsingenieur der Elektrotechnik mit Fachhochschul-Abschluss und mehrjähriger Berufserfahrung an.

2. Das geltende Patentbegehren ist zulässig. Die nunmehr geltenden Patentansprüche und die überarbeitete Beschreibung bleiben innerhalb des Rahmens der ursprünglichen [X.]. Auch andere Mängel liegen nicht vor.

2.1 Alle Merkmale des geltenden Hauptanspruchs ergeben sich für den Fachmann aus den ursprünglich eingereichten Unterlagen.

(a) wörtlich dem Oberbegriff des ursprünglichen Patentanspruchs 1, Merkmal (b) seinem kennzeichnenden Teil.

(c) geht auf den ursprünglichen Anspruch 2 zurück, wobei die Einfügung, dass das [X.] (30) „in einem Erfassungs- oder Detektionsbereich der Positionsbestimmungseinheit (29)“ definiert ist, sich auf die ursprüngliche Beschreibung Seite 2 letzter Absatz, Satz 1 und Zeile 9, stützen kann. Die Streichung von „ausschließlich“ im letzten Nebensatz des Merkmals (c) („ausschließlich auf der erfassten Anwesenheit“) lässt sich damit begründen, dass sich aus der gesamten Anmeldung kein Anhaltspunkt ergibt, was dadurch, über das „nur beim Erfassen …“ in der Folgezeile hinaus, zusätzlich ausgeschlossen werden könnte.

(d) entspricht dem ursprünglichen Anspruch 3, jedoch ohne dessen Einschränkung auf die Form des Raumbereiches. Der Wegfall der Einschränkung ist bereits deshalb zulässig, weil die ursprünglichen, übergeordneten Patentansprüche 1 und 2 eine solche Einschränkung nicht enthielten.

(e) basiert auf dem ursprünglichen Anspruch 4. Der Zusatz „um eine positionsabhängige, differenzierte interaktive Beeinflussung der Benutzerschnittstelle zu ermöglichen“ geht zurück auf die ursprüngliche Beschreibung Seite 3 Absatz 3, ebenso wie der letzte Nebensatz des Merkmals „wobei die interaktive Reaktion von der dem jeweiligen Segmentvolumen zugeordneten ermittelten Position abhängig ist“ (abzuleiten aus der „differenzierten interaktiven Beeinflussung“, oder auch aus dem Beispiel auf Seite 8 Absatz 2 bis Seite 9 Absatz 1). Ferner wurde der falsche Begriff „Kernvolumen“ korrigiert.

(f) schließlich entspricht dem ursprünglichen Anspruch 6, unter Korrektur der offensichtlich falschen Bezeichnung „Kernvolumen (42)“. Die Ergänzung „sodass das [X.] [X.] umfasst, die von keinem der [X.] umfasst sind“ findet sich in der ursprünglichen Beschreibung Seite 4 Zeile 6 bis 8.

2.2 Auch die geltenden Unteransprüche verlassen den Rahmen der ursprünglichen [X.] nicht.

Die [X.] 2 und 3 enthalten [X.] der ursprünglichen Ansprüche 5 und 3 und sind auch der Figur 2 der Anmeldung entnehmbar.

Die [X.] 4, 5 und 6 entsprechen fast wörtlich den ursprünglichen [X.]n 7, 8 und 9, mit zwei redaktionellen Korrekturen und der Beschränkung des Anspruchs 6 auf die „bevorzugteste“ Ausführungsform.

2.3 Die Patentansprüche sind geeignet, klar und deutlich anzugeben, was durch sie unter Schutz gestellt werden soll. An der Ausführbarkeit der beanspruchten Lehre bestehen keine Zweifel.

2.4 Die Beschreibung wurde in zulässiger Weise daran angepasst, unter Berücksichtigung des als nahekommend anzusehenden Standes der Technik (siehe Folgeabschnitt).

3. Der Gegenstand des geltenden Hauptanspruchs ist durch den entgegengehaltenen Stand der Technik weder vorweggenommen noch nahegelegt.

Folgende Druckschriften wurden im Laufe des Verfahrens entgegengehalten:

[X.] [X.] 02 / 16 875 [X.]

[X.] [X.] 99 / 19 788 [X.]

[X.] [X.] 2006 / 26 521 [X.]

[X.] JP 08 - 212 005 A

[X.] [X.] 103 26 215 [X.]

[X.] [X.] 2005 / 226 505 [X.]

D7 [X.] 2004 / 189 720 [X.]

3.1 Entgegen den Ausführungen im Zurückweisungsbeschluss ist die Lehre der Druckschrift [X.] nicht geeignet, ein Naheliegen zu begründen. Bei genauer Betrachtung führt sie den Fachmann nicht einmal in die Nähe des Anspruchsgegenstandes.

[X.] beschreibt ein Verfahren zum Bestimmen der Position eines dreidimensionalen Objektes (Figur 2: „[X.]“ 76a, „hover object“ 76b) auf oder vor einer Anzeigeoberfläche 64a einer interaktiven Anzeigetafel (interactive display table 60). Für die Anzeige werden Lichtstrahlen von unten (von hinten) auf die Tafel gerichtet und sind aufgrund einer durchscheinenden Schicht (translucent layer) 64b von vorn sichtbar. Die Positionsbestimmung erfolgt mittels einer Kamera 68 und [X.] 66, wobei die Menge des reflektierten [X.] zunimmt, je näher ein Objekt 76 der Oberfläche 64a kommt (Maximum im Falle eines berührenden Objekts 76a, siehe Absatz [0038]). Dabei dürfte es außer Frage stehen, dass die interaktive Anzeigetafel kein „klassischer“ Touchscreen ist. Bei der [X.] wird deutlich unterschieden zwischen berührenden Objekten 76a und schwebenden Objekten 76b (vgl. Absatz [0046]), so dass die Funktion einer Berührungserkennung hier mitgeliefert wird (siehe auch die Erläuterungen zu den Figuren 4 und 5 in den Absätzen [0050] / [0051]). Aus dem Vergleich der reflektierten [X.] kann auch die Geschwindigkeit des sich nähernden Fingers bestimmt werden (Figur 8 / Absatz [0062]). Dabei betrifft die Lehre der [X.] hauptsächlich das Verfahren zur Bestimmung der Berühr- oder Schwebepositionen und z. B. auch der Größe des Berührdrucks (Absatz [0060]). Ein „[X.]“ und „[X.]“ sind nicht erkennbar. Auch sind Auswirkungen auf die Benutzeroberfläche nicht im Detail beschrieben. Einen Einsatz des beschriebenen, voluminösen Eingabesystems (Figur 2) in einem Kraftfahrzeug würde der Fachmann wegen des Platzbedarfs wohl kaum in Betracht ziehen.

(c)) aus Absatz [0062] der [X.] herauslesen (Beschluss Seite 5 untere Hälfte). In Absatz [0062] ist aber beschrieben, dass die Geschwindigkeit des sich nähernden Fingers bestimmt werden kann, so dass eine Vorhersage getroffen werden kann, zu welchem Zeitpunkt der Finger die Anzeigefläche voraussichtlich berühren wird; und dass sich dadurch eine Verzögerung der Reaktion der Benutzerschnittstelle bei Berührung verringern lässt („predict … before the contact occurs … to reduce the latency of the interactive display system in [X.]“). D. h. die Reaktion soll erst bei Berührung stattfinden, und die Annäherung selbst löst keine interaktive Reaktion aus; denn die Auslösung einer Kollisions-Vorhersage kann nicht als „interaktive Reaktion der Benutzerschnittstelle“ verstanden werden.

[X.] beschriebenen [X.] des Merkmals (e) (Beschluss Seite 5 oben: ungefähr eckig gebildete Objekte, was der Formulierung „to create fuzzy-edged objects“ in Absatz [0073], fälschlich als [0067] bezeichnet, entnehmbar sei), erscheinen abwegig - die kurze Textstelle („artistic applications, such as waving hands“) gibt nicht einmal ansatzweise eine Anregung, die interaktive Reaktion von dem erkannten Segmentvolumen innerhalb des [X.]s abhängig zu machen.

3.2 Als nächstkommenden Stand der Technik sieht der Senat die Druckschrift [X.] an. Sie zeigt jedoch nicht alle Merkmale des Hauptanspruchs.

[X.] beschreibt eine Anzeige- und Bedienvorrichtung (14, 2) für ein Navigationsgerät, wobei die Bedienung auf einer Gestenerkennung durch eine Videokamera (2) beruht (Seite 6 Absätze 2, 3); dabei legt der Begriff „Navigationssystem“ eine Verwendung für ein Kraftfahrzeug nahe. Die Angaben auf Seite 3 Zeile 33 bis 35 und Seite 7 Zeile 36 machen deutlich, dass es sich bei der Anzeigefläche (14) wahlweise auch um einen Touchscreen handeln kann (Merkmal (a)). Die Kamera (2) arbeitet als Positionsbestimmungseinheit und erfasst zum Beispiel den Finger des Benutzers, was eine interaktive Beeinflussung der Benutzerschnittstelle zur Folge hat (Figur 2 und 3; Seite 6 Mitte – Merkmal (b)), wobei aber nicht deutlich eine „dreidimensionale Positionsbestimmung“ beschrieben ist. Mit der Bedienvorrichtung kann eine Kartenansicht in diejenige Richtung bewegt werden, in die der Benutzer mit seiner Hand oder einem Finger deutet (Seite 6 Absatz 4). Außerdem sind vor der Anzeigefläche (14) drei aufeinanderfolgende Raumzonen [X.], [X.] und [X.] in unterschiedlichen Abständen definiert (Figur 2B). Befindet sich die Hand mit ihrer Spitze in der Raumzone [X.] (unmittelbar vor der Anzeigefläche), wird die Kartenansicht in die Tiefe des Raumes hineinbewegt, beispielsweise entlang einer Straße; wird die Hand in der zweiten Zone [X.] erkannt, stoppt die Bewegung, in der dritten Zone [X.] erfolgt eine Rückwärtsbewegung. Somit ist hier eine differenzierte interaktive Beeinflussung der Benutzerschnittstelle beschrieben, abhängig von der einem Segmentvolumen ([X.], [X.], [X.]) zugeordneten ermittelten Position der Hand oder des Fingers. Daraus lassen sich die Merkmale (c), (d) und (e) näherungsweise entnehmen; allerdings weisen die hier beschriebenen [X.] nicht gemäß Merkmal (e) eine parallel zur Anzeigefläche ausgerichtete Grundfläche auf und sind auch nicht so angeordnet, dass ihre Grundflächen die Anzeigefläche segmentieren (d. h. nicht nebeneinander). Auf [X.] innerhalb des [X.]s, die von keinem der [X.] (Zonen [X.], [X.], [X.]) umfasst sind (Merkmal (f)), findet sich kein Hinweis.

3.3 Der übrige bekannt gewordenen Stand der Technik liegt ersichtlich weiter ab. Insbesondere ist aus keiner Druckschrift eine Aufteilung des [X.]s in [X.], deren Grundfläche die Anzeigefläche segmentiert (Teil von Merkmal (e)), und in einen Raumbereich in einem größeren Abstand vor der Anzeigefläche, der von keinem der [X.] umfasst ist (Merkmal (f)), vorbekannt.

[X.] befasst sich ganz allgemein mit der Gestenerkennung aus Kamerabildern und hat keinen besonderen Bezug zur Anmeldung. Sie wurde lediglich in Verbindung mit [X.] bezüglich des ursprünglichen Unteranspruchs 7 zitiert.

[X.] und [X.] wurden nach den Angaben im [X.] vom Prüfer „im Verlauf der Anhörung“ ermittelt und nach Gegenargumenten des anwesenden Vertreters genauso schnell wieder verworfen. [X.] betrifft die Erkennung von Gesten bei der Berühr-Eingabe auf einem Touchscreen, jedoch ersichtlich nicht die Ermittlung einer dreidimensionalen Position im Raum vor einem Touchscreen. Ein Bezug der [X.] zur Anmeldung erschließt sich nicht. Die japanisch-sprachige [X.] betrifft einen „Touchscreen“, bei dem ein vorgelagertes Lichtgitter drei Stufen der Annäherung unterscheiden kann. Dabei beeinflusst die Annäherungsstufe wohl die Größendarstellung auf dem Bildschirm („[X.] an enlargement ratio“, vgl. Figur 4 mit Figur 5), so dass man ähnlich wie gemäß der [X.] von drei aufeinanderfolgenden Erfassungsvolumina ausgehen könnte. Darüber hinausgehende Übereinstimmungen mit dem Anspruchsgegenstand sind nicht ersichtlich.

[X.] beschreibt eine Bedienvorrichtung u. a. für Fahrzeuge mit einem im Sichtbereich der [X.] angeordneten Bildschirm als Teil der Benutzerschnittstelle (siehe [X.] Anspruch 1 - teilweise Merkmal (a)), wobei aber die Bedienung nicht über einen Touchscreen erfolgt, sondern „mit konkreten Bedienelementen“ (Tasten mit Schaltkontakt oder mit Berührkontakt, siehe Unteransprüche 7 und 8 sowie die Absätze [0017] und [0023]). Wenn der Finger des Benutzers sich an ein solches Bedienelement annähert, wird auf dem Bildschirm, der völlig unabhängig vom Ort der Bedienelemente angeordnet sein kann (Absatz [0012]), eine Information über die auslösbare Funktion angezeigt (teilweise Merkmale (b) und (c)). Dafür wird der Abstand des Fingers von den Tasten ermittelt und daraus diejenige Taste bestimmt, welche dem Finger am nächsten ist (Absatz [0023]). Die [X.] „bis zu 2 cm hoch über der Taste“ (Absatz [0022]) könnte man dabei näherungsweise als Hinweis auf ein „[X.]“ verstehen. Die Erkennung der Zuordnung des Fingers zu einer Taste hat i. W. dieselbe Funktion wie die Unterteilung in [X.] gemäß Merkmal (e), wird aber völlig anders realisiert (keine dreidimensionale Positionserfassung). Auf eine Erkennung von [X.]n des [X.]s, die zu keiner Taste gehören (Merkmal (f)), kann die [X.] aufgrund der anderen Erfassungstechnik keine Hinweise liefern.

D7 beschreibt ein Kamerasystem zur Implementierung einer [X.] für ein Computersystem, wobei die Figuren 9A / 9B ein quaderförmiges [X.] (engagement volume 910) zeigen. Laut Absatz [0081] sollen alle außerhalb des [X.]s erkannten Objekte ignoriert werden.

Auch die weiteren, im Rechercheverfahren nach § 43 [X.] oder in dem [X.] Parallel-Verfahren (EP 1 840 522 [X.]) ermittelten Druckschriften kommen nicht näher.

3.4 Da der bekannt gewordene Stand der Technik keine dreidimensionale Positionserfassung in einem [X.] beschreibt mit einer Zuordnung zu [X.], deren Grundfläche die Anzeigefläche segmentiert (Teil von Merkmal (e)), und es keinen Hinweis gibt auf eine zusätzliche Erfassung in einen Raumbereich in einem größeren Abstand vor der Anzeigefläche, der von keinem der [X.] umfasst ist (Merkmal (f)), ist nicht ersichtlich, wie der [X.] auf naheliegende Weise zum Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 hätte gelangen können.

4. Der nunmehr geltende Patentanspruch 1 ist sonach gewährbar. Die Unteransprüche 2 bis 6 sind in Verbindung mit Anspruch 1 ebenfalls gewährbar. Nach der von der Anmelderin durchgeführten Anpassung der Beschreibung liegen für eine Patenterteilung geeignete Unterlagen vor.

[X.]

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr war gemäß § 80 Abs. 3 [X.] anzuordnen, weil dies im vorliegenden Fall der Billigkeit entspricht. Die [X.] können sehr vielgestaltig sein. Sie können sowohl in der Sphäre des Anmelders, seines Vertreters, des Patentamts und auch in äußeren Umständen liegen. Die Anordnung der Rückzahlung ist Ausdruck der Überzeugung des Gerichts, dass die Einbehaltung der Gebühr der Gerechtigkeit widersprechen würde ([X.], [X.], 9. Aufl., § 73 Rdnr. 135).

So kommt eine Rückzahlung auch bei unangemessener Sachbehandlung in Betracht (vgl. Busse, [X.], 8. Aufl., § 80 Rdnr. 122 f.). An sich nicht fehlerhaftes, aber unzweckmäßiges Verhalten des Patentamts kann bei Vorliegen besonderer Umstände die Rückzahlung rechtfertigen, wenn aus der Sicht eines verständigen Beschwerdeführers gerade diese unsachgemäße Sachbehandlung Anlass für die Einlegung der Beschwerde war ([X.], [X.], 11. Aufl., § 80 Rdnr. 22). In Betracht kommen insbesondere Verstöße gegen die Verfahrensökonomie. Ein solcher Verstoß liegt hier vor.

Zwar ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn eine Anmeldung nach eingehender Prüfung (zunächst) als patentfähig bezeichnet wird, dann jedoch eine Druckschrift auffällt, die dem entgegensteht. Auch in solchen Fällen, die allerdings Ausnahmen bleiben sollten, muss es der Prüfungsstelle möglich sein, von dem zunächst Geäußerten abzurücken.

Es stellt jedoch einen Verstoß gegen die Verfahrensökonomie dar, wenn nach Abschluss der Anhörung geäußert wird, die Sache sei erteilungsreif, es fehlten lediglich die Unterlagen in Reinschrift, um sodann am übernächsten Tag eine weitere Druckschrift, die bereits im vorgelagerten Rechercheverfahren ermittelt worden und somit Aktenbestandteil war, entgegenzuhalten; denn diese Druckschrift hätte dem Prüfer bereits bei der Vorbereitung der Anhörung auffallen müssen. Noch gravierender erscheint, dass auf Gegenargumente der Anmelderin hin diese angeblich allein entgegenstehende Druckschrift fallengelassen und auf das geltende, seit der Anhörung unveränderte Patentbegehren noch einmal völlig neu recherchiert wurde, obwohl es in der Anhörung als „gewährbar“ bezeichnet worden war.

[X.] „allein entgegenstehend“, [X.] „neuheitsschädlich“) Abstand zu nehmen, aber das Verfahren damit nicht zu beenden, sondern nochmals neu zu recherchieren oder die letztgenannte Druckschrift anders zu bewerten. Auch wenn es - als Ausnahmefall - möglich ist, dass der Patentfähigkeit entgegenstehende Unterlagen durch die Prüfungsstelle nachgereicht werden, so zeigt hier der Gesamtverlauf eine unzureichende und unsachgemäße Auseinandersetzung des Prüfers mit der Sache, und zwar sowohl hinsichtlich seiner Aktenkenntnis als auch seiner Vorbereitung für die Anhörung. Bei einem solchen Ablauf ist die Verärgerung der Anmelderin bzw. ihres Vertreters gut nachvollziehbar.

Noch bedenklicher erschiene es, wenn - den Ausführungen der Anmelderin im [X.] folgend - während der Anhörung umfangreich weiter und neu recherchiert wird, und dabei verschiedene Druckschriften ermittelt und herangezogen werden, um sie nach Diskussion mit dem Vertreter der Anmelderin wieder zu verwerfen.

Lediglich der Vollständigkeit halber sei noch auf die [X.] hingewiesen, in deren Abschnitt 3.6.1 Absatz 4 im Hinblick auf Anhörungen ausgeführt ist, dass diese so vorbereitet sein müssen, dass der Prüfer ohne weiteren Bescheid zu einer abschließenden Beurteilung des Anmeldungsgegenstandes gelangen kann.

[X.] durch den Prüfer im Zurückweisungsbeschluss ist, wie dargelegt (s. o. II. Abschnitt 3.1), für den Senat nicht nachvollziehbar, sie liegt vielmehr teilweise völlig neben der Sache.

Aus der Sicht eines verständigen Beschwerdeführers bestand wegen der nicht auszuschließenden Möglichkeit einer Fehlentscheidung Veranlassung zur Beschwerdeeinlegung (Busse, a. a. O., § 80 Rdnr. 95).

Ob die Beschwerdegebühr darüber hinaus auch wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs zurückzuzahlen wäre, kann angesichts dieser Umstände dahinstehen.

Meta

17 W (pat) 10/16

22.09.2016

Bundespatentgericht 17. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 22.09.2016, Az. 17 W (pat) 10/16 (REWIS RS 2016, 5109)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 5109

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