Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.09.2012, Az. VII ZB 84/10

VII. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 3410

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[X.]UNDESGERICHTSHOF

[X.]ESCHLUSS
VII Z[X.] 84/10

vom

6. September 2012

in dem Zwangsvollstreckungsverfahren

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 850d Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2; [X.]G[X.] § 1609
a)
Um den Nachweis der Vollstreckungsprivilegierung eines Unterhaltsanspruchs gemäß §
850d Abs.
1 Satz
1 ZPO zu erbringen, muss der Gläubiger einen Titel vorlegen, aus dem sich -
gegebenenfalls im Wege der Auslegung
-
ergibt, dass der Vollstreckung ein Unterhaltsanspruch der in §
850d Abs.
1 Satz
1 ZPO ge-nannten Art zugrunde liegt ([X.] an [X.], [X.]eschluss vom 5.
April 2005 -
VII
Z[X.]
17/05, [X.], 1663; [X.], [X.]eschluss vom 26.
September
2002 -
IX
Z[X.]
180/02, [X.]Z 152, 166, 169
f.).
b)
Die [X.]evorrechtigung des Gläubigers gemäß §
850d Abs.
2 ZPO in Verbindung mit §
1609 [X.]G[X.] gegenüber anderen Unterhaltsberechtigten muss sich hingegen nicht aus dem Titel ergeben. Die Rangfolge mehrerer Unterhaltsberechtigter hat das Vollstreckungsorgan bei der [X.]emessung des dem Schuldner pfandfrei zu [X.] nach §
850d Abs.
1 Satz
2 ZPO selbständig zu prüfen und festzulegen.
[X.], [X.]eschluss vom 6. September 2012 -
VII Z[X.] 84/10 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der VII.
Zivilsenat des [X.]undesgerichtshofs hat am
6.
September
2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof.
Dr.
[X.] und die Richter Dr.
[X.], [X.], Prof.
[X.] und Kosziol
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin wird der [X.]eschluss der 6.
Zivilkammer des [X.] vom 26.
Oktober
2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das [X.]eschwerdegericht zu-rückverwiesen.

Gründe:
I.
Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner, ihren früheren Ehemann, die Zwangsvollstreckung wegen Unterhaltsansprüchen.
Mit Urteil des Amtsgerichts -
Familiengerichts
-
vom 10.
Mai
2010 wurde die am 22.
Juni
1984 zwischen den Parteien geschlossene Ehe geschieden. Am gleichen Tag schlossen die Gläubigerin und der Schuldner vor dem Amts-gericht -
Familiengericht
-
einen Zwischenvergleich, in dem sich der Schuldner verpflichtete, bis zum rechtskräftigen Abschluss der [X.] "nachehelicher Unterhalt" einen monatlichen Ehegattenunterhalt an die Gläubigerin in Höhe 1
2
-
3
-
von 556

len. Am 10.
Juni
2010 heiratete der Schuldner seine jetzige Ehefrau, der er nach seinem Vortrag in vollem Umfang unterhaltspflichtig ist.
Wegen [X.] sowie künftig fällig werdenden monatli-chen Unterhalts von 556

Juli
2010 gegen den Schuldner einen Pfändungs-
und
Überweisungsbeschluss erwirkt, durch den die angeblichen Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin auf [X.] des gegenwärtigen und zukünftigen Arbeitseinkommens gepfändet worden sind. In Abschnitt [X.] ("pfandfreier [X.]etrag") des Pfändungs-
und Überweisungs-beschlusses ist angeordnet, dass dem Schuldner von seinem Nettoeinkommen 760

§§
850d
II
ZPO, 1609 [X.]G[X.] ist ein neuer Ehepartner des Schuldners der hier vollstreckenden Gläubigerin gegenüber nachrangig und findet keine [X.]erück-sichtigung".
Die Erinnerung des Schuldners, mit der er die Erhöhung des pfandfreien [X.]etrages wegen der Unterhaltsverpflichtung gegenüber seiner jetzigen Ehefrau begehrt hat, hat das Amtsgericht -
Vollstreckungsgericht
-
mit der [X.]egründung zurückgewiesen, schon der erste Anschein spreche dafür, dass die titulierten Unterhaltsansprüche der Gläubigerin gegenüber solchen der jetzigen Ehefrau vorrangig seien. Die hiergegen eingelegte sofortige [X.]eschwerde des [X.] hatte Erfolg. Mit der vom [X.]eschwerdegericht zugelassenen Rechtsbe-schwerde begehrt die Gläubigerin die Aufhebung der Entscheidung des [X.]e-schwerdegerichts und die Zurückweisung der sofortigen [X.]eschwerde des Schuldners.

3
4
-
4
-
II.
Die
gemäß
§
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
2, Abs.
3 Satz
2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen [X.]eschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.]eschwerdegericht.
1. Das [X.]eschwerdegericht
führt aus, die [X.]evorrechtigung der Gläubigerin nach §
850d Abs.
1, 2 ZPO müsse sich -
zumindest im Wege der Auslegung
-
aus dem Vollstreckungstitel ergeben. Es liege nahe, insoweit die gleichen Grundsätze wie für die Vollstreckung eines Anspruchs aus vorsätzlich [X.] unerlaubter Handlung nach § 850f Abs.
2 ZPO anzuwenden. Auch in [X.] der vorliegenden Art spreche gegen eine materielle Prüfungskompetenz des Vollstreckungsgerichts, dass der Umfang der Eingriffsbefugnisse durch den Titel
festgelegt werde. Allein das Prozessgericht -
und nicht der im Vollstre-ckungsverfahren in erster Linie funktional zuständige Rechtspfleger des Voll-streckungsgerichts
-
habe darüber zu befinden, welche Rechte dem Gläubiger zustehen würden und durchsetzbar seien. Im vorliegenden Fall lasse sich der Nachweis einer [X.]evorrechtigung der Gläubigerin nach §
850d Abs.
2 ZPO in Verbindung mit §
1609 Nr.
2 [X.]G[X.] nicht mit dem Zwischenvergleich vom 10.
Mai
2010 führen. Darin sei keine Vereinbarung über eine [X.]evorrechtigung getroffen worden. Ob die im Jahre 1984 zwischen den Parteien geschlossene Ehe materiell-rechtlich eine solche von langer Dauer im Sinne des §
1609 Nr.
2 [X.]G[X.] sei, obliege nicht der Prüfungskompetenz des Vollstreckungsgerichts und damit auch nicht derjenigen des [X.]eschwerdegerichts. Danach hätten die Gläu-bigerin als die geschiedene Ehefrau und die jetzige Ehefrau des Schuldners untereinander den gleichen Rang. Nach §
850d Abs.
1 Satz
2 ZPO sei dem Schuldner über seinen eigenen notwendigen Unterhalt, der unstreitig 760

monatlich betrage, hinaus die Hälfte des Nettoeinkommens pfandfrei zu belas-sen.
5
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-
5
-
2. Dies hält der
rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Das [X.]eschwerdegericht hat zu Unrecht bei der [X.]emessung des dem Schuldner pfandfrei zu belassenden Einkommensanteils nach §
850d Abs.
1 Satz
2 ZPO die Festlegung der Rangfolge zwischen der Gläubigerin und der jetzigen Ehefrau des Schuldners nach §
850d Abs.
2 ZPO, §
1609 Nr.
2, 3 [X.]G[X.] unterlassen. Es hätte deshalb die Unterhaltsansprüche der Gläubigerin und die der jetzigen Ehefrau des Schuldners bei der [X.]emessung des pfandfreien [X.]etra-ges nicht ohne eigene Prüfung als gleichrangig behandeln dürfen.
a) Entgegen der Auffassung des [X.]eschwerdegerichts muss sich bei der Zwangsvollstreckung von Unterhaltsansprüchen nach §
850d
Abs.
1 Satz
1 ZPO aus dem Vollstreckungstitel allein ergeben, dass der Vollstreckung ein Un-terhaltsanspruch der in §
850d Abs.
1 Satz
1 ZPO genannten Art zugrunde liegt, nicht hingegen, dass der Gläubiger gegenüber anderen Unterhaltsberech-tigten bevorrechtigt ist.
aa) Zu §
850f Abs.
2 ZPO hat der [X.]undesgerichtshof bereits entschie-den, dass es nicht Aufgabe des Vollstreckungsgerichts ist, auch über das [X.] eines Anspruchs aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung zu entscheiden. [X.]ei der Prüfung, ob der Gläubiger aus einem in der [X.] privilegierten Anspruch vorgeht, ist es an die Auffassung des [X.] gebunden. Allein das wird der Aufgabenverteilung zwischen Er-kenntnis-
und Vollstreckungsverfahren gerecht, nach der die materiell-rechtliche [X.]eurteilung des geltend gemachten Anspruchs dem Prozessgericht obliegt, während die [X.] die formellen Voraussetzungen prüfen, von denen die Durchsetzung des vollstreckbaren Anspruchs abhängt (vgl. [X.], [X.]eschlüsse
vom 5.
April
2005 -
VII
Z[X.]
17/05, [X.], 1663;
vom 26.
Sep-tember
2002 -
IX
Z[X.]
180/02, [X.]Z 152, 166, 169
f.). Um den Nachweis für die 7
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10
-
6
-
Vollstreckungsprivilegierung zu erbringen, hat der Gläubiger dem [X.] daher einen Titel vorzulegen, aus dem sich -
gegebenenfalls im Wege der Auslegung
-
der deliktische Schuldgrund und der von §
850f Abs.
2 ZPO vorausgesetzte Grad des Verschuldens ergeben; eine davon abweichende [X.]eurteilung ist dem Vollstreckungsgericht versagt.
bb) Diese Grundsätze sind auch auf die nach §
850d Abs.
1 ZPO privile-gierte Zwangsvollstreckung anzuwenden. Das hat zur Folge, dass der Gläu-biger dem Vollstreckungsorgan einen Titel vorlegen muss, aus dem sich
-
gegebenenfalls im Wege der Auslegung
-
die Qualifikation des zugrunde

liegenden Anspruchs als Unterhaltsanspruch der in §
850d Abs.
1 Satz
1 ZPO genannten Art ergibt (vgl. PG/[X.], ZPO, 4.
Aufl., §
850d Rn.
44
f.; [X.]´scher Online-Kommentar ZPO/[X.], Stand: 15.
April
2012, §
850d Rn.
33; Meller-Hannich in [X.]/[X.]Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 1.
Aufl., § 850d ZPO Rn.
33; [X.]/[X.]/[X.], ZPO, 33.
Aufl., §
850d Rn.
2;
Schuschke/[X.], Vollstreckung und
Vorläufiger Rechtsschutz, 5.
Aufl., §
850d Rn.
19; [X.], ZPO, 22.
Aufl., § 850d Rn.
41).
Dass sich darüber hinaus die Vorrangstellung des Gläubigers gegenüber anderen Unterhaltsberechtigten gemäß §
850d Abs.
2 ZPO in Verbindung mit §
1609 [X.]G[X.] aus dem Titel ergeben muss und im Vollstreckungsverfahren nicht mehr
geprüft werden kann, ist -
entgegen der Ansicht des [X.]eschwerdegerichts
-
nicht erforderlich (Stöber, Forderungspfändung, 15.
Aufl., Rn.
1113). Vielmehr hat das Vollstreckungsorgan die Aufgabe, diese Rangfolge bei der [X.]emessung des dem Schuldner pfandfrei zu belassenden Einkommensanteils nach §
850d Abs.
1 Satz
2 ZPO zu bestimmen (vgl. Stöber, Forderungspfändung, 15.
Aufl., Rn.
1109, 1113; Stöber, Festgabe für Vollkommer 2006, S.
363, 380; Wolf/[X.], Rpfleger 2008, 337
ff.).
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-
7
-
(1) §
850d Abs.
1 Satz
2 ZPO bestimmt, dass dem Schuldner so viel zu belassen ist, als er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber den dem Gläubiger vor-gehenden [X.]erechtigten oder zur gleichmäßigen [X.]efriedigung der dem [X.] gleichstehenden [X.]erechtigten bedarf. Hinsichtlich der Rangfolge mehrerer nach §
850d Abs.
1 ZPO Unterhaltsberechtigter bestimmt §
850d Abs.
2 [X.]G[X.], dass diese mit ihren Ansprüchen in der Reihenfolge nach §
1609 [X.]G[X.] und §
16 LPartG zu berücksichtigen sind. Damit macht diese Vorschrift die Prüfung der materiell-rechtlichen Rangfolge zum Gegenstand des [X.]; anderenfalls könnte der dem Schuldner nach §
850d Abs.
1 Satz
2 ZPO zu [X.] Einkommensanteil im Vollstreckungsverfahren nicht bestimmt werden.
(2) Auch die Gesetzesmaterialien belegen, dass die materiell-rechtliche Rangfolge mehrerer Unterhaltsberechtigter im Vollstreckungsverfahren zu [X.] ist. Im Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts ist die Neufassung von §
850d Abs.
2 ZPO wie folgt begründet worden: "Die in §
850d Abs.
2 ZPO enthaltene Rangfolge zwischen pfändenden Unterhaltsgläubigern wird, da die materiell-rechtliche Regelung und das Zwangsvollstreckungsrecht übereinstimmen müssen, mit der neuen, durch den Entwurf geschaffenen un-terhaltsrechtlichen Rangfolge (§
1609 [X.]G[X.], §
16 LPartG) in Einklang gebracht." ([X.]T-Drucks.
16/1830, S.
36
li. [X.].; vgl. auch schon [X.]T-Drucks. 5/3719, [X.]. [X.].)
cc) Nach
den Feststellungen des [X.]eschwerdegerichts hat sich der Schuldner in dem am 10.
Mai 2010 zwischen den Parteien geschlossenen [X.] dazu verpflichtet, der Gläubigerin als seiner früheren Ehefrau monatli-chen Ehegattenunterhalt in Höhe von 556

dem Titel, dass der Vollstreckung ein privilegierter Unterhaltsanspruch
der in §
850d Abs.
1 Satz
1 ZPO genannten Art zugrunde liegt.
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-
Dem steht nicht entgegen, dass die Parteien die Unterhaltsansprüche in einem Prozessvergleich geregelt haben. §
850d Abs.
1 Satz
1 ZPO
umfasst zwar nur gesetzliche Unterhaltsansprüche ([X.], [X.]eschlüsse vom 9.
Juli
2009
-
VII
Z[X.]
65/08, NJW-RR 2009, 1441 Rn.
8; vom 5.
Juli
2005 -
VII
Z[X.]
11/05, [X.], 1434). Die Unterhaltsansprüche verlieren ihren Charakter als [X.] jedoch nicht dadurch, dass die Parteien solche Ansprüche vertraglich
-
z.[X.]. in Form eines Prozessvergleichs
-
regeln (vgl. [X.], 65, 68; [X.], Privilegierte Forderungen in der Zwangsvollstreckung und bei der Aufrechnung [1967], S.
38; [X.], NJW 1973, 1111, 1113; MünchKommZPO/[X.], 3.
Aufl., § 850d Rn.
2).
b) Nach alledem hätte das [X.]eschwerdegericht bei der [X.]emessung des dem Schuldner pfandfrei zu belassenden Einkommensanteils gemäß §
850d Abs.
1 Satz
2 ZPO die Rangfolge zwischen der Gläubigerin und der jetzigen Ehefrau des Schuldners nach §
850d Abs.
2 ZPO, §
1609 Nr.
2, 3 [X.]G[X.] festle-gen müssen.
3. Der angefochtene [X.]eschluss kann daher keinen [X.]estand haben. Er ist aufzuheben und die Sache ist an das [X.]eschwerdegericht zurückzuverweisen, §
577 Abs.
4 Satz
1 ZPO. Der [X.] kann nicht selbst in der [X.], da das [X.]eschwerdegericht -
aus seiner Sicht folgerichtig
-
keine eigene Prüfung der Rangfolge der Unterhaltsberechtigten nach Maßgabe des §
850d

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9
-
Abs.
2 ZPO in Verbindung mit §
1609 [X.]G[X.] vorgenommen hat und sich diese Rangfolge auch nicht anhand der Aktenlage bestimmen lässt, §
577 Abs.
5 Satz
1 ZPO.
[X.]

[X.]

[X.]

[X.]

Kosziol
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 01.07.2010 -
7 M 3877/10 -

LG [X.], Entscheidung vom 26.10.2010 -
6 T 459/10 -

Meta

VII ZB 84/10

06.09.2012

Bundesgerichtshof VII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.09.2012, Az. VII ZB 84/10 (REWIS RS 2012, 3410)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3410

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VII ZB 84/10

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