Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 16.04.2020, Az. 1 BvQ 33/20

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2020, 2766

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Ablehnung eines Antrags auf Erlass einer eA gegen bayerische Regelungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (ua Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung - BayIfSMV ) - Folgenabwägung


Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

1

Die Voraussetzungen zum Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung liegen nicht vor.

2

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist im Hinblick auf die angegriffenen Verordnungen zulässig. Die Antragstellerin ist insbesondere nicht darauf verwiesen, in Bezug auf die [X.] Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 27. März 2020 nebst Änderungsverordnung vom 31. März 2020 zunächst verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch zu nehmen; insofern nimmt die Kammer Bezug auf ihren Beschluss vom 7. April 2020 - 1 BvR 755/20 -, Rn. 4 (www.bverfg.de).

3

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedoch unbegründet.

4

1. Nach § 32 Abs. 1 [X.] kann das [X.] im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die beabsichtigte Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. [X.] 112, 284 <291>; 121, 1 <14 f.>; stRspr). Bei offenem Ausgang der Verfassungsbeschwerde sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde jedoch der Erfolg versagt bliebe (vgl. [X.] 131, 47 <55>; 132, 195 <232>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 10. März 2020 - 1 BvQ 15/20 -, Rn. 16; stRspr).

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2. a) Eine Verfassungsbeschwerde wäre, jedenfalls soweit sie die angegriffenen Verordnungen betrifft, nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Dies bedarf eingehenderer Prüfung, was im Rahmen eines Eilverfahrens nicht zu leisten ist.

6

b) Daher ist über den Antrag auf einstweilige Anordnung aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden. Wie in dem mit Beschluss der Kammer vom 7. April 2020 - 1 BvR 755/20 - entschiedenen Verfahren ist zwar nachvollziehbar dargelegt, dass die angegriffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-[X.] die grundrechtlich geschützten Freiheiten der Antragstellerin weitgehend verkürzen und die Grundrechte aller Menschen, die sich in [X.] aufhalten, erheblich beschränken. [X.] die beantragte einstweilige Anordnung nicht und hätte die Verfassungsbeschwerde Erfolg, wären all diese Einschränkungen mit ihren erheblichen und wie hier dargelegt teilweise auch irreversiblen wirtschaftlichen, [X.] und kulturellen Folgen zu Unrecht verfügt und etwaige Verstöße gegen sie auch zu Unrecht geahndet worden. [X.] jedoch die beantragte Anordnung und hätte die Verfassungsbeschwerde später keinen Erfolg, würden sich voraussichtlich sehr viele Menschen so verhalten, wie es mit den angegriffenen Regelungen unterbunden werden soll, obwohl diese Verhaltensbeschränkungen mit der Verfassung vereinbar wären. Die Gefahr der Ansteckung mit dem [X.], der Erkrankung vieler Personen, der Überlastung der gesundheitlichen Einrichtungen bei der Behandlung schwerwiegender Fälle und schlimmstenfalls des Todes von Menschen würde sich nach den den angegriffenen Rechtsakten zugrundeliegenden Erkenntnissen (ausführlich dazu [X.], Entscheidung vom 26. März 2020 - [X.]. 6-VII-20 -, Rn. 16 f.) erheblich erhöhen (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 7. April 2020 - 1 BvR 755/20 -, Rn. 9 ff.).

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Zwar mehren sich die Erkenntnisse zu den Gefahren der [X.] fortlaufend und werden intensiv wie auch kontrovers diskutiert, wozu die Antragstellerin ausführlich vorträgt. Doch ergibt sich daraus kein verfassungsrechtlich durchgreifendes Argument, die auf einer immer mit Ungewissheiten belasteten Risikoprognose der zuständigen Stellen beruhende Entscheidung zum Schutz der Bevölkerung außer [X.] zu setzen. Auch angesichts intensiver fachwissenschaftlicher Diskussionen werden die hohen Anforderungen, die an den nur ausnahmsweise möglichen Erlass einer einstweiligen Anordnung zu stellen sind, nicht erfüllt. Es ist jedenfalls nicht erkennbar, dass die verantwortlichen Stellen den ihnen zustehenden Einschätzungs- und Entscheidungsspielraum offensichtlich verkannt oder verletzt hätten.

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Die hier angegriffenen Maßnahmen erscheinen daher auch mit Blick auf die konkret vorgebrachten, die Antragstellerin schwer belastenden Umstände in der Gesamtbetrachtung nicht unzumutbar, um einen möglichst weitgehenden Gesundheits- und Lebensschutz zu ermöglichen, zu dem der Staat aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Art. 2 Abs. 2 GG prinzipiell auch verpflichtet ist (vgl. [X.] 77, 170 <214>; 85, 191 <212>; 115, 25 <44 f.>). Wiederum ist zu berücksichtigen, dass die angegriffenen Regelungen von vornherein befristet sind, im Hinblick auf die Ausgangsbeschränkungen zahlreiche Ausnahmen vorsehen und bei der Ahndung von Verstößen im Einzelfall im Rahmen des Ermessens individuellen Belangen von besonderem Gewicht Rechnung zu tragen ist. Dazu kommt hier, dass angesichts der Umstände, die nicht durch die angegriffenen [X.]n Verordnungen bedingt sind, auch bei Erlass einer Anordnung nicht zu erwarten ist, dass die Antragstellerin in der Lage wäre, in ihren Reisebüros derzeit namhafte Umsätze insbesondere mit ([X.] zu erzielen. Dem stehen schon die weitgehende Einstellung des Flugverkehrs sowie umfangreiche pandemiebedingte [X.] anderer Länder entgegen.

9

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvQ 33/20

16.04.2020

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvQ

Art 2 Abs 2 S 1 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, CoronaVV BY 2

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 16.04.2020, Az. 1 BvQ 33/20 (REWIS RS 2020, 2766)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2766

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20 NE 21.406

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1 BvR 755/20

1 BvQ 15/20

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