Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.05.2022, Az. 1 StR 309/21

1. Strafsenat | REWIS RS 2022, 2657

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Gegenstand

Vorsätzliche Tötung: Verurteilung trotz unbekannten Ablaufs des eigentlichen Tatgeschehens; Nebenklagebefugnis des geschiedenen Ehegatten


Tenor

1. Die Revisionen des Angeklagten, des [X.] und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 23. Februar 2021 werden verworfen.

2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen. Der Nebenkläger hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch erwachsenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vierzehn Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich der Angeklagte, der Nebenkläger und die Staatsanwaltschaft mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

I.

2

Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

1. Die 16-jährige Geschädigte [X.]            besuchte am Vormittag des 13. Juli 2019 den Unterricht im deutsch-russischen Bildungszentrum in M.    , während der Angeklagte mit der Geschädigten [X.].           in der gemeinsamen Wohnung in M.      verblieb. Zwischen den beiden kam es dort zwischen 9.35 und 10.45 Uhr aus nicht aufklärbaren Gründen zu einer Auseinandersetzung. In deren Verlauf tötete der Angeklagte die Geschädigte [X.].      im Flur der Wohnung auf unbekannte Art und Weise, am ehesten durch massive stumpfe Gewalt gegen den Kopf. Bei seiner Vorgehensweise rechnete der Angeklagte mit der Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs und nahm den Tod der Geschädigten [X.].            jedenfalls billigend in Kauf.

4

Als die Geschädigte [X.]           kurz nach 12.00 Uhr von ihrem Unterricht in die Wohnung zurückkehrte, tötete der Angeklagte auch sie im Wohnzimmer der Wohnung auf ebenfalls unbekannte Weise, vermutlich wiederum durch stumpfe Gewalt gegen den Kopf. Auch insoweit rechnete der Angeklagte mit der Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs und nahm den Tod der Geschädigten [X.]             jedenfalls billigend in Kauf.

5

Anschließend beseitigte der Angeklagte die auffälligsten Tatspuren. Die beiden Leichen verbrachte er mit einem Fahrzeug aus der Wohnung an einen unbekannten Ort und versteckte sie dort.

6

2. Das [X.] geht davon aus, dass der Angeklagte den Tatbestand des Totschlags in zwei tatmehrheitlichen Fällen erfüllte. Vom Mordmerkmal der Heimtücke sowie in Bezug auf [X.]         zusätzlich der Verdeckung einer Straftat konnte sich das [X.] aber nicht überzeugen.

II.

7

Die Revision des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] unbegründet.

8

Insbesondere beruhen die vom [X.] getroffenen Feststellungen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und tragen den Schuldspruch. Der Annahme einer vorsätzlichen Tötung steht vor allem die Tatsache nicht entgegen, dass der Ablauf des eigentlichen Tatgeschehens unbekannt geblieben ist, weil für eine vorsätzliche Tötung jede Art der bewussten und gewollten Verursachung des Todes eines anderen Menschen ausreicht ([X.], Urteil vom 2. [X.]i 2012 - 2 StR 395/11 Rn. 16). Dies hat das [X.] bei beiden [X.] jeweils rechtlich nachvollziehbar belegt, ohne dass hier ein Erörterungsmangel vorliegt. Das [X.] hat sich nach umfangreicher Beweisaufnahme rechtsfehlerfrei unter Berücksichtigung des [X.] mit den zahlreichen an den Tatörtlichkeiten im Flur und Wohnzimmer gefundenen Blutspuren sowie den Angaben der Zeugin [X.]von einer Täterschaft des Angeklagten überzeugt und auf einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz geschlossen. Dies wird auch durch den Aufenthalt des Angeklagten am Tag vor der Tat am späteren Auffindeort der blutverschmierten Teppiche belegt.

[X.]

9

Die Revision der Staatsanwaltschaft, die wirksam auf die Verurteilung des Angeklagten wegen Totschlags zum Nachteil der Geschädigten [X.]          und den Ausspruch über die Gesamtstrafe beschränkt worden ist, ist ebenfalls unbegründet.

1. Die unterbliebene Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes nach § 211 StGB weist keinen Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten auf.

Das [X.] hat ([X.]) ausdrücklich die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass der Angeklagte die Geschädigte [X.]         getötet haben könnte, um die vorangegangene Tötung der [X.].          zu verdecken. Zutreffend geht das [X.] dabei davon aus, das Mordmerkmal der [X.] komme hier nach den getroffenen Feststellungen nur dann in Betracht, wenn der Angeklagte bis zur Rückkehr von [X.]             die Spuren in der Tatwohnung nicht gänzlich hätte beseitigen können und damit hätte rechnen müssen, dass diese die Spuren bemerken und er in der Folge für diese Tat zur Rechenschaft gezogen würde.

Dies hat das [X.] zutreffend erkannt und diejenigen Umstände, die auf eine Verdeckung einer Straftat hindeuten, erörtert und gewürdigt. Dabei ist das [X.] von keinem zu engen Verständnis der [X.] ausgegangen und hat im Rahmen der Beweiswürdigung auch keinen falschen [X.]ßstab angelegt. Die Beweiswürdigung ist frei von [X.]; sie ist insgesamt auch nicht lückenhaft.

2. Soweit die Staatsanwaltschaft rügt, das [X.] hätte sich auf Grund der Ablehnung einer Verdeckungshandlung für den Fall entsprechender Tatplanungen und Vorbereitungshandlungen des Angeklagten auch mit dem Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe auseinandersetzen müssen, ist dies fernliegend. Anhaltspunkte, die dieses Merkmal nach einer Gesamtschau aller maßgeblichen Umstände tragen könnten, sind nicht ersichtlich.

IV.

Die Revision des [X.] hat keinen Erfolg.

1. Soweit sich der Nebenkläger gegen die Verurteilung des Angeklagten wegen Totschlags zum Nachteil von [X.].         wendet, ist seine Revision bereits unzulässig.

Zwar sind gemäß § 395 Abs. 2 Nr. 1 [X.] Personen, deren Ehegatte getötet wurde, grundsätzlich zum [X.] als Nebenkläger berechtigt. Bei dem getöteten Tatopfer [X.].          handelt es sich aber um die geschiedene Ehefrau des [X.]. Nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur sind geschiedene Ehegatten nicht nebenklageberechtigt (vgl. nur [X.], Beschluss vom 2. Februar 1993 - 2 BvR 1491/91, NJW 1993, 3316; [X.]-ErmRi, Beschluss vom 18. September 2012 - 3 [X.] 262/12 Rn. 11; [X.] in [X.], [X.], 26. Aufl., § 395 Rn. 11; [X.] in KK-[X.], 8. Aufl., § 395 Rn. 11; [X.]/[X.], [X.], 65. Aufl., § 395 Rn. 8).

2. Auch soweit die Revision des [X.] in Bezug auf die Verurteilung des Angeklagten wegen Totschlags zum Nachteil von [X.]            zulässig ist (§ 400 Abs. 1 [X.]), bleibt sie in der Sache unbegründet. Die Verurteilung des Angeklagten weist insoweit keinen Rechtsfehler im Blick auf die unterbliebene Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes auf. Insoweit wird zur Begründung auf die obigen Ausführungen der Revision der Staatsanwaltschaft unter [X.] Bezug genommen.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 bis 3, Abs. 2 [X.].

Raum     

        

Jäger     

        

[X.]

        

Bär     

        

Leplow     

        

Meta

1 StR 309/21

04.05.2022

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München I, 23. Februar 2021, Az: 2 Ks 127 Js 168087/19

§ 212 StGB, § 261 StPO, § 395 Abs 2 Nr 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.05.2022, Az. 1 StR 309/21 (REWIS RS 2022, 2657)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 2657

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