Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.02.2015, Az. 1 StR 574/14

1. Strafsenat | REWIS RS 2015, 14865

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
1
StR
574/14

vom
26. Februar 2015
in der Strafsache
gegen

wegen Totschlags

-
2
-
Der 1.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
26. Februar 2015, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß

als Vorsitzender,

die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Radtke,
Prof. Dr. Mosbacher
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Fischer,

Richterin am Landgericht

als Vertreterin
der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt

,
Rechtsanwalt

in der Verhandlung

als Verteidiger,

Rechtsanwalt

als Nebenklägervertreter,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
1.
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 18. Juli 2014 wird verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmit-tels sowie die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Frei-heitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Seine dagegen gerichtete, auf den Straf-ausspruch beschränkte Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, bleibt ohne Erfolg.

I.
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wer-tungen getroffen:
1.
Spätestens ab Februar 2013 traten in der Ehe zwischen dem Ange-klagten und seiner später getöteten Ehefrau erhebliche Spannungen auf, die regelmäßig in lautstark geführte verbale Auseinandersetzungen mündeten. Im Rahmen dieser Konflikte belegte die sehr wortgewaltige Ehefrau den Angeklag-ten mit ehrverletzenden Ausdrücken. Beginnend ab Oktober 2013 nahmen die 1
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-
4
-
Streitigkeiten an Heftigkeit zu. Im Hinblick auf eine mögliche Scheidung und damit verbundene Streitigkeiten um das Sorgerecht für die 2009 geborene Tochter und den 2012 geborenen Sohn zeichneten die Eheleute ab November 2013 die Wortgefechte mit ihren jeweiligen Mobiltelefonen auf.
Zu Tätlichkeiten kam
es
trotz der Heftigkeit der verbalen Streitigkeiten nur selten. Bei einem Tritt gegen das Schienbein des Angeklagten brach sich die Ehefrau mehrere Zehen. Als sie im Rahmen einer Auseinandersetzung im November 2013 auf den Angeklagten losging, konnte er sie durch Wegschub-sen mühelos abwehren. Überhaupt war der Angeklagte seiner Ehefrau bei ih-ren wenigen körperlichen Attacken stets überlegen.
2.
Am Abend des 29.
November 2013 brachte der Angeklagte die beiden Kinder zu Bett. Da der Sohn nicht sogleich einschlafen konnte, legte sich der Angeklagte zu ihm ins Bett, schlief dabei aber selbst ein. Dies nahm seine Ehe-frau, die ihn später weckte, zum Anlass, ihm vorzuwerfen, er schlafe, um nicht mit ihr über ihre gemeinsamen Eheprobleme reden zu müssen. Es entwickelte sich ein heftiger, zunächst mit Worten geführter Streit zwischen den Eheleuten. Dabei beschimpfte die Ehefrau den Angeklagten als Schlappschwanz

und elendigen Hund, außerdem sei seine ganze Familie behindert.
Da ein Versuch des Angeklagten, einen gemeinsamen Bekannten, der bereits bei früheren Auseinandersetzungen als Schlichter tätig geworden war, zu erreichen, scheiterte, wurde der Streit weiter fortgesetzt. Gegen 4.00 Uhr des Folgetages ging die
Ehefrau schreiend auf den Angeklagten los und ver-suchte, diesen mit der Faust gegen den Oberkörper zu schlagen. Diesen An-griff konnte er, ebenso wie einen sich anschließenden durch Wegschubsen abwehren. Bei dem dritten Mal gelang es der Ehefrau, das T-Shirt des Ange-klagten zu ergreifen und diesen an der Brust zu kratzen.
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5
-
In diesem Moment verlor wegen des Kratzens der durch die wochenlan-gen Streitigkeiten und Beschimpfungen zermürbte sowie wegen des begleiten-den Schlafmangels

die Streitigkeiten setzten häufig nach dem Ende der Spätschicht des Angeklagten ein

übermüdete Angeklagte die Fassung (UA S.
14). Bei ihm trat ein Affekt auf, der dazu führte, dass er seine Ehefrau nicht erneut wegschubste, sondern deren Hals mit seinen beiden Händen fest um-fasste. Er drückte zu, so dass seine Ehefrau nach etwa 8 Sekunden bewusstlos wurde
und in sich zusammensackte. Obwohl der Angeklagte wusste, dass er damit ihren Tod herbeiführen würde, ging er mit ihr zu Boden und drückte ihren Hals noch wenigstens drei Minuten lang zu, bis sie tot war. Durch die Einwir-kung brach das rechte Zungenbein der Ehefrau. Ihr Tod trat durch Ersticken ein (UA S.
15).
Nachdem der Angeklagte den Tod seiner Ehefrau realisiert hatte, ver-brachte er die Leiche in den Keller, um den eventuell aufwachenden Kindern den Anblick der toten Mutter zu ersparen. Im Verlaufe des Nachmittags offen-barte er zunächst seiner Schwester die Tötung der Ehefrau. Später stellte er sich der Polizei.
3.
Das sachverständig beratene Landgericht hat einen sich als tiefgrei-fende Bewusstseinsstörung erweisenden affektiven Ausnahmezustand (UA S.
47) bei dem Angeklagten angenommen. Dieser Zustand wurde auch durch das bewusstlose Zusammensacken der Getöteten nicht aufgehoben. Aufgrund des Affekts war bei erhalten gebliebener Einsichtsfähigkeit die Fähigkeit des Angeklagten, sich entsprechend dieser Einsicht zu steuern, erheblich vermin-dert.
4.
Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht das Vorliegen eines minder schweren Falls gemäß §
213 StGB geprüft, dessen Vorausset-7
8
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-
zungen aber sowohl im Hinblick auf eine vorausgegangene Provokation gemäß §
213 Alt.
1 StGB als auch einen allgemeinen minder schweren Fall nach §
213 Alt.
2 StGB verneint. Geringfügige Verletzungen, wie sie dem Angeklagten hier von der Ehefrau zugefüerforderliche Erheblichkeit. Gleiches gelte für eine in dem Verhalten der getöte-die während der verbalen Auseinandersetzung geäußerten Beleidigungen nicht als schwer im Sinne von §
213 Alt.
1 StGB bewertet. Maßgebend sei eine Beur-teilung aufgrund einer Gesamtwürdigung nach objektivem Maßstab unter Be-rücksichtigung der Gesamtbeziehung von Täter und Opfer. In seiner Gesamt-würdigung hat das Tatgericht vor allem auf den Inhalt der in den zahlreichen vorausgegangenen Streitigkeiten erfolgten, den Angeklagten herabwürdigen-den Äußerungen der Ehefrau abgestellt. Vor diesem Hintergrund verlören die in der Tatnacht getätigten, zudem im Streit geäußerten Beleidigungen an Ge-wicht.
Ein minder schwerer Fall gemäß §
213 Alt.
2 StGB ist vom Landgericht ebenfalls in Betracht gezogen worden. Auch unter Berücksichtigung des vertyp-ten Milderungsgrundes aus §
21 StGB hat es einen solchen verneint, den Straf-rahmen des §
212 Abs.
1 StGB jedoch gemäß §§
21, 49 Abs.
1 StGB gemil-dert.

II.
Die nachträglich beschränkte Revision hat keinen Erfolg. Der Straf-ausspruch des angefochtenen Urteils hält sachlich-rechtlicher Prüfung stand.
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-
7
-
1.
Die durch den dazu ausdrücklich ermächtigten (§
302 Abs.
2 StPO) Wahlverteidiger in der Revisionshauptverhandlung erklärte, als Teilrücknahme zu wertende Beschränkung des Rechtsmittels auf den Strafausspruch, der die Vertreterin des Generalbundesanwalts zugestimmt hat (§
303 Satz
1 StPO), ist wirksam. Die Beschränkung bezieht sich ungeachtet der Annahme einer erheb-lich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten auf einen Beschwerdepunkt, der von dem nicht angefochtenen Schuldspruch unabhängig beurteilt werden kann. Das angefochtene Urteil enthält, was einer wirksamen Beschränkung entgegenstehen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 10.
Januar 2001

2
StR 500/00, BGHSt 46, 257, 259), keine Anhaltspunkte für eine Aufhebung der Schuldfähigkeit des Angeklagten.
2.
Das Landgericht hat die Voraussetzungen eines minder
schweren Falls des Totschlags hinsichtlich beider Varianten des §
213 StGB ohne Rechtsfehler verneint.
a)
Die von der Revision beanstandete Strafzumessung, zu der auch die Frage gehört, ob ein minder schwerer Fall
vorliegt (BGH, Beschluss vom 18.
Dezember 2007

5 StR 530/07, NStZ-RR 2008, 310 f.), ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit
des Täters gewonnen
hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Um-stände festzustellen und gegeneinander abzuwägen. Welchen Umständen er bestimmendes Gewicht beimisst, ist im Wesentlichen seiner Beurteilung über-lassen (st. Rspr.;
siehe etwa BGH,
Urteile vom 30.
November 1971

1 StR 485/71, BGHSt 24, 268; vom 29.
Juni 1991

3 StR 145/91, BGHR StGB §
1, Gesamtwürdigung 7; BGH, Beschluss vom 18.
Dezember 2007

5 StR 530/07, NStZ-RR 2008, 310 f.; Fischer, StGB,
62.
Aufl., §
46 Rn.
146 mwN).
13
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15
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8
-
Das Revisionsgericht darf die der Entscheidung des Tatrichters über das Vorliegen eines minder schweren Falls zugrunde liegende Wertung nicht selbst vornehmen, sondern lediglich daraufhin überprüfen, ob dem Tatrichter ein Rechtsfehler unterlaufen ist (siehe BGH,
Beschluss vom 18.
Dezember 2007

5 StR 530/07, NStZ-RR 2008, 310 f.). Diese Grundsätze über den für das Revisionsgericht geltenden Prüfungsmaßstab gelten nicht nur für die tatrichter-liche Beurteilung des unbenannten minder schweren Falls gemäß §
213 Alt.
2 StGB, sondern auch für die in §
213 Alt.
1 StGB benannten Konstellationen minder schwerer Fälle. Denn bei §
213 StGB insgesamt und nicht lediglich bei seiner zweiten Alternative handelt es sich um eine Strafzumessungsregel (vgl. BGH, Urteil vom 2.
Februar 1966

2 StR 525/65, BGHSt 21, 14, 15; siehe auch Beschluss vom 12.
Oktober 1977

2
StR 410/77, BGHSt 27, 287, 289; H.
Schneider in Münchener Kommentar zum StGB, 2.
Aufl., Band 4, §
213 Rn.
1 mwN).
b)
Derartige
der Revision zugänglichen Rechtsfehler bei der Anwendung von §
213 StGB weist das angefochtene Urteil nicht auf.
aa)
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können lediglich solche dem späteren Täter zugefügten Misshandlungen die Annahme eines minder schweren Falls gemäß §
213 Alt.
1 StGB begründen, die nach ihrem r-l-genden Tötungstat erscheinen zu lassen (BGH, Beschluss vom 9.
Februar 1995

4 StR 37/95, NJW 1995, 1910, 1911; BGH, Urteil vom 4.
Mai 1995

5
StR 213/95, NStZ 1996, 33; vgl. auch BGH, Urteil vom 1.
August 1996

5 StR 214/96, BGHR StGB §
213 Alt.
1 Misshandlung 5; aber auch Senat, Urteil vom 4.
Dezember 1990

1 StR 577/90, BGHR StGB §
213 Alt.
1 Miss-handlung 3). Diese Voraussetzungen können selbst bei einer lediglich versuch-16
17
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9
-
ten Körperverletzung gegeben sein (BGH, Beschluss vom 9.
Februar 1995

4 StR 37/95, BGHR StGB §
213 Alt.
1 Misshandlung 4; Urteil vom 1.
August 1996

5
StR 214/96, BGHR StGB §
213 Alt.
1 Misshandlung 5). Da sich die s-handlung durch das spätere Opfer erweisen muss, werden eingetretene oder drohende lediglich geringfügige Eingriffe in die körperliche oder seelische Un-versehrtheit des Täters des Tötungsdelikts regelmäßig keine Misshandlung im Sinne von §
213 Alt. 1 StGB begründen können (Senat, Urteil vom 19.
Februar 1991

1 StR 659/90, BGHR StGB § 213 Alt.

hebliche Beein-

Aufl., Band 5, §
213 Rn. 4; H.
Schneider aaO §
213 Rn.
13 mwN).
Dem entsprechend hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass es der hohe Rang des durch §
212 StGB geschützten Rechtsguts und die unter den Voraussetzungen von §
213 StGB mildere Beurteilung der Vernichtung des menschlichen Lebens gebieten, die Anforderungen an das der Tat vorausge-hende Opferverhalten und auch an die auf die tatauslösende Situation zulau-fende Entwicklung der Täter-Opfer-Beziehung nicht zu niedrig anzusetzen (vgl. BGH, Urteil vom 1.
September 2011

5 StR 266/11 Rn.
10; Beschlüsse vom 21.
Dezember 2010

3 StR 454/10, NStZ 2011, 339 f.; vom 8.
Juli 2014

3
StR 228/14 Rn.
5). An diesem
Gebot hat sich trotz der Verschärfung des Strafrahmens von §
213 StGB durch das Sechste Gesetz zur Reform des Straf-rechts (6.
StrRG) vom 26.
Januar 1998 (BGBl. I S.
164) nichts geändert (Senat, Beschluss vom 15.
Januar 2002

1 StR 548/01, NStZ-RR 2002, 140 f.; siehe auch BGH, Urteil vom 9.
Juli 1998

4 StR 136/98).
Ob nach den vorgenannten Grundsätzen eine Misshandlung gegeben ist, hat der Tatrichter auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller dafür 19
20
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10
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maßgebenden Umstände, namentlich unter Berücksichtigung der bisherigen Täter-Opfer-Beziehung und der damit verbundenen Motivationsgenese, zu be-urteilen (siehe BGH, Urteil vom 1.
September 2011

5 StR 266/11 Rn.
10 mwN).
(1)
An diesen Maßstäben gemessen hält die Bewertung des Tatgerichts, es fehle an einer der Tötungstat vorausgehenden und diese auslösenden er-heblichen Misshandlung seitens der später getöteten Ehefrau sachlich-rechtlicher Prüfung stand. Das Landgericht hat mit einer Gesamtwürdigung bei objektivem Maßstab unter Einbeziehung der Gesamtbeziehung von Täter und Opfer den zutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt gewählt. Dass es eine ge-i-chen als auch der seelischen Beeinträchtigung, für erforderlich gehalten hat, ist ersichtlich nicht zu beanstanden.
(2)
Der Senat besorgt auch nicht, dass das Tatgericht seiner Beurteilung des Vorliegens einer Misshandlung rechtsfehlerhaft lediglich die unmittelbar der Tötung vorausgehende Attacke der Ehefrau auf den Angeklagten zugrunde
gelegt hat. Wie die Revision und der Generalbundesanwalt in seiner Antrags-schrift zutreffend hervorheben, kann §
213 Alt.
1 StGB auch dann zur Anwen-dung gelangen, wenn die tatauslösende Misshandlung für sich allein genom-rstellt, sie aber gleichsam nur der Tropfen ist, der das Fass zum Überlaufen bringt (Senat, Urteil vom 4.
Dezember 1990

1 StR 577/90, StV 1991, 105 f. mwN; siehe auch bzgl. einer vorangegange-nen Reihe von Kränkungen oder ehrverletzenden Situationen BGH,
Beschlüsse vom 21.
Dezember 2010

3 StR 454/10, NStZ 2011, 339, 340
mwN; vom 8.
Juli 2014

3 StR 228/14 Rn.
5). Nach dieser Rechtsprechung ist es daher geboten, in die ohnehin erforderliche Gesamtwürdigung auch in der Vergan-21
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11
-
genheit liegende Vorgänge als
mitwirkende Ursachen einzubeziehen (BGH,
jeweils aaO).
Auch wenn das Landgericht sich bezüglich einer tatauslösenden Miss-handlung nicht ausdrücklich auf die vorgenannten Anforderungen bezogen hat, vermag der Senat nach dem Gesamtzusammenhang des Urteils auszuschlie-ßen, dass dem Tatrichter die Berücksichtigung früherer Misshandlungen im Rahmen der Gesamtwürdigung aus dem Blick geraten ist. Es hat nicht nur die Entwicklung der Beziehung zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau ein-schließlich der jedenfalls im Jahr 2013 in der Intensität deutlich zunehmenden Spannungen und Streitigkeiten festgestellt. Vielmehr verhält sich das angefoch-tene Urteil auch zu den wenigen früheren Streitigkeiten der Eheleute, bei denen es über die verbale Auseinandersetzung hinaus zu Tätlichkeiten gekommen ist (UA S.
11 unten und S.
12). In diesem Zusammenhang werden die von Seiten der Ehefrau unternommenen seltenen und nicht intensiven körperlichen Angrif-fe ebenso beschrieben wie die Fähigkeit des Angeklagten, sich dieser Attacken mühelos zu erwehren. Da das Landgericht zudem rechtlich zutreffend von der Berücksichtigung der Gesamtbeziehung zwischen Täter und Opfer ausgeht, lässt sich nicht annehmen, es habe zunächst dazu umfassende Feststellungen getroffen, die dann im Rahmen der Strafzumessung bei der Frage der Anwen-dung von §
213 StGB unbeachtet geblieben seien.
bb)
Aus entsprechenden Gründen halten auch die Erwägungen des Landgerichts zum Fehlen einer tatauslösenden schweren Beleidigung revisi-onsrechtlicher Prüfung stand.
(1)
Die Revision und der Generalbundesanwalt zeigen im rechtlichen Ausgangspunkt übereinstimmend zutreffend auf, dass auch bei der Beurteilung

213 Alt.
1 StGB 23
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12
-
nicht allein auf die in unmittelbarem zeitlichen
Zusammenhang mit dem Tatge-schehen stehenden Vorgänge abzustellen ist. Nach der ständigen Rechtspre-r-

Ursa-

213 Alt.
1 StGB können dem-nach auch dann erfüllt sein, wenn zwar das Verhalten des Tatopfers vor der Tat zum Zorn reizte und auf der Stelle zur Tat hinriss, weil es nach einer ganzen Reihe von Kränkungen gleichsam nur noch der Tropfen war, der das Faß zum

Juni 1996

1 StR 300/96, StV 1998, 131; vom 21.
Mai 2004

1 StR 170/04, NStZ 2004, 631 f.; BGH, Beschluss vom 21.
Dezember 2010

3 StR 454/10, NStZ 2011, 339, 340; Urteil vom 1.
September 2011

5 StR 266/11 Rn.
10 jeweils mwN; Be-schluss vom 8. Juli 2014

3 StR 228/14 Rn.
5; Fischer aaO § 213 Rn.
5 aE mit zahlr. Nachweisen). In die erforderliche Gesamtbewertung sind alle Umstände einzubeziehen, die dem konkreten Einzelfall unter dem Gesichtspunkt der Pro-vokation durch das spätere Tatopfer sein Gepräge geben (Senat, Urteil vom 10.
Oktober 1989

1 StR 239/89, BGHR StGB §
213 Alt.
1 Beleidigung 5).
(2)
Dem wird das angefochtene Urteil gerecht. Das Landgericht hat aus-drücklich eine objektive Bewertung der seitens der Ehefrau geäußerten Beleidi-(UA
S.
54) zugrunde gelegt. Die Feststellungen zeichnen die Entwicklung des Verhältnisses zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau insgesamt aus-führlich und sorgfältig nach (UA S.
7-12). Das umfasst vor allem die ab 2011 einsetzenden Streitigkeiten in der Ehe und deren zunehmende Eskalation seit Februar 2013. Zudem stellt das Landgericht im Rahmen der Beweiswürdigung den Inhalt der Streitigkeiten ab November 2013 mittels der von den beiden Be-teiligten jeweils gefertigten Aufzeichnungen per Mobiltelefon im Einzelnen dar 26
-
13
-
(UA S.
33-37). Dazu gehören auch die von der Ehefrau in diesen verbalen Auseinandersetzungen geäußerten Beleidigungen gegenüber dem Angeklag-ten.
Den ausführlich dokumentierten Inhalt der früheren Streitigkeiten hat das Landgericht in die ihm obliegende Bewertung des Schweregrades der der Tö-tungstat unmittelbar vorausgegangenen Beleidigungen einbezogen. Da es sich ausdrücklich mit der Bedeutung der früheren Herabwürdigungen für die tatun-mittelbaren Äußerungen befasst hat, vermag der Senat auch insoweit auszu-schließen, dass das Tatgericht den Aspekt eines sich zu einer schweren Belei-digung aufsummierenden, sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Geschehens wiederholter Kränkungen aus dem Blick verloren haben könnte. Der rechtliche Ausgangspunkt des Tatgerichts, die Schwere der der Tat vor-ausgehenden Beleidigungen unter Berücksichtigung der früheren kränkenden Äußerungen zu beurteilen, ist als solcher ebenfalls rechtsfehlerfrei (vgl. BGH, Beschluss vom 10.
August 1994

2 StR 382/94).
Hat aber der Tatrichter den für die Beurteilung des Vorliegens eines minder schweren Falls rechtlich zutreffenden Maßstab gewählt, unterliegt die Wertung als solche, ob sich die geäußerten Beleidigungen unter Berücksichti-gung des Gesamtgeschehens als schwer im Sinne von §
213 Alt.
1 StGB er-weisen, nicht der revisionsgerichtlichen
Kontrolle (vgl. Senat, Urteil vom 19.
Februar 1991

1 StR 659/90, BGHR StGB §
213 Alt.
1 Beleidigung 6 bzgl. der Bewertung eines Fußtritts als erhebliche Misshandlung). Teil dieser dem Tatrichter obliegenden Wertung ist es auch, die Bewertungsrichtung der fest-gestellten konkreten Umstände (unter Einschluss der dem eigentlichen Tö-tungsgeschehen vorausgehenden) zu bestimmen und auf dieser Grundlage das Vorliegen der benannten Milderungsgründe aus §
213 Alt.
1 StGB zu beur-27
28
-
14
-
teilen. Es ist dem Revisionsgericht verwehrt, seine eigene Wertung an die Stel-le derjenigen des Tatrichters zu setzen.
cc)
Ob die Voraussetzungen von §
213 Alt.
1 StGB im Einzelfall aufgrund einer Kumulation von vorausgehender Misshandlung und schwerer Beleidigung verwirklicht werden können (vgl. Senat, Urteil vom 19.
Februar 1991

1
StR 659/90, BGHR StGB §
213 Alt.
1 Beleidigung 6), bedarf vorliegend keiner Ent-scheidung. Denn nach den Feststellungen und der Beweiswürdigung des Tat-gerichts, worauf der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend hinweist, bildete der der Tötungstat vorausgehende körperliche Übergriff den unmittelbaren Auslösereiz für den affektiven Ausnahmezustand des Angeklag-ten (UA S.
14 und S.
48). Beruht nach diesen rechtsfehlerfreien Feststellungen der die Tötungstat auslösende Zorn des Angeklagten auf dem körperlichen An-griff durch die Ehefrau und nicht auf vorangegangenen Beleidigungen, hätte die Anwendung von §
213 Alt.
1 StGB weder auf das Vorliegen schwerer Beleidi-gungen als solcher noch auf das Zusammenwirken von solchen und Misshand-lungen gestützt werden können. Maßgeblich sind nämlich nur diejenigen Motive des Täters, die in der Tatsituation einen beherrschenden Einfluss auf den Täter gehabt haben (vgl. Schneider aaO §
213 Rn.
31). War aber eine für §
213 Alt.
1 StGB nicht ausreichend erhebliche Misshandlung der eigentliche
Auslösereiz des Affekts, kann
nicht auf eine im Motivbündel nur untergeordnete Reizung durch eine (schwere) Beleidigung abgestellt werden (siehe insoweit BGH, Be-schluss vom 22.
April 2004

4 StR 48/04, NStZ 2004, 500 f. mwN).
dd)
Die Verneinung eines sonst minder schweren Falls gemäß §
213 Alt.
2 StGB hält ebenfalls sachlich-rechtlicher Prüfung stand.
(1)
Das Landgericht ist von der gebotenen Gesamtbewertung aller rele-vanten Umstände (Fischer aaO §
213 Rn.
12; H.
Schneider aaO §
213 Rn.
49 29
30
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15
-
jeweils mwN) ausgegangen. In diese hat es zugunsten des Angeklagten die jeweils nicht die Schwelle von §
213 Alt.
1 StGB erreichenden Misshandlungen bzw. Beleidigungen durch die später getötete Ehefrau einbezogen und den minder schweren Fall zunächst ohne Berücksichtigung des vertypten Milde-rungsgrundes aus §
21 StGB geprüft.
Die zu Lasten des Angeklagten wirkende Erwägung des Tatrichters, er und vier Jahren der mütterlichen Zuwendung in besonderem Maß bedürfen,

54 f.), ist nicht rechtsfehlerhaft
und verstößt insbesondere nicht gegen das Doppelverwertungsverbot des §
46 Abs.
3 StGB. Das Tatgericht hat erkennbar nicht auf das mit nahezu jeder Tö-tung einhergehende Leid der Angehörigen und dem schmerzlichen Verlust ei-ner Bezugsperson abgestellt. Vielmehr hat es in rechtlich fehlerfreier Weise das spezifische Alter von Sohn und Tochter der Getöteten in den Blick genommen und damit auf eine zulässige einzelfallbezogene Differenzierung nach der Be-deutung des Vorhandenseins der getöteten Bezugsperson für die konkreten Angehörigen abgestellt. Damit erschöpft sich die Erwägung gerade nicht in der Heranziehung einer typischen Tatfolge eines Tötungsdelikts.
(2)
Gleiches gilt auch für die weitere Strafzumessungserwägung, die bei-den Kinder litten erheblich unter dem Verlust der Mutter. Das Landgericht hat damit auf die im konkreten Fall bewirkten verschuldeten Auswirkungen der Tat (§
46 Abs.
2 StGB) abgestellt, die bei beiden Kindern eingetreten sind. Deren Eintritt hat das Tatgericht mit der bei der Tochter weiterhin erfolgenden psycho-logischen Betreuung mit Feststellungen unterlegt. Dass es dabei die in der Be-weiswürdigung ausdrücklich dargestellte zwischenzeitliche Besserung des Zu-stands der Tochter aus dem Blick verloren haben könnte, ist nicht zu besorgen.
32
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16
-
Ohne Rechtsfehler hat das Tatgericht das Leiden der Kinder unter dem Verlust der Mutter als verschuldete Auswirkungen der Tat gewertet. Dem steht die Begehung der Tat im Zustand der durch einen Affekt bewirkten erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht entgegen. Da seine Einsichtsfähigkeit insgesamt erhalten geblieben ist und er

wie sich so-wohl aus dem festgestellten allgemeinen Umgang mit den Kindern als auch aus seinem Nachtatverhalten (Verbringen der Leiche in den Keller, um ihnen den Anblick der toten Mutter zu ersparen) ergibt

um deren Wohl besonders be-müht war, waren die eingetretenen Tatfolgen für ihn vorhersehbar.
(3)
Angesichts der rechtsfehlerfreien strafschärfenden Berücksichtigung der vorstehend erörterten
Umstände bestehen auch keine rechtlichen Beden-ken gegen die Verneinung eines sonstigen minder schweren Falls selbst unter zusätzlicher Berücksichtigung des vertypten Milderungsgrundes gemäß §
21 StGB. Es liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters zwischen dem Strafrahmen aus §
213 StGB und dem über §
49 Abs.
1 StGB (hier in Verbin-dung mit §
21 StGB) gemilderten Strafrahmen des §
212 Abs.
1 StGB zu wäh-len (st. Rspr.;
siehe nur BGH, Urteil vom 2.
November 1983

2 StR 492/83, NStZ 1984, 118; Fischer aaO §
213 Rn.
19 mwN). Hat das Tatgericht wie hier sein Ermessen ohne Rechtsfehler ausgeübt, hat das Revisionsgericht die Wür-digung als solche hinzunehmen, mag auch eine andere ebenfalls in Betracht gekommen sein.
3.
Die konkrete Strafzumessung weist keine den Angeklagten beschwe-renden Rechtsfehler auf. Wie bereits ausgeführt [II.2.b)dd)] durfte das Landge-richt die Auswirkungen der Tat auf die beiden Kinder strafschärfend berücksich-tigen.
34
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17
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4.
Unter den konkreten Umständen des Einzelfalls hätte sich im Übrigen selbst eine rechtsfehlerhafte Ablehnung von §
213 StGB nicht auf die Strafzu-messung ausgewirkt. Da nach den Feststellungen hier zwischen den
vorausge-gangenen Kränkungen bzw. Tätlichkeiten und dem affektiven Ausnahmezu-stand eine enge Verbindung bestand, sie also auf dieselbe Wurzel zurückzu-führen sind (siehe etwa BGH, Beschlüsse vom 30.
April 1991

4 StR 140/91, NStE Nr.
24 zu §
213 StGB, vom 24. Oktober 2012

5 StR 472/12, NStZ 2013, 341 mwN), hätte eine weitere Milderung des Strafrahmens von §
213 StGB über §§
21, 49
StGB nicht erfolgen können.

37
-
18
-
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
473 Abs.
1 Satz
1 StPO, diejenige über die notwendigen Auslagen aus einer entsprechenden Anwendung von §
472 Abs.
1 Satz
1 StPO.
Rothfuß

Graf Radtke

RinBGH Dr. Fischer ist

wegen Urlaubsabwesenheit

an der Unterschrift gehindert.

Mosbacher Rothfuß
38

Meta

1 StR 574/14

26.02.2015

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.02.2015, Az. 1 StR 574/14 (REWIS RS 2015, 14865)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 14865

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3 StR 228/14

5 StR 472/12

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