Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.01.2006, Az. 2 StR 463/05

2. Strafsenat | REWIS RS 2006, 5651

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 463/05 vom 13. Januar 2006 in der Strafsache gegen 1. [X.]wegen sexuellen Missbrauchs einer [X.] u. a. - 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat auf Grund der Hauptverhandlung vom 11. Januar 2006, in der Sitzung am 13. Januar 2006, an denen teilgenom-men haben: Vorsitzende [X.]in am [X.] Dr. [X.] und die [X.]in am [X.] Dr. [X.], [X.] am [X.] [X.], [X.]in am [X.] Roggenbuck, [X.] am [X.] Dr. Appl, Staatsanwalt als Vertreter der [X.], Rechtsanwältin als Verteidigerin für die Angeklagte [X.] - in der Verhandlung -, Rechtsanwalt als Verteidiger für den Angeklagten [X.] - in der Verhandlung -, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - 1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 17. September 2004 mit den zugehö-rigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte [X.] wegen vorsätzlicher Körperverletzung ([X.] 3 und 6 der Anklage) und wegen fahrlässiger Körperverlet-zung (Fall 5 der Anklage) verurteilt ist sowie im ersten Gesamt-strafenausspruch (drei Jahre fünf Monate). Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechts-mittels, an eine andere Strafkammer des [X.]. 2. Die weitergehende Revision hinsichtlich dieses Angeklagten und die die Angeklagte [X.] betref-fende Revision werden verworfen. 3. Die Staatskasse hat die Kosten der Revision der Staatsanwalt-schaft hinsichtlich der Angeklagten [X.]

und die der Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Von Rechts wegen - 4 - Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten [X.] wegen sexuellen [X.], wegen vorsätzlicher und wegen fahrlässiger Körperverletzung unter Einbeziehung von Einzelgeldstrafen aus einer Vorverur-teilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und fünf Monaten sowie wegen fahrlässiger Körperverletzung unter Einbeziehung von Einzelfreiheits-strafen aus einer weiteren Vorverurteilung zu einer zweiten [X.] von elf Monaten und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Frei-heitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Gegen die Angeklagte [X.] hat es wegen sexuellen Missbrauchs von [X.] eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verhängt. Dagegen wenden sich die vom [X.] vertretenen Revisionen der Staatsanwaltschaft mit der Rüge materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hinsichtlich des Angeklagten [X.] hat in den [X.], 5 und 6 der Anklage Erfolg, das Rechtsmittel hinsichtlich der Angeklagten [X.] ist unbegründet. 1 Das [X.] hat Folgendes festgestellt: 2 Die Angeklagten lebten seit 2001 - mit Unterbrechungen - zusammen, seit 2004 sind sie verheiratet. Der Angeklagte [X.] brachte vier Kinder aus erster Ehe mit, die Angeklagte [X.] zog mit dreien ihrer Kinder aus [X.] Ehen bzw. Beziehungen in das gemeinsam bewohnte Haus ein. Der Angeklagte [X.] trat auch hinsichtlich der Kinder der Angeklagten [X.] als Erziehungsberechtigter auf. Der 1,90 m große, dickleibige [X.] reagierte häufig aus nichtigen Anlässen aggressiv, er war sehr streng, schlug die Kinder, insbesondere die Jungen häufiger und rationierte das Essen und Trinken. Im Übrigen kümmerten sich beide Angeklagte wenig um die Kinder, die 3 - 5 - ältere Tochter der Angeklagten [X.], [X.], wurde angehalten, den Haushalt zu führen und dafür häufiger der Schule fern zu bleiben. Zwischen 2001 und 2003 kam es zu verschiedenen Straftaten zu Lasten der Kinder. 4 Im Einzelnen: 5 1. - Fall 3 der Anklage - 6 Im Juni 2001 schlug der Angeklagte aus Wut darüber, dass der 15-jährige [X.] der Mitangeklagten von einem Gummischlauch eines Hochdruck-reinigers ein Stück abgetrennt hatte, diesen mit dem abgetrennten Stück [X.] auf den Rücken. 7 2. - Fall 2 der Anklage - 8 Am 10. November 2001 wurde die am 14. Oktober 1987 geborene Toch-ter [X.] der Angeklagten [X.] veranlasst, mit in das Schlafzimmer der beiden Angeklagten zu kommen, sich zwischen die beiden zu legen, ihre Mutter an der Scheide zu streicheln, sie zu küssen und mit einem Vibrator zu befriedi-gen. Anschließend vollzog der Angeklagte mit ihr den Geschlechtsverkehr. [X.] wagte sich aus Angst nicht zu wehren. Schon vor diesem Vorfall war [X.] zu einem nicht zu klärenden Zeitpunkt von beiden Angeklagten angewiesen worden, sich zwischen sie zu legen und das Glied des Angeklagten anzufassen. Als sie weinte, haben die Angeklagten von ihr abgelassen, aber in ihrer Gegen-wart den Geschlechtsverkehr vollzogen. 9 - 6 - 3. - Fall 5 der Anklage - 10 Im Winter 2001 schlug der Angeklagte den 16-jährigen [X.] der [X.] mit einem Kabel. Als dieser weglief, wurde er aufgefordert zurückzu-kommen, anschließend von dem Angeklagten geschlagen und getreten. Als er, um den Schlägen zu entkommen, auf Strümpfen aus dem Haus lief, warf der Angeklagte einen Kerzenleuchter nach ihm, der den Jungen an der Ferse traf und verletzte, so dass diese stark blutete. 11 4. - Fall 4 der Anklage - 12 Am 18. Mai 2002 schüttete der Angeklagte auf ein Feuer zur [X.], obwohl sich die zwölfjährige Tochter der [X.] am Feuer aufhielt. Sie wurde vom Feuer erfasst und erlitt schwere Verbrennungen an den Beinen. 13 5. - Fall 6 der Anklage - 14 Am 3. Februar 2003 alberte der Angeklagte mit seinem siebenjährigen [X.] [X.] herum. Als dieser zu Fall kam, stützte er sich mit seinem [X.] auf den Brustkorb des Kindes, so dass es keine Luft mehr bekam und rot und blau anlief. 15 Das [X.] hat die dem Angeklagten [X.] allein angelasteten Fälle 3 und 6 der Anklage als vorsätzliche Körperverletzungen und die Fälle 5 und 4 der Anklage als fahrlässige Körperverletzungen gewertet. Im Fall 2 der Anklage hat es beide Angeklagte des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefoh-lenen für schuldig befunden. 16 - 7 - Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft wenden sich insbesondere ge-gen die rechtliche Würdigung in den [X.], 2 und 5 der Anklage sowie gegen die Gesamtstrafenzumessung. 17 I. - betreffend den Angeklagten [X.] - 1. - Fall 3 der Anklage - 18 a) Das [X.] hat die Bewertung der Schläge mit dem [X.] als gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB abgelehnt, weil nach dem konkreten Einsatz des Schlauchs nicht mit erheblichen Verlet-zungen zu rechnen gewesen sei, "zumal keine Feststellungen getroffen werden konnten zur konkreten Beschaffenheit des Schlauches nach Material, Länge und Handhabung." Dies begegnet durchgreifenden Bedenken. Das [X.] hat selbst festgestellt, dass das Schlauchstück von einem Hochdruckreiniger stammte. Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass derartige Schläuche, wie allgemein bekannt, mit einem Metallgewebe ausgekleidet sind, um dem hohen Druck standzuhalten. Dass es bei Schlägen mit einem solchen festen Schlauchstück zu erheblichen Verletzungen kommen kann, liegt auf der Hand. Schon deshalb ist die Wertung des [X.]s nicht rechtsfehlerfrei, aber auch soweit das [X.] auf die konkrete Benutzung - keine Schläge auf empfindliche Körperteile - abstellt, hat es wesentliche Umstände außer [X.] gelassen: Der 15-jährige Junge verhielt sich ersichtlich nicht still, sondern ver-suchte - letztlich erfolgreich - zu entfliehen. Danach lag es nahe, dass auch an-dere, möglicherweise empfindlichere Körperteile getroffen werden konnten. 19 - 8 - b) Auch soweit das [X.] eine Würdigung des Tatgeschehens als rohe Misshandlung im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB abgelehnt hat, begegnet dies Bedenken. Der neue Tatrichter wird dies unter Beachtung der Einwendun-gen der Staatsanwaltschaft neu zu prüfen haben. 20 2. - Fall 5 der Anklage - 21 Die Annahme einer lediglich fahrlässigen Körperverletzung hat das [X.] nicht tragfähig begründet. Der [X.] hat zutreffend darauf hingewiesen, dass das [X.] lediglich den Wurf mit dem Kerzen-leuchter auf das fliehende Kind gewürdigt, fehlerhaft hingegen nicht auch die unmittelbar vorangegangenen Schläge und Tritte im Haus zum Gegenstand seiner Aburteilung gemacht hat. Denn Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat. Zu ihr gehört nicht nur das tatsächliche [X.], wie es Anklage und Eröffnungsbeschluss beschreiben, sondern auch das gesamte Verhalten der Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage [X.] geschichtlichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet ([X.], 112; BGHSt 13, 320; 23, 141, 145). [X.] Voraussetzungen waren hier erfüllt, denn das Nachwerfen des Kerzenleuch-ters stand im unmittelbaren zeitlichen, örtlichen und motivatorischen Zusam-menhang mit den Schlägen und Tritten, die der Anlass waren, dass das Kind vor dem Angeklagten davonlief. Der Kognitionspflicht des [X.]s unterla-gen daher auch die festgestellten Schläge und Tritte, die mit dem nachfolgen-den Geschehen schon materiell-rechtlich eine Tat bilden. 22 Im Übrigen begegnet aber auch die Annahme einer lediglich fahrlässigen Körperverletzung durchgreifenden Bedenken. Denn auch für die Frage, ob der Angeklagte mit bedingtem Verletzungsvorsatz handelte, als er den [X.] - 9 - leuchter warf, hätte sich das [X.] nicht mit einer isolierten Betrachtung dieses Vorgangs begnügen dürfen, sondern in seine Würdigung das unmittelbar vorangegangene Geschehen sowie die Gewalttätigkeiten des Angeklagten auch bei anderen Gelegenheiten einbeziehen müssen. Danach lag es nahe, dass der Angeklagte eine Verletzung des Kindes und zwar mittels eines gefährlichen Werkzeugs, des Kerzenleuchters, billigend in Kauf genommen hat. 3. - Fall 6 der Anklage - 24 Rechtlich fehlerhaft ist schließlich die unterlassene Prüfung im Fall 6 der Anklage - worauf der [X.] zu Recht hinweist - ob der Ange-klagte [X.] statt - wie ausgeurteilt lediglich wegen vorsätzlicher Körperver-letzung - wegen gefährlicher Körperverletzung, nämlich mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB zu verurteilen war. Dafür ist nicht erforderlich, dass das Leben des [X.] konkret gefähr-det wird. Die Einwirkung des Angeklagten auf den Brustkorb des siebenjährigen Kindes war nach Dauer und Stärke jedenfalls abstrakt geeignet, das Leben des Kindes zu gefährden. Der 1,90 m große, massige Angeklagte kniete so lange auf dem Brustkorb des am Boden liegenden Kindes, bis dieses keine Luft mehr bekam und erst rot dann blau - deutliche Zeichen für Sauerstoffmangel - [X.] war. 25 II. Im Übrigen weist das Urteil keinen die Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler auf. 26 - 10 - 1. Das [X.] hat beide Angeklagte zu Recht eines sexuellen Miss-brauchs einer [X.] für schuldig befunden, jedoch eine damit tat-einheitlich verwirklichte Vergewaltigung nach § 177 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 StGB im Ergebnis in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise abgelehnt. 27 Allerdings kann dahinstehen, ob das [X.] eine objektiv schutzlose Lage [X.]s zu Recht verneint hat. Jedenfalls ist seine Würdigung, auf Grund der gesamten Umstände der Tat und der Tatvorgeschichte könne ein vorsätzli-ches Handeln der Angeklagten nicht festgestellt werden, weil diese nicht er-kannt hätten, dass [X.] sich aus Angst vor körperlichen Misshandlungen ge-gen die ihr zugemuteten sexuellen Handlungen nicht gewehrt habe, [X.] nicht zu beanstanden. Da die Angeklagten schon zuvor versucht hat-ten, das Mädchen in sexuelle Handlungen der Angeklagten einzubeziehen, und, als dieses nicht wollte und deshalb weinte, von ihr abließen, ist die Würdigung des [X.]s, die Angeklagten hätten [X.] zu den sexuellen Handlungen überreden und nicht eine durch Einschüchterung geschaffene Lage ausnutzen wollen, revisionsrechtlich hinzunehmen, auch wenn eine andere Würdigung möglich gewesen wäre. 28 2. Soweit das [X.] auch die Voraussetzungen des § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB verneint hat, verkennt es zwar, dass eine Zwangslage in diesem Sinne nicht ohne Weiteres mit einer schutzlosen Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB gleichzusetzen ist. Der Senat schließt jedoch aus, dass sich eine mögliche nicht rechtsfehlerfreie Behandlung des § 182 StGB auf die Höhe der aus dem Strafrahmen des § 174 StGB zu entnehmenden [X.] hat. 29 - 11 - III. Danach war das Urteil in den [X.], 5 und 6 der Anklage aufzuheben. Die Aufhebung der Einzelstrafen in den [X.] und 5 der Anklage zieht die Aufhebung der ersten Gesamtstrafe, in die diese Einzelstrafen einbezogen [X.], nach sich. Die [X.] in den Fällen 2 und 4 der Anklage und die zweite Gesamtstrafe sind rechtsfehlerfrei bemessen und haben [X.]. 30 [X.] [X.] [X.] Roggenbuck Appl

Meta

2 StR 463/05

13.01.2006

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.01.2006, Az. 2 StR 463/05 (REWIS RS 2006, 5651)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 5651

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

3 StR 481/21 (Bundesgerichtshof)

Sexueller Missbrauch von Kindern: Begriff der sexuellen Handlung; Einspritzen von Wasser in den Anus eines …


4 StR 561/11 (Bundesgerichtshof)

Sexuelle Nötigung: Voraussetzungen einer schutzlosen Lage; konkludente Drohung auf Grund vorheriger Gewalterfahrung; Misshandlung eines Schutzbefohlenen …


4 StR 566/10 (Bundesgerichtshof)

Schwerer sexueller Missbrauch und Vergewaltigung eines Kindes: Begriff der Gewalt; Beihilfe zur Vergewaltigung; Defloration als …


8 Ds 217 Js 13296/16 jug (AG Bayreuth)

Misshandlung des eigenen Kindes


4 StR 511/15 (Bundesgerichtshof)

Misshandlung von Schutzbefohlenen: Abgrenzung der Tatbestandsmerkmale Quälen und rohe Misshandlung; Verwirklichung bei einer Vielzahl von …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.