Bundesfinanzhof, Beschluss vom 21.10.2013, Az. III B 147/12

3. Senat | REWIS RS 2013, 1827

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Aussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens im Hinblick auf ein laufendes Strafverfahren - überlanges Verfahren


Leitsatz

1. NV: Es kan dahinstehen, ob § 149 ZPO (Verfahrensaussetzung wegen Ermittlungen in einem Strafverfahren) im finanzgerichtlichen Verfahren neben § 74 FGO überhaupt anwendbar ist. § 149 ZPO stellt die Aussetzung jedenfalls in das Ermessen des Tatgerichts, so dass die schlüssige Rüge der zu Unrecht unterbliebenen Verfahrensaussetzung den substantiierten Vortrag voraussetzt, dass das Ermessen fehlerhaft ausgeübt worden ist.

2. NV: Es ist höchstrichterlich bereits geklärt, dass die (Über-)Länge eines Verfahrens den materiellen Steueranspruch nicht beeinflusst und auch die Vorschriften über die Ablaufhemmung von Verjährungsfristen nicht außer Kraft setzt.

Gründe

1

Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --[[X.].]O--). Denn die Beschwerde genügt nicht den sich aus § 116 Abs. 3 Satz 3 [[X.].]O ergebenden Anforderungen an die Darlegung von Revisionszulassungsgründen.

2

1. Rechtsgrundsätzliche Bedeutung

3

Soweit die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) die Frage für rechtsgrundsätzlich bedeutsam halten, ob der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz zum Tragen kommt und dem Wortlaut des § 171 Abs. 3a der Abgabenordnung vorgeht, wenn sich der Rechtsstreit aufgrund von Rechtsbehelfen sehr lange bis zur Unanfechtbarkeit des Steuerbescheids hinzieht, genügt ihr Vorbringen nicht den [[X.].] (dazu im Einzelnen z.B. Beschlüsse des [[X.].] --[X.]-- vom 17. März 2010 [X.] B 10/10, [[X.].], 953; vom 13. Juni 2013 III B 156/12, [[X.].], 1420). Es fehlt insbesondere an der Auseinandersetzung mit der bereits vorhandenen Rechtsprechung. Danach ist geklärt, dass sich die (Über-)Länge eines Verfahrens auf den materiellen Steueranspruch nicht auswirkt. Es kommt weder zur Verwirkung desselben noch werden die Vorschriften über die Ablaufhemmung von Verjährungsfristen außer [[X.].] gesetzt ([X.]-Urteile vom 21. März 1996 [X.]I R 82/94, [[X.].], 316, [[X.].] 1996, 518; vom 16. Oktober 2002 [X.]I R 41/99, [[X.].], 529, [[X.].] 2003, 179). Der Hinweis in der Beschwerdeschrift auf die Beschlüsse des [[X.].] ([[X.].]) vom 7. Juli 2010  2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05 ([[X.].]E 127, 1, [[X.].] 2011, 76), 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05 ([[X.].]E 127, 61, [[X.].] 2011, 86) führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn diese befassen sich allein mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen, denen der Gesetzgeber beim Erlass rückwirkender [[X.].] genügen muss.

4

2. Richterablehnung

5

Die Darlegungen in der Beschwerdeschrift, die sich mit der Ablehnung des [[X.].]s am Finanzgericht ([[X.].]) befassen, lassen eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes) oder Vorschriften der Finanzgerichtsordnung ([[X.].]O) nicht erkennen.

6

a) Der Beschluss des [[X.].], mit dem der Befangenheitsantrag zurückgewiesen wurde, ist gemäß § 128 Abs. 2 [[X.].]O nicht mit der Beschwerde anfechtbar und unterliegt somit auch nicht der Beurteilung der Revision (§ 124 Abs. 2 [[X.].]O), weshalb auch eine Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich nicht auf die Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs gestützt werden kann. Geltend gemacht werden können nur solche Verfahrensmängel, die als Folge der Ablehnung des Befangenheitsgesuchs dem angefochtenen Urteil anhaften. Ein Zulassungsgrund liegt daher nur vor, wenn die Ablehnung ein Verfahrensgrundrecht verletzt (Anspruch auf rechtliches Gehör oder [[X.].]). Das Verfahrensgrundrecht auf [[X.].] greift jedoch nur bei willkürlichen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften ein. Deshalb hat eine Besetzungsrüge nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sich dem Beschwerdevorbringen entnehmen lässt, dass der Beschluss über die Zurückweisung des [[X.].] nicht nur fehlerhaft, sondern greifbar gesetzwidrig und damit willkürlich war ([[X.].] vom 8. Juli 2013 III B 149/12, [[X.].], 1602, m.w.N.).

7

Die Kläger tragen im Streitfall nichts vor, was auf Willkür schließen lässt.

8

b) Was die Kläger mit der Rüge einer Verletzung des § 47 der Zivilprozessordnung (ZPO) genau meinen, hat sich dem Senat nicht erschlossen. Über den Befangenheitsantrag hat das [[X.].] mit Beschluss ohne Mitwirkung des abgelehnten [[X.].] entschieden.

9

c) Auch die Behauptung der Kläger, die vom [[X.].] am [[X.].] abgegebene dienstliche Erklärung sei unrichtig, dies begründe erneut ein Befangenheitsgesuch, vermag der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Das [[X.].] hat den Befangenheitsantrag wegen fehlenden [[X.].] abgewiesen, weil der Antrag erst mehrere Tage nach der bereits im Verhandlungstermin erfolgten Urteilsverkündung (§ 104 Abs. 1 [[X.].]O) gestellt wurde (vgl. [[X.].] vom 10. November 2011 IV B 60/11, [[X.].], 426, m.w.N., zu Ablehnungsgesuchen nach Instanzbeendigung). Damit setzen sich die Kläger nicht auseinander.

3. Fehlende Prozessvollmacht

Die Rüge, dass Rechtsanwältin [X.] und Rechtsanwalt Y Erklärungen abgegeben hätten, ohne bevollmächtigt zu sein, ist unschlüssig. Aus dem Vortrag der Kläger ist nicht erkennbar, dass das [[X.].] einen Verfahrensfehler begangen haben könnte. Rechtsanwältin [X.], in deren Begleitung die Kläger ausweislich der Sitzungsniederschrift an der mündlichen Verhandlung teilgenommen haben, gehört zum Personenkreis des § 62 Abs. 2 Satz 1 [[X.].]O. Dass das [[X.].] Zweifel an der Bevollmächtigung haben und deswegen auf einer Vorlage der Vollmacht bestehen musste (vgl. § 62 Abs. 6 Satz 4 [[X.].]O; dazu z.B. [X.] in Tipke/[[X.].], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 62 [[X.].]O Rz 53 f.), wird in der Beschwerdeschrift nicht ausgeführt. Dasselbe gilt in Bezug auf Rechtsanwalt Y.

4. [X.] Vollziehung des Beweisbeschlusses

a) Die Rüge, der Beweisbeschluss vom 2. Oktober 2012 sei nicht vollständig vollzogen worden, ist unschlüssig. Denn das Gericht hat den Beweisbeschluss in der mündlichen Verhandlung in Bezug auf den [X.] aufgehoben. Dazu war das [[X.].] befugt (Gräber/[[X.].], Finanzgerichtsordnung, § 82 Rz 6; [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 82 [[X.].]O Rz 30, m.w.N.). Ob das Gericht aufgrund anderer verfahrensrechtlicher Vorschriften (z.B. § 76 Abs. 1 Satz 1 [[X.].]O) zur Vernehmung des besagten Zeugen verpflichtet gewesen sein könnte, ist in diesem Zusammenhang nicht zu prüfen.

b) Die beanstandete Nichtvernehmung des [X.] kann die Revisionszulassung nicht rechtfertigen. Das Urteil ist kumulativ auf zwei Gründe gestützt. Das [[X.].] ging zum einen davon aus, dass sich die Kläger die von ihrem früheren Steuerberater vorgenommene Ausbuchung des streitigen Gebäudeteils und die von diesem angefertigte, von den Klägern eigenhändig unterschriebene Steuererklärung, in der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erklärt wurden, mit der Folge rechtlich zurechnen lassen müssen, dass von deren Entnahmewillen auszugehen sei. Zum anderen war das [[X.].] aufgrund durchgeführter Beweisaufnahme auch davon überzeugt, dass die Entnahmebuchung zwischen dem früheren Steuerberater und den Klägern positiv abgesprochen war, diese also ihren Entnahmewillen frei gebildet und geäußert hatten.

Ist ein [[X.].]-Urteil in dieser Art kumulativ auf mehrere Gründe gestützt, von denen jeder für sich das Entscheidungsergebnis trägt, dann muss hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 [[X.].]O geltend gemacht werden (Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 116 Rz 28, m.w.N.). Im Hinblick auf den ersten Begründungsansatz haben die Kläger aber keine Zulassungsgründe dargetan, insbesondere keinen Verfahrensmangel geltend gemacht.

Ob der erste Begründungsansatz materiell-rechtlich trägt, ist in diesem Zusammenhang grundsätzlich unerheblich.

5. [X.] Verfahrensaussetzung

a) Gemäß § 149 Abs. 1 ZPO kann das Gericht die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen, wenn sich im Laufe des Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist. Die Rüge der Kläger, das [[X.].] habe fehlerhaft ihren hierauf gestützten Aussetzungsantrag zurückgewiesen, ist nicht schlüssig erhoben.

b) Es kann hierbei dahingestellt bleiben, ob § 149 ZPO über § 155 [[X.].]O im finanzgerichtlichen Verfahren überhaupt anwendbar ist (vgl. [X.] vom 3. Juni 1998 I B 39/98, [X.] 1998, 1506; vom 30. Juni 2004 VI S 1/03 (PKH), [X.] 2004, 1541). Selbst wenn dies zu bejahen sein sollte, wird in der Beschwerdeschrift nicht mit einem substantiierten Tatsachenvortrag erkennbar gemacht, dass das von § 149 ZPO eingeräumte tatrichterliche Ermessen (vgl. Beschluss des [X.] --BGH-- vom 17. November 2009 VI ZB 58/08, Neue Juristische [X.] Zivilrecht --NJW-RR-- 2010, 423; [X.]/[X.], Zivilprozessordnung, 30. Aufl., § 149 Rz 2) im Streitfall fehlerhaft betätigt worden ist (zum Abwägungsvorgang im Einzelnen vgl. [X.] in NJW-RR 2010, 423).

c) Sollte das weitere Vorbringen der Kläger dahin zu verstehen sein, dass die Aussetzung des vorliegenden Beschwerdeverfahrens gemäß § 149 Abs. 1 ZPO beantragt wird, so muss diesem Begehren der Erfolg schon deshalb versagt bleiben, weil der [X.] bei seiner Entscheidung über die Revisionszulassung wie auch bei einer etwaigen Revisionsentscheidung grundsätzlich an die tatsächlichen Feststellungen des [[X.].] gebunden ist (§ 118 Abs. 2 [[X.].]O). Das Strafverfahren soll nach Ansicht der Kläger zu neuen bzw. besseren tatsächlichen Erkenntnissen (Hintergründe der Ausbuchung eines Gebäudeteils; Würdigung diesbezüglicher Zeugenaussagen) führen. Diese kann der [X.] gemäß § 118 Abs. 2 [[X.].]O aber nicht berücksichtigen (vgl. [X.] in Tipke/[[X.].], a.a.[X.], § 74 [[X.].]O Rz 4; Thürmer in [X.], § 74 [[X.].]O Rz 15, m.w.N.).

6. Bewertung der Entnahme

Die Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 [[X.].]O) im Hinblick auf den Wert des entnommenen Grundstücksteils ist nicht ordnungsgemäß gerügt worden.

Die Kläger machen insoweit geltend, dass das Gericht auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen die Tatsachen zur zutreffenden Bewertung der Entnahme hätte ermitteln müssen. In einem solchen Fall setzt die schlüssige Rüge u.a. den substantiierten Vortrag darüber voraus, aus welchen --genau bezeichneten-- Gründen sich dem [[X.].] die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung (Beweiserhebung) auch ohne entsprechenden Antrag hätte aufdrängen müssen, welche (entscheidungserheblichen) Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung voraussichtlich ergeben hätten, inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des --ggf. auch unrichtigen-- materiell-rechtlichen Standpunkts des [[X.].] zu einer anderen Entscheidung hätte führen können und warum ein fachkundig vertretener Kläger nicht von sich aus entsprechende Anträge gestellt hat (vgl. § 295 ZPO i.V.m. § 155 [[X.].]O; [X.] vom 25. Juni 2002 [X.] B 199/01, [X.] 2002, 1332; vom 13. Dezember 2001 II B 46/00, [X.] 2002, 654, und vom 19. Januar 2006 VIII B 84/05, [X.] 2006, 803).

In der Beschwerdebegründungsschrift konnte der Senat keine Antwort auf die durchaus naheliegende Frage finden, warum die fachkundig vertretenen Kläger nicht von sich aus das Problem der [X.] aufgegriffen haben. Gerade die dort wiedergegebene Aussage des [X.], wonach der Entnahmewert "traumhaft" gewesen sei, lässt die Passivität der Klägerseite unverständlich erscheinen.

Meta

III B 147/12

21.10.2013

Bundesfinanzhof 3. Senat

Beschluss

vorgehend FG Nürnberg, 11. Oktober 2012, Az: 4 K 1048/12, Urteil

§ 62 Abs 6 S 4 FGO, § 74 FGO, § 104 Abs 1 FGO, § 149 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 21.10.2013, Az. III B 147/12 (REWIS RS 2013, 1827)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1827

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