Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 17.12.2007, Az. I-3 U 102/07

3. Zivilsenat | REWIS RS 2007, 224

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Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 12.03.2007 verkündete Urteil der

1. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.

 

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

 

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Dem Kläger wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

Gründe

I.

Der am ####1972 geborene Kläger begehrt den Ersatz materieller und immaterieller Schäden wegen einer vermeintlich fehlerhaften ärztlichen Behandlung seitens des Beklagten am 02.11.2000. Er behauptet hierzu, der Beklagte sei anlässlich einer Tumoroperation an der 6. Rippe des Klägers fehlerhaft vorgegangen und habe insbesondere auch die 9. Rippe beschädigt. Hierdurch sei es bei dem Kläger zu Nervenschäden und anderen erheblichen Beschwerden gekommen, aufgrund derer er in seiner Lebensführung erheblich eingeschränkt sei. Über das Risiko einer Beschädigung benachbarter Rippen sei der Kläger nicht aufgeklärt worden.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des erstinstanzlichen Streitstands wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Feststellungen im Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Essen Bezug genommen.

Das Landgericht hat ein schriftliches chirurgisches Sachverständigengutachten des Facharztes für Chirurgie Dr. y zur Frage etwaiger Behandlungsfehler seitens des Beklagten und möglicher Auswirkungen auf den weiteren Krankheitsverlauf eingeholt. Es hat sodann die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, ein Behandlungsfehler könne nicht festgestellt werden. Die Ursache des Defekts an der 9. Rippe sei unklar. Eine Behandlungsalternative habe zu der durchgeführten Rippenteilresektion nicht bestanden. Die Schnittführung sei ordnungsgemäß. Dokumentationsmängel lägen nicht vor, würden dem Kläger aber im Ergebnis nicht zum Erfolg verhelfen, da selbst eine unterstellte fehlende Dokumentation der Verletzung keinen Rückschluss auf einen Behandlungsfehler erlaube.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerechten Berufung, mit der er im Wesentlichen an seiner Behauptung festhält, der Defekt der 9. Rippe könne nur auf eine willentliche und damit fehlerhafte Resektion zurückzuführen sein. Jedenfalls sei er über dieses spezifische Risiko nicht aufgeklärt worden. Hätte er gewusst, dass auch benachbarte Rippen verletzt werden könnten, so hätte er sich der Operation nicht unterzogen, sondern zunächst weiteren Rat eingeholt.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils,

1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt werde, mindestens jedoch 35.000,- € nebst 8 % Zinsen aus einem Betrag von 25.000,- € seit dem 19.06.2004 und aus einem Betrag von 10.000,- € seit Rechtshängigkeit;

2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn weitere 1.632,- € nebst 8 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche weiteren materiellen Schäden, die ihm aus der dortigen fehlerhaften Behandlung entstanden sind, derzeit entstehen und in Zukunft entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er bestreitet weiterhin, eine Teilresektion der 9. Rippe vorgenommen zu haben und behauptet, durch einen Thoraxsperrer oder die Drainage sei es schicksalhaft zu einer Absplitterung gekommen, die er sodann geglättet habe.

Der Senat hat den Kläger persönlich angehört und den Sachverständigen Dr. y zu seinem Gutachten vernommen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll und den Vermerk des Berichterstatters vom 17.12.2007 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Kläger hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten wegen der Behandlung des Knochentumors im Jahr 2000.

1.

Ein Behandlungsfehler des Beklagten kann nicht festgestellt werden. Hierbei ist allein noch Gegenstand der Berufung, ob der Beklagte willentlich einen Teil der 9. Rippe entfernte. Die Vermutung des Klägers, insoweit sei von einem Versehen des Beklagten auszugehen, beruht auf bloßer Spekulation und findet im Ergebnis der Beweisaufnahme keine Grundlage.

Wie der Sachverständige anhand der im Senatstermin in Augenschein genommenen Lichtbilder des Klägers (Bl. 280 d.A.) überzeugend ausgeführt hat, spricht schon die Lokalisation der Narbe gegen ein irrtümliches Aufsuchen der 9. anstatt der 6. Rippe. Der Schnitt läuft entlang der unteren Spitze des Schulterblatts und damit annähernd parallel zur 6. Rippe. Hätte der Beklagte zunächst beabsichtigt, an der 9. Rippe zu operieren, so hätte er den Schnitt einige Zentimeter tiefer setzen müssen. Schon dieser Umstand lässt die behauptete Verwechslung unplausibel und nicht wahrscheinlich erscheinen. Hinzu kommt, dass die Operation nach den Ausführungen des Beklagten, die der Sachverständige bestätigt hat, in der Weise vorgenommen wird, dass der Operateur zunächst den Knochentumor von außen durch die Haut tastet und dann an der entsprechenden Stelle schneidet. Auch danach ist eine Abweichung des Beklagten um drei Rippen vom tatsächlichen Operationsgebiet nicht vorstellbar.

Dagegen ist eine Beschädigung der 9. Rippe durch einen Thoraxsperrer ohne weiteres plausibel. Wie der Sachverständige erläutert hat, ist es bei einer Operation wie der hier vorgenommenen notwendiger Standard, unter Zuhilfenahme eines solchen Sperrers vorzugehen. Dies beruht darauf, dass es bei Knochentumoren unerlässlich ist, den Tumor großflächig im gesunden Gewebe zu resezieren, um die Gefahr eines Rezidivs möglichst gering zu halten. Hierzu muss aber der Thorax eröffnet und mit der Hand inspiziert werden. Die Lunge muss abgetastet und gegebenenfalls befallenes Weichteilgewebe großzügig entfernt werden. Wie der Sachverständige anschaulich dargestellt hat, ist dies nicht möglich, wenn nicht die Rippen auseinander gespreizt werden, weil sonst die Hand des Operateurs nicht in den Thorax gelangen kann. Der Thoraxspreizer kann auch abseits des eigentlichen Tumors angesetzt werden, weshalb es nachvollziehbar ist, dass hier nicht die benachbarte 5. oder 7. Rippe betroffen ist.

Gegen ein solches Geschehen spricht auch nicht die Größe der beschädigten Stelle. Diese beträgt, wie schon erstinstanzlich radiologisch festgestellt wurde und wie der Sachverständige im Termin anhand der Röntgenaufnahme nochmals nachgemessen hat, ca. 3 – 3,5 cm. Soweit der Kläger behauptet, es seien 5 cm, unterliegt er insoweit einem Irrtum, als auch der von ihm beauftragte Privatgutachter Dr. u von ca. 5 cm auf dem diesem vorliegenden Bild spricht, welches nicht zwangsläufig mit der tatsächlichen Größe übereinstimmt. 

Zudem ist die Behauptung des Beklagten plausibel, er habe die Bruchkanten nachträglich geglättet, um eine Verletzung des Lungengewebes zu vermeiden. Auch insoweit hat der Sachverständige erklärt, bei Rippenfrakturen in gleicher Weise vorzugehen, da jede scharfe Kante eine Gefahr für die Lunge darstelle.

Die auf die Ausführungen des Dr. u gestützten Vorwürfe des Klägers gegen die Vorgehensweise des Beklagten überzeugen darüber hinaus schon deshalb nicht, weil der Privatgutachter von einem falschen Sachverhalt ausgeht, indem er einen gutartigen Tumor und einen „harmlosen“ Befund postuliert. Tatsächlich hat sich selbst durch die histologische Untersuchung im Knochentumor-Register I die Malignität des Gewebes nicht ausschließen lassen, vielmehr erscheint der Übergang in ein Sarkom ausweislich des Berichts vom 16.11.2000 denkbar. Die Schlussfolgerung des Klägers, der Tumor müsse gutartig gewesen sein, weil sich in den 7 Jahren seit der Operation kein Rezidiv gebildet hat, ist unzutreffend. Dass glücklicherweise kein erneuter Tumor aufgetreten ist, ist unabhängig von der Malignität und dürfte eher auf der sorgfältigen und umfassenden Resektion seitens des Beklagten beruhen.

Wegen der präoperativ ungeklärten Bösartigkeit des Tumors kam auch eine Biopsie nicht in Betracht, da diese bei Knochentumoren, die grundsätzlich vollständig entfernt werden, kontraindiziert ist. Aussagekräftige Ergebnisse wären von einer solchen Untersuchung auch nicht zu erwarten gewesen, weil durchaus bösartiges Tumorgewebe unmittelbar neben gutartiger Gewebsmasse liegen kann, so dass die Ergebnisse einer Biopsie vom Zufall abhängen.

Deshalb ist auch der Einwand des Klägers unbegründet, der Schnitt sei zu lang gesetzt. Wie bereits dargestellt, bedurfte es einer großzügigen Resektion des Gewebes im Gesunden, so dass angesichts einer Länge des entnommenen Rippenstücks von 14 cm und des notwendigen Sicherheitsabstands nach den Ausführungen des Sachverständigen ein noch längerer Schnitt vertretbar gewesen wäre, zumal durch die Größe der Öffnung die notwendige Übersicht über das Operationsgebiet verbessert wird.

Alle o.g. Ausführungen des Sachverständigen beruhen auf sorgfältigem Studium der Krankenunterlagen sowie nachvollziehbarer und schlüssiger Bewertung der maßgeblichen Aspekte. Die abweichenden Feststellungen des Privatgutachters Dr. u überzeugen hingegen aus den genannten Gründen nicht. Der Senat hatte daher keine Veranlasssung, der Anregung des Klägers, einen weiteren Sachverständigen zu beauftragen, zu folgen.

Ein Behandlungsfehler des Beklagten kann folglich nicht festgestellt werden.

Dies geht zu Lasten des beweispflichtigen Klägers, zu dessen Gunsten keine Beweiserleichterungen in Betracht kommen. Diese folgen insbesondere nicht aus einer unzureichenden Dokumentation. Der Einsatz des Thoraxsperrers war – wie der Sachverständige erläutert hat – schon deshalb nicht dokumentationspflichtig, weil es sich um eine unerlässliche Routinemaßnahme handelt, die bei jeder Operation der vorgenommenen Art durchgeführt wird. Die Beschädigung der 9. Rippe hat der Sachverständige für so unbedeutend und ohne jede therapeutische Konsequenz bezeichnet, dass sie schon nicht dokumentationspflichtig sei. Zudem habe sie keine medizinische Konsequenz, da sie allenfalls zu erhöhten postoperativen Schmerzen führen könne, jeder Thoraxpatient aber nach der Operation ohnehin intensivmedizinisch versorgt werde und einen PDA-Schmerzkatheter gelegt bekomme.

Selbst wenn man die Absplitterung an der 9. Rippe als dokumentationspflichtig ansehen wollte, ist nicht ersichtlich, inwieweit eine unterlassene Dokumentation einen Rückschluss auf ein behandlungsfehlerhaftes Geschehen erlauben sollte.

2.

Auch mit dem im Laufe des Rechtsstreits erhobenen Vorwurf der unzureichenden Aufklärung kann der Kläger nicht mit Erfolg Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten begründen. Soweit der Kläger behauptet, ein chronisches Schmerzsyndrom davongetragen zu haben, tritt dies zwar nach den Ausführungen des Sachverständigen nach ca. 30 % der Thoraxoperationen auf. Dieser Umstand ist allerdings erst in letzter Zeit ins Bewusstsein gerückt und war im Jahr 2000 noch nicht bekannt, so dass aus der maßgeblichen damaligen Sicht dieses Risiko nicht aufklärungspflichtig ist.

Dessen ungeachtet hat der Beklagte den Kläger entsprechend aufgeklärt, indem er u.a. auf die Gefahr einer Verletzung von Nerven mit Missempfindungen hinwies. Dabei geht der Senat von dem Grundsatz aus, dass eine Risikoaufklärung nicht dazu dient, medizinisches Detailwissen zu vermitteln, sondern den Patienten „im Großen und Ganzen“ ergebnisbezogen über die eingriffsspezifischen Risiken zu unterrichten (vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 5. Aufl. 2006, Rn. C 85). Auf den Fall bezogen bedeutet dies, dass dem Kläger bewusst zu machen war, dass es zu einer Beschädigung von Nerven mit den damit verbundenen Folgen kommen könne. Auf welche Weise diese Beschädigung im Einzelnen verursacht werden konnte, ob durch die Resektion selbst oder eine Fraktur einer benachbarten Rippe, war für den Kläger unerheblich und brauchte daher nicht erläutert zu werden.

Daher kommt es nicht mehr darauf an, dass der Kläger zur Überzeugung des Senats auch bei einer noch umfassenderen Aufklärung über die Operationsrisiken nicht in einen echten Entscheidungskonflikt geraten wäre. Ein Entscheidungskonflikt des Klägers ist in keiner Weise plausibel dargetan, weshalb eine hypothetische Einwilligung des Klägers in die Operation bei – soweit ein Aufklärungsdefizit unterstellt wird - vollständiger Aufklärung anzunehmen ist.

Hierbei kommt dem Umstand entscheidendes Gewicht zu, dass präoperativ differentialdiagnostisch durchaus die realistische Gefahr eines bösartigen Tumors in Form eines Sarkoms bestand. Dies hätte unbehandelt unmittelbar lebensbedrohliche Folgen für den Kläger gehabt. Es bestand daher die dringende Indikation für den Eingriff. Dem gegenüber stand das Risiko einer an sich vergleichsweise harmlosen Beschädigung einer Rippe.

Soweit der Kläger deshalb ohne nähere Begründung angibt, er hätte in Kenntnis dieser Umstände auch nur gezögert, die Operation von dem auch von ihm als sehr erfahren geschilderten Beklagten durchführen zu lassen, überzeugt dies in keiner Weise.

Da folglich schon keine Pflichtverletzungen des Beklagten bei der Behandlung im Jahr 2000 festzustellen sind, kann letztlich auch dahinstehen, dass die behaupteten Beeinträchtigungen des Klägers zur Überzeugung des Sachverständigen ohnehin nicht auf die Beschädigung der 9. Rippe, sondern allenfalls auf die Teilresektion der 6. Rippe zurückzuführen sind. Dies schließt der Sachverständige aus der dort vorgenommenen Entfernung von Weichteilgewebe unterhalb der Rippe, wo die Nervenbahnen laufen, während an der 9. Rippe, soweit ersichtlich, lediglich Knochengewebe entnommen wurde.

3.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10,

711 ZPO.

4.

Die Revision war nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 ZPO).

Meta

I-3 U 102/07

17.12.2007

Oberlandesgericht Hamm 3. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: U

Zitier­vorschlag: Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 17.12.2007, Az. I-3 U 102/07 (REWIS RS 2007, 224)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2007, 224

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