Bundessozialgericht, Beschluss vom 01.07.2020, Az. B 10 ÜG 2/20 B

10. Senat | REWIS RS 2020, 2340

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

(Nichtzulassungsbeschwerde - Prozesskostenhilfe - hinreichende Erfolgsaussicht - Anhaltspunkte für Revisionszulassungsgründe - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - gesetzlicher Richter - Befangenheit eines Richters - Anzeige des Klägers wegen Prozessbetrugs im laufenden Verfahren - Bezeichnung der Klage als "unverschämt" - keine willkürliche Ablehnung des Befangenheitsantrags - keine Aussetzung nach § 114 Abs 3 SGG bei vorläufigem Absehen einer Klage durch die Staatsanwaltschaft - Terminverlegungsantrag - Terminkollision - Aufteilung der Termine in der Rechtsanwaltskanzlei - Darlegungsanforderungen - Zumutbarkeit einer sehr frühen Anreise zum Verhandlungstermin)


Tenor

Der Antrag des [X.], ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 11. Februar 2020 (6. Februar 2020) Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt [X.], S., N., beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des [X.] gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auf 32 397 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt in der Hauptsache Entschädigung wegen der überlangen Dauer eines beim [X.] ([X.] U 2/02) geführten Klageverfahrens und des anschließenden Berufungsverfahrens vor dem [X.] (L 17 U 446/14).

2

Nach Ablehnung von Prozesskostenhilfe (PKH) durch das Entschädigungsgericht hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung am [X.] unter anderem vier Schreiben übergeben, mit denen er die Verzögerung des Verfahrens beim [X.] gerügt habe. Nach erfolgloser Aufforderung zur Stellungnahme, dass diese vorgelegten Schreiben nicht in den Akten des [X.] zu finden seien, hat das Entschädigungsgericht um Ermittlung durch die Staatsanwaltschaft [X.] gebeten. Diese hat mit Verfügung vom [X.] von der Erhebung der öffentlichen Klage vorläufig abgesehen, da zunächst abzuwarten sei, ob dem Beschuldigten ein Anspruch zugesprochen werde oder ob es sich nur um den Versuch eines ([X.] handeln könne. Auf die Ladung zum Termin am [X.] durch das Entschädigungsgericht führte der seinerzeitige Prozessbevollmächtigte des [X.] unter anderem aus, dass aufgrund des Ermittlungsverfahrens das hiesige Verfahren zum Ruhen gebracht werden müsse. Im Übrigen werde die Aussetzung des Verfahrens beantragt sowie die Verlegung des Termins, weil eine Anreise von [X.] nach [X.] zu einem Termin um 9:30 Uhr bereits um 5:30 Uhr angetreten werde müsse. Zudem habe der Prozessbevollmächtigte am selben Tage ab 12:30 Uhr eine Veranstaltung bei dem Polizeipräsidium M. in [X.], bei der er ab 14:00 Uhr einen Vortrag halte. Nach Ablehnung der Terminverlegung hat das Entschädigungsgericht in Abwesenheit des [X.] und seines Prozessbevollmächtigten nach mündlicher Verhandlung vom [X.] die Klage abgewiesen, weil der Kläger keine wirksame Verzögerungsrüge im Verfahren beim [X.] und auch nicht im Verfahren beim L[X.] erhoben habe. Überdies fehle es in Bezug auf das Berufungsverfahren L 17 U 446/14 vor dem L[X.] an einer unangemessenen Verfahrensdauer.

3

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Entschädigungsgerichts wendet sich der Kläger mit der Beschwerde, für die er PKH unter Beiordnung seines bisherigen Rechtsanwalts begehrt. Das Entschädigungsgericht habe eine Aussetzung kategorisch verweigert, sodass sein bisheriger Prozessbevollmächtigter sich veranlasst gesehen habe, den Vorsitzenden abzulehnen. Mit der vorzeitigen Abqualifizierung der Klagen und Forderungen als "unverschämt" habe [X.] am L[X.] zu erkennen gegeben, dass das Ziel der Klageabweisung von Anfang festgestanden habe. Da zu dieser Angelegenheit derzeit noch Ermittlungen liefen, werde die Aussetzung der Begründungsfrist bis zum Abschluss dieser Ermittlungen beantragt.

4

II. Der Antrag des [X.], ihm PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zu gewähren, ist abzulehnen.

5

Nach § 73a Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm § 114 Abs 1 Satz 1, § 121 Abs 1 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem B[X.] nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn unter anderem die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es. Der Kläger kann aller Voraussicht nach mit seinem Begehren auf Zulassung der Revision nicht durchdringen, weil es keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 [X.]G) in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen. Nach Durchsicht der Akten und unter Berücksichtigung der Ausführungen des [X.] fehlen Anhaltspunkte dafür, dass er einen der in § 160 Abs 2 [X.] bis 3 [X.]G abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte.

6

1. Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall des [X.] hinausgehende grundsätzliche Bedeutung ([X.] gemäß § 160 Abs 2 [X.] [X.]G). Wer sich auf diesen [X.] beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern die Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zum Ganzen Senatsbeschluss vom 29.10.2018 - [X.] ÜG 6/18 B - juris RdNr 4 mwN). Der Kläger trägt im Rahmen seiner Beschwerde keine Gründe vor, die eine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage begründen könnten. Diese sind auch nicht aus dem Akteninhalt ersichtlich.

7

2. Ferner ist nichts dafür ersichtlich, dass das Entschädigungsgericht entscheidungstragend von der Rechtsprechung des B[X.], des [X.] oder des [X.] abgewichen sein könnte ([X.] gemäß § 160 Abs 2 [X.] [X.]G). Das L[X.] hat sich in seinem Urteil ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Senats zu Art 23 [X.] und zu § 198 [X.] gestützt. Ein eventueller Versuch des [X.], gleichwohl eine Divergenz darlegen zu wollen, liefe letztlich auf die Behauptung einer unrichtigen Rechtsanwendung durch das L[X.] im Einzelfall hinaus. Die Rüge einer fehlerhaften Rechtsanwendung des Entschädigungsgerichts zum maßgeblichen Rügezeitpunkt in einem Einzelfall könnte jedoch einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht zum Erfolg verhelfen (vgl Senatsbeschluss vom 8.1.2018 - [X.] ÜG 14/17 B - juris RdNr 8).

8

3. Ebensowenig ist davon auszugehen, dass der Kläger einen Verfahrensfehler des L[X.] bezeichnen könnte, der die Revisionszulassung rechtfertigt ([X.] gemäß § 160 Abs 2 [X.] [X.]G). Danach ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G (Anhörung eines bestimmten Arztes und Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 [X.]G (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das L[X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Hierfür liegen nach dem Vortrag des [X.] und dem Akteninhalt keinerlei Anhaltspunkte vor.

9

Ein Verstoß gegen § 114 Abs 3 [X.]G ist nicht ersichtlich. Zwar kann ein Gericht nach § 114 Abs 3 [X.]G, wenn sich im Laufe eines Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist, die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen. Diese im Ermessen des Gerichts liegende Verfahrenshandlung setzt jedoch voraus, dass die Ermittlungen im Strafverfahren die Entscheidung des Gerichts beeinflussen können. Vorliegend hat die Staatsanwaltschaft von der Erhebung der öffentlichen Klage nach § 154d Satz 1 StPO aber vorläufig abgesehen, weil es gerade die Entscheidung des Entschädigungsgerichts für seine weitere Beurteilung der Sach- und Rechtslage abwarten wollte. Damit liegt kein Fall des § 114 Abs 3 [X.]G vor.

Eine Verletzung des Anspruchs des [X.] auf rechtliches Gehör (vgl §§ 62, 128 [X.]G, Art 103 Abs 1 GG) aufgrund der Ablehnung des [X.] scheidet gleichfalls aus (vgl B[X.] Beschluss vom 31.10.2005 - B 7a [X.] 134/05 B - juris RdNr 8 mwN). Der Terminverlegungsantrag des Prozessbevollmächtigten enthält bereits deshalb keinen erheblichen Grund für eine Verlegung iS des § 227 Abs 1 ZPO iVm § 202 [X.]G, weil er gegenüber dem Entschädigungsgericht nicht vorgebracht hat, dass es ihm nicht möglich gewesen wäre, die Terminkollision durch eine Aufteilung innerhalb der eigenen Kanzlei zu kompensieren. Eine Anfahrt von [X.] an sich war nach den eigenen Angaben möglich.

Auch ein Verstoß des Entschädigungsgerichts gegen Art 101 Abs 1 Satz 2 GG durch den Entzug des gesetzlichen [X.] ist nicht ausreichend gerügt, weil das Verhalten des Vorsitzenden [X.] am L[X.] sowie dessen Strafanzeige gegenüber der Staatsanwaltschaft die Besorgnis der Befangenheit erwecke und Zweifel an der Neutralität und der Distanz des [X.] vorlägen. Auch wenn das Vorbringen des [X.] in seiner Nichtzulassungsbeschwerde und seinem [X.] sinngemäß diese Ausführungen beinhalten und eine Besetzungsrüge darstellen könnten, so lassen sich weder dem Vorbringen noch dem Akteninhalt schlüssige Tatsachen entnehmen, aus denen sich eine unvorschriftsmäßige Besetzung des Entschädigungsgerichts ergeben könnte, die eine entsprechende Rüge im [X.] stützen könnten. Die Rüge fehlerhafter Besetzung des Entschädigungsgerichts bei Erlass des angefochtenen Urteils kann im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde nur ausnahmsweise darauf gestützt werden, die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs beruhe auf willkürlichen Erwägungen oder habe Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt (vgl Senatsbeschluss vom 29.10.2018 - [X.] ÜG 6/18 B - juris Rd[X.]1 mwN). Das Entschädigungsgericht hat ohne Mitwirkung des als befangen erachteten [X.] die vom Kläger selbst mit Schreiben vom 3.2.2020, eingegangen am 5.2.2020, und von seinem Prozessbevollmächtigten am 5.2.2020 gestellten Befangenheitsanträge mit Beschluss vom [X.] abgelehnt (L 8 SF 25/20 AB). Dieser Beschluss ist dem Prozessbevollmächtigten des [X.] laut [X.] am selben Tage als elektronisches Dokument zugestellt (§ 63 Abs 2 [X.]G iVm § 174 Abs 3 und 4 ZPO) und dem Bevollmächtigten des Beklagten laut Sitzungsniederschrift vor Beginn der mündlichen Verhandlung am [X.] übergeben worden. Eine willkürliche Gesetzesanwendung oder offensichtlich unhaltbare Entscheidung lässt sich dem Beschluss nicht entnehmen (zu den Anforderungen vgl B[X.] Beschluss vom 2.11.2007 - B 1 KR 72/07 B - [X.] 4-1100 Art 101 [X.] Rd[X.]0 mwN) und ist auch sonst nicht ersichtlich.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]G).

4. Der Antrag auf PKH ist daher abzulehnen. Damit entfällt zugleich auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts (§ 73a Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm § 121 Abs 1 ZPO).

5. Die Beschwerde ist ohne Zuziehung [X.] als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 [X.]G), weil sie nicht durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegt worden ist (§ 73 Abs 4 iVm § 160a Abs 1 Satz 1 [X.]G).

6. Der sinngemäß gestellte Antrag des [X.] auf Verlängerung der Begründungsfrist seiner Nichtzulassungsbeschwerde ("Aussetzung der Begründungsfrist") ist abzulehnen, da der Kläger nicht zu den gemäß § 73 Abs 4 [X.]G berechtigten Personen gehört, die vor dem B[X.] auftreten können (vgl Senatsbeschluss vom [X.] - [X.] ÜG 11/19 B - juris RdNr 7).

7. [X.] beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 [X.]G iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO, § 183 Satz 6 [X.]G).

8. Die [X.] folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm § 47 Abs 1 bis 3, § 52 Abs 1 und 3 Satz 1 GKG. Da der Kläger einen Entschädigungsanspruch in Höhe von 32 397 Euro als ([X.] geltend macht, ist der Streitwert in dieser Höhe festzusetzen.

Meta

B 10 ÜG 2/20 B

01.07.2020

Bundessozialgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend SG Nürnberg, 26. März 2012, Az: S 13 SF 42/12 AB, Beschluss

§ 160a SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 60 SGG, § 73 Abs 4 SGG, § 73a Abs 1 S 1 SGG, § 114 Abs 3 SGG, § 202 SGG, § 42 Abs 1 ZPO, § 42 Abs 2 ZPO, § 114 Abs 1 S 1 ZPO, § 121 Abs 1 ZPO, § 138 ZPO, § 227 Abs 1 ZPO, § 154d S 1 StPO, § 158 StPO, § 263 StGB, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 01.07.2020, Az. B 10 ÜG 2/20 B (REWIS RS 2020, 2340)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2340

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