Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.06.2018, Az. 5 AZR 262/17

5. Senat | REWIS RS 2018, 7482

ARBEITSRECHT BUNDESARBEITSGERICHT (BAG) VERTRAGSRECHT ARBEITSVERTRAG ALLGEMEINE GESCHÄFTSBEDINGUNGEN (AGB) FRIST MINDESTLOHN

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Gegenstand

Ausschlussfrist - Hemmung wegen Vergleichsverhandlungen


Leitsatz

Verlangt eine arbeitsvertragliche Ausschlussfristenregelung, dass ein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis zur Vermeidung seines Verfalls innerhalb einer bestimmten Frist gerichtlich geltend gemacht werden muss, ist die Ausschlussfrist in entsprechender Anwendung des § 203 Satz 1 BGB gehemmt, solange die Parteien vorgerichtliche Vergleichsverhandlungen führen.

Tenor

1. Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 9. Mai 2017 - 7 [X.]/16 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Vergütung von Überstunden und Urlaubsabgeltung.

2

Der Kläger war vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Juli 2015 bei dem Beklagten als technischer Sachbearbeiter beschäftigt. Sein Verdienst betrug zuletzt 4.361,00 Euro brutto monatlich. Der schriftliche Arbeitsvertrag der Parteien enthält eine Ausschlussfristenregelung, die lautet:

        

„Ansprüche beider Parteien aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten ab Fälligkeit schriftlich gegenüber der Gegenseite geltend gemacht werden. Entscheidend ist der Zugang des Schreibens. Nach Ablauf der Frist kann der Anspruch nicht mehr geltend gemacht werden.

        

Lehnt die Gegenseite den Anspruch ab oder äußert sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen ab Zugang der Geltendmachung, so ist der Anspruch innerhalb von weiteren drei Monaten ab Zugang der Ablehnung bzw. Ablauf der Zweiwochenfrist bei Gericht anhängig zu machen. Anderenfalls ist der Anspruch verfallen und kann nicht mehr geltend gemacht werden.“

3

Mit Schreiben vom 14. September 2015 forderte der Kläger vom Beklagten die Abgeltung von 32 Urlaubstagen mit einem Gesamtbetrag von 6.387,52 Euro brutto sowie weitere 4.671,88 Euro brutto als Vergütung für 182,25 Überstunden. Der Beklagte lehnte mit Schreiben vom 28. September 2015 die Ansprüche ab, wies dabei allerdings darauf hin, er strebe eine einvernehmliche Lösung an. In der Folgezeit führten die Parteien über die von ihnen beauftragten Rechtsanwälte Vergleichsverhandlungen, die zumindest bis zum 25. November 2015 andauerten, jedoch erfolglos blieben.

4

Mit der am 21. Januar 2016 anhängig gemachten Klage hat der Kläger seine Ansprüche weiter verfolgt. Die geleisteten Überstunden würden sich aus dem Arbeitszeitkonto ergeben, Urlaub habe er im Jahr 2015 wegen der hohen Arbeitsbelastung nicht nehmen können. Auf die Ausschlussfrist könne sich der Beklagte nach den Grundsätzen von [X.] und Glauben nicht berufen. Überdies sei die [X.] unwirksam. Sie nehme den nach § 3 Satz 1 [X.] unverfallbaren Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht aus und verstoße zudem gegen § 309 Nr. 7 BGB.

5

Der Kläger hat - soweit für die Revision von Belang - sinngemäß beantragt,

        

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 11.007,42 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. August 2015 zu zahlen.

6

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, die Ansprüche des [X.] seien wegen nicht rechtzeitiger gerichtlicher Geltendmachung verfallen.

7

Das Arbeitsgericht hat durch Teil- und Schlussurteil die Klage insgesamt abgewiesen. Das [X.] hat die Berufungen des [X.] verbunden und zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Ansprüche weiter, während der Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des [X.] ist begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.], § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

9

I. Mit der Begründung des [X.]s, die Ansprüche des [X.] seien aufgrund der arbeitsvertraglichen [X.] wegen nicht rechtzeitiger gerichtlicher Geltendmachung verfallen, kann die Klage nicht abgewiesen werden.

1. Im Ergebnis zutreffend hat das [X.] angenommen, die Berufung des Beklagten auf den Verfall der Ansprüche sei nicht rechtsmissbräuchlich.

a) An den Einwand des Rechtsmissbrauchs bei der Berufung auf eine Ausschlussfrist sind grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen. Voraussetzung ist, dass die zum Verfall des Anspruchs führende Untätigkeit durch ein Verhalten der Gegenpartei veranlasst worden ist oder der Schuldner es pflichtwidrig unterlassen hat, dem Gläubiger die Umstände mitzuteilen, die diesen zur Einhaltung der Ausschlussfrist veranlasst hätten (vgl. [X.] 19. November 2014 - 5 [X.] - Rn. 36, [X.]E 150, 88; 18. Februar 2016 - 6 [X.] - Rn. 25, jeweils mwN).

b) Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Beklagte hat den Kläger weder von der gerichtlichen Geltendmachung seiner Ansprüche abgehalten noch objektiv den Eindruck erweckt, der Kläger könne wegen der vorgerichtlichen Vergleichsverhandlungen darauf vertrauen, die Ansprüche würden auch ohne gerichtliche Geltendmachung erfüllt werden. Vielmehr hat der anwaltliche Vertreter des Beklagten - wie sich aus einem vom [X.] im Tatbestand des Berufungsurteils in Bezug genommenen Schreiben des späteren Prozessbevollmächtigten des [X.] an diesen ergibt - am 25. November 2015 ein neues Vergleichsangebot (Zahlung von 5.000,00 Euro brutto) unterbreitet und darauf hingewiesen, dieser Betrag sei „nicht verhandelbar“.

2. Der Kläger hat mit der am 21. Januar 2016 anhängig gemachten Klage die zweite Stufe der arbeitsvertraglichen [X.] gewahrt.

a) Der Beklagte lehnte mit seinem dem Kläger am selben Tag zugegangenen Schreiben vom 28. September 2015 die streitgegenständlichen Ansprüche iSd. vertraglichen [X.] ab. Damit lief die Frist zur gerichtlichen Geltendmachung rechnerisch bis zum 28. Dezember 2015. Wegen der schwebenden Vergleichsverhandlungen war die Frist jedoch für die Dauer dieser Verhandlungen in entsprechender Anwendung des § 203 Satz 1 [X.] gehemmt.

aa) Inwieweit Vorschriften des Verjährungsrechts auf arbeitsvertragliche Ausschlussfristen entsprechend angewendet werden können, ist in der Rechtsprechung des [X.] nicht abschließend geklärt.

(1) Der Fünfte Senat des [X.] hat im Jahr 1973 für die Frage, wie sich eine Klagerücknahme und eine in angemessener Frist erfolgende erneute Klageerhebung auf eine (tarifliche) Ausschlussfrist, die die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs binnen einer bestimmten Frist verlangt, auswirkt, § 212 Abs. 1 und Abs. 2 [X.] aF entsprechend angewendet ([X.] 24. Mai 1973 - 5 [X.] - zu 2 der Gründe). Er hat jedoch später entschieden, dass § 212 Abs. 2 Satz 1 [X.] aF, der eine Unterbrechung der Verjährung durch Klageerhebung trotz Klagerücknahme vorsah, wenn der Berechtigte binnen sechs Monaten erneut Klage erhob, auf eine zweistufige (tarifliche) Ausschlussfrist keine entsprechende Anwendung finde, weil anderenfalls die Ausschlussfrist sich durch eine einseitige Maßnahme einer [X.] verlängern würde ([X.] 11. Juli 1990 - 5 [X.] - zu III 2 a der Gründe, [X.]E 65, 264).

(2) Des Weiteren hat der Fünfte Senat des [X.] angenommen, eine Klage wahre zwar das Erfordernis einer schriftlichen Geltendmachung in einer tariflichen Ausschlussfristenregelung, der Kläger trage in diesem Fall indes die Gefahr der nicht fristgerechten Klagezustellung ([X.] 8. März 1976 - 5 [X.] - zu 4 der Gründe; vgl. dazu nunmehr auch [X.] 16. März 2016 - 4 [X.] - [X.]E 154, 252). Eine Grenze dafür hat der Senat nur in höherer Gewalt gesehen und dabei § 203 Abs. 2 [X.] aF entsprechend angewendet, weil diese Vorschrift als allgemeingültiges Rechtsprinzip auch für tarifliche Ausschlussfristen gelten müsse ([X.] 8. März 1976 - 5 [X.] - zu 4 a der Gründe).

(3) [X.] des [X.] hat - zu einer zweistufigen tariflichen Ausschlussfrist - entschieden, tarifliche Verfallfristen könnten den Verjährungsfristen nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden. Schreibe ein Tarifvertrag jedoch ausdrücklich eine gerichtliche Geltendmachung vor und nehme damit auf den gesetzlichen Sprachgebrauch des Verjährungsrechts Bezug, sei „im Grundsatz Raum für eine entsprechende Anwendung der betreffenden gesetzlichen Vorschriften“ ([X.] 16. Januar 2003 - 2 [X.]; 7. November 1991 - 2 [X.] - zu [X.] 2 b dd der Gründe).

bb) Der [X.] nimmt in seinem Zuständigkeitsbereich an, die entsprechende Heranziehung einzelner für die Verjährung geltender Bestimmungen auf Ausschlussfristen sei nicht schlechthin ausgeschlossen; vielmehr sei von Fall zu Fall nach Sinn und Zweck der jeweiligen Bestimmung zu entscheiden, inwieweit Verjährungsvorschriften auf Ausschlussfristen anzuwenden sind ([X.] April 2008 - [X.]/07 - Rn. 21; 9. Juli 1990 - II [X.] - zu 2 der Gründe mwN, [X.]Z 112, 95). Diese Rechtsprechung hat im zivilrechtlichen Schrifttum weitgehend Zustimmung gefunden ([X.]/[X.] 77. Aufl. [X.]. v. § 194 [X.] Rn. 14; Soergel/[X.] 13. Aufl. Vor § 194 [X.] Rn. 12; [X.]/[X.] (2014) [X.]. zu §§ 194 - 225 [X.] Rn. 16; [X.]/Schmidt-Räntsch 15. Aufl. Vor § 194 [X.] Rn. 12; [X.]/[X.]/[X.] 3. Aufl. [X.] § 194 [X.] Rn. 7; [X.]/[X.]/[X.] 3. Aufl. Vor §§ 194 - 218 [X.] Rn. 40; [X.]/Deppenkemper 12. Aufl. § 194 [X.] Rn. 9; enger [X.]/[X.] 7. Aufl. Vor § 194 [X.] Rn. 10 f.).

cc) Im Arbeitsrecht ist anerkannt, dass eine einzelvertragliche Ausschlussfrist, die eine gerichtliche Geltendmachung verlangt, von dem gesetzlichen Verjährungsrecht abweicht ([X.] 25. Mai 2005 - 5 [X.] - zu IV 7 a der Gründe, [X.]E 115, 19) und dieses bei der Inhaltskontrolle von Ausschlussfristen ein gesetzliches Leitbild nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ist (vgl. nur [X.] 28. September 2005 - 5 [X.] - Rn. 24, [X.]E 116, 66; [X.]/Preis 18. Aufl. §§ 194 - 218 [X.] Rn. 46; [X.]/[X.] 7. Aufl. § 611 [X.] Rn. 1170).

(1) Ausschlussfristen und Verjährungsfristen haben zwar eine unterschiedliche Rechtswirkung; erstere vernichten das Recht, letztere geben dem Schuldner eine Einrede und hindern damit die Durchsetzung der rechtlich fortbestehenden Forderung (§ 214 [X.]). Doch geht es bei beiden im [X.] darum, dass der Anspruchsinhaber seinen Anspruch gegen den Willen des [X.] nur innerhalb bestimmter Fristen verwirklichen kann ([X.] 25. Mai 2005 - 5 [X.] - zu IV 7 a der Gründe, [X.]E 115, 19). Faktisch verkürzt eine Ausschlussfrist die Verjährungsfrist, we[X.]alb sie den Anforderungen des § 202 Abs. 1 [X.], der eine Erleichterung der Verjährung bei Haftung wegen Vorsatz im Voraus durch Rechtsgeschäft untersagt, genügen muss (st. Rspr., vgl. nur [X.] 20. Juni 2013 - 8 [X.] - Rn. 22; 28. September 2005 - 5 [X.] - Rn. 20, [X.]E 116, 66).

(2) Wie beim Verjährungsrecht soll mit einer Ausschlussfrist das im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit anzuerkennende Klarstellungsinteresse des Schuldners in Einklang gebracht werden mit dem berechtigten Anliegen des Vertragspartners, vor Beschreiten des Rechtswegs die Sach- und Rechtslage abschließend prüfen zu können und nicht zu einer voreiligen Klageerhebung gezwungen zu sein ([X.] 25. Mai 2005 - 5 [X.] - zu IV 7 a der Gründe, [X.]E 115, 19). Nimmt eine einzelvertragliche [X.] mit dem Erfordernis einer gerichtlichen Geltendmachung zudem auf einen vom Verjährungsrecht zur Hemmung der Verjährung zur Verfügung gestellten Tatbestand (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 [X.]) Bezug, gebieten die Ähnlichkeit von Funktion und faktischer Wirkung, auf die Ausschlussfrist diejenigen Verjährungsvorschriften entsprechend anzuwenden, deren Zweck dem Wesen der Ausschlussfrist nicht widerspricht (ähnlich [X.]/[X.] § 194 [X.] Rn. 10; weiter wohl [X.] Ausschlussfristen S. 76, der die Verjährungsvorschriften „grundsätzlich“ auf Ausschlussfristen anwenden will und für deren Nichtanwendung eine Begründung verlangt).

dd) Danach ist § 203 Satz 1 [X.] auf eine einzelvertragliche Ausschlussfrist, die zur Vermeidung des Verfalls eines Anspruchs seine gerichtliche Geltendmachung verlangt, entsprechend anwendbar mit der Folge, dass ihr Lauf für die Dauer von Vergleichsverhandlungen über den streitigen Anspruch gehemmt ist (im Ergebnis ebenso [X.] jurisPR-ArbR 35/2017 [X.]. 2; [X.]/Zwanziger [X.]. § 4 Rn. 1049; aA - ohne Begründung - [X.]/Preis 18. Aufl. §§ 194 - 218 [X.] Rn. 57; [X.]/Krause 4. Aufl. § 71 Rn. 30; für tarifliche Ausschlussfristen auch Langer Gesetzliche und vereinbarte Ausschlussfristen im Arbeitsrecht Rn. 220, der in der entsprechenden Anwendung von Verjährungsvorschriften einen Verstoß gegen die Tarifautonomie sieht).

(1) § 203 Satz 1 [X.] hat den vor der Schuldrechtsmodernisierung nur für Ansprüche aus unerlaubter Handlung (§ 852 Abs. 2 [X.] aF), Werk- und Reisevertrag (§ 639 Abs. 2, § 651g Abs. 2 Satz 3 [X.] aF) geltenden Hemmungstatbestand des Schwebens von Verhandlungen über den Anspruch oder die ihn begründenden Umstände auf alle Ansprüche, deren Verjährung sich nach dem [X.] richtet, erstreckt (vgl. nur [X.]/[X.] 77. Aufl. § 203 [X.] Rn. 1). Die Norm gibt Schuldner und Gläubiger [X.], ohne den Druck einer ablaufenden Verjährungsfrist über den streitigen Anspruch zu verhandeln und eine Einigung zu erzielen und hat den rechtspolitisch erwünschten Zweck, Prozesse zu vermeiden ([X.]/[X.] § 203 [X.] Rn. 2).

(2) Dieser Zweck widerspricht dem Wesen einer vertraglichen Ausschlussfrist, die eine gerichtliche Geltendmachung verlangt, nicht.

(a) Die Anknüpfung der Ausschlussfrist an die vorherige Ablehnung eines gegenüber dem Schuldner schriftlich geltend zu machenden Anspruchs (bzw. dessen [X.] hierzu), schließt es nicht aus, dass Schuldner und Gläubiger gleichwohl noch eine vorgerichtliche vergleichsweise Einigung versuchen in dem Bestreben, einen beide Seiten belastenden Arbeitsgerichtsprozess zu vermeiden.

(b) Die Ausschlussfrist ist zwar grundsätzlich eine „starre“, einseitig nicht zu verlängernde Frist. Doch bleibt sie insofern disponibel, als der Schuldner auf ihre Einhaltung verzichten kann. Außerdem können Gläubiger und Schuldner die von ihnen vereinbarte Ausschlussfrist einvernehmlich verlängern. Daher spricht nichts dagegen, ihnen über eine Hemmung der Ausschlussfrist ausreichend [X.] für vorgerichtliche Vergleichsverhandlungen einzuräumen.

(c) Die Hemmung der Ausschlussfrist bei schwebenden Vergleichsverhandlungen führt auch nicht zu einer einseitigen Verlängerung der Ausschlussfrist und einer damit einhergehenden Benachteiligung des durch die Ausschlussfrist begünstigten Schuldners. Dieser hat es in der Hand, ob er sich überhaupt auf vorgerichtliche Vergleichsverhandlungen einlassen und wie lange er solche führen will.

ee) Die Wirkung der Hemmung ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung des § 209 [X.]: Danach wird der [X.]raum, während derer die Ausschlussfrist gehemmt war, nicht in die Frist eingerechnet.

ff) Dagegen findet § 203 Satz 2 [X.], der bestimmt, dass die Verjährung frühestens drei Monate nach dem Ende der Hemmung eintritt, auf arbeitsvertragliche Ausschlussfristen keine entsprechende Anwendung. Diese den Gläubiger schützende Ablaufhemmung (vgl. [X.]/[X.] § 203 [X.] Rn. 12), kann zu einer Verlängerung der Verjährungsfrist um fast drei Monate führen ([X.]. nur [X.]/[X.] 77. Aufl. § 203 [X.] Rn. 5). Das widerspräche aber dem Zweck einer Ausschlussfrist zur gerichtlichen Geltendmachung eines Anspruchs und wäre zudem nicht [X.]. Denn der Gläubiger eines streitigen Anspruchs, der einer arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist unterliegt, muss und kann sich darauf einstellen, dass ihm nach Ende der Hemmung wegen vorgerichtlicher Vergleichsverhandlungen für die Einreichung der Klage nur die Differenz zwischen der Länge der Verfallfrist und der vor Aufnahme der Verhandlungen verstrichenen [X.] zur Verfügung steht.

b) Nach diesen Grundsätzen war der Lauf der dreimonatigen Frist zur gerichtlichen Geltendmachung entsprechend § 203 Satz 1 [X.] für den [X.]raum, in dem zwischen den [X.]en vorgerichtliche Vergleichsverhandlungen schwebten, gehemmt.

aa) Unter Vergleichsverhandlungen iSv. § 203 Satz 1 [X.] ist grundsätzlich jeder ernsthafte Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen zu verstehen, sofern der Schuldner dies nicht sofort und erkennbar ablehnt. Verhandlungen schweben schon dann, wenn eine der [X.]en Erklärungen abgibt, die der jeweils anderen die Annahme gestatten, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruchs oder dessen Umfang ein ([X.] 7. November 2014 - V ZR 309/12 - Rn. 20; [X.]/[X.] § 203 [X.] Rn. 8; [X.]/[X.] 7. Aufl. § 203 Rn. 5; [X.]/Schmidt-Räntsch [X.] 15. Aufl. § 203 Rn. 5a).

bb) Aus den nicht angegriffenen Feststellungen des [X.]s ergibt sich, dass der Beklagte über seinen anwaltlichen Vertreter im [X.] vom 28. September 2015 Vergleichsbereitschaft „signalisierte“ und die [X.]en daraufhin unstreitig vorgerichtliche Vergleichsverhandlungen führten. Diese begannen spätestens mit dem im Tatbestand des Berufungsurteils festgehaltenen Telefonat der von den [X.]en beauftragten Rechtsanwälte am 28. Oktober 2015. Die Verhandlungen schwebten mindestens bis zum Telefonat der anwaltlichen Vertreter der [X.]en am 25. November 2015, bei dem der Beklagte dem Kläger unstreitig ein neues (und letztes) Vergleichsangebot unterbreitete. Frühestens zu diesem [X.]punkt hat der Beklagte die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert iSd. § 203 Satz 1 [X.], wobei dahingestellt bleiben kann, ob der Hinweis, das unterbreitete Angebot sei „nicht verhandelbar“, den Abbruch der Verhandlungen klar und deutlich zum Ausdruck brachte (zu diesem Erfordernis vgl. [X.] 17. Februar 2004 - VI ZR 429/02 - zu II 2 der Gründe mwN; [X.]/[X.] 7. Aufl. § 203 Rn. 8; zum „Einschlafen“ der Verhandlungen [X.] 5. Juni 2014 - VII ZR 285/12 - Rn. 16).

cc) Davon ausgehend wird entsprechend § 209 [X.] jedenfalls der [X.]raum vom 28. Oktober 2015 (spätester Tag des Beginns der Hemmung) bis zum 25. November 2015 (frühester [X.]) - das sind 29 Tage (zur Berechnung der Hemmungszeit [X.]. nur [X.]/[X.] § 209 [X.] Rn. 3; [X.]/[X.] 77. Aufl. § 209 [X.] Rn. 1) - in die Ausschlussfrist nicht eingerechnet. Die abgelehnten Ansprüche mussten de[X.]alb nicht - wie das [X.] angenommen hat - bis zum 28. Dezember 2015, sondern konnten mindestens bis zum 26. Januar 2016 iSd. [X.] „bei Gericht anhängig“ gemacht werden. Mit der am 21. Januar 2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger daher die zweite Stufe der arbeitsvertraglichen [X.] gewahrt.

3. Mangels Entscheidungserheblichkeit braucht der Senat nicht darüber zu befinden, ob die streitgegenständliche [X.] - was das Berufungsgericht verneint hat (abweichend, ohne die Revision zuzulassen, [X.] 20. Februar 2018 - 4 [X.]/17 -) - insgesamt unwirksam ist, weil sie den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht ausdrücklich ausnimmt (zum Streitstand im Schrifttum vgl. - pars pro [X.] - [X.]/[X.] 2. Aufl. § 3 Rn. 28; [X.] 2017, 264, 266, die [X.] annehmen; dagegen bejahen Gesamtunwirksamkeit wegen Intransparenz etwa [X.]/[X.] 7. Aufl. § 3 [X.] Rn. 3; [X.]/[X.] 18. Aufl. § 3 [X.] Rn. 3a; [X.]/[X.] ArbR-HdB 17. Aufl. § 66 Rn. 46 - alle mwN; zu einem entsenderechtlichen Mindestentgelt [X.]. [X.] 24. August 2016 - 5 [X.] - Rn. 29 f., [X.]E 156, 150).

II. Ob und in welchem Umfang die Klage in ihren zwei Streitgegenständen begründet ist, kann der Senat auf der Grundlage der bi[X.]erigen Feststellungen des [X.]s nicht entscheiden.

1. Die Klage auf Vergütung von Überstunden ist - entgegen der im Tatbestand des Berufungsurteils wiedergegebenen Auffassung des Arbeitsgerichts - nicht schon de[X.]alb abweisungsreif, weil der Kläger nicht vorgetragen hat, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat (vgl. [X.] 21. Dezember 2016 - 5 [X.] 362/16 - Rn. 23 mwN, [X.]E 157, 347). Vielmehr hat der Kläger die Klage schlüssig auf die arbeitsvertraglich vorgesehene Stundenerfassung und das Führen eines [X.] gestützt.

a) Ob, in welcher Form und wie lange für den Kläger tatsächlich ein Arbeitszeitkonto geführt wurde und welchen Saldo ein solches bei seiner Schließung aufwies, hat das [X.] nicht festgestellt. Ist für den Kläger ein Arbeitszeitkonto geführt worden, würde dem Beklagten im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast die Pflicht obliegen, im Einzelnen vorzutragen, aufgrund welcher Umstände der ausgewiesene Saldo unzutreffend ist oder sich bis zur vereinbarten Schließung des [X.] reduziert hat ([X.] 23. September 2015 - 5 [X.] 767/13 - Rn. 23, [X.]E 152, 315).

b) Ist zugunsten des [X.] ein Saldo auf dem Arbeitszeitkonto vorbehaltlos ausgewiesen und bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch bezahlte Freizeit oder zusätzliches Entgelt abgebaut worden, sind die Guthabenstunden streitlos gestellt und mussten - unbeschadet der Frage, ob die [X.] überhaupt wirksam ist - nicht innerhalb von Ausschlussfristen geltend gemacht werden (vgl. [X.] 23. September 2015 - 5 [X.] 767/13 - Rn. 34, [X.]E 152, 315).

2. Zur Klage auf Urlaubsabgeltung hat das [X.] keine Feststellungen zum Umfang des bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen und daher nach § 7 Abs. 4 [X.] abzugeltenden Urlaubs getroffen.

a) Weil der Kläger in der zweiten Jahre[X.]älfte ausgeschieden ist, steht ihm für das [X.] der gesamte arbeitsvertraglich vereinbarte Urlaub von 28 Arbeitstagen zu. Das vom [X.] im Tatbestand des Berufungsurteils in Bezug genommene [X.] des Beklagten deutet darauf hin, dass - wie der Kläger vorgebracht hat - bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch der gesamte Urlaub für das [X.] offen war.

Zur Abgeltung von [X.] aus dem [X.] ist das [X.] dem unter Beweis gestellten Sachvortrag des [X.], im Betrieb des Beklagten sei es aufgrund der Arbeitsüberlastung der Mitarbeiter möglich gewesen, Urlaub auch über den 31. März des [X.] hinaus zu übertragen, nicht nachgegangen. Insoweit kommt (auch) ein bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 7 Abs. 4 [X.] abzugeltender [X.]sanspruch in Betracht (vgl. [X.] 16. Mai 2017 - 9 [X.] 572/16 - Rn. 12 ff., [X.]E 159, 106).

b) Der Anspruch auf Urlaub und [X.] entsteht mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ([X.] 16. Mai 2017 - 9 [X.] 572/16 - Rn. 15, [X.]E 159, 106) und kann frühestens zu diesem [X.]punkt fällig sein. Mit Schreiben vom 28. September 2015 hat ihn der Kläger - wovon auch das [X.] ausgegangen ist - rechtzeitig im Sinne der ersten Stufe der arbeitsvertraglichen [X.] geltend gemacht, so dass es auf die Frage von deren Wirksamkeit nicht ankommt.

3. Der möglichen Begründetheit der Klage steht die im [X.] vom 28. September 2015 erklärte Aufrechnung nicht entgegen. Der Beklagte hat im Prozess nach Aktenlage den Bestand einer Gegenforderung nicht einmal im Ansatz substantiiert dargelegt. Zudem ist eine Aufrechnung mit Nettozahlungsansprüchen gegen eine Bruttoentgeltforderung nicht statthaft (vgl. [X.] 12. Dezember 2012 - 5 [X.] 93/12 - Rn. 42; 22. März 2000 - 4 [X.] 120/99 - zu II der Gründe).

        

    [X.]    

        

    Volk    

        

    [X.]    

        

        

        

    Zorn    

        

    [X.]    

                 

Meta

5 AZR 262/17

20.06.2018

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Nürnberg, 9. Oktober 2016, Az: 11 Ca 340/16, Teilurteil

§ 203 S 1 BGB, § 203 S 2 BGB, § 209 BGB, § 611 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.06.2018, Az. 5 AZR 262/17 (REWIS RS 2018, 7482)

Papier­fundstellen: MDR 2019, 149 REWIS RS 2018, 7482


Verfahrensgang

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Az. 5 AZR 262/17

Bundesarbeitsgericht, 5 AZR 262/17, 20.06.2018.


Az. 11 Ca 340/16

ArbG Nürnberg, 11 Ca 340/16, 09.02.2017.


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Wird zitiert von

6 Sa 497/22

4 Ca 1314/18

12 Sa 462/22

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