Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22.03.2017, Az. 6 B 66/16

6. Senat | REWIS RS 2017, 13636

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Aufnahme eines Schülers islamischen Glaubens in eine katholische Bekenntnisgrundschule


Leitsatz

Die Aufnahme eines bekenntnisfremden minderjährigen Schülers in eine öffentliche Bekenntnisschule kommt nur in Betracht, wenn die Eltern die Unterrichtung und Erziehung ihres Kindes nach den Grundsätzen des Bekenntnisses vorbehaltlos anerkennen (im Anschluss an BVerwG, Beschluss vom 22. Oktober 1981 - 7 B 126.81 - NJW 1983, 2583).

Gründe

1

Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] kann keinen Erfolg haben. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass der geltend gemachte [X.] der grundsätzlichen [X.]edeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gegeben ist. Aufgrund des [X.] nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ist das [X.] darauf beschränkt, bei der Entscheidung über die Zulassung der Revision ausschließlich diejenigen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die der [X.]eschwerdeführer innerhalb der [X.]egründungsfrist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO vorgebracht hat.

2

Der minderjährige und noch nicht religionsmündige Kläger, der wie seine Eltern [X.] Glaubens ist, erstrebt seine Aufnahme in eine [X.] [X.]ekenntnisgrundschule, die in unmittelbarer Nähe der elterlichen Wohnung liegt. Der Schulleiter lehnte die Aufnahme ab, weil die Eltern einer Teilnahme des [X.] am [X.]n Religionsunterricht nicht zustimmten. Der Kläger besucht stattdessen eine Gemeinschaftsgrundschule. Die Klage, mit der er das Aufnahmebegehren nach erfolgloser Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes weiterverfolgt, hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Das Oberverwaltungsgericht hat in der [X.]erufungsentscheidung ausgeführt, die [X.] [X.]ekenntnisgrundschule habe ihren Charakter nicht deshalb verloren, weil weniger als die Hälfte der Schüler dem [X.]n [X.]ekenntnis angehörten. Nach dem [X.] Schulgesetz könne die Schulart ungeachtet des Wandels der tatsächlichen Verhältnisse nur durch einen Umwandlungsbeschluss des Schulträgers nach Durchführung des dafür vorgesehenen gesetzlichen Verfahrens geändert werden. Die Aufnahme bekenntnisfremder Schüler in eine öffentliche [X.]ekenntnisgrundschule komme nur in [X.]etracht, wenn deren Eltern vorbehaltlos mit der Unterrichtung und Erziehung nach den Grundsätzen des [X.]ekenntnisses einverstanden seien. Hierzu gehöre die Zustimmung zur Teilnahme des Kindes an dem Religionsunterricht des [X.]ekenntnisses. Diese Aufnahmebedingungen beeinträchtigten weder das Erziehungsrecht der Eltern in religiösen und weltanschaulichen Fragen noch die Glaubensfreiheit der Kinder, sofern wie im vorliegenden Fall der [X.]esuch einer Gemeinschaftsgrundschule möglich sei.

3

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde wirft der Kläger als rechtsgrundsätzlich bedeutsam die Fragen auf, ob

- eine bestehende [X.]ekenntnisschule durch den tatsächlichen Wegfall ihrer Voraussetzungen, insbesondere durch einen signifikanten Rückgang des Anteils bekenntnisangehöriger Schüler, ihren rechtlichen Status verliert;

- die Eingriffe in die Grundrechte des [X.] und seiner Eltern aus Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Art. 3 Abs. 3 GG durch die kollidierende Organisationsnorm des Art. 7 Abs. 5 GG gerechtfertigt sind;

- diese Grundrechtseingriffe auch dann durch Art. 7 Abs. 5 GG gerechtfertigt sind, wenn sie zugunsten einer Schule erfolgen, die faktisch keine [X.]ekenntnisschule mehr ist.

4

Die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher [X.]edeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die [X.]eschwerde eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender [X.]edeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 27. Januar 2015 - 6 [X.] 43.14 [[X.]:[X.]:[X.]] - [X.] 421.0 Prüfungswesen Nr. 421 Rn. 8).

5

Die [X.]eschwerdebegründung des [X.] lässt nicht erkennen, dass diese Voraussetzungen vorliegen könnten: Die erste Frage nach den Voraussetzungen für den Verlust der Eigenschaft einer öffentlichen [X.]ekenntnisschule kann in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden, weil sich die Antwort aus dem nach § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO irrevisiblen Landesrecht ergibt. Das Oberverwaltungsgericht hat das [X.] Schulgesetz ([X.]) dahingehend ausgelegt, dass die Umwandlung einer bestehenden öffentlichen [X.]ekenntnisschule in eine Gemeinschaftsschule als Änderung der Schulart einen förmlichen Umwandlungsbeschluss des Schulträgers voraussetzt, der ein schulgesetzlich geregeltes Umwandlungsverfahren abschließt. Danach ist es schulgesetzlich ausgeschlossen, dass eine [X.]ekenntnisschule ohne darauf gerichteten Rechtsakt zu einer Gemeinschaftsschule wird. Dies gilt nach der die [X.]erufungsentscheidung tragenden Rechtsauffassung des [X.] auch dann, wenn die formelle Homogenität, d.h. die weitgehend einheitliche Zugehörigkeit der Schüler zu dem jeweiligen [X.]ekenntnis, nicht mehr besteht (vgl. hierzu [X.], [X.]eschluss vom 21. März 2016 - 19 [X.] 996/15 - NVwZ-RR 2016, 581 Rn. 11). An diese Auslegung des [X.] Schulgesetzes ist das [X.] nach § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. 560 ZPO gebunden; sie könnte in einem Revisionsverfahren nicht in Frage gestellt werden.

6

Auch die zweite und dritte Rechtsfrage des [X.] nach der Verfassungsmäßigkeit der Eingriffe in die Grundrechte des [X.] und seiner Eltern würden sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Die Fragestellung geht von der Annahme aus, dass die Ablehnung, den Kläger in die [X.] [X.]ekenntnisgrundschule aufzunehmen, einen Eingriff in das durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete Erziehungsrecht seiner Eltern und in die Glaubensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG darstellt. Dies ist jedoch nach der Rechtsprechung von [X.]undesverfassungs- und [X.] nicht der Fall, weil sichergestellt ist, dass der Kläger die Schulpflicht in einer nicht bekenntnis- oder weltanschaulich gebundenen Gemeinschaftsgrundschule erfüllen kann.

7

Das Erziehungsrecht der Eltern nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 GG umfasst auch deren Recht, ihre Kinder nach den von ihnen für richtig gehaltenen religiösen oder weltanschaulichen Grundsätzen zu erziehen. Das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG vermittelt dem Kind einen Anspruch auf die Erziehung im Sinne der Eltern ([X.], [X.]eschlüsse vom 17. Dezember 1975 - 1 [X.]vR 63/68 - [X.]E 41, 29 <47 ff.> und - 1 [X.]vR 548/68 - [X.]E 41, 88 <107 ff.>). In diese grundgesetzlichen Gewährleistungen wird eingegriffen, wenn minderjährige Kinder gegen den Willen ihrer Eltern die Schulpflicht in einer öffentlichen Schule erfüllen müssen, in der der gesamte Unterricht und die Erziehung nach den Grundsätzen eines [X.]ekenntnisses oder einer Weltanschauung stattfinden (vgl. Art. 12 Abs. 3 Satz 1 der Landesverfassung [X.], § 26 Abs. 3 [X.]). Hierzu gehört in [X.]ekenntnisschulen zwingend die Teilnahme am Religionsunterricht des [X.]ekenntnisses.

8

Das elterliche Erziehungsrecht in religiösen und weltanschaulichen Fragen und die Glaubensfreiheit von Eltern und Kindern werden jedoch nicht beeinträchtigt, wenn ihnen die zumutbare Möglichkeit eröffnet ist, den [X.]esuch einer öffentlichen [X.] oder Weltanschauungsschule zu vermeiden. In diesem Fall berührt die Existenz derartiger Schulen ihre Grundrechte nicht ([X.], [X.]eschluss vom 17. Dezember 1975 - 1 [X.]vR 63/68 - [X.]E 41, 29 <48>). Eine solche grundrechtssichernde Möglichkeit der Erfüllung der Schulpflicht stellt in [X.] die Schulart der Gemeinschaftsschule dar. In diesen Schulen werden die Schüler auf der Grundlage [X.] [X.]ildungs- und Kulturwerte in Offenheit für andere [X.]ekenntnisse und für andere religiöse und weltanschauliche Überzeugungen gemeinsam unterrichtet und erzogen (§ 26 Abs. 2 [X.]). Dementsprechend ist die Teilnahme am Religionsunterricht freigestellt (Art. 7 Abs. 2 GG). Nach der Rechtsprechung von [X.]undesverfassungs- und [X.] ist mit dem [X.]esuch einer solchen Gemeinschaftsschule kein Eingriff in die Grundrechte nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 GG verbunden. Daher sind die Landesgesetzgeber berechtigt, diese Schulart als alleinige Form der Pflichtschule einzuführen ([X.], [X.]eschluss vom 17. Dezember 1975 - 1 [X.]vR 548/68 - [X.]E 41, 88 <108 ff.>; [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 22. Oktober 1981 - 7 [X.] 126.81 - NJW 1983, 2583).

9

Kann die Schulpflicht sowohl in öffentlichen Gemeinschafts- als auch in [X.]ekenntnisschulen erfüllt werden, vermitteln weder das elterliche Erziehungsrecht nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 GG noch die durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützte Glaubensfreiheit einen Anspruch auf den [X.]esuch einer öffentlichen [X.]ekenntnisschule, wenn die Eltern eines schulpflichtigen minderjährigen Kindes die Grundsätze, die Unterricht und Erziehung an einer solchen Schule prägen, nicht vorbehaltlos anerkennen. Sie können nicht verlangen, dass die von ihnen ausgewählte [X.]ekenntnisschule für die schulische Unterrichtung und Erziehung ihres Kindes von diesen Grundsätzen abrückt. Vielmehr sind die Eltern darauf verwiesen, dass ihr Kind eine Gemeinschaftsschule besucht. Da die Eigenschaft als [X.]ekenntnisschule nach der insoweit bindenden Rechtsauffassung des [X.] nicht von der Homogenität der Schülerschaft in [X.]ezug auf das [X.]ekenntnis abhängt, gilt dies unabhängig von dem zahlenmäßigen Verhältnis von bekenntnisangehörigen und bekenntnisfremden Schülern. Im vorliegenden Fall steht die Ablehnung, den Kläger in die [X.] [X.]ekenntnisgrundschule aufzunehmen, in Einklang mit den Vorstellungen der Eltern, die die bekenntnisgebundene Unterrichtung und Erziehung des [X.], zu denen auch die Teilnahme am [X.]n Religionsunterricht gehört, gerade ablehnen.

Nach alledem verstößt die Ablehnung, den Kläger in die [X.] [X.]ekenntnisgrundschule aufzunehmen auch nicht gegen das Verbot der [X.]enachteiligung wegen des Glaubens oder der religiösen Anschauung nach Art. 3 Abs. 3 GG. Nach der Rechtsprechung des [X.]undesverfassungsgerichts ergibt sich aus Art. 7 Abs. 3 und Abs. 5 GG, dass das Grundgesetz von der Zulässigkeit öffentlicher [X.]ekenntnisschulen ausgeht ([X.], [X.]eschlüsse vom 17. Dezember 1975 - 1 [X.]vR 63/68 - [X.]E 41, 29 <46> und - 1 [X.]vR 548/68 - [X.]E 41, 88 <111>). Daraus folgt zwangsläufig, dass der Zugang zu diesen Schulen jedenfalls dann von dem vorbehaltlosen Einverständnis mit der Unterrichtung und Erziehung im Sinne des [X.]ekenntnisses abhängig gemacht werden kann, wenn als Alternative für die Erfüllung der Schulpflicht Gemeinschaftsschulen als bekenntnismäßig oder weltanschaulich ungebundene öffentliche Schulen zur Verfügung stehen. Der Verweis auf den [X.]esuch einer solchen Gemeinschaftsschule stellt keine [X.]enachteiligung im Verhältnis zu Schülern dar, denen der [X.]esuch einer [X.]ekenntnisschule offen steht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das [X.]eschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Meta

6 B 66/16

22.03.2017

Bundesverwaltungsgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 9. September 2016, Az: 19 A 805/14, Beschluss

Art 4 Abs 1 GG, Art 6 Abs 2 S 1 GG, Art 7 Abs 3 GG, Art 7 Abs 5 GG, Art 12 Abs 3 Verf NW, § 26 Abs 2 SchulG NW 2005, § 26 Abs 3 SchulG NW 2005

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22.03.2017, Az. 6 B 66/16 (REWIS RS 2017, 13636)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 13636


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 BvR 984/17

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 984/17, 08.09.2017.


Az. 6 B 66/16

Bundesverwaltungsgericht, 6 B 66/16, 22.03.2017.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 BvR 984/17 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Unzureichende Substantiierung einer Grundrechtsverletzung (Art 4 Abs 1, Abs 2 GG; Art 6 Abs …


10 L 819/23 (Verwaltungsgericht Köln)


4 L 747/22 (Verwaltungsgericht Gelsenkirchen)


18 L 1090/21 (Verwaltungsgericht Düsseldorf)


6 C 20/10 (Bundesverwaltungsgericht)

Verrichtung von Gebeten in der Schule findet ihre Schranke in der Wahrung des Schulfriedens


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.