Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 25.06.2019, Az. II ZR 170/17

2. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 6136

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VERSPÄTUNG/PRÄKLUSION PROZESSAUFRECHNUNG VOLLSTRECKUNGSGEGENKLAGE

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Gegenstand

Aufrechnung gegen eine durch Urteil titulierte Forderung; Behandlung der Aufrechnung mit einer präkludierten Gegenforderung


Leitsatz

1. Die Aufrechnung gegen eine durch Urteil titulierte Forderung unterliegt den Einschränkungen, denen sie unterläge, wenn sie im Wege der Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) eingewendet worden wäre.

2. Ist eine zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung des Titelschuldners in entsprechender Anwendung von § 767 Abs. 2 ZPO präkludiert, wird sie so behandelt, als sei die Aufrechnung nie erklärt worden.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des [X.] vom 27. April 2017 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Verteilung des hinterlegten Erlöses einer Teilungsversteigerung in Höhe von 134.087,94 €, insbesondere die auf ihre jeweiligen Anteile entfallenden Verzugszinsen wegen wechselseitig verzögerter Freigabeerklärungen.

2

Der Kläger war durch auf mündliche Verhandlung vom 17. Dezember 2010 ergangenes Urteil des [X.] vom 30. Dezember 2010 rechtskräftig dazu verurteilt, der Auszahlung des hinterlegten Erlöses in Höhe von 41.997,15 € an die Beklagte zuzustimmen sowie Verzugszinsen hieraus seit dem 1. Mai 2007 und vorgerichtliche Anwaltskosten von 1.530,58 € nebst Verzugszinsen an die Beklagte zu zahlen.

3

Der Kläger machte den von ihm beanspruchten Anteil an dem [X.] von [X.] € zunächst nicht gerichtlich geltend. Er rechnete mit Schreiben vom 25. Januar 2011 mit einem Verzugszinsanspruch wegen der Nichtfreigabe des [X.] gegen die titulierten Zahlungsansprüche der Beklagten auf, die er zu diesem [X.]punkt mit 11.255,90 € bezifferte. Die Beklagte rechnete mit Schreiben vom 27. Juli 2011 mit ihren titulierten Zahlungsansprüchen gegen den [X.] des [X.] auf und stimmte der Auszahlung der danach rechnerisch verbleibenden Hinterlegungssumme von 80.119,70 € an diesen zu. Im Januar 2012 stimmte die Beklagte der Auszahlung von weiteren 6.165 € zu, um prozessuale Kostenerstattungsansprüche des [X.] zu begleichen. Danach wies das [X.] noch einen Bestand von 7.282,68 € auf, wovon der Kläger am 2. Juli 2013 einen Betrag von 1.476,59 € zugunsten der Beklagten freigab.

4

Der Kläger hat mit der Klage von der Beklagten unter anderem verlangt, der Auszahlung des [X.] von 7.282,68 € nebst [X.] an ihn zuzustimmen sowie an ihn 15.379,63 € und ab dem 27. November 2012 [X.] von 1,70 € als Verzugsschadensersatz zu zahlen.

5

Das [X.] hat die Beklagte zur Freigabe von 5.806,09 € nebst [X.] und zur Zahlung von 13.216,31 € an den Kläger verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und sie unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung des [X.] zur Zahlung weiterer 1.027,70 € für die [X.] vom 1. Januar 2012 bis zum 30. September 2014 sowie [X.] von 1,43 € ab dem 1. Oktober 2014 verurteilt. Dagegen richtet sich die vom [X.] zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie weiterhin die Abweisung der Klage begehrt.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision hat Erfolg.

7

Über die Revision ist durch Versäumnisurteil zu entscheiden, da der Kläger in der mündlichen Verhandlung trotz rechtzeitiger Ladung zum Termin nicht vertreten war. Das Urteil beruht inhaltlich jedoch nicht auf der Säumnis, sondern auf einer Sachprüfung (vgl. [X.], Urteil vom 4. April 1962 - [X.], [X.]Z 37, 79, 81 f.).

8

I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, im Wesentlichen wie folgt begründet:

9

Die Beklagte sei mit der Freigabe des dem Kläger zustehenden Anteils an dem [X.] von [X.] € seit dem 23. Mai 2007 in Verzug gewesen. Mit den sich daraus ergebenden Schadensersatzforderungen habe der Kläger mit Schreiben vom 25. Januar 2011 wirksam gegen die titulierten Zahlungsansprüche der Beklagten aufgerechnet. Die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede greife nicht, da die älteste Verzugszinsforderung in dem Zeitpunkt, in dem aufgerechnet werden konnte, noch nicht verjährt gewesen sei. Die nachfolgende Aufrechnung der Beklagten mit Schreiben vom 27. Juli 2011 mit ihren titulierten Zahlungsansprüchen gegen den [X.] sei deshalb wirkungslos.

II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil es auf der rechtsfehlerhaften Annahme beruht, der Kläger habe die titulierten Zahlungsansprüche der Beklagten durch Aufrechnung zum Erlöschen gebracht (§§ 389, 215 BGB). Zwar kann auch gegenüber einem Anspruch, der durch rechtskräftiges Urteil festgestellt worden ist, grundsätzlich aufgerechnet werden. Die Aufrechnung unterliegt dann aber den Einschränkungen, denen sie unterläge, wenn sie im Wege der Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) eingewendet worden wäre (vgl. [X.], Urteil vom 25. Februar 1988 - [X.], NJW-RR 1988, 957, 958; Urteil vom 16. August 2007 - [X.], [X.], 575 Rn. 23; Urteil vom 5. Juli 2013 - [X.], NJW 2013, 3243 Rn. 12 ff.; [X.], [X.], 565; MünchKommZPO/[X.]/Brinkmann, 5. Aufl., § 767 Rn. 83). Die entsprechende Anwendung von § 767 Abs. 2 ZPO in einem nachträglichen Zivilprozess folgt aus der materiellen Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung ([X.], Urteil vom 25. Februar 1988 - [X.], NJW-RR 1988, 957, 958; MünchKommZPO/[X.]/Brinkmann, 5. Aufl., § 767 Rn. 83). Die Präklusion der Aufrechnung hat insoweit nicht nur verfahrensrechtliche Wirkung; vielmehr treten auch die materiell-rechtlichen Wirkungen der Aufrechnung nicht ein. Die zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen des Titelschuldners werden so behandelt, als sei die Aufrechnung nie erklärt worden ([X.], Urteil vom 5. März 2009 - [X.], NJW 2009, 1671 Rn. 12 mwN; Urteil vom 15. November 2012 - [X.], NJW-RR 2013, 757 Rn. 10).

Da die wechselseitigen Verzugszinsforderungen hier seit Mai 2007 fortlaufend zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind (§ 389 BGB), hätte der Kläger die bis dahin entstandenen Gegenforderungen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung, auf die das von der Beklagten erstrittene Urteil erging, aufrechnen können. Die hier zur Aufrechnung gestellten [X.] des [X.] müssen, da er die titulierten Hauptforderungen der Beklagten zum Zeitpunkt seiner Aufrechnungserklärung am 25. Januar 2011 mit 11.255,90 € beziffert hat, jedenfalls überwiegend vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess am 17. Dezember 2010 entstanden sein. Soweit die zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen des [X.] bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess entstanden sind, sind sie so zu behandeln, als sei die Aufrechnung nie erklärt worden. Das Berufungsgericht hätte der zeitlich nachfolgenden Aufrechnung der Beklagten mit ihren titulierten Zahlungsansprüchen gegen den [X.] (vgl. zur Gleichartigkeit der Forderungen [X.], Urteil vom 19. Oktober 1988 - [X.]/87,NJW-RR 1989, 173, 174 mwN) deshalb nicht im Hinblick auf die vorhergehende Aufrechnung des [X.] die Wirksamkeit absprechen dürfen.

III. Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, weil sie noch nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO).

Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, mit welchen Gegenforderungen der Kläger aufgerechnet hat. Dieser Feststellungen bedarf es, weil die nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess am 17. Dezember 2010 bis zur Aufrechnungserklärung des [X.] vom 25. Januar 2011 begründeten [X.] nicht entsprechend § 767 Abs. 2 ZPO präkludiert sind. Soweit der Kläger mit diesen Ansprüchen aufgerechnet hätte, ginge die zeitlich nachfolgende Aufrechnung der Beklagten gegen den [X.] ins Leere. Diese Feststellungen wird das Berufungsgericht in der neu eröffneten Verhandlung nachzuholen haben. Lässt sich keine Tilgungsbestimmung des [X.] feststellen, sind § 396 Abs. 1 Satz 2, § 366 Abs. 2 BGB anzuwenden (vgl. [X.], Urteil vom 19. Juli 2007 - [X.], [X.], 655 Rn. 13).

Der Gegenstand der Zahlungsklage hängt ebenfalls davon ab, mit welchen Verzugszinsforderungen der Kläger aufgerechnet hat. Denn der Kläger hat seinen Zahlungsanspruch unter Abzug der aufgerechneten Gegenforderungen beziffert. Zudem hat das Berufungsgericht keine Feststellungen zur von der Beklagten erhobenen Verjährungseinrede getroffen.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen das Versäumnisurteil kann die säumige Partei innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen, die mit der Zustellung dieses Urteils beginnt, schriftlich Einspruch durch eine von einer beim [X.] zugelassenen Rechtsanwältin oder einem beim [X.] zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnete Einspruchsschrift beim [X.], [X.] 45a, 76133 [X.] (Postanschrift: 76125 [X.]) einlegen.

[X.]     

      

Born     

      

B. Grüneberg

      

V. Sander     

      

von Selle     

      

Meta

II ZR 170/17

25.06.2019

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Versäumnisurteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Frankfurt, 27. April 2017, Az: 3 U 116/14

§ 387 BGB, § 389 BGB, § 767 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 25.06.2019, Az. II ZR 170/17 (REWIS RS 2019, 6136)

Papier­fundstellen: MDR 2019, 1211 WM2019,1604 NJW 2019, 3385 REWIS RS 2019, 6136

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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