Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.09.2011, Az. VI ZR 144/10

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 3408

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERI[X.]HTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VI [X.]
Verkündet am:

13. September 2011

Böhringer-Mangold

Justizamtsinspektorin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB § 823 Aa, [X.]; ZPO § 286 B, G
Ein einfacher [X.] kann zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen [X.] führen, wenn sich bei der gebotenen Abklärung mit hinrei-chender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges positives Ergebnis gezeigt hätte und sich die Verkennung dieses Befundes als fundamental oder die [X.] hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde.
[X.], Urteil vom 13. September 2011 -
VI [X.] -
OLG Naumburg

LG Stendal

-

2

-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom
13. September 2011
durch den
Vorsitzenden [X.],
die [X.] Zoll und [X.], die [X.]in [X.] und den [X.] Stöhr
für Recht erkannt:
Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 1. Zivilsenats des [X.] vom 22.
April 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Der Kläger macht Schadensersatzansprüche wegen eines von ihm be-haupteten Diagnose-
bzw.
[X.] geltend.
Die Beklagte wurde am 11.
November 2004 als Notärztin zu dem Kläger gerufen. Bei einer telefonischen Rückfrage gab dessen
Ehefrau an, dieser leide unter Herz-
und Magenschmerzen. Nach Hinweis auf einen
in der Familie auf-getretenen Herzinfarkt kam die
Beklagte
um 22:30 Uhr zu einem
Hausbesuch. Die
Beklagte verabreichte dem Kläger
zwei
Hub
Nitrangin. Während des [X.] verbesserten sich die Beschwerden des [X.] geringfügig. Als [X.] dokumentierte die Beklagte Verdacht auf Virusinfekt und auf Angina pectoris.
1
2
-

3

-

Da
sich die Beschwerden nicht besserten, brachte die Ehefrau des [X.] diesen in das Krankenhaus nach G. Bei einem um 2:34
Uhr erstellten [X.] zeigte sich ein akuter Vorderwandinfarkt. Da eine sofortige Lysetherapie zu kei-nem Erfolg führte, wurde der Kläger in das [X.] verbracht. Nachdem
die dortige Behandlung keinen ausreichenden Erfolg hatte, wurde am 2.
Dezember 2004 im Herzzentrum [X.]. eine Bypassoperation durchgeführt. Seit dem 1.
Dezember 2004 erhält der Kläger, der am 19.
April 2004 auch einen [X.] erlitten hatte, in dessen Folge er jedenfalls bis zum streitigen Vorfall am 11.
November 2004 arbeitsunfähig war, eine Rente wegen voller Erwerbs-minderung.
Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des [X.] hat das [X.] zurückgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schadensersatzansprüche weiter.

Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat -
wie das [X.]
-
einen Befunderhe-bungsfehler der Beklagten bejaht. Angesichts des jungen Patientenalters und der bekannten Risikofaktoren habe nach den Ausführungen des [X.] zumindest von einer neu aufgetretenen Angina pectoris ausgegangen werden müssen. Deshalb sei eine stationäre Einweisung und weitere Abklärung hinsichtlich des Vorliegens eines akuten Koronarsyndroms mittels Ableitung eines Zwölf-Kanal-[X.]s erforderlich gewesen.
3
4
5
-

4

-

Die Kausalität des Behandlungsfehlers für die eingetretene Schädigung lasse sich jedoch nicht feststellen. Deswegen
hätte die Klage nur dann Erfolg haben können, wenn sich der [X.] als grob dargestellt hätte. Davon sei nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht auszugehen. Mithin sei
hinsichtlich der Kausalität keine Beweislastumkehr eingetreten
und der Kläger beweisfällig geblieben.

II.
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Revision bemängelt mit Recht, dass das Berufungsgericht die rechtlichen Grundsätze für eine mögliche Beweislastumkehr bei einem Befunderhebungs-fehler
verkannt hat.
1. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats erfolgt
bei der Un-terlassung der gebotenen Befunderhebung eine Beweislastumkehr hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität, wenn bereits die Unterlassung einer aus medizinischer Sicht gebotenen Befunderhebung einen groben ärztlichen Fehler darstellt (vgl. Senatsurteile vom 13.
Januar 1998 -
VI
ZR 242/96, [X.]Z 138, 1, 5
f.; vom 29.
September 2009 -
VI
ZR 251/08, [X.], 115 Rn.
8 mwN). Zudem kann auch
eine nicht grob fehlerhafte Unterlassung der Befunderhebung dann zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der
Kausalität
des Behand-lungsfehlers für den eingetretenen
Gesundheitsschaden
führen, wenn sich bei der gebotenen Abklärung
mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktions-pflichtiges positives Ergebnis gezeigt hätte und sich die Verkennung dieses [X.] als fundamental oder die [X.] hierauf als grob fehlerhaft [X.] würde (vgl. Senatsurteile vom 13.
Februar 1996 -
VI
ZR 402/94, [X.]Z 132, 47, 52
ff.; vom 27.
April 2004 -
VI
ZR 34/03, [X.]Z 159, 48, 56; vom 6
7
8
-

5

-

23.
März 2004 -
VI
ZR 428/02, [X.], 790, 791
f.;
vom 7.
Juni 2011 -
VI
ZR 87/10, NJW
2011, 2508
Rn.
7 mwN). Es ist nicht erforderlich, dass der grobe Behandlungsfehler die einzige Ursache für den Schaden ist. Es genügt, dass er generell geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen; wahrscheinlich braucht der Eintritt eines solchen Erfolgs nicht zu sein. Eine Umkehr der Beweislast ist nur ausgeschlossen, wenn jeglicher haftungsbe-gründende Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist (vgl. Se-natsurteile vom 27.
April 2004 -
VI
ZR 34/03, aaO, 56
f.; vom 7.
Juni 2011 -
VI
ZR 87/10, aaO).
2. Im Streitfall hat das Berufungsgericht einen grob fehlerhaften Befun-derhebungsfehler verneint, weil es aus Sicht des Sachverständigen zwar [X.] gewesen sei, an eine Herzbeteiligung zu denken und daher eine so-fortige [X.]-Untersuchung zu veranlassen, die geschilderten Symptome aber auch als Hinweise auf eine Virusinfektion gedeutet werden konnten. [X.] dazu, ob die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr bei einem einfachen [X.] vorliegen, hat es jedoch nicht getroffen. Eine solche Prüfung hätte das Berufungsgericht aber
vornehmen müssen. Es lässt sich zumindest nicht ausschließen, dass die vom Sachverständigen geforderte ergänzende Diagnostik mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflich-tiges Ergebnis im Sinne eines akuten koronaren Geschehens gezeigt hätte und sich die [X.] hierauf bzw. eine verspätete Reaktion als grob fehlerhaft dargestellt hätte. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ist nämlich grundsätzlich mit höherer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass das [X.] bei einer sofortigen Einweisung in das Krankenhaus einen anderen Verlauf genommen hätte.
3. Das angefochtene Urteil kann demnach nicht aufrecht erhalten wer-den. Es ist aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuver-9
10
-

6

-

weisen, damit über die Frage der Beweislastumkehr bei dem vom Berufungsge-richt festgestellten einfachen [X.] entschieden werden kann. Käme dem
Kläger nach den dafür geltenden Grundsätzen eine Beweislastum-kehr zugute, hätte die Beklagte darzulegen und zu beweisen, dass dessen
[X.] nicht auf der unterbliebenen sofortigen Einweisung in das Krankenhaus zur weiteren Abklärung beruht. Die Umkehr der Beweislast wegen eines etwaigen groben Behandlungsfehlers umfasst allerdings grundsätzlich nur den Beweis von dessen Ursächlichkeit für den haftungsbegründenden primären Gesundheitsschaden, nicht hingegen die haftungsausfüllende Kausalität (vgl. Senatsurteile vom 12.
Februar 2008 -
VI
ZR 221/06, [X.], 644 Rn.
13; vom
7.
Juni
2011
-
VI
ZR 87/10, aaO, Rn.
10, jeweils mwN).
Galke

Zoll

[X.]

[X.]

Stöhr
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 14.10.2009 -
21 [X.]/07 -

OLG Naumburg, Entscheidung vom 22.04.2010 -
1 U 112/09 -

Meta

VI ZR 144/10

13.09.2011

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.09.2011, Az. VI ZR 144/10 (REWIS RS 2011, 3408)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3408

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VI ZR 144/10 (Bundesgerichtshof)

Arzthaftungsprozess: Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität bei einem einfachen Befunderhebungsfehler


VI ZR 476/14 (Bundesgerichtshof)

Arzthaftungsprozess: Abgrenzung zwischen ärztlichem Befunderhebungsfehler und einem Fehler der therapeutischen Aufklärung bei Notwendigkeit und Dringlichkeit …


VI ZR 554/12 (Bundesgerichtshof)


VI ZR 476/14 (Bundesgerichtshof)


VI ZR 554/12 (Bundesgerichtshof)

Arzt- und Krankenhaushaftung: Primärschaden bei Befunderhebungsfehler


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

VI ZR 144/10

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.