Bundessozialgericht, Urteil vom 10.09.2020, Az. B 3 P 1/20 R

3. Senat | REWIS RS 2020, 2260

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

(Soziale Pflegeversicherung - Wohngruppenzuschlag - "gemeinsame Wohnung" iSd § 38a SGB 11)


Leitsatz

Eine "gemeinsame Wohnung" im Sinne der Regelungen über den Wohngruppenzuschlag für Pflegebedürftige liegt vor, wenn die gesamte Wohnanlage so gestaltet ist, dass ein gemeinschaftliches Zusammenwohnen über die Nutzung von rein funktionalen Einrichtungen hinaus möglich ist.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 26. November 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von [X.] nach § 38a [X.]B XI.

2

Der 1954 geborene Kläger bezieht seit 1.1.2015 Leistungen der [X.] Pflegeversicherung von der beklagten Pflegekasse. Von Oktober 2015 bis Ende September 2018 bewohnte er ein [X.]partment in der Wohnanlage "Senioren " (im Folgenden: Seniorenzentrum) in [X.].. Diese [X.]nlage umfasst elf Einzel-[X.]partments, die sich über zwei Etagen erstrecken. Jedes [X.]partment hat eine Größe von ca 46 qm und besteht aus einem Wohnraum, einem Schlafraum, einem Badezimmer und einer vollausgestatteten Küchenzeile im Wohnraum. Jedes [X.]partment besitzt eine eigene Türklingel, einen eigenen Briefkasten und - sofern im Erdgeschoss gelegen - eine eigene [X.]ußentür. Im Erdgeschoss der Wohnanlage befindet sich ein Gemeinschaftsraum mit Esstisch für alle Bewohner, einer großen vollausgestatteten [X.] sowie einer Sitz- und Leseecke. Zu diesem Gemeinschaftsbereich gehört ein weiteres Badezimmer.

3

Der Betreiber der Einrichtung und der Betreuer des [X.] schlossen vor seinem Einzug zwei verschiedene Verträge ab. Ein Vertrag hat die [X.]nmietung des [X.]partments zum Inhalt, der andere die Gewährung von Betreuungsleistungen. Die Verträge weisen eine zu zahlende monatliche Miete für den Wohnbereich iHv 230 Euro, eine Betriebskostenvorauszahlung und eine Nutzungsentgeltvorauszahlung für die Gemeinschaftseinrichtungen von 127 Euro aus. Das Seniorenzentrum stellt ein "[X.]" mit allgemeinen Betreuungsleistungen und [X.], verwaltenden und organisatorischen Leistungen zur Verfügung. Die Bewohner wollen die Betreuungsleistungen - ausweislich einer gemeinsam von ihnen unterzeichneten Erklärung - von [X.] als namentlich benannter Person erhalten.

4

Im Oktober 2015 beantragte der Betreuer des [X.] bei der Beklagten erfolglos die Gewährung von [X.]: Die nach § 38a [X.]bs 1 Satz 1 [X.] notwendige Voraussetzung einer "gemeinsamen Wohnung" sei nicht erfüllt. Der Kläger wohne vielmehr in einer eigenen Zwei-Zimmer-Wohnung mit Sanitärbereich und dürfe lediglich gewisse Gemeinschaftsräume mitbenutzen (Bescheid vom [X.]; Widerspruchsbescheid vom 28.4.2016).

5

Das hiergegen angerufene [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Lebensverhältnisse im Seniorenzentrum entsprächen nicht den gesetzlichen [X.]nforderungen an eine gemeinsame Wohnung. Eine "gemeinsame Wohnung" mit anderen pflegebedürftigen Mitbewohnern liege nicht schon dann vor, wenn neben dem eigenen kompletten Wohnbereich ein weiterer Gemeinschaftsbereich zur Verfügung stehe, der von den Bewohnern genutzt werden könne. [X.]uch fehle es daran, dass eine sogenannte Präsenzkraft von den Bewohnern gemeinsam ausgewählt und bestimmt worden sein müsse. Die Betreuungsleistungen seien als integraler Bestandteil des Gesamtvertrages für alle Bewohner verpflichtend und die Betreuungskraft vertraglich nur dem Vermieter gegenüber gebunden, welcher den konkreten [X.]ufgabenkreis vorgegeben habe (Urteil vom 15.8.2017).

6

Das L[X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Die [X.]nspruchsvoraussetzungen seien bereits nicht erfüllt, weil er nicht mit den weiteren Bewohnern des [X.] in einer "gemeinsamen Wohnung" iS des § 38a [X.]bs 1 Satz 1 [X.] gelebt habe. Zu einer nach dem Willen des Gesetzgebers förderungswürdigen Wohnform gehöre eine (äußere) Beschaffenheit der gemeinsamen Wohnung, die das Zusammenleben nicht nur ermögliche, sondern auch erfordere. Die gesamte Wohnanlage sei hier aber so gestaltet, dass der Kläger nicht auf gemeinsam genutzte Wohnräume oder eine gemeinschaftliche Organisation des Zusammenwohnens angewiesen sei. Ob darüber hinaus eine Person gemeinschaftlich beauftragt worden sei, die gesetzlich normierten Tätigkeiten zu verrichten (§ 38a [X.]bs 1 Satz 1 Nr 3 [X.]B XI), könne daher offenbleiben (Urteil vom [X.]).

7

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 38a [X.]bs 1 Satz 1 [X.]B XI. Die Frage, welche [X.]nforderungen an eine "gemeinsame Wohnung" zu stellen seien, werde in Rechtsprechung und Literatur bisher nicht einheitlich beantwortet. Dem Vorliegen einer "gemeinsamen Wohnung" stehe aber nicht entgegen, dass es die [X.]usstattung des von einem einzelnen Mitbewohner genutzten [X.]partments ermögliche, die elementaren Grundbedürfnisse im Tagesablauf auch ohne Nutzung von Gemeinschaftseinrichtungen zu befriedigen. Maßgebend für einen [X.] sei vielmehr die Existenz allen Bewohnern zur Verfügung stehender Gemeinschaftseinrichtungen.

8

Der Kläger beantragt,
die Urteile des [X.] vom 26. November 2019 und des Sozialgerichts [X.]urich vom 15. [X.]ugust 2017 aufzuheben sowie die Beklagte unter [X.]ufhebung ihres Bescheides vom 2. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. [X.]pril 2016 zu verurteilen, ihm [X.] für die [X.] vom 1. Oktober 2015 bis 30. September 2018 zu zahlen.

9

Die Beklagte beantragt,
die Revision des [X.] zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des [X.] ist im Sinne der Aufhebung des [X.] und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG) begründet.

Anders als von den Vorinstanzen angenommen, scheitert die zulässige, auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide und Gewährung von [X.] gerichtete Klage (dazu unter 1.) ausgehend von den einschlägigen Rechtsgrundlagen (dazu 2.) nicht daran, dass im Fall des [X.] keine gemeinsame Wohnung iS des § 38a Abs 1 Satz 1 [X.] vorliegt (dazu 3.). Dies führt indessen nur zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] (dazu 4.).

1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage 54 Abs 1 und 4 SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig. Ob die Klage auch begründet ist, kann der erkennende Senat mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen der Vorinstanz jedoch nicht abschließend selbst entscheiden.

2. Rechtsgrundlage für den von Oktober 2015 bis einschließlich September 2018 begehrten [X.] ist für die [X.] vom 1.10.2015 bis 31.12.2016 § 38a [X.] idF des Art 1 [X.] 8 des [X.] ([X.] vom 17.12.2014, [X.]), geändert durch Art 8 [X.] des Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf vom 23.12.2014 ([X.] 2462), und für die [X.] vom 1.1.2017 bis 30.9.2018 § 38a [X.] idF des Art 2 [X.]0 des [X.] ([X.]I vom 21.12.2015, [X.] 2424). Im vorliegenden Zusammenhang liegt der einzige wesentliche Unterschied in den Gesetzesfassungen in der Erhöhung des monatlichen [X.]s von zunächst monatlich 205 Euro auf 214 Euro mit Wirkung zum 1.1.2017 (§ 38a Abs 1 Satz 1 [X.]).

Nach § 38a Abs 1 Satz 1 [X.] haben Pflegebedürftige Anspruch auf einen pauschalen Zuschlag in Höhe von (seit 1.1.2017) 214 Euro monatlich, wenn

        

-       

sie mit mindestens zwei und höchstens elf weiteren Personen in einer ambulant betreuten Wohngruppe in einer gemeinsamen Wohnung zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung leben und davon mindestens zwei weitere Personen pflegebedürftig iS der §§ 14, 15 [X.] sind ([X.]),

        

-       

sie Leistungen nach den §§ 36, 37, 38 (ergänzt ab 1.1.2017: 45a oder 45b) [X.] beziehen ([X.]),

        

-       

eine Person (ergänzt ab 1.1.2017: durch die Mitglieder) der Wohngruppe gemeinschaftlich beauftragt ist, unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten oder hauswirtschaftliche Unterstützung zu leisten ([X.]),

        

-       

keine Versorgungsform (ergänzt ab 1.1.2017: einschließlich teilstationärer Pflege) vorliegt, in der ein Anbieter der Wohngruppe oder ein Dritter den Pflegebedürftigen Leistungen anbietet oder gewährleistet, die dem im jeweiligen Rahmenvertrag nach § 75 Abs 1 [X.] für vollstationäre Pflege vereinbarten Leistungsumfang weitgehend entsprechen; der Anbieter einer ambulant betreuten Wohngruppe hat die Pflegebedürftigen vor deren Einzug in die Wohngruppe in geeigneter Weise darauf hinzuweisen, dass dieser Leistungsumfang von ihm oder einem Dritten in der Wohngruppe nicht erbracht wird, sondern die Versorgung auch durch die aktive Einbindung ihrer eigenen Ressourcen und ihres [X.] Umfeldes sichergestellt werden kann ([X.] 4).

3. Entgegen der Auffassung des [X.] und auf Grundlage von dessen nicht angegriffenen und deshalb für den erkennenden Senat bindenden Feststellungen (§ 163 SGG) handelte es sich bei der von der Wohngruppe des [X.] bewohnten Unterkunft um eine gemeinsame Wohnung iS des § 38a Abs 1 Satz 1 [X.].

a) Wie das Merkmal der "gemeinsamen Wohnung" auszulegen ist und ob dessen Voraussetzungen vorliegen, ist nach den allgemein geltenden Auslegungsmethoden zu ermitteln. Dabei muss insbesondere der Sinn und Zweck des § 38a [X.] in den Blick genommen werden: Ziel des [X.]s ist es, den Wünschen der Pflegebedürftigen entsprechend die Rahmenbedingungen für neue Wohn- und Betreuungsformen im ambulanten Bereich - auch in finanzieller Hinsicht - deutlich zu verbessern (Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung - [X.] -, BT-Drucks 17/9369, zu Art 1 [X.]3 § 38a [X.], [X.] zu [X.] 6; vgl zu dieser Zielsetzung auch die Anschubfinanzierung nach § 45e [X.]). Mit seinem experimentellen Charakter soll der [X.] gemessen an dem Grundsatz der Selbstbestimmung in § 2 [X.] individuelle Versorgungsformen unter Förderung der ambulanten Form ermöglichen und Wohnmöglichkeiten außerhalb der (typischerweise kostenintensiveren) stationären pflegerischen Versorgung begünstigen (vgl dazu Beschlussempfehlung und Bericht des [X.] zum 5. [X.]-ÄndG, 2015 umbenannt in PSG I, vgl BT-Drucks 18/2909 [X.], 41 zu [X.] 8). Der Senat hat bereits mit Urteil vom [X.] P 5/14 R ([X.], 271 = [X.]-3300 § 38a [X.], Rd[X.]0) entschieden, dass von einer gemeinsamen Wohnung ausgegangen werden kann, wenn der Sanitärbereich, die Küche und, wenn vorhanden, der Aufenthaltsraum einer abgeschlossenen Wohneinheit von allen Bewohnern jederzeit allein oder gemeinsam genutzt werden können. Die Wohnung muss von einem eigenen, abschließbaren Zugang vom [X.], von einem Treppenhaus oder einem Vorraum zugänglich sein. Nicht von der Regelung erfasst werden hingegen Gemeinschaften von Pflegebedürftigen in der Nachbarschaft oder lose Zusammenschlüsse ohne gemeinsame Wohnung (BSG Urteil vom [X.], ebenda, unter Hinweis auf BT-Drucks 17/9669 , [X.]).

b) Der Senat konkretisiert die Begrifflichkeit der "gemeinsamen Wohnung" nun dahin, dass die Förderung mit einem [X.] nur für Wohnformen ausgeschlossen ist, die lediglich bei rein "formaler" Betrachtung der ambulanten Versorgung zuzuordnen wären, faktisch aber einer stationären Vollversorgung entsprechen. Diese weite Auslegung ist durch das gesetzgeberische Ziel, gesellschaftlich förderungswürdiges gemeinschaftliches Wohnen unter Wahrung angemessener Privatsphäre zu fördern, gerechtfertigt (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum [X.]I, BT-Drucks 18/5926 zu Art 2 § 38a [X.], [X.] zu [X.]0). Eine "gemeinsame Wohnung" liegt insoweit erst dann nicht mehr vor, wenn die gesamte Wohnanlage so gestaltet ist, dass sich jeder einzelne Bewohner "praktisch selbstständig" versorgt oder versorgt wird, ohne auf die Möglichkeit eines "gemeinschaftlichen" Zusammenwohnens zurückgreifen zu können.

c) Gegen eine in dieser Hinsicht "großzügige" Auslegung des Begriffs der "gemeinsamen Wohnung" lassen sich weder im [X.] noch in den Gesetzesmaterialien durchgreifende Gegenargumente finden. Der Argumentation des [X.], dass zu einer gemeinschaftlichen Wohnform, die nach dem Willen des Gesetzgebers förderungswürdig sei, eine Beschaffenheit der gemeinsamen Wohnung gehöre, die das gemeinsame Zusammenleben nicht nur ermögliche, sondern auch "erfordere", ist nicht beizutreten. In dokumentierten Gesetzesbegründungen zu § 38a [X.] lassen sich hinreichende Anhaltspunkte für ein derartig eingeschränktes Verständnis der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Institutionen nicht entnehmen. Die mit dem PNG intendierte "Stärkung neuer Wohn- und Betreuungsformen" ist von einem solch engen Verständnis erkennbar nicht getragen. Die Sozialleistung erfordert nach dem Wortlaut lediglich, dass die Bewohner dort (nur) "zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung leben" müssen (§ 38a Abs 1 Satz 1 [X.]); dass die umfassende Teilnahme an einem Gemeinschaftsleben erforderlich wäre, ist hingegen keine Voraussetzung für den [X.] und so auch nicht in den Gesetzestext eingegangen. Eine solche enge Auslegung liefe dem Gesetzeszweck auch im Lichte des Grundsatzes der möglichst weitgehenden Verwirklichung der [X.] Rechte (§ 2 Abs 2 SGB I) zuwider. Die Neugründung von ambulanten Wohngemeinschaften Pflegebedürftiger nach § 38a [X.] war gerade als sinnvolle eigenverantwortlich organisierte Zwischenform zwischen der Pflege in der häuslichen Umgebung einerseits und der vollstationären Pflege andererseits als Ausdruck einer individuellen Bedürfnissen der Pflegebedürftigen Rechnung tragenden Vielfalt von Wohn- und Versorgungsformen erwünscht (vgl dazu Gesetzentwurf der Bundesregierung zum PNG, aaO, BT-Drucks 17/9369 [X.] unter 6, und [X.] f zu [X.]3).

Für die Erfüllung des gesetzgeberischen Ziels ist auch zu berücksichtigen, dass sich die gesellschaftlichen Umstände des Wohnens und hieran gestellte Anforderungen im Hinblick auf zur Verfügung stehende Wohnfläche und gestiegene Ansprüche an Sanitärbereiche verändert haben, und zwar auch und gerade, was die spezifische Bedarfslage bei Menschen mit Behinderungen anbelangt, die sich von derjenigen von gesundheitlich nicht beeinträchtigten Bewohnern typischer anderer Wohngemeinschaften deutlich unterscheidet. Es spricht daher nicht gegen die Annahme einer "gemeinsamen Wohnung", wenn schon die Ausstattung eines Apartments geeignet ist, die elementaren Bedürfnisse im Tagesablauf auch ohne Nutzung von Gemeinschaftseinrichtungen zu befriedigen (so zu Recht [X.], [X.] 6/2019 [X.] 4 unter [X.]). Allerdings muss die Wohnsituation die Möglichkeit eines gemeinschaftlichen Lebens in Gemeinschaftsräumen auch tatsächlich in nennenswertem Maße zulassen; das bloße Vorhandensein rein funktionaler Gemeinschaftseinrichtungen, wie zB Abstellräume für Hilfsmittel, reicht insoweit nicht aus.

d) Diesen Anforderungen an eine "gemeinsame Wohnung" wird die Wohnsituation des [X.] ausgehend von den für den Senat bindenden Feststellungen des [X.] (vgl § 163 SGG) gerecht. Er lebte im [X.]raum vom 1.10.2015 bis 30.9.2018 in einer Wohnanlage, die sich durch folgende Merkmale auszeichnete: Jedes der ca 46 qm großen Apartments in der Anlage mit elf Wohnungen verfügte über einen Wohnraum mit Küchenzeile, ein Schlafzimmer und ein Badezimmer, eine eigene Türklingel, eigenen Briefkasten und - sofern im Erdgeschoss gelegen - eine eigene Außentür. Darin erschöpfte sich die Wohnsituation indessen nicht. Die Wohnanlage verfügte nämlich darüber hinausgehend über einen Gemeinschaftsraum mit Esstisch für alle Bewohner, eine große voll ausgestattete [X.], eine Sitz- und Leseecke sowie ein weiteres Badezimmer. Eine solche Ausstattung lässt sich bezogen auf den hier betroffenen Personenkreis bei funktionaler Betrachtung zwanglos unter den Rechtsbegriff "gemeinsame Wohnung" iS des § 38a Abs 1 Satz 1 [X.] subsumieren. Dagegen spricht nicht entscheidend, dass die einzelnen Wohneinheiten in der oben beschriebenen Weise ausgestattet waren. Die an das Vorliegen einer "gemeinsamen Wohnung" zu stellenden Anforderungen beziehen sich nämlich im Wesentlichen auf den Teil der Wohnung, der von allen Bewohnern gemeinsam genutzt wird bzw nutzbar ist. Verfügen die einzelnen Wohneinheiten über Ausstattungsmerkmale, die über das aufgrund der vorhandenen Gemeinschaftseinrichtungen Notwendige hinausgehen, ist dies für den [X.] grundsätzlich unschädlich. Der zusätzliche Nutzen und Komfort, der mit dem Vorhalten individueller Küchen- und Badeinrichtungen in einer gemeinsamen Wohnung einhergeht, steht nicht in einem sachlichen Zusammenhang mit dem [X.]. Die hiermit im Zusammenhang stehenden Mehrkosten werden ohnehin nicht durch diese Leistung der Pflegeversicherung abgedeckt.

e) Dieses Ergebnis steht auch weitestgehend im Einklang mit den (allerdings ohnehin nicht normativ wirkenden) aktuellen im Gemeinsamen Rundschreiben des [X.] zu den leistungsrechtlichen Vorschriften des [X.] dargelegten Erläuterungen zum Vorliegen einer gemeinsamen Wohnung iS des § 38a Abs 1 Satz 1 [X.] (idF vom 13.2.2018 [X.] f; Stand: Juni 2020 im [X.] ua unter: [X.] - recherchiert im September 2020). Die dort aufgeführten Mindestanforderungen an eine gemeinsame Wohnung dürften im Falle des [X.] erfüllt sein. Bei der klägerischen Wohnsituation waren Aufenthaltsräume innerhalb der abgeschlossenen Wohnanlage, die von allen Bewohnern jederzeit allein oder gemeinsam genutzt werden können, vorhanden. Die Wertigkeit dieser Gemeinschaftsräume kommt in der hierfür aufzubringenden Miete zum Ausdruck, die ungefähr der Hälfte der Miete für die Privaträume entspricht. Auch das Vorhandensein von individuell nutzbaren Ausstattungsmerkmalen der Privaträume, zB voll ausgestatteter Sanitärbereiche, dürfte selbst nach dem Rundschreiben den Anspruch auf [X.] nicht ohne Weiteres ausschließen.

4. Ob der Kläger einen Anspruch auf [X.] hat, kann der erkennende Senat jedoch aufgrund fehlender tatsächlicher Feststellungen der Vorinstanz nicht abschließend selbst entscheiden. Der Kläger bezog zwar seit 1.2.2016 Leistungen wegen eingeschränkter Alltagskompetenz von der Beklagten, sodass insoweit die Voraussetzungen des § 38a Abs 1 [X.] und des § 38a Abs 1 [X.] [X.] (jeweils idF des Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf vom 23.12.2014 <[X.] 2462>) für den [X.]raum bis 31.12.2016 vorgelegen haben dürften. Ob der Kläger allerdings auch in der [X.] vom 1.1.2017 bis 30.9.2018 eine der in § 38a Abs 1 Satz 1 [X.] [X.] idF des [X.]I vom 21.12.2015 ([X.] 2424) genannten Leistungen bezog, hat das [X.] nicht festgestellt. Zwar dürfte nach § 140 Abs 2 Satz 3 [X.] [X.] davon auszugehen sein, dass der Kläger zum 1.1.2017 in einen Pflegegrad übergeleitet wurde; die vom [X.] festgestellten "Leistungen wegen eingeschränkter Alltagskompetenz" iS von § 45b [X.] aF gibt es jedoch in dieser Form seit 1.1.2017 nicht mehr, so dass nicht geklärt ist, ob und ggf welche Leistungen iS des § 38a Abs 1 Satz 1 [X.] [X.] nF der Kläger seither bezog. Ob er in der [X.] vom 1.10.2015 bis zum 31.1.2016 pflegebedürftig oder für diese [X.] eine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz festgestellt worden war (§ 38a Abs 1 [X.] aF) und ob er eine der in § 38a Abs 1 [X.] [X.] aF aufgeführten Leistungen bezog, hat das [X.] ebenfalls nicht festgestellt.

Des Weiteren fehlen Feststellungen über Anzahl und Pflegebedürftigkeit der Mitbewohner des [X.] in der Wohngruppe (vgl § 38a Abs 1 Satz 1 [X.]). Das [X.] hat - ausgehend von seiner Rechtsauffassung konsequent - auch keine hinreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob die Wohngruppe des [X.] unter seiner Mitwirkung eine Person gemeinschaftlich beauftragt hat und für welche Tätigkeiten dies ggf der Fall war (vgl § 38a Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]). Ferner fehlen Feststellungen dazu, für welche [X.]räume ggf ein entsprechendes Auftragsverhältnis bestand. Es ist deshalb revisionsrechtlich ungeklärt, ob und wann ein entstandener Anspruch auf [X.] ggf wieder entfallen sein könnte. Schließlich mangelt es auch an Tatsachenfeststellungen, die die Beurteilung durch den Senat zulassen, ob möglicherweise eine Versorgungsform vorliegt, die iS des § 38a Abs 1 Satz 1 [X.] 4 [X.] hinsichtlich ihres Leistungsumfangs einer vollstationären Pflege weitgehend entspricht und daher ggf unter diesem Blickwinkel einem Anspruch entgegenstünde.

5. Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung im wiedereröffneten Berufungsverfahren vorbehalten.

Meta

B 3 P 1/20 R

10.09.2020

Bundessozialgericht 3. Senat

Urteil

Sachgebiet: P

vorgehend SG Aurich, 15. August 2017, Az: S 12 P 16/16, Urteil

§ 38a Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 11

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 10.09.2020, Az. B 3 P 1/20 R (REWIS RS 2020, 2260)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2260

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 3 P 3/19 R (Bundessozialgericht)

(Soziale Pflegeversicherung - Wohngruppenzuschlag - "ambulante" Versorgungsform iSd § 38a Abs 1 S 1 SGB …


B 3 P 2/19 R (Bundessozialgericht)

Private Pflegeversicherung - Wohngruppenzuschlag - Erfordernis der "gemeinschaftlichen Beauftragung" einer für die Wohngruppe tätigen Person …


B 3 P 5/14 R (Bundessozialgericht)

Soziale Pflegeversicherung - Wohngruppenzuschlag - Familienverbund - Zusammenleben zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung …


S 12 P 22/15 (Sozialgericht Stralsund)


B 3 KR 14/19 R (Bundessozialgericht)

Krankenversicherung - Anspruch auf häusliche Krankenpflege - ambulant betreute Wohngruppe - kein Verlust des Anspruchs …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.