Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.02.2011, Az. 1 StR 24/10

1. Strafsenat | REWIS RS 2011, 9679

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 24/10 vom 8. Februar 2011 [X.]St: nein [X.]R: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja _____________________________ AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 UStG § 15 Abs. 1 Jedenfalls dann, wenn derjenige, für den eine Lieferung ausgeführt wird, weiß, dass diese Teil eines auf Hinterziehung von Umsatzsteuer angelegten Systems ist, so ist er hinsichtlich dieser Lieferung nicht als Unternehmer i.S.d. § 15 UStG tätig. Macht er dennoch die in einer Rechnung für diese Lieferung ausgewiese-ne Umsatzsteuer nach § 15 UStG als Vorsteuer geltend, begeht er eine Steuer-hinterziehung. [X.], [X.]schluss vom 8. Februar 2011 - 1 StR 24/10 - [X.] in der Strafsache gegen 1. 2. 3. 4. 5. - 2 - wegen zu 1.: Steuerhinterziehung zu 2.: versuchter Steuerhinterziehung zu 3.: Steuerhinterziehung u.a. zu 4.: Steuerhinterziehung u.a. zu 5.: Steuerhinterziehung u.a. - 3 - Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 8. Februar 2011 beschlossen: Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 12. August 2009 werden als unbegründet verworfen. Jeder [X.]schwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Gründe: Verfahrensgegenstand sind Steuerdelikte (Hinterziehung von Umsatz-steuer), die in den [X.] 2006 und 2007 im Rahmen von —zwei groß angelegten und gut organisierten sowie auf Verschleierung ausge-richteten Steuerhinterziehungssystemenfi begangen (System —[X.] fi, [X.]

GmbH & Co. KG in [X.]; Steuerverkürzung durch un-berechtigte Geltendmachung von Vorsteuer in Höhe von etwa 10 Mio. •) oder versucht (System —[X.] fi, [X.]AG & Co. KG; vergebliche unberechtigte Geltendmachung von Vorsteuer in Höhe von etwa 4,8 Mio. •) wurden. Die in näher festgestellter Weise hieran beteiligten Ange-klagten wurden, differenziert nach Art und Maß ihrer [X.]teiligung, wegen vollen-deten und/oder versuchten Steuerhinterziehungen jeweils zu Gesamtfreiheits-strafe verurteilt. 1 Ihre auf eine von allen Angeklagten erhobene Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützten Revisionen bleiben erfolglos (§ 349 Abs. 2 [X.]). 2 I. - 4 - Mit der Verfahrensrüge wird geltend gemacht, der in der am [X.] 2008 begonnenen Hauptverhandlung häufig als alleiniger Urkundsbeamter der Geschäftsstelle (Protokollführer) eingesetzte [X.]sei zuvor entgegen § 153 Abs. 5 [X.] nicht mit dieser Aufgabe betraut worden; daher sei insoweit die Hauptverhandlung entgegen § 226 Abs. 1 [X.] ohne Urkundsbeamten der Geschäftsstelle durchgeführt worden (§ 338 Nr. 5 [X.]). 3 1. Folgendes liegt zu Grunde: 4 Der [X.]war nach [X.]stehen der entsprechen-den Prüfung seit 2004 am [X.] tätig und dort 2006 mit den Aufgaben eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle betraut worden. Zum 15. September 2008 wechselte er zum [X.]. Mit Verfügung vom 22. September 2008 übertrug ihm die Personalleiterin die Aufgaben eines Angestellten in Serviceeinheiten. Mit Schreiben vom 11. August 2009 (dem Tag vor der Verkündung des angefochtenen Urteils) betraute ihn der Geschäftsleiter des [X.] im Auftrag der Präsidentin des [X.] mit Wirkung vom 15. September 2008 mit den Aufgaben eines Urkundsbeamten der Geschäfts-stelle beim [X.]. 5 2. Eine [X.]trauung mit der Aufgabe eines Urkundsbeamten der Ge-schäftsstelle muss erfolgen, bevor der [X.]traute diese Aufgabe wahrnimmt (O[X.], [X.] 1984, 337; [X.], [X.], 53. Aufl., § 153 [X.] Rn. 3), sie ist also nicht rückwirkend möglich. Wäre sie erst am 11. August 2009 erfolgt, wären zuvor bezüglich des [X.]die Voraus-setzungen des § 153 Abs. 5 [X.] nicht erfüllt gewesen. 6 - 5 - 3. Der [X.] entnimmt jedoch die entsprechende [X.]trauung des Justiz-fachangestellten [X.]mit genügender Klarheit der genannten Verfügung der Personalleiterin vom 22. September 2008. 7 a) Unter den Voraussetzungen von § 153 Abs. 5 [X.] hier in Verbindung mit § 8 der [X.] ([X.]) der Justizbehörde der [X.] vom 13. Dezember 2004 (HmbJVBl 2004, 95 f.) kön-nen Angestellte mit der Aufgabe eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle betraut werden. Es handelt sich dabei um ein Geschäft der Justizverwaltung [X.]. § 22 Satz 1 HmbAG[X.], das den Gerichtspräsidenten zugewiesen ist. Diese können gemäß § 22 Satz 2 HmbAG[X.] zur Erledigung ihnen [X.] die ihrer Dienstaufsicht unterstellten [X.] heranziehen. Die Personalleiterin untersteht der Dienstaufsicht der Präsidentin des [X.]. Sie ist, wie sich aus der ergänzenden Revisi-onsgegenerklärung der St[X.]tsanwaltschaft im Einzelnen ergibt, unter anderem mit der Entscheidung über den Einsatz von Angestellten im Geschäftsbereich des [X.] betraut. Einen Grundsatz, wonach insoweit eine Einschrän-kung gelte, weil die [X.]trauung mit der Aufgabe eines Urkundsbeamten der Ge-schäftsstelle durch den Präsidenten selbst erfolgen müsse, gibt es nicht (vgl. [X.], Urteil vom 4. Juni 1985 - 1 StR 18/85, [X.] 1985, 492; allgemein zur Mög-lichkeit, diese nicht an eine bestimmte Form gebundene [X.]trauung zugleich mit der Zuweisung weiterer Aufgaben an den Angestellten zu verbinden, vgl. OLG Bremen [X.] 1984, 109; [X.]/[X.], [X.], 6. Aufl., § 153 Rn. 22). 8 b) Die Voraussetzungen von § 153 Abs. 5 [X.] liegen hier vor. [X.]i [X.] dieser [X.]stimmung (Gesetz zur Neuregelung des Rechts des [X.] vom 19. Dezember 1979, [X.] I 2306) war die Ausbildung von [X.] nicht auf eine Tätigkeit als Urkundsbeamter 9 - 6 - der Geschäftsstelle ausgerichtet (BT-Drucks. 8/2024, [X.], 14). Daher sollte sichergestellt werden, dass nur geeignete Angestellte (BT-Drucks. [X.]O S. 14) nach sorgfältiger Prüfung im Einzelfall mit dieser Aufgabe betraut wurden (vgl. [X.]/[X.] [X.]O). Inzwischen umfasst die [X.]rufsausbildung zum [X.] auch das Führen von Hauptverhandlungsprotokollen in [X.] (vgl. § 3 Nr. 8 und § 4 der - bundeseinheitlichen - VO über die [X.] zum/zur [X.] vom 26. Januar 1998 <[X.] I 195> [X.]. Nr. 8b der Anlage zu § 4 JFangAusbV). Wer die [X.] als Justizfachangestellter bestanden hat (§ 8 JFangAusbV), bietet daher grundsätzlich die Gewähr für die gebotene Sachkunde bei der [X.] in Strafsachen. Dies deckt sich mit dem von der Revision vorge-legten Schreiben der Präsidentin des [X.] vom 19. November 2009, wonach ein Justizfachangestellter nach bestandener Prüfung als zur [X.] befähigt angesehen wird. c) Dementsprechend ist auch in der Stellenbeschreibung - die die objek-tiven Kriterien bestimmt, die man erfüllen muss, um für die Übertragung des Dienstpostens in [X.]tracht zu kommen (allgemein zum Rechtscharakter von Stellenbeschreibungen vgl. [X.] Art. 33 Nr. 59; [X.] NZA 2005, 1185, 1187) - , die der Einstellung des [X.] [X.]zu Grunde lag, die Protokollführung in Strafsachen als ein wesentlicher Tätigkeitsschwerpunkt genannt; auf sie entfallen 30 % der Arbeitszeit. Dem entsprechend lautet die Funktionsbezeichnung dieser Stelle —Geschäftsstellenverwaltung mit [X.] in einer – [X.] Dem entspricht, dass eine Tätigkeit als Pro-tokollführer in Strafsachen ein Tätigkeitsmerkmal ist, das dazu führt, dass die Stelle - wie hier - in die Vergütungsgruppe [X.] eingruppiert ist, während im übrigen vergleichbare, aber nicht mit Protokollführung in Strafsachen [X.] Stellen regelmäßig in die Vergütungsgruppe [X.] eingruppiert sind, also niedriger besoldet werden. 10 - 7 - d) Die ihm vorgelegten nachträglichen Erläuterungen der [X.] versteht der [X.] insgesamt dahin, dass die in der Verfügung vom 22. September 2008 liegende [X.]trauung des [X.] [X.] mit den Aufgaben eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle mit dem genann-ten Schreiben vom 11. August 2009 ausdrücklich auch schriftlich zum Ausdruck gebracht werden sollte. Der [X.] bemerkt jedoch, dass ein von [X.]ginn an klar dokumentiertes, nicht auslegungsbedürftiges Verwaltungshandeln das [X.] entlastet hätte. 11 II. Auch die Sachrügen bleiben erfolglos. 12 1. Die abgeurteilten Taten (vor I) beruhten auf folgendem Hinterzie-hungssystem: 13 a) Es wurden zum Schein Fakturierungsketten aufgebaut, die den Fir-men [X.]und [X.]den Abzug von in Rechnungen ausgewiesener Umsatz-steuer als Vorsteuer ermöglichen sollten. Zu diesem Zweck wurden jeweils mindestens zwei Gesellschaften vorgeschaltet, deren Aufgabe im Wesentlichen darin bestand, Rechnungen mit ausgewiesener Umsatzsteuer zu erstellen. [X.] Spielraum hatten sie dabei nicht, die Rechnungen waren ihnen zuvor von den Angeklagten samt [X.] übersandt worden. Die [X.] waren dabei planmäßig so gewählt, dass ein —[X.] erwirtschaftet wurde, der verschleiert an Firmen im Ausland transferiert werden konnte. 14 - 8 - b) Im Einzelnen wurde folgende Vorgehensweise gewählt: 15 Die jeweils erste Firma der Kette —[X.] die Waren aufgrund einer [X.] Lieferung umsatzsteuerfrei von Unternehmern aus [X.]. Diese erste Firma —[X.] sie dann an eine andere in [X.] ansässige Firma. Der Nettoausgangsrechnungsbetrag wurde ge-genüber dem [X.] um gut 100 % —aufgepreistfi. Die in diesen Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer wurde von der ersten Ge-sellschaft der jeweiligen Kette weder angemeldet noch abgeführt. Die dann in der Kette nachfolgende Gesellschaft fakturierte die Waren mit geringem [X.] - direkt oder unter Einschaltung einer dritten Gesellschaft - an die Firma [X.] oder die Firma [X.]weiter. Die in den entsprechenden Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer wurde angemeldet und abgeführt. Damit sollten sich die Umsätze der Firmen [X.]und [X.]gegenüber den Finanzbehörden als unauffällig darstellen. Diese Firmen generierten den —[X.], indem sie die in den an sie gerichteten Rechnungen ausgewiesene Umsatz-steuer als Vorsteuer geltend machten. Die Waren wurden umsatzsteuerfrei an Firmen im [X.] Ausland - jedenfalls auf dem Papier - weitergeleitet. 16 2. Obwohl die Firmen [X.] und [X.] danach keinen Anspruch auf Abzug oder Erstattung von Vorsteuer hatten, haben die Angeklagten den Abzug der in den jeweiligen Eingangsrechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuer ver-anlasst und so durch unrichtige Erklärungen Steuern verkürzt oder dies [X.]. 17 - 9 - Hier kommt allein eine Vorsteuererstattung gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG in [X.]tracht. Eine Vorsteuererstattung setzt voraus, dass in [X.] (§ 14 UStG) für Lieferungen eines anderen Unternehmers (§ 2 Abs. 1 UStG) an den Unternehmer, der den Vorsteuerabzug geltend macht, gesondert Umsatzsteuer ausgewiesen ist. Die in den Fakturierungsketten den Firmen [X.]bzw. [X.]vorgeschalteten Gesellschaften waren hier jedoch in diesem Sinne keine Unternehmer, sondern nicht als Unternehmer einzustufende Stroh-männer. 18 [X.]i der Entscheidung darüber, ob umsatzsteuerrechtlich ein Unterneh-mer vorliegt, ist die Gesamtheit der Gegebenheiten des Einzelfalls den [X.] gegenüber zu stellen, unter denen gewöhnlich eine entsprechend ver-gleichbare wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird (vgl. [X.], Urteil vom 26. September 1996, [X.]/94, Rechtssache Enkler, Rn. 28, 30; vgl. hierzu [X.] in [X.]/Geist, UStG, 9. Aufl., § 2 Rn. 7). Entscheidend ist daher, ob die jeweils hier den Firmen [X.]oder [X.]vorgeschaltete Firma als Teil der Lieferkette wie ein typischer Händler gehandelt hat (vgl. [X.], Urteil vom 22. Mai 2003 - 5 [X.], [X.], 578, 579 [X.]; [X.] 1987, 752; [X.] [X.]O). 19 Dies ist zu verneinen. Das —Bild des [X.] ist durch die wiederholte Anschaffung und Veräußerung von Wirtschaftsgütern im Sinne eines marktmä-ßigen Umschlags von Sachwerten gekennzeichnet (vgl. auch [X.] 2010, 21). Im hier in Rede stehenden Zusammenhang hatten die vorgeschalteten Firmen weder ein Kapital- noch ein Abnahmerisiko zu tragen. Sie hatten viel-mehr ohne eigenen Spielraum im Wesentlichen nur vorgegebene Rechnungen auszustellen. Es liegen sog. [X.] vor, da die vorgeschalteten Firmen nicht im Rahmen eines Geschäftes, das wechselseitige Rechte und 20 - 10 - Pflichten begründen sollte, eigene Interessen wahrnahmen. Vielmehr waren sich die [X.]teiligten dieser Geschäfte darüber einig, dass die vorgeschalteten Firmen ohne sonstige eigene Rechte oder Pflichten als im Lager der Firmen [X.] oder [X.] stehende Hilfspersonen ausschließlich der Durchsetzung von deren Interesse dienten (vgl. [X.] [X.]O; [X.] [X.]O Rn. 13 jew. [X.]). Da nach alledem die vorgeschalteten Firmen hier nicht als Unternehmer tätig waren, waren die Firmen [X.] und [X.]gemäß § 15 UStG nicht zum Vorsteuerabzug im Hinblick auf die von diesen Firmen ausgestellten Rechnun-gen berechtigt und hatten dementsprechend auch keinen Anspruch auf Erstat-tung der in diesen Rechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuer. Durch die gleichwohl auf dieser Grundlage vorgenommenen Umsatzsteuervoranmeldun-gen haben die Angeklagten (zumindest konkludent) für die Firmen [X.] und/oder [X.]eine Vorsteuerabzugsberechtigung behauptet und durch diese unrichtigen Erklärungen (täterschaftlich) ungerechtfertigte Steuervorteile für diese beiden Firmen erlangt oder zu erlangen versucht (vgl. auch [X.] [X.]O). Am Vorsatz besteht kein Zweifel. 21 3. Unabhängig davon tragen die Feststellungen auch noch aus einem anderen Grunde die Schuldsprüche. Sowohl dem Angeklagten [X.](Ge-schäftsführer Firma [X.] ) als auch den Angeklagten [X.]und [X.]. (je-weils Vorstand der [X.] ) war nämlich bekannt, dass sich diese Firmen durch den (zumindest auf dem Papier erfolgten) Erwerb der in den Lieferketten [X.] Waren an Umsätzen beteiligten, die in [X.] einbezogen waren. Auch deshalb waren die Firmen [X.] und [X.]- ebenso wie die in den Lieferketten vorgeschalteten Unternehmer - hier nicht als [X.]S.d. § 15 UStG tätig. Die in diesem Zusammenhang wesentlichen Tatsachen - Vorsteuerabzug (bzw. der entsprechende Versuch) durch die [X.] - 11 - men [X.]und [X.] , obwohl Verantwortliche dieser Firmen von der vorange-gangenen [X.] wussten - waren auch den übrigen [X.] bekannt und sie machten sie sich bei ihrer [X.]teiligung am [X.] zu eigen; sie sind daher auch ihnen zuzurechnen. a) Der Wertung, dass die Firmen [X.] und [X.] hinsichtlich der hier getätigten Geschäfte nicht als Unternehmer i.S.d. § 15 UStG tätig waren, liegt eine Auslegung dieser [X.]stimmung zu Grunde, wie sie (auch) gemeinschafts-rechtlich geboten ist. Gemäß Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der —Sechste(n) Richtlinie 77/388 EWG des [X.] der [X.] über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige [X.]messungsgrundlagefi (ABl. Nr. L 145 S. 1; nach-folgend Sechste Richtlinie) darf der Steuerpflichtige (Art. 4 Abs. 1 und 2 der Sechsten Richtlinie; vgl. zum [X.]griff des Steuerpflichtigen auch [X.], Urteil vom 6. Juli 2006, [X.]/04, [X.], Rechtssache Kittel u.a. Rn. 41 [X.]) —die geschuldete oder entrichtete [X.] (unter anderem) —für Ge-genständefi abziehen, —die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden ...fi. Der Anspruch auf diesen Vorteil entfällt jedoch, wenn er in [X.] geltend gemacht wird, da eine betrügerische oder sonst miss-bräuchliche [X.]rufung (auch) auf Gemeinschaftsrecht verboten ist. Die Sechste Richtlinie soll auch das Ziel fördern, Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und damit vergleichbare sonstige Missbräuche zu bekämpfen. Ein derartiger betrügerischer Missbrauch liegt jedenfalls vor, wenn sich der Steuerpflichtige bewusst an einem in eine Mehrwert- bzw. [X.] einbezo-genen Umsatz beteiligt: dabei kommt es nicht darauf an, ob er auch schon die (frühere) [X.] selbst begangen hat, sondern es genügt, wenn ihm diese bekannt ist (vgl. [X.] [X.]O Rn. 54 ff., 61 [X.]; die Auffassung der Revision, dass diese Entscheidung —mittlerweile durch neuere [X.] - 12 - gen [des [X.]] überholt sein dürftefi, teilt der [X.] nicht, vgl. [X.], Urteil vom 7. Dezember 2010, [X.]/09, Rechtssache R Rn. 52 ff.). b) Unter diesen Umständen können auch die Firmen [X.] und [X.] nach Auffassung des [X.]s nicht als Unternehmer i.S.d. § 15 UStG angese-hen werden. Das Vorliegen eines Unternehmers i.S.d. § 15 Abs. 1 UStG ist in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch, bei solcher [X.] [X.]tätigung zu verneinen, die sich durch bewusste [X.]teiligung an und be-wusste Ausnutzung von anderweitigen Steuerstraftaten steuerrechtliche Vortei-le verschafft, wie etwa hier —[X.] auf der Grundlage von Um-satzsteuerhinterziehungen, die innerhalb einer eigens zu diesem Zweck ge-schaffenen Lieferkette begangen wurden. Die sonstigen Voraussetzungen von § 370 AO liegen, wie dargelegt, vor. 24 c) Da nach alledem hier die Firmen [X.]

und [X.]schon nicht i.S.d. § 15 UStG als Unternehmer tätig waren, bedarf es keiner Entscheidung, ob das Recht zum Vorsteuerabzug auch mit der [X.]gründung zu verneinen sein könnte, dass unter den gegebenen Umständen (trotz möglicherweise durchgeführter Warenbewegung i.S.d. § 3 Abs. 1 UStG) auch keine Lieferung im umsatzsteu-errechtlichen, zum Vorsteuerabzug berechtigenden Sinne vorliegt (vgl. in [X.] Zusammenhang [X.], 94; [X.], 81; vgl. auch [X.] wistra 2009, 1, 5). 25 d) Soweit das [X.] in diesem Zusammenhang dahin zu verstehen ist, dass gegen die der genannten [X.]gründung - Umsatzsteuerhin-terziehung auch deshalb, weil die Firmen [X.] und [X.]wegen bewusster [X.]teiligung an einem in eine [X.] einbezogenen Umsatz keine vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmer sind - zu Grunde liegende Aus-26 - 13 - setzung des Gesetzes unter dem Blickwinkel des [X.]stimmtheitsgebotes (vgl. Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB) [X.]denken bestehen, teilt der [X.] diese Auf-fassung nicht. [X.]) Nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] und des [X.] bestehen an der hinreichenden [X.]stimmtheit von § 370 AO selbst keine Zweifel (vgl. nur [X.] 37, 201; [X.], Urteil vom 19. Dezember 1990 - 3 [X.], [X.]St 37, 266 ff.). Insoweit hat der [X.] selbst abstrakt-generell hinreichend bestimmt über die Strafbarkeit ent-schieden. Es gibt keinen Steueranspruch des St[X.]tes, der nach dem Willen des Gesetzes nicht gegen eine rechtswidrige und schuldhafte Verkürzung straf-rechtlich geschützt sein soll. Dies gilt umso mehr, als das materielle Steuerrecht selbst aufgrund seines Eingriffscharakters dem allgemeinen, aus dem Rechts-st[X.]tsprinzip folgenden [X.]stimmtheitsgebot unterliegt (Gesetzmäßigkeit der [X.]steuerung, vgl. Tipke/Lang Steuerrecht, 20. Aufl., § 4 Rn. 150 ff.). 27 bb) Nach Auffassung des [X.]s bestehen auch hinsichtlich der Ausle-gung von § 15 UStG im vorgenannten Sinne mit Blick auf den [X.]stimmtheits-grundsatz keine [X.]denken. Sie ist nicht nur, wie dargelegt, ohne weiteres mit dem Wortlaut des Gesetzes zu vereinbaren, sondern sie entspricht auch dem Normzusammenhang und der Zwecksetzung des Umsatzsteuerrechts. Letztlich soll der Endverbraucher die Umsatzsteuer tragen, der Unternehmer soll [X.] vollständig von der im Rahmen seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Umsatzsteuer entlastet werden. Dies gewähr-leistet die Neutralität der umsatzsteuerlichen [X.]lastung aller ihrerseits der Um-satzsteuer unterliegenden wirtschaftlichen Tätigkeiten, unabhängig von den Zwecken und (oder) Ergebnissen dieser Tätigkeiten (vgl. [X.], Urteil vom 6. Juli 2006, [X.]/04, [X.], Rechtssache Kittel u.a. Rn. 48 [X.]). [X.] - 14 - falls für die Adressaten des Umsatzsteuergesetzes - ausschließlich Unterneh-mer, die auf Grund von Ausbildung und (oder) praktischer Erfahrung über das einschlägige Fachwissen verfügen - ist dieser Normzusammenhang, als zuver-lässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Norm, ohne weiteres erkennbar. Sie sind als regelmäßig dazu im Stande anzusehen, den Rege-lungsgehalt dieses Gesetzes zu verstehen und ihm konkrete Verhaltensanwei-sungen zu entnehmen (vgl. [X.] 48, 48, 56 f. [X.]; [X.] wistra 2010, 396, 404). Deswegen haben sie - über den Wortlaut der Vorschrift hinaus - auch insoweit die Möglichkeit, das Verbot bestimmter Verhaltensweisen zu er-kennen und die st[X.]tliche Reaktion vorauszusehen. Die geschilderte Generierung von —[X.] verstößt ge-gen das dargelegte Prinzip der Umsatzsteuerneutralität. Der St[X.]t erstattet Vorsteuer, die er zuvor nicht in Form der Umsatzsteuer erhalten hat. Die ande-ren Marktteilnehmer, die derartige illegale —[X.] nicht gene-rieren, haben dadurch Wettbewerbsnachteile. Die hiermit verbundene Verlet-zung der Gerechtigkeitsprinzipien des Umsatzsteuergesetzes und die daraus resultierenden strafrechtlichen Konsequenzen sind nach Auffassung des Se-nats für jedermann, jedenfalls aber für die Adressaten des Umsatzsteuergeset-zes, zu denen die Angeklagten zählen, erkennbar. 29 - 15 - 4. Auch im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revi-sionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten erge-ben. 30 Nack Wahl Hebenstreit Ri[X.] Prof. Dr. Jäger ist wegen Urlaubsabwesenheit an der Unterschrift verhindert. [X.]

Meta

1 StR 24/10

08.02.2011

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.02.2011, Az. 1 StR 24/10 (REWIS RS 2011, 9679)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 9679

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 24/10 (Bundesgerichtshof)

Steuerhinterziehung: Unberechtigter Vorsteuerabzug für Lieferungen im Rahmen eines auf Hinterziehung von Umsatzsteuern angelegtem Systems


1 StR 422/13 (Bundesgerichtshof)

Umsatzsteuerhinterziehung: Versagung des Vorsteuerabzugs bei Beteiligung an einem Umsatzsteuerkarussell; Eigenschaft als Leistender bei Strohmanngeschäften


1 StR 184/19 (Bundesgerichtshof)

Umsatzsteuerhinterziehung: Wegfall der Berechtigung zum Vorsteuerabzug


2 K 710/14 (FG München)


1 StR 422/13 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

1 StR 24/10

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.